Ohne Inlandsflüge wäre alles noch schlimmer

Zugfahren Die Bahn hat keinen Grund sich zu loben. Was jetzt gepriesen wird, ist die Korrektur jahrelangen Versagens
Ausgabe 51/2019
140.000 Züge fielen allein im Jahr 2017 aus. Da wird selber fahren immer attraktiver
140.000 Züge fielen allein im Jahr 2017 aus. Da wird selber fahren immer attraktiver

Foto: Imago Images/Imagebroker

Zieht nun endlich Vernunft ein in die Verkehrspolitik dieses autoverrückten Landes? Bahnmanager und Regierende überbieten sich derzeit mit Versprechungen: Vorfahrt Schiene, 60, 70 Milliarden Euro Steuergeld in zehn Jahren für die Bahn, 12 Milliarden will diese jetzt in Züge investieren. Und bitte gelobt werden, dass sie dieses Geld in Deutschland investiert – und nicht, sagen wir mal, in Kasachstan.

Muss ich als Bahnfahrer mich freuen über diese Summen? Natürlich nicht. Sie legen offen, wie Bahnchefs und Politik seit der Reform 1994 die Bahn systematisch haben verkommen lassen. Anstatt das Notwendige in Deutschland zu investieren, hat dieser Staatskonzern ein Weltreich aufgebaut – er betreibt alles Mögliche in über 140 Ländern, etwa Krankentransporte in Großbritannien, Wein- und Minenlogistik in Australien.

Mehr als zehn Milliarden Euro gingen für diese Auslandseinsätze drauf, amortisieren werden sie sich nicht, und der Kunde hierzulande bekam dafür: Zerfall.

Wie nur soll etwa das Versprechen, viele Städte bald im Halbstundentakt anzufahren, erfüllt werden? Das gibt die Infrastruktur nicht her – sie ist kaputtgespart: Gab es 1994 noch mehr als 130.000 Weichen und Kreuzungen, sind es heute 70.000. Betrug die Netzlänge 1994 noch 40.457 Kilometer, sind es nun 33.000. Diesen Raubbau spüren die Wartenden an den Bahnsteigen, die Gestrandeten im Nirgendwo, die Verspäteten im ICE, vor dem ein Güterzug schleicht.

Wie schlimm es um die Bahn AG steht, zeigt eines ihrer bestgehüteten Geheimnisse: Ohne Inlandsflüge wäre die Lage der Bahn noch desolater. Fast jeden Tag fliegt die Bahn Lokführer durch Deutschland, von Hamburg nach München, von München nach Berlin, von West nach Ost: Sie werden hin und her gehetzt, weil überall Lokführer fehlen.

Bahnchef Richard Lutz, der die Bahn über viele Jahre hin mitruiniert hat, lobt sich dennoch: Mit 148 Millionen Reisenden habe die Bahn 2018 einen „neuen Passagierrekord erzielt“. Rekord? 1997 benutzten 152 Millionen Bürger den Fernverkehr: Damals, als noch nicht über 100 Mittel- und Großstädte vom Fernverkehr abgehängt worden waren, als es noch mehr Gleise gab und die erfolgreichste Zugart der Bahn, der Interregio, noch nicht abgeschafft war.

Lutz freut sich auch, dass die Fernzüge ausgelastet sind. Ja, in der Tat, oft sind sie sogar rappelvoll. Aber warum sitzen Reisende auf dem Boden? Weil zwischen 1998 und 2018 das Fernverkehr-Angebot um 21 Prozent verringert wurde. Weil diese Bahn fast am Ende ist: Es fallen ständig Züge aus, 2017 über 140.000.

Ein Bahnchef, der sich lobt? Politiker, die stolz sind, dass sie etwas für die Bahn tun? Wird es besser? Wohl kaum. Viel Geld bekommen jene, die das Desaster der Bahn erst verursacht haben, um es nun zu reparieren. Diesmal aber echt!

Vielleicht sind die vielen Milliarden Euro sogar kontraproduktiv. Weil davon auszugehen ist, dass sie in ökonomisch irrwitzigen, ökologisch verwerflichen, den Bahnverkehr schädigenden Milliardengräbern verschwinden: Stuttgart 21, Stammstrecke München, Verlegung des Bahnhofs Hamburg-Altona, Fehmarnbelt-Unterquerung, Mainuntertunnelung in Frankfurt. Alles Großprojekte, die die Beton- und Tunnelbohrindustrie erfreuen. Auf Kosten der Bahnkunden, der Ökologie und der Vernunft.

Arno Luik ist Autor des Buches Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn. Für seine Stuttgart-21- Berichterstattung erhielt er 2010 den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ des Netzwerks Recherche

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