"Du siehst bombig aus!“ Ist das ein Kompliment, das man einer israelischen Frau machen kann? Nein, findet Salam, der als Produktionsassistent bei einer palästinensischen Soap Opera jobbt und deswegen eine entsprechende Dialogzeile umschreiben will. Die lieben Vorgesetzten sehen das anders, also fragt er nach Feierabend spontan eine Expertin, die es wissen muss: eine Soldatin am Grenzübergang von Ramallah nach Jerusalem. Kann man zu einer Frau „bombig“ sagen? In Nullkommanichts gibt es eine Sonderbehandlung mit vorgehaltener Waffe.
Der Nahostkonflikt als Soap – geht das? Sameh Zoabi, ein arabischer Israeli, der in den USA lebt, will das mit seinem zweiten Spielfilm Tel Aviv on Fire herausfinden. Diese entscheidende Episode bringt schon am Anfang des Films au
Anfang des Films auf den Punkt, warum sich der Versuch lohnt. Mit einem simplen Wortwitz und seiner explosiven Aufladung markiert Zoabi den schmalen Grat zwischen Komik und Kerker und setzt damit eine Dynamik in Gang, aus der sich die restliche Handlung des Films entwickelt. Wenn man in einem Gespräch nicht mehr recht weiter weiß, hilft eine Pointe. Wenn die Weltpolitik in einer Sackgasse steckt, kann eine Komödie immerhin kurz Luft verschaffen.Salam, der von Kais Nashif gespielte Protagonist von Tel Aviv on Fire, ist ein charmanter Nichtsnutz um die 30. Als ihm sein Onkel, ein Showrunner beim palästinensischen Fernsehen, einen Aushilfsjob verschafft, mischt er sich dort eher aus Tolpatschigkeit und Selbstüberschätzung ein und fällt trotzdem in kürzester Zeit die Karriereleiter hoch. Nach dem Kaffeekochen wird er zum Beauftragten für korrektes Hebräisch und dann zum Dialogschreiber, der die Handlung der Soap Opera entscheidend mitgestaltet – obwohl er selbst keine Zeile zu Papier bringt. Da trifft es sich, dass die israelische Armee Einfluss auf den Fortgang der Serie nehmen will.Spritztour im PanzerDenn Salam muss jeden Tag von Jerusalem nach Ramallah, wo die Serie produziert wird. Beim Verhör nach dem „Bombig“-Vorfall fällt dem israelischen Offizier Asi das Skript in die Hände, und weil seine Frau großer Fan ist, will er mitschreiben – im Geiste der Armee natürlich. Asis Vorstellung von Romantik: Der israelische General und die palästinensische Spionin aus der Soap unternehmen eine Spritztour im Panzer, machen gemeinsame Schießübungen. Das Publikum ist begeistert, und zwar auf beiden Seiten der Grenzmauer. Vielleicht gibt es am Ende sogar einen echten palästinensisch-israelischen Zungenkuss?Die Soap im Film spielt 1967, direkt vor dem Sechstagekrieg, in dem Salams Onkel gegen die Israelis gekämpft hat. Es handelt sich genau genommen um eine Telenovela, die ihren Erzählbogen abschließen soll, aber Regisseur Zoabi spricht lieber von einer Soap Opera, weil Soaps nämlich kein Ende haben. Diese Tatsache münzt er auf die politische Situation ebenso wie auf die gängigen Narrative rund um den Konflikt, auch und vor allem im Kino.Das radikale Overacting in der Soap-Welt wird in der Filmhandlung gekontert durch die teilnahmslose Performance von Hauptdarsteller Kais Nashif. Er entrückt das Ganze ins Traumwandlerische, als wäre ohnehin alles egal. Die Willkür bei den Grenzkontrollen erträgt er stoisch, in seinen Liebesgeschichten bleibt er mehr als blass. Nebenbei gilt es, ein Hummus-Trauma zu bewältigen, einen konfiszierten Ausweis zurückzubekommen, das französische Starlet der Soap zu besänftigen, vielleicht noch ein neues Leben in Freiheit anzufangen. Regisseur Zoabi verzettelt sich zwischen Soap- und Rahmenhandlung manchmal ein wenig mit seinen Ideen.Der heimliche Meisterautor sitzt derweil am Checkpoint von Ramallah und drückt mit der Androhung von Repressalien seine Vision auf den Lauf der Geschichte durch, während die Gurkentruppe bei der TV-Produktion noch nicht mal merkt, dass sie vom Diktat des israelischen Militärs unterwandert wird. Dabei geht es in der Soap-Handlung umgekehrt um die amouröse Unterwanderung der israelischen Armee. Zoabi hält die Balance seiner ironischen Spitzen mit solchen Konstellationen sehr genau. Zugleich macht er klar: Die palästinensischen Aktivitäten spielen sich hier ausschließlich im Reich der Fiktion ab – und haben nicht mal dort Erfolg gegen die Übermacht Israels.Auf Komödie und Persiflage zu rekurrieren ist also auch eine aus Hilflosigkeit geborene Strategie. Tel Aviv on Fire verdeutlicht, dass in diesem Setting im Grunde keine Lebensäußerung frei von Manipulation, Propaganda und Bedrohung für Leib und Leben sein kann. Ist Humor also, wenn es trotzdem kracht? Mit einem Crash begann auch der Kurzfilm Ave Maria, der 2016 für einen Oscar nominiert war. Darin bekommen es jüdische Siedler nach einem Autounfall am Rande eines Minenfelds im Westjordanland ausgerechnet mit christlichen Nonnen zu tun, die ein Schweigegelübde abgelegt haben – der pure Slapstick. Man will einander helfen, kann aber noch nicht mal miteinander reden.In Tel Aviv on Fire wird in einer Szene eine Kirche zur Synagoge umfunktioniert, in der lauter muslimische Schauspieler eine jüdische Hochzeit mit einer getürkten palästinensischen Spion-Braut inszenieren. Jede andernorts gedrehte Komödie hätte es damit auf der Gimmick-Skala definitiv überreizt. Hier aber ist das eine liebevolle Überzeichnung täglicher Durchwurschtelstrategien.Placeholder infobox-1