Und jedermann erwartet sich ein Fest ...« - in Leipzig tritt der Theaterdirektor nicht prologisierend vor den Vorhang, sondern er macht es einfach. Das Fest zwischen jeweils vierzehn und dreiundzwanzig Uhr erfindet nichts spektakulär Neues mit der Verbindung von Theater und Gastronomie - zweistündige Essenspause in Auerbachs Keller als kulinarischer Ersatz für die nicht gespielte Szene - beziehungsweise der nächtlichen Grablegung an historischem Orte, dem Johannisfriedhof. Die Erweiterung des »event«-Charakters, der dem Theater stets immanent ist, produziert jedoch nachhaltiger eine Form von ritueller Gemeinschaftlichkeit, die so an keinem anderen Ort außer dem Theater mehr praktiziert wird.
Das Identifikationsdrama des deutschen Bildungsbürgertu
artet sich ein Fest ...« - in Leipzig tritt der Theaterdirektor nicht prologisierend vor den Vorhang, sondern er macht es einfach. Das Fest zwischen jeweils vierzehn und dreiundzwanzig Uhr erfindet nichts spektakulär Neues mit der Verbindung von Theater und Gastronomie - zweistündige Essenspause in Auerbachs Keller als kulinarischer Ersatz für die nicht gespielte Szene - beziehungsweise der nächtlichen Grablegung an historischem Orte, dem Johannisfriedhof. Die Erweiterung des »event«-Charakters, der dem Theater stets immanent ist, produziert jedoch nachhaltiger eine Form von ritueller Gemeinschaftlichkeit, die so an keinem anderen Ort außer dem Theater mehr praktiziert wird.Das Identifikationsdrama des deutschen BildungsbXX-replace-me-XXX252;rgertums ebenso wie deutscher Demagogen wurde von Wolfgang Engel nun zum zweiten Mal in Szene gesetzt, nach seiner Dresdener Inszenierung von 1990. Diesmal hat er im Doppelsinn des Wortes die Aspekte »Selbsthaß« und »Heroisierungs-/Idealisierungsneigung«, die nicht nur bei den Intellektuellen unter den Deutschen anzutreffen sind, über das Spiel mit der Rezeptionsgeschichte des Werkes so konsequent thematisiert, dass am Ende nicht eine Faustfigur, sondern das mündige Publikum als eigentlicher Protagonist des Abends zu erkennen ist.Sensationen waren nicht zu erwarten, da Engels Theaterarbeit immer dem Prinzip Werktreue (und somit auch einer konventionellen Dramaturgie) verpflichtet ist. Doch es ist ihm und seinem Team überzeugend gelungen, mit einer gekonnt gerafften Spiel-Fassung und teilweise verblüffenden szenischen Erfindung (Walpurgisnacht!; Chor; Euphorion!) den kulturellen Mythos vom Sockel zu holen, der seit 150 Jahren zur nationalen Rechtfertigung benutzt wird, um die Begrenztheit geschlossener (ob nun Theater- oder Welt-)Modelle zu thematisieren. Formenstrenge, ein fast leerer Raum und der Verzicht auf aktuelle Analogien, nur zeichenhafte Zitate in der Ausstattung eröffnen Assoziationsräume.Faust, als »neuer Mann« - mit wehendem TrenchCoat, üppigen Locken, Sonnennickelbrille und Poetenhut angesiedelt in der Nähe der 68er Generation, begegnet uns in erbarmungswürdiger Verzweiflung ob seiner Ausweglosigkeit. Die szenische Lösung hier deutet auf die Beschränktheit des gesamten sozial-kulturellen Gefüges als Ursache der Faustischen Krise, bezieht sich nicht nur auf die Grenzen rationaler Wissensanhäufung. Aus einer Reihe von sitzenden Schauspielern läuft Matthias Hummitzsch zum Proszenium, sich mit dem ersten Vers »Naht ihr euch wieder, schwankende Gestalten«, den er halb aufs Publik spricht, in die Figur des Faust verwandelnd. In bis zum Äußersten gehenden Spiel an existentieller Not erleben wir einen Menschen, der an den Grenzen des gesellschaftlichen Systems ebenso wie an sich selbst leidet. Die Anderen, eine Gruppe von jungen Männern und Frauen in dunklen Anzügen, folgen ihm und bilden einen an Therapiestunden gemahnenden Stuhlkreis um ihn. Hier bekommt er keine Antwort, keine Reaktion. Auf dem höchsten Punkt seiner Pein wird er gleich einem Wahnsinnigen verlassen. Der Paria, die Ausnahme, der Besondere von Anfang an - durch die Gene? durch die Herkunft? Noch konsequenter wäre der Verzicht auf eine Prädispositionierung Elitären gewesen; den Wahnsinn unmittelbar aus der Mitte der Normalität zu entwickeln.Gegenüber Wagner, von Frank Apitz endlich einmal aufgewertet als sensibler, bescheidener Mensch, offenbart Faust nicht nur verbal die Anmaßung einer selbstverliebten Überhebung. Folgerichtig erleben wir auch keinen diabolischen Dämon in der Gestalt des Mephistopheles. Peter Kurth, mit braunem Lederanzug und rotgefärbten Haaren an einen lebensküönstlerischen Punk erinnernd, kommt als harmloses, manchmal armes Teufelchen daher, vor dem nur Narren sich wirklich fürchten müßten. So hat er denn auch am Schluß den Schwarzen Peter gezogen und ist verdammt, im Bus und auf dem Friedhof die gehemmte Festgesellschaft bei Laune zu halten. Der Schauspieler spielt grandios auf der Klaviatur der Goetheschen Verse. Seine ansteckende Vitalität wird ihm einen großen Fanclub beehren. Die eigentliche Entdeckung des Abends ist die Gestalt der Margarete durch die Schauspielerin Bianca Nele Rosetz. Einen Anti-Püppchen-Typ darstellend, so gar keinem idealen Frauenbild entsprechend, gibt sie ihrem Gretchen von Anfang an Format und Substanz. Aus Stimme und Bewegung sprechen eine in sich selber ruhende Kraft, die keiner Therapie bedarf. Das Leuchten der Figur erhält sie bis zu ihrem Tode. Nicht im Wahnsinn spricht sie den anklagenden Schlußmonolog, sondern mit ihren schneidend klaren Worten entlarvt sie den Wahnsinn der Welt.