Ökonomen bilden Verlauf und Misserfolg der DDR-Planwirtschaft gerne als stetig abfallende Linie ab. Ihre Entwicklung wird von Anfang an als Systemverfall beschrieben. Insofern war ihre Implosion 1989 nur eine Frage der Zeit. Das Urteil der Geschichte wird hier als eindeutig und endgültig gesehen.
Anders sehen das viele Zeitzeugen, die 40 Jahre ihres Wirkens keineswegs als entwertet und gescheitert betrachten wollen. Ihre Sicht auf die Planwirtschaft richtet sich explizit oder implizit gegen die "Verfallsthese" der aus der Systemkonfrontation hervorgegangenen Siegerseite. Ein Gespräch oder sogar eine Verständigung zwischen beiden Perspektiven ist mehr als schwierig. Eine Minimalvoraussetzung hierfür wäre die Verständigung über den Gegenstand selbst: E
selbst: Entstehung, Logik, Funktionen, Probleme und Störungen der sozialistischen Wirtschaftsordnung auf deutschem Boden. Obwohl die öffentliche wie wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR-Geschichte mittlerweile seit 15 Jahren boomt und emsig Puzzlestück um Puzzlestück zu einem neuen Gesamtbild beigetragen wurde, fehlte bisher der Versuch einer Gesamtdarstellung.Dass diese Lücke nun erstmals geschlossen wurde, verdanken wir dem Potsdamer Historiker André Steiner. Der Wissenschaftler am Zentrum für Zeithistorische Forschung gehört sicherlich zu den profiliertesten Analysten der DDR-Planwirtschaft. Zur Reformphase des "Neuen Ökonomischen Systems" hat er eine wegweisende Studie vorgelegt und zu vielen andere Aspekten fundierte Analysen beigesteuert. Darauf aufbauend hat er jetzt eine umfassende Wirtschaftsgeschichte der DDR vorgelegt.Die Geschichte von sich abwechselnden Krisen und Reformen wird als großer Bogen vom zu Ende gehenden Weltkrieg bis zu den letzten hilflosen Rettungsplänen der Krenz-Regierung im Spätherbst 1989 gespannt. Wenn die DDR-Planwirtschaft nach ihrem Ende diskreditiert ist, dann war die Situation der Nachkriegsjahre eine andere. Es ist eine Zeit großer Umbrüche, in der das Modell einer liberalen Marktwirtschaft infolge der Weltwirtschaftskrise und zwei Weltkriegen nur wenige Anhänger zählte. Nicht nur unter Marxisten wurde eine starke, intervenierende und lenkende Rolle des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft gefordert. Die zukünftige Planwirtschaft nahm ihren Ausgang unter widersprüchlichen politischen, wirtschaftlichen und mentalen Startbedingungen. Flüchtlingsbewegungen, mangelhafte Versorgungslage, sowjetische Besatzungsmacht, Demontage von Industrieanlagen und Reparationslieferungen in die Sowjetunion, Bodenreform oder Enteignung der Unternehmen - all diese Aspekte verweisen auf die Ängste und Hoffnungen der Menschen auf dem Gebiet der SBZ.Am Anfang stand der Anspruch der SED, die Wirtschaft im eigenen Herrschaftsgebiet durch ein umfassendes Plan- und Kontrollsystem krisenfest zu schnüren und in eine lichte sozialistische Zukunft zu führen. Vorbild war der große Bruder Sowjetunion. Spätestens im Juni 1953 wurde das Knarren im anlaufenden Plangetriebe aber unüberhörbar. Die Ulbricht-Führung war mit den Grenzen der eigenen Macht konfrontiert. Die Menschen waren nicht bereit, zu Gunsten ferner Heilsversprechen in der Gegenwart zurückzustecken, und begehrten auf. Damit war auch die Frontlinie aller kommenden Wirtschaftspolitik vorgezeichnet. Die Schere in den Köpfen der SED-Funktionäre wurde immer dann wirksam, wenn Reformen auf Kosten der Arbeitsbedingungen und Konsumbedürfnisse der