„Ich statte Khomeini einen Besuch ab!“, hieß es in meiner Familie stets auf dem Weg zur Toilette. Es war der einzige Witz, den wir uns zu ihm erlaubten, aber er hörte nie auf, für Heiterkeit zu sorgen. Es waren Momente, in denen ich verstand, dass dieser böse, teuflische Mann uns hier nichts anhaben konnte. So sah ich ihn durch meine kindlichen Augen – als Teufel. Noch heute zieht sich alles in mir zusammen, wenn ich Bilder von ihm sehe. Ich schaue instinktiv weg. Ich weiß, er ist bloß ein Mensch, längst gestorben. Doch meine affektive Reaktion ist die des Kindes von damals, das ihm überirdische Kräfte zusprach. Der Stürzer des Schahs und Gründer der „Islamischen Republik“ Iran hatte 1979 alles verschwinde
Revolution im Iran: Mein Prinz, der Teufel und die Demokratie
Exil Ihr Vater arbeitete für den Schah, andere flohen vor ihm: Die Autorin Asal Dardan über die vielen Geschichten der Iraner*innen in Deutschland
Asal Dardan
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Ayatollah Khomeini: Das Porträt hängt noch
Foto: Ruben Mangasaryan/SNA/Imago Images
nden lassen, das meinen Eltern wichtig war. Er hatte ein ganzes Land an sich gerissen und seine Menschen in Geiselhaft genommen. In Geschichten, in denen es das absolute Böse gibt, findet sich meist auch das Gute und Schöne. In meiner kindlichen Vorstellung war es nicht anders. Ich wuchs mit einer Verehrung für den Schah und Farah Diba auf, die sie zu Märchenfiguren werden ließ: der sanfte und kluge Herrscher und seine würdevolle, gütige Frau. Ich fühlte mich ihnen verbunden, nicht zuletzt, weil mein damaliger Nachname, der Name meines Vaters, übersetzt „Krone tragend“ bedeutete. Ich wusste, mein Vater hatte für den Schah gearbeitet und saß nun ebenso wie dessen Familie im Exil, weil sich temporär böse Mächte durchgesetzt hatten. Ich saß tagein, tagaus mit meinem Vater auf dem braunen Ledersofa in unserer Kölner Hochhauswohnung und hörte seinen Erzählungen über sein Land zu, malte mir aus, dass er eigentlich ein Prinz war; dass er bald zurückkehren würde.Wir verehrten Farah Diba in ParisDie private Illusion zerbrach früher als jene über das Land und dessen Geschichte. Mein Vater trat aus meinem Leben, als ich Erstklässlerin war. Ich war zu jenem Zeitpunkt noch zu klein, um meine Eltern zu befragen oder gar kritisch auf sie zu schauen. Etwa danach zu fragen, weshalb mein Vater für den SAVAK, den berüchtigten Geheimdienst des Schahs, gearbeitet hatte. Zumal, weil sich von außen kein Korrektiv bot. In deutschen Magazinen und Fernsehsendungen wurde Farah Diba stets als glamouröse Figur im Pariser Exil präsentiert, ihr Sohn Reza als Thronfolger bezeichnet. Vergleichbar mit der Berichterstattung über die britische Königsfamilie wurde unsere „Shahbanoo“ als royaler Star gezeigt. Thema waren ihre Outfits, ihr Zuhause, ihre Gesundheit und die Familientragödien, nicht aber die Foltergefängnisse ihres Mannes, die Unterdrückung jeglicher Opposition oder die systematisch kreierte Armut der Bevölkerung. Zugleich war Khomeini auch hier ein Superschurke, irrational und vormodern. Man sprach damals noch nicht von der Achse des Bösen, doch es gab keinerlei Zweifel daran, dass das Mullahregime verdammenswert war. Bereits als Kind bemerkte ich, dass mit Khomeini nicht das gesamte Land verdammt wurde. Zwar wuchs ich nicht vor Alltagsrassismus geschützt auf, doch meine iranische Herkunft bescherte mir häufig wohlgesinnte und freundliche Reaktionen. Sobald ich in Gesprächen mit Unbekannten eröffnete, dass ich in Teheran zur Welt gekommen war, bekam ich meist zu hören, wie kultiviert und klug doch Iraner*innen seien. Man erzählte mir von Ärztinnen und Ingenieuren aus dem Bekanntenkreis, die man schätze. Man fragte, ob ich diese oder jene iranische Person in Deutschland kenne. Wie zersplittert die iranische Diaspora war, wussten die Fragenden nicht. Ich selbst ahnte es bloß, weil wir uns meist von anderen Iraner*innen