Der SSC Napoli hat es gerade wieder getan. Sich den teuersten Fußballspieler der Vereinsgeschichte geleistet: den Mexikaner Hirving Lozano, für 42 Millionen Euro.
Im Juli 1984, als Diego Maradona mit einem Triumphzug, den die alten Römer kaum grandioser hinbekommen hätten, in seinen neuen Palast einzog, das Stadio San Paolo in Neapel, war für ihn die bis dato höchste Ablösesumme der Fußballgeschichte bezahlt worden. 24 Millionen D-Mark. Mit der langen Autofahrt mit Polizeieskorte zum voll besetzten Stadion beginnt die Dokumentation Diego Maradona. Wie ein erfolgloser Verein in einer ökonomisch abgehängten Stadt in Süditalien sich das überhaupt leisten konnte, erklärt Asif Kapadias Film nicht. Aber er vermittelt eine Ahnung von
elt eine Ahnung von den Kräften im Hintergrund: korrupte Funktionäre und mafiöse Verstrickungen, vor allem aber die Hysterie der Fans, der Tifosi, und der gesamten Stadtbevölkerung, die von religiöser Ekstase kaum zu unterscheiden ist.Diego Maradona erzählt dessen Lebensgeschichte eher kursorisch. Im Armenviertel von Buenos Aires wird er schon als Teenager zum Ernährer seiner gesamten Familie. Sein überragendes Talent führt ihn von ersten Erfolgen in Argentinien nach Barcelona. Kapadia lässt diesen Hintergrund einfließen, fokussiert aber vor allem auf die sieben Jahre, die Maradona in Neapel verbrachte. So macht der britische Regisseur aus einer Filmbiografie auch das Porträt einer Stadt.Von der ersten Einstellung an erscheint Neapel als ein Hexenkessel, ein gnadenloser Durchlauferhitzer für Maradonas größte sportliche Erfolge genauso wie für seinen Abstieg. Weltmeister 1986, italienischer Meister 1987 (der erste Titel in der Geschichte des Vereins), Uefa Cup 1989, zwei Pokal- und ein weiterer Meistertitel 1990. Bald kommen die Pelzmäntel, die Partys, das Kokain. Maradona muss als eine Art Maskottchen der einflussreichsten Camorra-Familie herhalten. Der Fußballer wird selbst zum Spielball größerer Kräfte. In den Aufnahmen, die großteils aus Maradonas privatem Archiv stammen, wirkt er immer wieder passiv, hilflos. Egal, was er leistet, ab einem bestimmten Zeitpunkt wird es gegen ihn ausgelegt. 1990 kickt er beim WM-Halbfinale in Italien die siegessicheren Azzurri im Elfmeterschießen aus dem Turnier, und zwar ausgerechnet in seinem Heimstadion in Neapel. Das verzeihen ihm die Tifosi nicht mehr.Asif Kapadia ist Experte für Doku-Porträts mit einer Vorliebe für janusköpfige Charaktere und gefallene Helden. Zumindest inszeniert er seine Protagonisten, weltbekannte Figuren aus Sport und Popkultur, als solche: den Formel-1-Rennfahrer Ayrton Senna, die Popsängerin Amy Winehouse und nun den Fußballer, den manche für den besten aller Zeiten halten.Der verleugnete SohnMit dem Narrativ, dass sich hinter den öffentlichen Figuren immer auch ein menschlicher Kern verbirgt, bedient Kapadia keine besonders originelle Lesart. Die Winehouse-Doku Amy – The Girl Behind the Name, 2016 mit dem Oscar für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet, erklärte dieses Muster schon im Titel zum Prinzip. Diesmal findet Kapadia den perfekten Gewährsmann für seine Methode. Maradonas persönlicher Trainer Fernando Signorini erklärt, dass man es mit zwei Persönlichkeiten zu tun habe. Man müsse diesen Menschen aufspalten in einen guten Kern (der nette, aber naive Diego, „ein etwas unsicherer, aber liebenswerter Junge“, sagt Signorini) und in ein ekelhaftes Überich (der herrische Maradona, der seine Schwäche mit Aggression überspielt).Kapadia schafft es aber auch, begreiflich zu machen, was den Star-Status dieser Persönlichkeiten begründet: die Begehrlichkeiten der Massen, das Auf und Ab von Verherrlichung und Verdammung und der voyeuristische Blick auf sie. Man könnte sagen: Kapadia erzählt die Göttersagen der Jetztzeit. Anders als das Marvel-Universum allerdings anhand von realen Beispielen und mit dem Schönheitsfehler, dass sie nur funktionieren, wenn die Gottheiten publikumswirksam zugrunde gehen.Im finalen Kapitel dieser Saga – Diego Maradona wird als Abschluss einer Trilogie beworben – geht es erstmals um einen Helden, der noch am Leben ist. Senna und Winehouse sind an ihrem Beruf zugrunde gegangen. Maradona auch, doch er geistert weiter in der Rolle des gefallenen Engels durch die Medien. Als Fettkloß, der in Talkshows vor Schluchzen kaum erklären kann, wie er sein Leben wieder in den Griff bekommen will. Man kennt die Bilder. Sie sind schwer zu ertragen.Kapadia setzt solche Momente sparsam ein, um ihnen den kathartischen Effekt nicht zu nehmen. Er konzentriert sich darauf, sein Material präzise einzuordnen und die Bilder durch zeitgeschichtliche Fakten zusätzlich aufzuladen. Die Geschichte um einen unehelichen Sohn, den Maradona lange verleugnet, wird zu einer Art Leitmetapher: Der Mann negiert auch einen Teil von sich selbst. Das WM-Match der argentinischen Nationalmannschaft gegen England 1986 wird zur Fortsetzung des Falklandkrieges auf dem Fußballfeld. Argentinien gewinnt 2:1, Maradona schießt beide Tore, eines davon mit dem Unterarm.Es ist das Spiel, in dem „die Hand Gottes“ interveniert – den Ausspruch prägt Maradona selbst. Damit vollzieht er, was seine fanatische Gefolgschaft längst von ihm fordert. Er wird zum Heiligen. Auf den ein langes Martyrium wartet.Placeholder infobox-1