Das Blasen im dunklen Wald

Kino Möglichst heiter geht das Kulturbetriebsvölkchen unter: „Zwischen den Zeilen“
Ausgabe 23/2019

Lesen Sie diesen Text auf einem Tablet? Auf einem Smartphone gar? Léonard Spiegel würde das niemals tun. Der pummelige, mäßig erfolgreiche Pariser Schriftsteller glaubt an die hehre Kraft des auf Papier gedruckten Wortes. Den Shitstorm, den sein jüngster Roman im Internet auslöst, kriegt er nicht mal mit. Er interessiert sich stattdessen für die Frage, was sich in einem Buch wohl besser liest: Fellatio während Michael Hanekes Das weiße Band oder während Star Wars?

Natürlich entscheidet er sich schließlich für Haneke. Im echten Leben aber war Léonard mit Selena, der Frau seines Verlegers Alain, in Star Wars: Das Erwachen der Macht. Was zum einen zeigt, dass er unter der Schriftstellerkrankheit leidet, das eigene Liebesleben in Literatur verwandeln zu müssen. Und es beweist, mit wie viel Freude an symbolisch aufgeladenen Details Regisseur Olivier Assayas sein Drehbuch schrieb. Tatsächlich geht es in Zwischen den Zeilen um das Erwachen einer unheimlichen Macht und darum, wie sie dem versnobten französischen Bildungsbürgertum zusetzt. Die dunkle Seite hat einen Namen: Digitalisierung.

Auf den ersten Blick kommt Zwischen den Zeilen als Beziehungskomödie daher, plapperig, charmant, leicht und flockig. Aber gerade im Harmlosen liegt hier die Schärfe. Nachdem Assayas sich mit Personal Shopper zuletzt am Ausgleich zwischen Modernisierung und Mystery versuchte, geht es diesmal darum, die Balance zwischen Satire und Parodie zu halten. Alle Figuren ahnen etwas von den Halbwahrheiten in ihren Beziehungen, von den Umwälzungen, die ihren Alltag über den Haufen werfen könnten. Und doch kommen sie irgendwie klar damit. Zwischen den Zeilen ist eine Elfenbeinturmbeschau, in der das Böse nie wirklich Raum bekommt.

Im Zentrum stehen Léonard (Vincent Macaigne), der Schöpfer von feel-bad books, wie er selbst sagt; Alain (Guillaume Canet), der Geschäftsführer eines renommierten Verlags, der Léonards letztes Manuskript ablehnt und eine Affäre mit seiner jungen Digitalbeauftragten (Christa Théret) hat; und Selena (Juliette Binoche), Alains Frau, die sich als Theaterschauspielerin in einer erfolgreichen TV-Serie künstlerisch unterfordert fühlt und seit Jahren nebenbei mit Léonard ins Bett geht.

Selena spielt in ihrer Krimiserie keine Polizistin, wie sie immer wieder betont, sondern eine „Expertin für Krisensituationen“. Anlässe für Krisen gäbe es in Assayas’ Film zur Genüge, zumindest für bestimmte Bevölkerungskreise. Der Kulturblase, die unter Digitalisierungsschock steht, stellt er gleich mehrere Gretchenfragen. Was sind Kulturgüter eigentlich? Was macht sie aus? Braucht es „das Buch“ in seiner gedruckten Form noch? Kann man Wirklichkeit in Kunst verwandeln? Und wenn ja, darf man das? Und: Wie hält man’s mit der Moral?

Ja, Zwischen den Zeilen ist eine Beziehungskomödie. Aber Betrug und Intrige sind nicht ihr eigentliches Thema, sie bilden eher eine Art Folklore, die in dieser Welt einfach dazugehört. Was Assayas unter dem Deckmantel der Komödie mit beiläufiger Leichtigkeit untersucht, ist vielmehr, wie sich ein solches Habitat vor externer Bedrohung zu schützen sucht. Er identifiziert zwei Strategien: das Erwachen der Macht so weit wie möglich zu ignorieren und es, wenn es denn unbedingt sein muss, zu integrieren, so gut es geht. Dann können alle irgendwie weiterwurschteln in ihren zumindest halb beglückenden Rollen, Berufen und Leben.

„Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert.“ Dieses Zitat hört man derzeit immer und überall, heißt es einmal im Film. Was in Giuseppe Tomasi di Lampedusas Gattopardo den machiavellistischen Machterhalt der Eliten meinte, verwandelt Assayas in einen überaus heiteren Ausblick in eine ungewisse Zukunft. Ein großer Spaß.

Info

Zwischen den Zeilen Olivier Assayas Frankreich 2018, 108 Minuten

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