DDR-Bevölkerung verwirklicht wurden. Wenn Stasi-Chef Mielke im Herbst 1989 mit dem Satz "Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?" zitiert wird, dann steht dieses Beispiel für Denken und Handeln der gesamten DDR-Führung nach 1953.In 40 Jahren DDR hat es an Versuchen nicht gemangelt, die wirtschaftlichen Ineffizienzen der Planwirtschaft durch systemimmanente Reformen zu überwinden und damit in der Systemkonkurrenz mit dem Westen besser zu bestehen. Die Jahre des "Neuen Ökonomischen Systems" sind hier nur das prominenteste Beispiel. Diese Reformversuche waren aber nicht nur durch die Sorge vor Protesten begrenzt. Auch das Veto der Sowjets und der eigene Unwille, die starren Dogmen des Marxismus-Leninismus aufzuweichen, begrenzten die Handlungsspielräume. So stellten sich ideologische Kampagnen wie die Verstaatlichung kleiner privater und halbstaatlicher Betriebe Ende der fünfziger und zu Beginn der siebziger Jahre als Bärendienst für die Volkswirtschaft heraus. Trotzdem bewirkte so manche Reform auch positive Effekte bei der Modernisierung der Wirtschaft oder der Verbesserung des Lebensstandards. Steiner versäumt nicht, diese feinen Unterschiede ausreichend zu würdigen.Erfolge der Planwirtschaft ergaben sich oft gerade aus den Fehlern, Ineffizienzen und Grenzen des Systems. Von Anfang an stabilisierten "weiche Pläne" und halblegale, schattenwirtschaftliche Aktivitäten der Betriebe die Wirtschaft. In der Ära Honecker war es so der Aufbau des Sonderbereichs für "Kommerzielle Koordinierung" (KoKo) unter der Führung von Alexander Schalck-Golodkowski, mit dessen Geschäften im Grauzonenbereich des Staatsplans Milliarden an Devisen erwirtschaftet werden konnten.Als sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab Beginn der Ölkrise und mit der heraufziehenden Globalisierung zu Ungunsten des Ostblocks verschlechterten, geriet die DDR immer mehr in einen Teufelskreislauf einer Verschuldung. Im Innern versuchte man die Illusion eines modernen, industriellen Sozialstaats aufrecht zu erhalten. Infolge der Rückstände in der Automatisierung und Elektronisierung konnten DDR-Produkte aber immer weniger Erlöse auf den Weltmärkten erzielen. Die Leistungsschwächen der Planwirtschaft schlugen nun voll durch, so dass die materielle Basis der DDR immer weiter abschmolz.Heute leben wir in einer kriselnden Marktgesellschaft, deren blinkendes Warenüberangebot einer sinkenden Kaufkraft der Bevölkerung gegenübersteht. Die letzten Jahren der DDR müssen wir uns genau umgekehrt vorstellen. Das Warenangebot stagnierte bei steigender Kaufkraft und schürte damit die Unzufriedenheit der Menschen. Bei manchen Konsumwaren wurde ein Drittel des Angebotes über private Einfuhren aus dem Westen gedeckt.Gerade mit solchen kleinen Hinweisen gelingt es Steiner immer wieder, Grundprobleme der DDR-Planwirtschaft auf den Punkt zu bringen. Das Buch zeichnet sich durch eine faktenfundierte Anschaulichkeit aus und schafft es somit, sehr unterschiedliche Leserbedürfnisse zu befriedigen. Es erschöpft sich nicht darin, die 40 Jahre real existierende Planwirtschaft auf eine stetig abfallende Linie zu reduzieren, sondern würdigt die unterschiedlichen zeitlichen Phasen. Letztlich lässt Steiner aber keinen Zweifel daran, dass das ökonomische Scheitern der DDR die immanente Folge ihres eigenen Wirtschaftssystems war.André Steiner: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR. DVA, München 2004, 275 S., 19,90 EUR