Verschollen im Stadtpark

Ounasvaara Stadtparks sind schön. Auch Ounasvaara in Rovaniemi ist schön, sehr schön sogar. Jedoch größer und wilder als die meisten Stadtparks auf der Welt.

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Der Fluss Kemijoki und der See Salmijärvi umschließen in Rovaniemi eine Landzunge. Auf der Südseite erstreckt sich das Viertel Kiiruna, wo man das hochmoderne Krankenhaus findet, aber auch Kuntotie, die berüchtigte Straße, die fast komplett aus Studentenwohnheimen besteht und allerlei Menschenvolk aus den verschiedensten Nationen leben, die es in den Hohen Norden verschlagen hat. Ein Steinwurf nördlich breitet sich Ounasvaara aus. Ounasvaara hat nicht nur einen für Finnland typisch leicht zu merkenden und auszusprechenden Namen, sondern bezeichnet einen riesigen Wald auf einer Anhöhe (es gibt das Gerücht, es solle sogar ein Berg sein) mitten in der Stadt. Es ist ein Stück Wildnis, dass sich wie eine Meereszunge tief in den urbanen Raum Rovaniemis durchwälzen scheint. Das endlose Meer an Bäumen ist jedoch mit Wegen durchkreuzt, wie Seefahrtstraßen auf der Nord- und Ostsee. So stellt Ounasvaara nicht nur die grüne Lunge Rovaniemis da und ist nicht nur ein Stück wilder Natur vor der Haustür, sondern auch der quasi Stadtpark von Rovaniemi, in dem man aber nur selten einem anderen Menschen begegnet. Das liegt nicht daran, dass ihn wenige Anwohner zur Erholung nützen, sondern an seiner schier gigantischen Größe.

So kam es auch letztes Wochenende zustande, dass in mir, noch unbewusst der Ausmaße des „Parks“, der Entschluss heranreifte, ein wenig dort zu wandern. Ich hatte noch zwei Stunden Zeit bis ich mit der Heimat zum Skypen verabredet war und so kam mir der sinnvoll erscheinende Gedanke in den Sinn, doch für eine Stunde oder so im Stadtpark dumm und lustig herumzulaufen. Gesagt, getan, packte ich meinen Rucksack und lief los. Vor zur Durchgangsstraße Ounasrinteentie. Über die für deutsche Verhältnisse kaum befahrende Durchgangsstraße in den Wald. Einen Trampelpfad hoch zu einem Schotterweg und weiter gen Innenstadt. Die Enttäuschung war auch recht groß. Anstatt auf Natur zu stoßen, stieß ich auf den Golfplatz von Rovaniemi. Den Golfplatz links liegend lassend und eine große Kurve Richtung Ortsauswärts machend, kam ich meinem erhofften Ziel Natur erheblich näher. Keine Autos waren mehr von der Ferne zu hören. Traf man in der Nähe des Golfplatzes vielleicht alle 10 Minuten einen Menschen, der einen typisch finnisch und als höfliche Geste angesehen, schweigend passierte, vergrößerte sich die Frequenz an Menschen, die man traf mit jedem Schritt.

Im Glauben einen kleinen Kreis zu laufen, gelangte ich an eine Lichtung im Wald, die alle, auch die klischeehaftesten Vorstellungen von einem Wald in der finnischen Taiga bedienten. Der Boden war felsendurchsetzt und die Risse waren angefüllt mit Moos, sodass man leicht knisternd über einen wattebauschende Boden wandelte, an Bäumen vorbei, die so bizarr geformt waren, wie sie nur die Natur mit Wind, Regen, Schnee und Kälte formen konnte. Glückselig auf menschenleeren Wattefantasien herumstreifend, kam mir der Gedanke, dass ich ja heute noch zum Skypen verabredet war und aus der Stunde dumm lustig herumlaufen, schon eineinhalb Stunden knisterndes Herumtapsen geworden waren. Eine halbe Stunde zurück sollte auch mehr als reichen, wenn ich ungefähr dort war, wo ich dachte. Einfach einen direkten Weg zurück und nicht noch mal am Golfplatz vorbei. So einfach, ach wie schön.

So lief ich zielgerichtet und zielbewusst drauflos. Es war immer noch warm, die Sonne kleidete sich langsam in ihr rot-gelbes Abendgewand und durchflutete den Wald mit ihrem goldenen Licht. Die überschwängliche Glückseligkeit wurde aber mit der Zeit immer mehr getrübt und nachdem ich nach einer halben Stunde strammen Laufens immer noch nicht in zumindest schon mal gesehenen Gebiet gelangt war, musste ich mich mit zwei Begebenheiten auseinandersetzen. Zum einen war der Skype Termin nicht mehr machbar und zum anderen, verdammt nochmal, wo bin ich?

