Ist es Mitgefühl oder Häme, wenn sich das Kino derzeit besonders für die Demütigungen britischer Herrscherinnen interessiert? Dafür, wie die Macht einen Menschen verschleißt und für persönliche Entfaltung keinerlei Platz lässt?
Dass die Noch-Premierministerin Theresa May im No-Deal-Brexit-Trubel Zeit hat, sich Maria Stuart, Königin von Schottland anzusehen, darf bezweifelt werden. Besonders erbaulich würde sie den Film bestimmt nicht finden. In Josie Rourkes Historiendrama über die Rivalität zwischen der schottischen und der englischen Königin im 16. Jahrhundert wird die eine einen Kopf kürzer gemacht, die andere wird in Zwängen regelrecht einbetoniert und mutiert zu einem Horrorclown.
Auch die Königin in Yorgos Lanthimos’ The Favourite ist im finalen Stadium angekommen. Queen Anne, ab 1707 die erste Königin des vereinten Großbritanniens, ist eine gebrochene Frau, die ihr Leben in Bett und Rollstuhl verbringt. Vor Vergnügungen am Hofe flüchtet sie in ihre Gemächer, aus brenzligen politischen Situationen rettet sie sich in die Ohnmacht. Die Gicht plagt sie, ihr Körper verfällt. Vor dem Ausritt muss sie in ein ledernes Ganzkörperkorsett geschnürt werden, um zumindest einen gewissen Grad an Aufrechtheit zu erlangen. Die Entscheidungsgewalt übt sie eher pro forma aus – oder ab und zu testweise, um zu sehen, wie weit sie ihren engsten Vertrauten gegenüber gehen kann. Vor allem gegenüber Lady Marlborough, die nicht nur die Regierungsgeschäfte in der Hand hat, sondern auch die Schenkel der Königin. Unerwartet taucht, buchstäblich aus dem Dreck, die Nebenbuhlerin Abigail auf, ein gefallenes adliges Mädchen, das als Kammerzofe Lady Marlborough die Gunst der Königin streitig macht.
Dieses lesbische Dreieck bildet das Zentrum von The Favourite. Das Fantastisch-Brutale aus Lanthimos’ letzten beiden Filmen – The Lobster: Paarbeziehungsfaschismus zerstört Individuum, The Killing of a Sacred Deer: Unerklärlicher Fluch zerstört Kernfamilie – wird aufgelöst ins Groteske, der starre und quasi-hypnotisierte Duktus verwandelt sich in bösartige Heiterkeit. Der Regisseur selbst spricht von einer „komischen Tragödie“. Mit den historischen Tatsachen des Stoffs ging er sehr freizügig um. Seine Figuren sind diesmal von Anfang an zerstört, und doch sprudelt The Favourite vor Leben und Lust.
Ohrgehänge, Entenrennen
Üppige Ohrgehänge, Ölschinken, aufgepumpte Dekolletés, Puder und Perücken, Büfetts, endlose Palastfluchten – jedes Element der Ausstattung scheint das andere an Pracht und Opulenz übertreffen zu wollen. Dazu erklingen Purcell, Vivaldi und Händel sowie die Eintonmusik der Avantgardistinnen Anna Meredith, Olivier Messiaen und Luc Ferrari. Barock ist hier nicht bloße Ornament-Orgie und Kostümkeule, sondern eine Lilienblüte auf dem Höhepunkt ihrer Fruchtbarkeit: triefend vor Nektar, stinkend vor Leben. Die Kamera übersetzt das in Verzerrungen von Raum und Zeit. Die Interieurs des Schlosses werden in extremen Weitwinkeln und Froschperspektiven gekrümmt und in Reißschwenks verbogen, Zeitlupen sezieren das dekadente Treiben am Hof. Das Zusammenspiel all dieser Elemente wirkt wie das genaue Gegenteil des bewährten Sedativums „Kostümfilm“.
Apropos Frosch. Tiere, ein bewährtes Leitmotiv bei Lanthimos, dürfen auch in The Favourite nicht fehlen. Diesmal gibt es unter anderem Dachs-Schminke sowie Hummer- und Entenrennen zu bewundern. Die Königin teilt ihr Heiligstes, den Platz neben ihrem Bett, mit einem Rudel Kaninchen, die sie „meine Kleinen“ nennt: ein Kaninchen für jede ihrer – historisch verbürgten – 17 Schwangerschaften. Die meisten endeten mit Fehlgeburten, kein Kind wurde älter als elf Jahre. Die Königin ist außerdem umgeben von Unmengen von Büchern. Im physischen, nicht nur im intellektuellen Sinn.
Getragen wird der Film aber von den Performances der Hauptdarstellerinnen: Olivia Colman (Queen), Rachel Weisz (Lady), Emma Stone (Zofe) – alle drei atemberaubend. Das Besondere an der Dreieckskonstellation ist, dass der intime Machtkampf der Frauen gar nicht besonders intrigant ausgetragen wird. Die Rivalitäten werden meist geradeheraus angesprochen – in einem Vokabular, das man kaum in eine seriöse Zeitung drucken mag. Lady Marlborough zeigt der Königin ihre Liebe durch radikale Ehrlichkeit samt den dazugehörigen Beschimpfungen. Zofe Abigail behauptet rundheraus, sie habe einzig und allein ihren eigenen Vorteil im Sinn. Sie antwortet dabei auf eine Frage des Anführers der Tories im Parlament, der versucht, ihre Nähe zur Königin für seine Interessen zu nutzen. Er ist ein Scharlatan vor dem Herrn, so wie der Großteil der weiteren männlichen Figuren, die am Rande der Handlung auftauchen.
Die Begründung allen politischen Handelns ist Tautologie: „Wir müssen kämpfen, wofür wir kämpfen“, sagt Queen Anne. Insofern interessiert sich der Film auch nicht dafür, ob es einen besonderen gesellschaftlichen oder historischen Fortschritt darstellt, wenn der alte Adel entmachtet und der neue Großgrundbesitz einflussreicher wird oder wenn Friedensverhandlungen mit dem Erzfeind Frankreich eingeleitet werden. Das bedeutet letztlich nur, dass das Ränkespiel um die Macht danach eben von anderen eitlen Gockeln gespielt wird. Nein, diese Entwicklungen sind in The Favourite Teil einer Emanzipation. Die Herrscherin kämpft gegen das strenge, rationale, machterhaltende Regiment ihrer engsten Beraterin. Und damit aber auch gegen Lady Marlboroughs Liebe. Stattdessen lässt sie sich von der neuen Favoritin Honig um den Damenbart schmieren.
Um damit zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Nein, Yorgos Lanthimos treibt nicht die Häme. Sondern eine derbe Zärtlichkeit.
Info
The Favourite Yorgos Lanthimos Irland/GB/USA 2018, 119 Min.
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