Hat der Vorsitzende der SPD, als er öffentlich ein bisschen gegen das "internationale Kapital" aufmuckte und dann mit seinen "Heuschrecken" noch mal nachlegte, die anstehende Wahl in seinem Stammland NRW im Hinterkopf gehabt? Oder ging es ihm darum, die Gesamtpartei schon einmal auf eine künftige oppositionelle Rolle vorzubereiten? Darüber darf weiter gerätselt werden. Aber ziemlich sicher ist: In einen kräftigen Aufschwung hat Franz Müntefering seine Genossinnen und Genossen an Rhein und Ruhr und in Ostwestfalen-Lippe nicht versetzen können, und was die an Rot-Grün zweifelnden Wahlbürgerinnen angeht, so hören sie zwar die kapitalismuskritische Botschaft, aber das bringt den sozialdemokratischen Glauben nicht zurück. Woher auch - kein geringerer als "Supeer" Steinbrück hatte klargestellt: Das Räsonieren über Profitgier der großen Konzerne sei für die "Werte-Ebene der Politik" gedacht, für die "instrumentelle Ebene" habe es nichts zu bedeuten. Und es ist ja nicht so, als würden in Nordrhein-Westfalen Nachrichten aus Berlin außer Acht gelassen; also ist bekannt: Das Kabinett Schröder hat gerade seinen Instrumentenkasten wieder einmal geöffnet, um die Kapitalsteuern noch weiter hinunterzuschrauben, und neue "Heuschrecken" sollen angelockt werden, damit sie sich zum Zwecke der Public-Private-Partnership auf bisher öffentlichen Einrichtungen niederlassen - die öffentlichen Hände wollen durch Ausverkauf des Gemeineigentums Etatlöcher stopfen. Unter solchen Umständen wird Franz Müntefering zur traurigen Figur.
"Wir in NRW" - einige Jahrzehnte lang konnte die SPD mit diesem Spruch das Hochgefühl verbinden, im bevölkerungsstärksten Bundesland die geborene Mehrheit darzustellen, als "Landespartei", ähnlich wie die CSU unter weiß-blauem Himmel. Diese Position hatten sich die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten ab Ende der Fünfziger Jahre erobern können, indem sie ehemals kommunistisches und ehemals arbeiterkatholisches Milieu vereinnahmten, vermittelt durch die DGB-Gewerkschaften mit ihrem Einheitsprinzip. Und auch als der industrielle Strukturwandel an Rhein und Ruhr vieles durcheinander brachte, schien die SPD unter dem Landesvater Johannes Rau dafür zu bürgen, dass es weiterhin sozialstaatlich zugehen werde. Unter Wolfgang Clement als NRW-Ministerpräsident bröckelte diese Tradition weg, New Economy und "produktive Ungleichheit" wurden nun zu Richtwerten der sozialdemokratischen Landespolitik, freilich immer noch abgesichert durch eine enge Verflechtung von SPD-Management und Gewerkschaftsapparat. Das alles ist Vergangenheit, die CDU hat in NRW in der Fläche die SPD schon seit längerem überholt, die SPD hat einen erheblichen Teil ihres Stammpublikums verloren. Selbst wenn sie sich in der Opposition als kapitalismuskritische Partei neu profilieren wollte, stünde ihr das dafür geeignete personelle Potenzial nicht mehr zur Verfügung. Es bleibt ihr nur die Hoffnung, im massenmedialen Wettstreit der Kandidaten fürs Ministerpräsidentenamt besser abzuschneiden als die Konkurrenz, und die FDP als heimlicher Helfer hat auch ihren Nutzen: Wer Westerwelle gegen die Gewerkschaftsplage wettern hört, mag sich doch noch einmal überlegen, ob er NRW einer schwarz-gelben Regierung überlassen will.
Die SPD hat als kleineres Übel nicht ausgedient. Aber sie hat ihre Zukunft hinter sich. Und eine linke wahlpolitische Alternative? Und wenn - welche? PDS oder WASG? Dieses zweifache Angebot bei der Landtagswahl wird nicht gerade animierend wirken, zudem erscheinen beide Parteien als Kleingewerbetreibende in einem Politikmarkt, den SPD/Grüne/CDU/FDP beherrschen und zugleich heruntergewirtschaftet haben; er übt keine Attraktion mehr aus. Dennoch - das Engagement für eine der beiden linksoppositionellen Parteien ist für manche BürgerInnen der Einstieg in politische Beteiligung überhaupt. Das hat seinen Sinn, wenn der Frust nach den Wahlen verarbeitet wird; danach ist in NRW ohnehin eine offene Debatte in der vielgestaltigen Linken fällig, wie es denn weitergehen soll.
Mehr als in jedem anderen Bundesland wird hier nämlich ein Dilemma sichtbar: Die Politik des gegenwärtig bestimmenden Parteienkartells, die Sozialdemontage mit verteilten Rollen, stößt auf breite Ablehnung, die Majorität der Bevölkerung hängt dem Ideal sozialer Grundrechte und sozialen Ausgleichs an, trotz aller neoliberaler Propaganda; aber die Handlungsstrukturen, in denen diese gesellschaftspolitische Option wirksam werden könnte, sind teils hinfällig geworden, teils erst tastend neu entdeckt. In NRW gibt es inzwischen eine Fülle von autonomen Sozialen Bündnissen vor Ort, von kommunalen Initiativen für "mehr Demokratie", von auf soziale Solidarität zielenden kirchlichen Gruppen, von betrieblichen und gewerkschaftlichen "Oppositionsnestern", ganz überwiegend - wie es in diesem Lande üblich ist - pragmatisch gestimmt, ohne einen Hang zum Revoluzzerauftritt. Aber wie soll dieses Potenzial sich einen Platz in der veröffentlichten Meinung verschaffen, wie soll es landesweit Kommunikation herausbilden, wie kann es jenseits der Konventionen des anödenden Parteien- und Parlamentsbetriebs politischen Druck ausüben? Da beginnt erst der Lernprozess, und der Tag der Landtagswahl ist für die soziale und demokratische Opposition in NRW kein historisches Datum.
Von Arno Klönne, Daniel Kreutz und Otto Meyer erschien soeben: Es geht anders! Alternativen zur Sozialdemontage, PapyRossa-Verlag Köln
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