„Linke zensieren gern“

Interview Politische Karikaturen werden zunehmend attackiert. Til Mette sieht darin eine Bedrohung der liberalen Gesellschaft
Ausgabe 28/2019

In gesellschaftlichen Diskursen geht ein spürbar heftigerer Wind, und er weht aus verwirrend vielen Richtungen. Neben anderen kulturellen Äußerungen hat er nun auch die Karikatur erfasst, Vehemenz und Häufigkeit der Kritik an ihren Inhalten sind von beispielloser Schärfe. Die New York Times verzichtet in ihrer internationalen Ausgabe künftig auf politische Zeichnungen, die Süddeutsche Zeitung hat sich von einem bewährten Zeichner getrennt. Zuletzt gerieten auch Franziska Becker und Ralf König ins Kreuzfeuer. Die Vorwürfe sind schweren Kalibers, reichen von Antisemitismus und Homophobie über Rassismus bis zu Islamfeindlichkeit. Sind die Angriffe berechtigt? Ist das Publikum empfindlicher geworden? Wann hat dieser moralische Klimawandel angefangen? Wo liegen seine Ursachen? Und kann es sein, dass hier ein ganzes Genre an sein Ende gekommen ist? Den Cartoonisten Til Mette treiben diese Fragen schon länger um.

der Freitag: Herr Mette, steckt die Karikatur in einer Krise?

Til Mette: Alle Anzeichen für eine Krise treffen gegenwärtig auf den Umgang mit Karikaturen zu, auch wird die Karikatur in einer höheren Schlagzahl zum Thema.

War das nicht schon immer so?

Nein. Wenn man nach dem Anfang dieser Entwicklung sucht, landet man im Jahr 2005 mit dem Streit über die dänischen Mohammed-Karikaturen. Dieser Streit ist die große Zäsur. Daran lassen sich alle folgenden Entwicklungen aufzeigen. Was damals passiert ist, wiederholt sich seitdem an anderen Beispielen.

Damals waren es reaktionäre Islamisten, die sehr vehement reagierten.

Es geht nicht darum, wer sich echauffiert hat. Es geht um die Struktur, die dahintersteht. Die Karikaturen im Jyllands-Posten sind gemacht worden von nicht muslimischen Zeichnern für ein nicht muslimisches Publikum – in einer noch weitgehend analogen Welt. Man hat in der Regel keinen Konflikt, wenn Zeichner ein Publikum haben, das einen gewissen Code versteht. Ein Leser von Satire weiß, was er von einer Satirezeitschrift zu erwarten hat. Beide, Zeichner wie Rezipient, befinden sich auf einer ähnlichen ideologischen Ebene. Da gibt es normalerweise keinen Shitstorm …

Schlimmstenfalls, wenn das Publikum die Zeichnung nicht lustig findet.

Genau. Das war das Höchstmaß dessen, worüber man sich aufgeregt hat. Was also ist bei der Jyllands-Posten passiert? Der zuständige Imam hat die Zeichnungen ausgeschnitten, ist damit in den Libanon gefahren, und dann ging drei Monate später dieser riesige Shitstorm los, mit dem Anzünden von Botschaften und Umbringen von Menschen. Ein komplett analoger Prozess.

Inwiefern wird darin dann die Struktur der gegenwärtigen Krise deutlich?

Die Zeichnungen haben ihren Kommunikationskontext verlassen. Leute, die gar nicht angesprochen waren, werden ins Boot geholt – und regen sich auf. Das Problem der Karikatur ist, dass sie mit ihrer Bildsprache eigentlich nur vom angesprochenen Adressaten verstanden werden kann. Es gibt kulturelle Unterschiede, die das Verständnis einer Zeichnung unmöglich machen.

Durch das Internet hat sich dieser Konflikt weiter angeheizt?

Ja, hier ist der Turbo eingeschaltet. Was bei Jyllands-Posten noch analog passiert ist, geschieht nun im Zeitraffer.

Zumal eine Karikatur auch unmittelbar wirkt, oder?

