Sie kehren zurück, um zu schreien

Indonesien Zehntausende junger Frauen werden Monat für Monat als Hausangestellte in den Nahen Osten, nach Hongkong oder Malaysia verkauft

Nein, das käme für sie nicht in Frage, lehnt Neneng, die vor vier Jahren als Zwölfjährige von ihren Eltern an einen Zuhälter verkauft wurde, einen Berufswechsel zum Hausmädchen in Saudi-Arabien ab. "Sie sagen der Arbeitgeber schlägt oft zu, vergewaltigt dich und bezahlt nichts. Ich kenne Nachbarinnen, die von dort ohne einen Dollar zurück kamen." Auch wenn Neneng von der Zukunft nichts mehr erwartet, "als Hausmädchen ins Ausland, niemals ..."

"Indonesien schickt jeden Monat etwa 25.000 junge Frauen nach Kuwait, Saudi-Arabien, Bahrein, Hongkong, Malaysia und Singapur", erklärt Rinno von der Koalisi Perempuan Indonesia (Indonesische Frauenkoalition), die am Flughafen von Jakarta ein Büro unterhält, um heimkehrende Mädchen sofort betreuen zu können. Ganz offiziell und mit regierungsamtlicher Lizenz floriert dieser Menschenhandel, an dem alle verdienen: die Vermittler und Agenten, die lokalen Autoritäten der Heimatbezirke, die Eltern und Regierungsbeamten. Wer in das Räderwerk dieses Systems gerät, hat nur geringe Chancen, ihm wieder zu entkommen. Zunächst unterbreitet ein " Sponsor", der sogenannte Rukun Tetangga, ein Angebot, das viele Familien nicht ausschlagen wollen. Die Tochter könne etwa in Hongkong vier bis fünf Millionen Rupiah (400 bis 500 Euro) pro Monat verdienen, hören die Eltern, das bringe der Familie eine Unterstützung von mindestens 30 bis 40 Millionen Rupiah (3.000 bis 4.000 Euro) im Jahr. Sobald der Vater als Familienoberhaupt zustimmt, wendet sich der "Sponsor" an den Lurah, den Dorfvorsteher, mit der Bitte, ein Personaldokument für die Tochter auszustellen. Nach indonesischem Gesetz müssen Frauen, die im Ausland arbeiten wollen, 21 Jahre alt sein. "Aber die meisten sind erst 15, 16, 17 oder 18", meint Rinno. Also wird der Lurah bestochen, in den Papieren das Alter zu fälschen. Hat der "Sponsor" in einer Gemeinde genügend Mädchen rekrutiert, übergibt er sie einem der 420 offiziell lizenzierten Agenten, die in Indonesien landesweit operieren und in der Regel nicht weniger als 750 Millionen Rupiah (75.000 Euro) für ihre Zulassung hinterlegt haben.

Dafür, dass er eine Hausgehilfin sicher an ihren Arbeitsplatz zum Beispiel in Hongkong bringt, verlangt der Agent 20 Millionen Rupiah (2.000 Euro) von der Familie. In der Annahme, dass sich eine solche Investition mit den zu erwartenden Überweisungen der Tochter bald amortisiert, wird das kleine Reisfeld verkauft, um den Agenten bezahlen zu können.

Da in Jakarta das Arbeitsamt gleichfalls ein Dokument - einen Arbeitsausweis nämlich - beizusteuern hat, wird auch hier abkassiert. "Für dieses Papier werden normalerweise 500.000 Rupiah verlangt, bei den Mädchen aber immer eine Million", wundert sich Dian Kartika, die Vorsitzende der Frauenkoalition. Der nötige Gesundheitstest kostet zusätzlich. "Es kommt häufig vor, dass ein Mädchen, das diesen Test nicht besteht, einfach nach Hause zurückfährt, ohne seinen beantragten Pass abzuholen", berichtet Dian von einer weiteren Erwerbsquelle der Staatsdiener. "Folglich verkauft der Beamte den Pass noch einmal, an ein anderes Mädchen und erklärt: ›Das ist nicht dein Name, aber wir kleben dein Bild in den Pass.‹ Deshalb werden bei Todesfällen häufig die falschen Angehörigen benachrichtigt."

