Kein Koriander

Alltag I Einkaufen, eine West-Geschichte

"Haben Sie alles gefunden?", Verdutzt starre ich die Kassiererin an. "Wie meinen Sie´n das?" - "Na, ob Sie alles gefunden haben, was Sie wollten." - "Ach so, ja!", sage ich und lache, ein bisschen verlegen über meine Begriffsstutzigkeit. So geht es mir meistens: Ich werde etwas gefragt, verstehe die Frage nicht oder nicht so wie sie gemeint war. Weil ich zu spät merke, dass wir beide, der Frager und ich, auf verschiedenen Umlaufbahnen kreisen.

Was ist das auch für eine Frage! An so einem Ort! "Viel mehr als ich wollte", ergänze ich, während ich versuche, mit dem Fließband mitzuhalten. Erbarmungslos schaufelt es mir alles zu, was ich gefunden habe: Vollkornnudeln, Basismüsli, 1,5-prozentige H-Milch, 30-prozentigen Ziegencamembert, zwei Flaschen Bioweißwein, 12,5 Prozent, klein gedruckt, eigenartig, je höher die Prozente, desto kleiner die Schrift, eine Flasche Anti-Haarbruch-Pflegespülung, mit grünem Pfeffer versehene Bitterschokolade, 70 Prozent, Schriftgröße mindestens 72 Punkt, die oben aufgestellte Prozentregel gilt nicht für Bitterschokolade, ein Sixpack Probiotic Drink plus L.Casei ... . "So ist es ja meistens", erwidert die Kassiererin. Recht hat sie. Die Kundin hinter mir allerdings beanstandet mit beleidigtem Unterton das Fehlen frischen Korianders. Ich will raus.

Mit zwei prallen Tüten stehe ich auf der Straße. Das probiotische Sixpack blitzt weißblau aus der Tragetüte. Seine "Fitness" kommunizierende freshe Optik beginnt mich zu nerven. Im Neonschein des Kühlregals hatten sich die kleinen Darmfloristen im Pocketformat mit geradezu kühler Noblesse von der wilden Ästhetik bunt bedruckter Kampfgetränke abgehoben. Hier draußen bei Tageslicht schäme ich mich ein wenig. Reingefallen, passiert, denke ich, setze eines der Plastikfläschchen an den Mund, sauge den wässrigmilchigen Inhalt ein und frage mich, ob L.Casei gegen soviel Zucker eine Chance hat. Und für was steht L.? Linksdrehend? Laktose? Lolita? Lethal?

Ob ich alles gefunden habe. Was für eine Frage. "Wie denn?", hätte ich zurückfragen sollen. Das wär´s gewesen! Wie denn! Das hätte einen hübschen Bruch erzeugt. Warum fällt mir alles immer erst ein, wenn es zu spät ist? Hier also, was ich geantwortet hätte: "Wie denn? Wie soll man zwischen Gulaschsuppengranulat, Biozwieback und antibakteriellem Geschirrspülmittel finden, was man will? Um zu finden, was man will, muss man wissen, was man sucht. Genau da liegt der tiefere Sinn Ihrer Frage. Aber interessiert Sie vermutlich nicht. Wissen Sie was? Ich sag Ihnen mal was: Ja, ich habe in Ihrem gut sortierten, vollgestopften, korianderlosen Superspitzenklassemarkt gefunden, was ich will: den Ausgang!"

So hätte ich gesprochen. Schön wäre das gewesen! Die Leute hinter mir hätten Beifall geklatscht oder mich ausgebuht, Rosen geworfen oder Eier. Ob Rosen- oder Eierregen, wäre mir egal gewesen. Hauptsache Regen, Hauptsache Regung! Dafür hätte ich sogar in Kauf genommen, dass man mich für eine rückwärtsgewandte Konsumverweigerungsschrapnelle mit schizoidem Persönlichkeitsbild hält, die Leitungswasser predigt und Biowein säuft. Vielleicht fragt mich irgendwann noch mal jemand an einer Kasse, ob ich alles gefunden habe.

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