Stehen bleiben bringt nichts. Nur mal zu warten bis jemand vorbeikommt, wäre auch nur eine Vorstufe gewesen, sich hin zulegen und auf den Tod zu warten. Also lief ich weiter und irgendwann kam der heilige Gral jedes Verirrten, eine Karte an ein Brett mitten im Wald angeschlagen. Juhuu, jetzt würde ich sehen wo ich bin und ganz schnell nach Hause kommen und nur mit einer kleinen Verspätung zum Skypen kommen. Ich sah in der Legende, dass mein Standpunkt eingezeichnet war. Perfekt dachte ich und suchte ihn in dem Teil des Waldes, in dem ich mich selber vermutete. Und suchte. Und suchte. Und fand nichts. Ich fand aber den roten Punkt, der meinen Standpunkt markieren sollte, nur an einer völlig falschen Stelle. Viel weiter weg von der Stadt, viel weiter Richtung Wildnis in die Ounasvaara Richtung Osten einfach so mündete. Auch nicht am Südrand, sondern ein gutes Stück nördlicher als angenommen. Nach einem gedanklichen, aber deswegen nicht weniger ehrlich gemeinten „Scheiße!“, kruschelte ich in meinem Rucksack und fand die erhoffte Stirnlampe. Zumindest würde ich auch im Dunkeln weiterlaufen können und heute, wann auch immer, aber heute noch nach Hause kommen. Ich schaute den Weg, der laut Plan zu laufen war, nochmal an und versuchte ihn mir einzuprägen. Die Sonne hing tief, würde aber noch brauchen, bis sie untergehen würde. Im Dunkeln im Nirgendwo zu sein, fand ich für den ersten Spaziergang etwas für übertrieben. So lief ich mit einem gewissen Ansporn und jetzt mit einer ungefähren und ein wenig realistischeren Vorstellung weiter.

Ich lief und lief, links Bäume, rechts Bäume. Und ich lief weiter und die Umgebung änderte sich nicht. Bäume und ach ja, Bäume. Da kam mir die Vorstellung in den Kopf, dass bei Misserfolg meiner Lauferei, am folgenden Montag, die Schlagzeile „Deutscher im Stadtpark verschollen“ in den Rovaniemier Zeitung zu lesen seien würde und ein schallendes Gelächter durch die Stadt am Polarkreis hallen würde, weil wer ist schon so blöd und verirrt sich im Stadtpark? In meinen Gehirnwindungen entspann sich auch gleich ein Dialog, wegen fehlender Finnisch-Kenntnisse, auf Bayrisch und Ort war nicht Ounasvaara, sondern der Englische Garten in München.

Host des g'lesen, da hat's wieda so a Preußn zerlegt im Englischen Goat'n.

Na, wirklich? G'schiets ihm recht, so a Saudepp.

Mei, selba schuld, wenn's se zu deppert san, gradaus zu laufen.

Na, des muss doch a rechter Zipfelklatscher g'wesen sein, wenn der nimmer aus'm Englischen Goat'n find'.

Jo, a Saupreiß, a lackerter holt.

Dann entsann ich mich meiner Wasserflasche und nahm einen großen Schluck aus ihr und die Wahnvorstellungen klangen ab, ich würde sagen, sie wurden geschmeidiger.

Die Sonne wurde immer müder und sank immer mehr zum Boden und da! Ja da kam die Abbiegung die nehmen musste. Jetzt war es nicht mehr weit. Ich bog ab und kurz darauf hörte ich Motorengeräusche in der Ferne. Bald würde ich auf auf die Durchgangsstraße kommen und schwups wäre ich zu Hause. Aber anstatt zu einer Straße zu kommen, bog der Weg weg von den Geräusche in die falsche Richtung ab. Ein wenig die Welt verfluchend folgte ich aber den falschen Biegungen und gelangte nach einer Weile sogar auf eine ungeteerte Straße. Ich folgte dieser, nur mit dem Wunsch zivilisatorische Errungenschaften zu finden, egal ob sie in der Nähe meines Studentenwohnheimes wären oder sonst wo. Plötzlich hörte ich Stimmen und erkannte Menschen Biertrinkend links von mir im Wald stehen, die Frisbees zwischen den Bäumen durchschleuderten (Später erfuhr ich das dies die populäre Version von Golf in Lappland darstellt). Menschen war das erste Zeichen von Zivilisation, bald folgte die Verwandlung der Schotterstraße in eine Teerstraße und schon reihten sich kleine Häuschen hinter einer Reihe Bäume aneinander. Kurz darauf kam noch ein Gehweg dazu und die Häuser wurden größer. Irgendwann erkannte ich in der Ferne einen Schornstein einer verlassenen Fabrik. So was schönes zu sehen, war wunderbar. Warum? Weil das nach Stunden das Erste war, dass ich davor schon mal gesehen hatte. Dann dauerte es auch nicht mehr lange und ich gelangte nach dem „kurzen Spaziergang im Wald“ wieder unbeschadet nach Hause zurück.

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Geschrieben von

Arctic Matters

Das Reisetagebuch von Christoph Hentschel, eines Doktoranden im hohen Norden Finnlands.

Arctic Matters

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