Schließlich kommt in Hongkong der dortige Agent ins Spiel, der ein aus Indonesien einreisendes Hausmädchen an seinen Arbeitsplatz lotst und die ersten drei Monatsgehälter als Honorar einbehält. Von ihren Arbeitsplätzen in Hongkong, Taiwan, Saudi-Arabien oder den Emiraten überweisen die Mädchen im Schnitt etwa 2,5 Millionen Rupiah (250 Euro) pro Monat nach Hause. Eine gewaltige Summe im Vergleich zu den durchschnittlich 100.000 Rupiah, die ein Hausmädchen ohne jeden Anspruch auf Urlaub in Indonesien verdient.

"Allerdings werden viele leider nie bezahlt", schränkt Dian Kartika ein. Sie werden stattdessen geschlagen, vergewaltigt, gequält und fliehen, ohne zu wissen wohin. Sie haben zumeist ihr Dorf zum ersten Mal überhaupt verlassen und müssen nun diese Erfahrungen machen." Etwa jede fünfte heimkehrende Indonesierin berichtet von Misshandlungen und von ausbleibender oder unregelmäßiger Bezahlung. Eine Report über ihre Lebensumstände im Southeast Asian Journal of Social Sciences trägt den Titel Going home to cry.

Der britische Schriftsteller Martin Booth berichtet in seinem Buch The Dragon Syndicates von indonesischen Prostituierten, die - wenn sie mit 30 das Ende ihrer Laufbahn erreicht haben - "als Hausmädchen in den Nahen Osten verkauft werden, wo sie in einem arabischen Haushalt verschwinden, ohne je wieder aufzutauchen". Auch Dian Kartika weiß davon. "In Saudi-Arabien dürfen sie - wie alle Frauen - das Haus nicht ohne Begleitung eines Mannes verlassen. So erfährt niemand, was sich dort zuträgt. Gleich bei ihrer Ankunft kassiert der Arbeitgeber den Pass, die Arbeitsgenehmigung und das Gesundheitsattest. Dian erinnert an den Fall einer Indonesierin - er ging 2002 durch die Medien Südostasiens -, die in Saudi-Arabien wegen Ehebruchs gesteinigt werden sollte. Erst auf massiven Druck internationaler Frauenorganisationen kümmerte sich die indonesische Botschaft um die junge Frau, die in Jakarta verheiratet war. Sie hatte den in arabischer Sprache geführten Prozess über sich ergehen lassen, ohne ein Wort zu verstehen. Nach der Intervention der Botschaft stellte sich heraus, dass sie vom Fahrer ihres Arbeitgebers vergewaltigt worden war. Das Gerichtsverfahren wurde wieder aufgenommen und endete mit einem Freispruch. "Die Frau durfte nach Indonesien zurückkehren, doch schon zwei Monate später schickte ihr Mann sie wieder zurück nach Saudi-Arabien", empört sich Dian Kartika. "Sie sollte wie gehabt allein die Großfamilie ernähren. Und der Mann saß zu Hause und spielte Karten. Wir haben das selbst recherchiert."

Die Nichtregierungsorganisation Solidaritas Perempuan (Frauensolidarität) hat Fälle dokumentiert, aus denen sich ersehen lässt, dass viele der Arbeitssklavinnen aus Indonesien nicht nur durch Unfälle ums Leben kamen, sondern auch Selbstmord begingen oder hingerichtet wurden. Genauere Recherchen sind kaum möglich, da die Betroffenen wegen der falschen Papiere häufig nicht eindeutig identifiziert werden können. "Oft laufen die Mädchen in ihrer Verzweiflung einfach weg. Da ihnen aber der Arbeitgeber schon bei Arbeitsantritt die Pässe abgenommen hat, sind sie verloren", glaubt Dian. "Dann gehen sie nach Hongkong, Kuala Lumpu oder Singapur und treiben dort ohne Papiere herum, bis sie in Bars, Diskotheken oder Bordellen landen."

Seit Jahren drängen Indonesiens Frauenorganisationen ihre Regierung erfolglos, etwas zum Schutz der von dieser Art Menschenhandel bedrohten Frauen zu tun. Doch weder das Parlament noch die Exekutive unternehmen etwas. Geradezu absurd klingt die Argumentation des Arbeitsministers: Arbeit sei ein Grundrecht. Frauen und Mädchen zu untersagen, im Ausland tätig zu sein, sei daher ein Verstoß gegen dieses Grundrecht. Nur einmal, so Dian, habe die Regierung gehandelt und in Riad angefragt, wie die Arbeit von Hausangestellten in Saudi-Arabien eigentlich gesetzlich geregelt sei. "Doch die saudische Regierung erklärte, es gäbe dazu keine Gesetze - es gehe hier schließlich um eine Privatsache des Arbeitgebers."


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