Eine Karikatur transportiert nicht nur rationale, sondern auch emotionale Inhalte. Und Gefühl ist eine Botschaft, die ich als Cartoonist in ihrer Wirkung auf den jeweiligen Betrachter nur sehr schwer kontrollieren kann.

Wenn die Betrachterin oder der Betrachter nun gekränkt sind in ihrer religiösen oder sexuellen Identität, sind dann Reklamation oder Protest gegen die Karikatur nicht legitim?

Ja, natürlich. Wir reden aber inzwischen nicht nur über Verbote und über die Abschaffung der Karikatur, wir reden auch über Terroranschläge, wo mit Maschinenpistolen Cartoonisten zusammengeschossen werden. Oder sie wandern in den Knast.

Was erwirkt die Abschaffung der Karikatur?

Der Druck kommt von zwei Seiten, einerseits gibt es den ökonomischen Druck, unter dem Medien derzeit leiden, den Zwang zum Sparen. Karikaturen werden vorzugsweise gedruckt, die wenig Leserbriefe generieren. Um Honorare zu sparen, benutzt man Agenturen. Das bedeutet, dass viel weniger Zeichner von ihrer Arbeit leben können. Und die, die davon leben können, werden danach ausgesucht, dass ihre Werke eben „wasserdicht“ sind. Andererseits führt das zu Karikaturen, die so allgemein sind, dass sie dem pointierten Wesen einer Karikatur gar nicht mehr entsprechen. Werden diese Bilder erst einmal eine Weile gedruckt, fragen sich Leser zu Recht: Was soll denn das eigentlich noch? Ist die Karikatur überhaupt ein wertvolles Genre?

Nun ist die Vergabe des Hedwig-Dohm-Preises an die feministische Karikaturistin Franziska Becker stark kritisiert worden, weil Becker „vor allem“ für ihre angeblich rassistischen und islamophoben Werke bekannt sei. Äußert sich in einer derartigen Kritik nicht eine gewisse Geschichtsvergessenheit?

Geschichtsvergessenheit ist ein sehr charmanter Begriff. Ich würde es eher Doofheit nennen. Wie ernst kann man eine Kritikerin nehmen, die keine Ahnung hat? Kritik ist natürlich legitim. Hier kommt aber eine junge taz-Kolumnistin und empfindet die paar Zeichnungen von Franziska Becker, die sie gesehen hat, als rassistisch – und macht einen Punkt. Einen Punkt wie einen Keulenschlag. Je brutaler sie es formuliert, desto eher wird sie als Kolumnistin wahrgenommen.

Franziska Becker zeichnet nicht islamfeindlich?

Die Behauptung war, dass der Hauptschwerpunkt der Arbeit von Franziska Becker auf Rassismus und Islamophobie liegen würde. Wer das behauptet, hat überhaupt keine Ahnung. Aber es hat ausgereicht, dass der Name der Kolumnistin Sibel Schick nun in der Szene bekannt ist. Dass Franziska Becker patriarchale Strukturen auch im muslimischen Milieu karikiert, ist für eine feministische Cartoonistin nicht überraschend und hat mit Rassismus nix zu tun.

Zur Person

Foto: Imago Images

Til Mette, 62, zeichnet seit über 20 Jahren exklusiv für den Stern und veröffentlicht dort jede Woche drei Cartoons. Er wurde mehrfach mit dem Deutschen Karikaturenpreis ausgezeichnet. Er studierte Kunst und Geschichte in Bremen, wo er 1985 die taz Bremen mitgründete

Es melden sich eben lautstark Gruppen zu Wort, die sich als marginalisiert empfinden und Diskriminierung beklagen. Ist Kritik von links nicht etwas Neues?

In der Geschichte der Linken hat es schon immer diese Tugendhaftigkeit gegeben. Die orthodoxe Linke hat schon immer gerne zensiert, um ihre Ideologie durchzusetzen. An dieser Stelle sind Linke nie freiheitlich gewesen. Karikatur soll Propaganda für ihre Zwecke sein. Ist sie diesen Zwecken nicht dienlich, kann sie aus linker Sicht gefährlich werden. Ich empfinde mich selbst als Linken. Aber diese restrikive Tugendhaftigkeit und Ausgrenzung anderer Sichtweisen sehe ich als absolute Bedrohung einer liberalen Gesellschaft.

