Es ist nur ein Drink“, sagt Saleem zu Sarah. Er will sie mit seinem hart verdienten Geld endlich mal einladen, so wie andere Paare es auch tun. „Das Leben ist nicht so kompliziert“, sagt er, und für ein paar Momente simulieren die beiden also ein normales Date, fragen einander nach dem Job, wie es mit der Wohnungssuche so läuft, tanzen in der Bar zu den Beats des DJ. Doch Saleem ist Palästinenser, Sarah ist jüdische Israeli, beide sind in der geteilten Stadt Jerusalem mit anderen Partnern verheiratet. Den Grenzziehungen in ihrem Alltag können sie auch und besonders in dieser Bar in Bethlehem, auf palästinensischem Gebiet, nicht entfliehen. Wenn diese zwei Menschen hier zusammenkommen, dann eben nicht einfach nur für einen Drink. Das Leben ist kompliziert.
Der Fall Sarah & Saleem ist eine palästinensisch-niederländisch-deutsch-mexikanische Koproduktion. Der Film erzählt – wie es im Vorspann so schön heißt: „von wahren Ereignissen inspiriert“ – von einer Grenzübertretung, geografisch, politisch, moralisch. Nach Love, Theft And Other Entanglements, der seine Premiere 2015 bei der Berlinale feierte, ist Der Fall Sarah & Saleem der zweite Langfilm von Muayad Alayan. Das Drehbuch schrieb, wie schon beim Debüt, sein Bruder Rami Alayan. Was anderswo Stoff für, je nach Veranlagung, zotige Komödien oder Psychothriller abgäbe, wird bei den Alayans zu einem neorealistischen Drama. Ihr Film arbeitet mit bekannten Bildern – der Mauer zwischen Israel und dem Westjordanland, Grenzposten, fliegenden Steinen und einem hochgerüsteten Militärapparat – und untersucht, wie die Themen Intimität und Vertrauen, kleine Lügen und Loyalität vor dieser Kulisse verzerrt werden.
Sarah und Saleem lernen sich bei der Arbeit kennen. Sie lebt mit ihrer Familie im Westteil Jerusalems. Ihr Mann David macht beim israelischen Militär Karriere, während sie ein Café betreibt, in das Saleem Backwaren liefert. Er kämpft in seinem Job um das tägliche Auskommen und versucht, das magere Gehalt durch Schwarzmarkthandel aufzubessern, da seine Frau Bisan ihr erstes Kind erwartet. Sarah und Saleem sind verbunden durch eine Leidenschaft, die kaum Fragen stellt und vom Rundherum wenig wissen will. Sie treffen sich abends regelmäßig zum Lieferwagensex auf einem Parkplatz.
Sowas passiert
Bei dem spontanen Ausflug nach Bethlehem kommt es zu einem im Grunde banalen Vorfall, der seine Tragweite erst nach und nach offenbart. Saleem gilt als Spion, Sarah als Verräterin. Der Nahostkonflikt drängt sich im Film der Brüder Alayan unmittelbar zwischen die Körper der Liebenden. Er bestimmt ihr Leben auch dann noch, wenn sie physisch längst wieder getrennt sind.
Sie habe ihren Mann betrogen, gesteht Sarah einer Freundin. „Sowas passiert“, sagt diese verständnisvoll und beruhigt: Ein solches Abenteuer würde schließlich nur verdeutlichen, was an einer festen Beziehung so wertvoll sei. Als Sarah erklärt, dass sie die Affäre mit einem Palästinenser hatte, ist die Reaktion der Freundin weniger diplomatisch: „Bist du verrückt?“ In dieser Konstellation ist „sowas“ kein Abenteuer, sondern eine Katastrophe. Die Affäre wird nicht etwa im privaten Umfeld aufgedeckt, sondern durch die Maschinerie der Geheimdienste. Verrat in der Liebe ist hier Verrat an der politischen Sache, am Staat, am Volk. Die Zwangsläufigkeit, die der Film in dieser Hinsicht aufzeigt, ist erschütternd.
Dabei nimmt die Kamera die sozioökonomischen Unterschiede genauer in den Fokus als die politischen oder religiösen. Die erste Einstellung ist ein Close-up auf Geld zählende Hände. Immer wieder wird thematisiert, wie Saleem und Bisan Geld für Lebensmittel aufbringen müssen, während Sarah mit ihrem Cabrio durch die Stadt kurvt und Croissants auf den Frühstückstisch zaubert. Ihr Blick auf das Land jenseits der Mauer ist neugierig, aber so beengt wie die Verhältnisse dort: Sie kann, versteckt im Laderaum von Saleems Lieferwagen, nur durch einen schmalen Spalt nach draußen sehen. Sich selbst und auch Saleem versteht Sarah als unpolitisch. Diese Unbedarftheit wird beiden zum Verhängnis, vor allem ihm, der ohnehin in prekären Abhängigkeiten von der Familie seiner Frau, von seinem Arbeitgeber, seinem Ansehen und dem Wohlwollen oder der Gewalt sowohl des palästinensischen Geheimdienstes als auch des israelischen Staates lebt.
Der Komplexität dieser Konstellation und den unterschiedlichen Verstrickungen und Beweggründen versucht der Film mit Äquidistanz zu seinen Figuren zu begegnen. Die sich ständig verschiebende Perspektive ist dabei eine Leistung der Filmemacher. Sie wollen sich keine Position ganz zu eigen machen und legen, großteils aus einer Perspektive beobachtend, die man als emphatische Distanz bezeichnen könnte, die jeweiligen moralischen Dilemmata frei.
Zugleich ergibt sich aus dieser Erzählhaltung auch ein dramaturgisches Problem. Die Story stockt mehrmals, wenn sie von der einen Person zur nächsten wechselt, Nebenfiguren in den Fokus nimmt und wieder im Hintergrund verschwinden lässt. Die nüchterne, realistische Filmsprache wird gegen Ende unerwartet von Krimielementen durchbrochen. Es wirkt, als würde der Film seine eigentlichen Protagonisten aus den Augen verlieren und die leidenschaftliche, politische Geschichte, die auf ihre Körper geschrieben wurde.
Info
Der Fall Sarah & Saleem Muayad Alayan Palästina, D, NL 2018; 127 Min.
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