Dolchstoff

Linksbündig Nationalgefühl zum XXL-Tarif

Das Land ist nicht gut aufgestellt. Jedenfalls noch nicht, wenn man an die herannahende Fußball-Weltmeisterschaft denkt, vom Grauen des letzten Testspiels gegen Italien ganz zu schweigen. Wohl auch deshalb ist jüngst die von Bertelsmann koordinierte "Du-bist-Deutschland"-Kampagne von einer zweiten groß angelegten Social-Marketing-Aktion abgelöst worden. Ob Du klein bist oder groß, blond oder braun, Männlein oder Weiblein, Inländer oder Migrant, ob Du der Kahn bist oder der sprichwörtliche Kunz: Die Telekom teilt Trikots für Deutschland aus! Nun kann und soll ein jeder der deutschen Mannschaft mit eigener Rückennummer den Rücken stärken.

Zunächst: Was ist das Gemeinsame beider Großkampagnen? Sie steuern mehr oder weniger direkt auf die WM zu und wollen rechtzeitig die Nation einen. Was ist daran auszusetzen? Nur um nicht missverstanden zu werden: Selbstverständlich soll Deutschland Weltmeister werden. Selbstverständlich wäre es schön, wenn Hunderttausende deutscher Trikot-Träger den aus fernen Ländern angereisten Teams und Fans etwas Respekt einjagten. Auch ist, zumindest mit Blick auf die WM, nicht prinzipiell etwas gegen derartige Mutmacher-Kampagnen zu sagen. Die Fußballnation wird diesen Mut im Sommer brauchen. Es sei daran erinnert, dass Heinrich Heine im Jahre 1833 aus dem Pariser Exil, auf seine eher mickrige Heimatnation blickend, schrieb: "Deutschland, das sind wir selber!" Man sollte hier nicht vorschnell in schlechtgelaunte, pawlowsche Deutungsmuster verfallen, nach denen sich in entsprechenden Kampagnen am Ende doch nur schmutziges völkisches Gedankengut offenbart. Vermutlich ist es ganz einfach: Hätten wir bereits eine vernünftige Nationalmannschaft beisammen, dann wären uns diese Kampagnen wohl erspart geblieben.

Es kommt vielmehr auf den entscheidenden Unterschied der beiden werbetechnischen Motivationsschübe an: In gewisser Hinsicht fällt die Botschaft der Telekom-Aktion bescheidener aus. Es reicht schon, Deutschland ein Gesicht oder auch nur einen dicken Bauch zu geben. Man muss nicht gleich mit Haut und Haaren Deutschland sein. Doch erweist sich diese vermeintliche Bescheidenheit als umso ärgerlicher, ja, abgeschmackter. Sie verlangt vom Fan zwar nicht die totale Identifikation mit dem nationalen WM-Anliegen, sondern lediglich das Hineinzwängen in eine Trikottage, doch der Rest an Individualität, den die Kampagne ihren Kunden lässt, wird diesen teuer zu stehen kommen. Das Hemd oder besser das Trikot der Freiheit muss erkauft werden: durch Wechsel in einen der Telefontarife XXL. Dagegen war "Du bist Deutschland" regelrecht preiswert zu haben - von den auf die Telekom-Kunden direkt abgewälzten Werbekosten ganz zu schweigen.

Man darf schätzen, dass die feilgebotene Trikot-Imitation nicht mehr als zwei, drei Euro Produktionskosten verursacht. Vielleicht ist das ein Zehntel dessen, was der durchschnittliche Telekomkunde monatlich allein an Grundgebühr zahlt. Ginge es der Telekom tatsächlich um die deutsche Fußballnation, um den ersehnten WM-Titel oder auch nur darum, ihr geschundenes Image aufzupolieren, sie hätte das Leibchen einfach so unter das Volk, das Team Telekom, bringen können. Das wäre ein feiner Zug, nicht ohne Spielwitz, gewesen. Stattdessen aber mobilisiert und uniformiert der Telefonriese per Trikot die auf das Endspiel hoffende Zivilgesellschaft, allein um auf dem WM-Ticket reisend für neue Aufmerksamkeit und lukrativere Kundenverträge zu sorgen. Damit zündet die Pointe eines gänzlich neuen Marketing-Gags: Kapitalistischer Staatsmonopolismus! Die Großunternehmen allein noch, so die Botschaft, vermögen die Reihen der Nation zu schließen.

Man durfte lange Zeit der Auffassung sein, Fußball sei Privatvergnügen. Damit scheint es ein für alle mal vorbei zu sein, jetzt, wo das Private gezwungen wird, politisch zu werden. Wer sich weigert, in einen XXL-Tarif zu wechseln, der kann kein guter Deutscher, zumindest aber kein treuer, an das Endspiel glaubender Fan sein. Ganz nebenbei jedoch: Wer einmal ein authentisches, ein Original-Trikot seiner Mannschaft am Leibe hatte, wird es niemals gegen ein billiges Plagiat, das nach Firmenangaben angeblich "Kultstatus" besitzen soll, eintauschen wollen. In einer solchen Textilie wird niemals ein rechtes Wir-Gefühl aufkommen können. So gesehen beweist die Telekom am Ende dann doch Zug zum Tor, und zwar zum Eigentor. Wer im WM-Stadion eines dieser eher erbärmlichen Trikot-Plagiate tragen wird, der wird sich weniger als echter Fan denn als ein käuflicher XXL-Kunde outen.


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