Udo wirkt. Immer noch. Vor zwei Monaten erst musste ein deutscher Politiker seinen Hut nehmen, weil er den 73-jährigen Rockmusiker öffentlich diffamiert hatte. Ein „Judaslohn“ sei das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, das Udo Lindenberg am Jahrestag der deutschen Einheit verliehen wurde, meinte Stephan Brandner. Vom Amt des Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Bundestag wurde der AfD-Abgeordnete daraufhin abgewählt.
Udo Lindenberg äußert sich standhaft und verlässlich gegen rechte Tendenzen. Außerdem funktioniert er ein bisschen wie ein Allzweckmittel, wenn irgendwo der Anstrich von zu viel Konventionalität weg soll. Mit Revolution und Aufbegehren hat Lindenbergs Schlager-Rock zwar seit Jahrzehnten nichts mehr am Hut, aber sein Mythos kann tatsächlich noch Politiker zu Fall bringen. Die Causa Brandner wirkte da wie ein weiterer Ritterschlag – und gut getimt: Wenige Wochen später kommt nun ein Biopic über die Anfänge des selbst ernannten Panikpräsidenten in die Kinos.
Rock den Mief
Lindenberg! Mach dein Ding von Regisseurin Hermine Huntgeburth (bekannt unter anderem für Die weiße Massai, Bibi Blocksberg und vielerlei Fernsehfilme)zeichnet nach, wie Lindenberg von seiner Kindheit in Westfalen bis zum Durchbruch in Hamburg Anfang der Siebziger fast krankhaft an dem Status gearbeitet hat, den er heute erfolgreich verwaltet.
Die Musicalisierung (Hinterm Horizont) hat Lindenberg schon hinter sich, jetzt kommt also der Kinofilm. So wie beim anderen großen Udo, dem aus Kärnten. Mit dem Unterschied, dass Ich war noch niemals in New York kein Biopic ist und Udo Jürgens nicht mehr unter uns. Lindenberg hingegen ist gefangen in einer Silhouette aus zu engen schwarzen Hosen, zu großen schwarzen Sonnenbrillen und extrabreiter Hutkrempe. Er hat sich zur Karikatur seiner selbst gemacht, nicht nur im übertragenen Sinn, sondern auch in den Likörchenbildern, die er in seiner Hamburger Hotelsuite von sich malt. In seine Rolle als Hofnarr der Nation hat er sich nicht nur gefügt, er hat sie sich selbst geschaffen.
Huntgeburth tut daher gut daran, schon vorher anzusetzen. Der Spielfilm über Lindenbergs frühe Jahre ist an keinen konkreten Anlass geknüpft. In ein paar Monaten wird Lindenberg 74 Jahre alt; 1970 war er ein Niemand, der sein Geld als Sessionmusiker am Schlagzeug verdiente (etwa für die Tatort-Titelmelodie mit Klaus Doldinger); 1980 war er bereits ein Star. Seinen Durchbruch feierte er 1973 mit Alles klar auf der Andrea Doria, dem ersten großen Erfolg von Rockmusik mit deutschen Texten und dem Endpunkt des Films. Im Kino gab es zuletzt sehr prominente Beispiele dafür, wie gut Popstargeschichten im Kino funktionieren. Wenn Bohemian Rhapsody über Freddie Mercury und Rocketman über Elton John Kasse machen und Preise abräumen, warum sollte das nicht auch mit dem „ersten deutschen Rockstar“ klappen?
Das Ding in Lindenberg! Mach dein Ding, ist: Mit der Tätersprache den Mief der Kriegsgeneration wegrocken und dabei die eigenen Träume verwirklichen. Schauspieler Jan Bülow trägt die Gegen-alles-Haltung, die Huntgeburth bei ihrem Udo ins Zentrum rückt, tatsächlich wie eine zweite Haut, egal ob er lustig bedruckte Unterwäsche anhat oder Schlaghose und Panik-Gürtel. Bülow zeigt den jungen Lindenberg als jemanden, der von nichts überzeugt ist als von der eigenen Großartigkeit und deswegen sicherheitshalber gegen alles andere in Frontstellung geht.
Der Hauptdarsteller ist ein Hit. Huntgeburths Film wird dem Mythos des Aufmüpfigen insgesamt aber nicht gerecht. Formal passt er sich gut ein in das Allerlei deutscher Kinoroutine, das heißt, er wirkt meist wie eine überambitionierte TV-Produktion. Bei einer Laufzeit von zwei Stunden und 15 Minuten gibt es deutliche Längen, die eher hilflos mit ein bisschen visuellem Zirkus überspielt werden sollen.
Dabei ist der Stoff Gold wert. Lindenberg wurde ein Jahr nach Kriegsende in Gronau in Westfalen geboren. Seine Geschichte damals und seine Prominenz heute machen ihn zum idealen Vehikel, um deutsche Zeitgeschichte aufzurollen. Lindenberg! Mach dein Ding versucht das natürlich, aber es haut nicht recht hin. Auch, weil Lindenberg sich nicht ausschließlich als Figur der alten Bundesrepublik lesen lässt. Er spielte für Rockfans in der DDR eine ebenso wichtige Rolle. Und er hatte sein erstes Nummer-eins-Album erst lange nach der Wiedervereinigung: Stark wie Zwei von 2008.
Heute ist Lindenberg vor allem eine Konsensfigur der sozialdemokratischen Kuschelrepublik ab Ende der 90er Jahre. Also einer Tradition, die gerade in Trümmern liegt und ein bisschen Schulterklopfen und Selbstbeweihräucherung gut vertragen kann. Es ist gerade das Dinosaurierhafte an Udo – und hier finden sich Gemeinsamkeiten zu den Filmen über Freddie, Elton & Co. –, das im Zuge der Nostalgiewelle im aktuellen Kulturbetrieb so gut ankommt.
Im Film sitzt Udo einmal im bunten Jackett einer Riege an faden Plattenboss-Krawatten gegenüber. Dort das Establishment des Big Business, die Sehnsuchtsverwalter der Nation – hier der aufmüpfige Rocker. Die Stimmung am monströsen Designertisch der Plattenfirma ist ähnlich schützengrabenhaft wie Weihnachten zu Hause bei Familie Lindenberg – mit dem Unterschied, dass sich die beiden Parteien hier über das Geschäftliche in Nullkommanichts einig werden. Die Szene ist ein perfektes Sinnbild für die Grundambivalenz von Pop: das marktkonforme Zurechtbiegen des Dagegen-Seins. Im Kino lässt man das aber schnell und bereitwillig wieder unter den Konferenztisch fallen. Der echte Udo ist Beweis genug dafür, wie gut das Spiel noch funktioniert.
Info
Lindenberg! Mach dein Ding Hermine Huntgeburth Deutschland 2020, 139 Minuten
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