Radikales Marketing

„Punk London“ Über die Jubiläums-Sause in der britischen Hauptstadt und Malcolm McLarens Sohn, der Punk-Devotionalien im Wert von 5 Millionen Pfund verbrennen will
Ausgabe 13/2016

Seit bald 40 Jahren geht der verräterische Witz, Punk sei nicht tot – er rieche nur komisch. Kein Wunder. Punk ist der Zombie unter den Subkulturen. Ächzend schlurft er durch die Jahrzehnte und behauptet, wie schon sein großer Bruder Rock ’n’ Roll, dass er nicht sterben könne, niemals! Und je länger er schlurft, umso tragischer wird es.

Nun bereitet sich Großbritannien auf die größten Feierlichkeiten vor, die dem Punk je zuteil wurden, um das Erscheinen der Sex-Pistols-Single Anarchy in the U.K. vor 40 Jahren zu feiern. Punk London heißt das Event, es soll von staatlichen Organisationen, kulturellen Institutionen, einer Lotterie und sogar der Queen unterstützt werden. Jener Monarchin wohlgemerkt, die von den Sex Pistols in God Save the Queen als Kopf eines „fascist regime“ identifiziert wurde.

Letzteres brachte bei Joe Corré das Fass zum Überlaufen. Als Sohn von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood, also dem Schöpfer der Sex Pistols und der Erfinderin der entsprechenden Mode, sitzt Corré auf Memorabilien im Wert von fünf Millionen Pfund – vor allem Kleidung, Platten, Poster. Und diesen ganzen Berg an musealen Schätzen will Corré am 26. November nun öffentlich verbrennen.

Verbunden hat er diese Ankündigung mit der Aufforderung an andere „echte Punks“, es ihm gleichzutun: „Wir müssen die ganze Scheiße wieder explodieren lassen! Dass die Königin 2016, dem Jahr des Punk, ihren offiziellen Segen gibt, ist das Beängstigendste, was ich je gehört habe.“ Und weiter: „Aus einer radikalen Bewegung ist ein beschissenes Museumsstück geworden.“

Das ist nun keine Neuigkeit. Es gehört zur Tragik dieser Bewegung, sich ihrer Musealisierung durch ebenjene Kräfte, die sie immer bekämpfen wollte, nicht entziehen zu können. Es gehört auch zu ihrer inneren Logik. Wenn wirklich existierte, wogegen Punk sich so lautstark richtete, nämlich das überkommene System in Gestalt eines kapitalistischen Establishments, dann würde Punk dessen Macht kennenlernen – und früher oder später selbst eingespeist werden in den kommerziellen Kreislauf.

In seiner britischen Ausprägung war Punk von Anfang an Produkt, ausgedacht und aufgebaut von Malcolm McLaren, der Provokation nicht als politisch-kulturelles Werkzeug nutzte, sondern als Marketing-Tool. An einer Veränderung der Welt war er ebenso wenig intertessiert wie sein Schützling Johnny Rotten, der heute TV-Werbung für Butter macht. Augenzwinkernd, versteht sich.

Wenn Punk als Haltung mal sinnstiftend gewesen sein mochte, war er schon wenige Jahre danach für saturierte Bürgerkinder zu Prostesthaltung der Wahl verkümmert. Wer wirklich no future sah und sich tatsächlich wie Dreck fühlte, der wollte schon damals alles andere, als sich am Bahnhofsvorplatz als „Dreck“ ausstellen. Und wenn Punk London die Bewegung nun als Ansporn feiert, „ohne Angst zu erfinden, ohne Grenzen zu schöpfen“, dann ist das nur auf den ersten Blick bizarr. Punk gehört zum Portfolio der Marke „Cool Britannia“. Was einmal Verweigerung war, ist längst auf eine Formel aus dem Baumarkt zusammengeschnurrt: „Do it yourself!“

Provokanter als ein Autodafé wäre eine Auktion bei Christie’s. Wertvernichtung ist, das haben The KLF mit ihrer öffentlichen Verbrennung von einer Million Pfund schon 1994 bewiesen, kein Wert an sich. Sondern radikales Marketing, worauf Corré sich übrigens sehr gut versteht. Von seinem Vater aus dem Testament gestrichen, kleidet er beruflich erfolgreich Kate Moss, Paris Hilton oder Christina Aguilera mit Reizwäsche ein. Name der Marke: Agent Provocateur.

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