Der kleine Bruder von Scheiße singt

Erasmus Ein krasser Diss auf Menschen, die gerne Singen, gegen Studiengebühren sind, im Ausland sich besaufen und versuchen das Ganze miteinander zu verbinden.

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Wie schon erwähnt, war ich mit meinem Couchsurfing Bro auf einer Wohnheimparty. Die Anwesenden bezeichneten sich durchweg als „Internationalists“. Jetzt bitte nicht an Internationalisten denken, sie dachten nämlich auch nicht an den proletarischen Internationalismus oder nur mal an irgendwelche kosmopolitischen Spielereien. Man ist in ihren Augen „Internationalist“, wenn man am Erasmus Programm der EU teilnimmt. Mit Erasmus können Studierende für ein Jahr an einer Uni im Ausland studieren und sollen damit neue Einblicke für ihr wissenschaftliches Arbeiten kennenlernen und allgemein für eine Europäisierung des Wissenschaftsbetriebs sorgen und dann noch ein wenig Völkerfreundschaft und so. In der Realität heißt es, Studierende werden irgendwohin geschickt. Manchmal sogar dorthin, wo sie hin wollten. Für die meisten scheint es aber eh egal zu sein, weil das Hauptaugenmerk besteht darin, unter sich, den „Internationalists“, zu bleiben, sich zu besaufen und mit ein wenig Glück eine Geschlechtskrankheit mitzunehmen. So kommt es, dass es im normalen Studiumsalltag einem sehr einfach gemacht wird die „Internationalists“ oder umgangssprachlich die Erasmus-Spacken zu meiden. In der Uni sieht man sie eh nie. Genauso einfach ist es, sich über die Erasmus-Spacken aufzuregen. Daher wollte ich diese Party, die erste Erasmus aka Internationalist Party meines Lebens kommentarlos übergehen. Nett, nicht wahr?

Aber nachdem jeder weiß, dass Nett der kleine Bruder von Scheiße ist und wenn die Scheiße kocht, man darüber nicht schweigen darf, versuche ich mich gerade zu überwinden und einen „Diss“ auf die Erasmus Studierenden los zu lassen. Das ist nicht so einfach, weil es schwer ist, was neues über Menschen zu schreiben, denen es reicht, billigen Alkohol in fremden Ländern zu trinken und sich mit ihrem Oxford English gegenseitig zu langweilen. Nachdem gefühlte 60 Prozent der Erasmus Studierende Deutsche sind, fällt jedoch einem Deutschen, der sich nicht als „Internationalist“ sondern als Internationalist sieht, vielleicht sogar die Pflicht zu, die Menschheit vor dieser Sippschaft zu warnen. Also fragte ich mich, betrunken von soviel Sendungsbewusstsein, wer ist der Stereotyp eines Erasmus Studierenden? Ich musste nur schräg links auf der Party schauen. Zwei Architekturstudenten aus München, ein wenig arrogant, ein wenig Hippie mäßig und freuten sich total darüber, dass jemand anderes ihnen erzählte, dass es in Rovaniemi einen Irish Pub gibt... Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte die ungelöste Frage gelöst, den heiligen Gral der „Internationalists“ gefunden. Denn, hat sich jemand schon mal überlegt, was Erasmus Studierende machen, wenn sie nicht gerade im Ausland sich besaufen? Ich wusste es jetzt!

Ich hatte den Stereotypen schon so oft gesehen. Unbewusst und mir war der Zusammenhang nicht klar. Aber jetzt sah ich die Zusammenhänge und alles lag klar vor mir. Wenn der Erasmus Studierende zu Hause ist, geht er auf Demos gegen Studiengebühren und singt Lieder, um sich von den anderen abzuheben. Genau die, die immer auf Demos gegen Studiengebühren lauthals singen müssen, machen Erasmus. Wer schon mal auf Demos war, die gegen was anderes als Studiengebühren waren, weiß, dass Singen auf Demos zumindest in Deutschland doch eher was typisch Studentisches ist. Vielleicht gibt es irgendein DGB Chor, der am Rand der Demo trällert, aber sonst brüllt man vielleicht irgendwelche Demosprüche oder macht einen auf Finne und schweigt einfach. Jeder der auf mehr als einer Demo in seinem Leben war, kennt es auch, dass nach einer Stunde Gesinge auf der Studentendemo, einem gerade dieses Gesinge wahnsinnig auf die Nerven geht, denn sie singen nicht schön und der Text ist meistens nicht wirklich kreativ, tiefsinnig noch revolutionär. Der Nervheitsfaktor wird aber unheimlich gesteigert dadurch, dass die Singenden fest daran glauben, das Lied wäre genau das.

Um das stereotypische Bild eines demosingenden Erasmus Menschen abzurunden noch zum Schluss seine Vita. Er ging auf's Gymnasium, fiel nie durch, hat es in Latein und Mathe zumindest immer auf eine Vier geschafft. Er war beliebt bei den Lehrern, hat, wenn überhaupt, erst in der Kollegstufe auf einer Party gekotzt und war auch sonst der nette, aber irgendwie auch langweilige Typ. Dann ging er zum Studieren, irgendwas Hippes mit Zukunft, und da fing seine Revoluzzerzeit an, sprich er machte das Grundstudium jeden Lifestylescheiß mit, vegan und Tierrechte, Gender und Recht auf Stadt und so weiter. Konkret bedeutete es, dass er das Fachschaftzimmer zumüllte und nicht verstand, warum es ein Schmarn ist, Gramsci zu lesen ohne jemals was von Marx gelesen zu haben. Irgendwann im Hauptstudium kommt er dann wieder zur Besinnung und „reißt sich am Riemen“ und ist dann pünktlich zum Abschluss das karrieregeile Arschloch. Also Erasmus machen Menschen, die ihr Leben lang das machen, was von ihnen erwartet wird. Die Konformität gelebt. Keine Ecken und Kanten, die beim Weg nach oben kratzen könnten.

So war es nur zu erwarten, dass ein Mensch mit Rastas seine Gitarre schrammte und Hits aus den 90iger Jahren sang. Dazu plärrte eine Schar netter, Oxford Englisch sprechender Mädchen in Hippiehosen mit.

Hug, ich habe gesprochen und der Diss ist fertig.

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Geschrieben von

Arctic Matters

Das Reisetagebuch von Christoph Hentschel, eines Doktoranden im hohen Norden Finnlands.

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