Das bürgerliche Publikum ist gelassener ?

In gewisser Weise ja, weil die Bürgerlichen alles schon gesehen haben. Es können Hauck & Bauer oder Greser & Lenz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stattfinden. Das zeigt eine gewisse Gelassenheit der FAZ-Redakteure.

Sie zeichnen seit 1995 exklusiv für den „Stern“. Kommen denn da die Einschläge für sie als Cartoonisten auch schon näher?

Der klassische Stern-Leser kommt aus dem linksliberalen Milieu, Karikaturen und satirische Zeichnungen gehören seit 70 Jahren zum Stern. Die LeserInnen wollen die Zeichnungen jede Woche, deshalb hat man beim Stern als Cartoonist einen großen Spielraum, und in dieser analogen Welt ist die Kritik der Leserschaft in der Regel sehr zivilisiert. Sobald das aber online geht, wird es verlinkt, dann verlässt es die Zielgruppe, für die es gemeint ist. Dann wird die Karikatur missverstanden und es weht ein anderer Wind. Nicht nur in Deutschland, weltweit ist die Empörungsbereitschaft deutlich angestiegen.

Woran liegt das?

Ich weiß nicht, warum man empört sein möchte. Es hat wahrscheinlich was mit unserem momentanen Lebensgefühl zu tun. Klar ist, dass die Karikatur von drastischer Optik lebt. Und das hat Empörungspotenzial. Das Wort „Karikatur“ bedeutet „Übertreibung“. In der Süddeutschen Zeitung gab es während einer Redaktionskonferenz ernsthaft die Idee, dass man in Zukunft bei Karikaturen auf Übertreibung verzichten wolle.

In der „Süddeutschen Zeitung“ sind, wie auch in der „New York Times“, Karikaturen mit eindeutig antisemitischen Merkmalen erschienen.

Wenn Dieter Hanitzsch das „o“ in „Eurovision“ durch einen Davidstern ersetzt, reproduziert er das klassische antisemitische Sterotyp des Juden, der die Unterhaltungsindustrie unterwandert.

Wenn Benjamin Netanjahu mit großen Ohren und wulstigen Lippen gezeichnet wird?

Benjamin Netanjahu hat wulstige Lippen und abstehende Ohren. Es wäre ja völlig bekloppt, wenn man den nicht so zeichnen würde.

Gibt es eine gute Karikatur von rechts? Satire tritt doch nicht nach unten, oder?

Im Stürmer der Nazis hetzte man mit Karikaturen das Volk auf, und grenzt Minderheiten aus. Die Linke kann auch Herrschaftsmeinung sein und von oben nach unten treten. In der DDR oder Sowjetunion gab es Karikaturen, die der sozialistischen Volkserziehung dienten.

Wann hat sich das geändert?

In den 80er Jahren. Die Karikatur war weniger Welterklärer, mehr politische Unterhaltung. Seitdem braucht die politische Karikatur immer auch ein komisches Element … und ein Moment der Selbstkritik. Unsere Generation von Cartoonisten hat eine moralisch bescheidenere Rolle eingenommen. Es wird weniger mit dem erhobenen Zeigefinger gewedelt, allerdings alle verarscht, die nicht bei drei auf den Bäumen sind.

Hat denn ein Mohammed mit Dynamit im Turban, wie Kurt Westergaard ihn gezeichnet hat, überhaupt ein komisches Element?

Nein, das ist klassische Agitation und Propaganda. Aber Westergaard ist, wie auch Hanitzsch, noch aus der Generation der Zeichner, die die Welt in Gut und Böse aufteilen wollten. Wenn man aber sagt, dass Komik zu Karikatur dazugehört, dann appelliert man an ein anarchistisches Bauchgefühl der Leser. Hier kann man Dinge komisch finden, die auch den eigenen politischen Horizont oder gar die eigene Geschmacksgrenze überschreiten. Wir liefern komische Widersprüche ohne Lösung.

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