fernhielten, außer meine Familie hatte sie bereits im Iran gekannt. Placeholder image-2Bei diesen Begegnungen schwang stets „Ihr seid die besseren Ausländer“ mit. Es half auch, dass ich aus einer assyrischen, also christlichen Familie stammte. Welche durch klassistische und rassistische Vorurteile geprägten Vergleiche hier mitschwangen, wurde mir erst im Laufe der Zeit bewusst. Ich wurde dafür gelobt, keine Türkin und keine Muslimin zu sein. Ich profitierte von diesen Vorurteilen, wie ich von der gesellschaftlichen Stellung meines Vaters im Iran hätte profitieren können, wäre es nicht zur Revolution gekommen, in die ich 1978 hineingeboren wurde. Macht aber mein Geburtsort das Land zu meinem? Was habe ich mit einem Land zu tun, in welchem ich noch nie einen eigenständigen Schritt getan habe? Wieso sollte ich ein Anrecht auf Hoffnung für den Iran und seine Menschen haben? Es war noch nicht einmal die Beschäftigung mit dem Land, die mein verklärtes Bild korrigierte, sondern meine Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte. Ich erfuhr von den Umständen der Ermordung Benno Ohnesorgs, der am 2. Juni 1967 während der Demonstrationen gegen den Staatsbesuch des Schahs erschossen wurde. Nebenher fiel der Begriff „Jubelperser“, den ich nicht einordnen konnte. Natürlich wurde der Schah verehrt, selbstverständlich jubelten seine Anhänger*innen! Ich verstand noch nicht, weshalb in Deutschland lebende Studierende etwas gegen ihn haben konnten.Heute gehen die Menschen im Iran auf die Straße und skandieren: Wir wollen weder die Mullahs noch den Schah. Sie wissen, dass es im Exil und wohl auch im Land noch Monarchist*innen gibt, die darauf warten, dass der Sohn Reza Pahlavi zurückkehrt, um den Thron seines Vaters zu übernehmen. Sie laufen bei den Demonstrationen in Deutschland oder Kanada mit, geraten in Kämpfe mit jenen, die endlich etwas Neues für das Land ihrer Herkunft wünschen: Demokratie.Placeholder image-1So absurd die Rückkehr zur Pahlavi-Ära für mich heute klingt, so hat es doch sehr lange gedauert, bis ich die Hintergründe der Revolution verstand. Vor allem musste ich verstehen, dass derselbe Feind nicht bedeutet, dass man auch das gleiche Leid teilt. Niemand, dem ich zuhörte, wollte Khomeini und sein Regime. Doch es hatte viele Menschen gegeben, die bereits das, wofür mein Vater stand, abgelehnt hatten. Sie waren bereits während der Zeit des Schahs durch die Straßen des Iran gezogen, hatten unter dem Schah Inhaftierungen und Folter erlebt, waren schon vor der Revolution ins Exil gezwungen worden. Also vor uns. Viele von ihnen waren auch in Deutschland gelandet, bildeten politische Gruppierungen wie die Konföderation der Iranischen Studenten (CISNU), die zwischen 1960 und 1979 zur wichtigsten Opposition gegen das Schah-Regime im Ausland wurde. Der pro-westliche DespotÜber die Rolle der CISNU für die 1968er-Bewegung schrieb die Autorin Maryam Aras 2021 einen Essay im Onlinemagazin Collateral, der für mich ebenso augenöffnend wie bewegend war. Aras und ich denken und schreiben über den Iran von unseren Vätern ausgehend, wir suchen ihre Spuren und was diese für unsere eigenen Biografien bedeuten. Wir sind zwei Frauen derselben Generation, vereint durch zwei Länder und einen Hintergrund, der uns doch trennt. Als Student hatte ihr Vater an der Freien Universität Berlin gegen den Schah und dessen Besuch protestiert, während mein Vater zeitgleich als Student in Teheran auf dem Weg war, sich in den Dienst ebenjenes Schahs zu stellen. In Aras’ Familie bestand eine lange Tradition des oppositionellen Denkens und Handelns. Bereits beim Putsch gegen den einzigen demokratisch gewählten Premierminister des Iran, Mohammad Mossadegh, hatten sie ihre Haltung kundgetan. So berichtet Aras: „Auch meine Familie war damals auf den Straßen ihrer Stadt. ‚Wir wollten weder die Mullahs noch den Shah, wir wollten Doktor Mossadegh‘, hat meine Großmutter mir einmal in ihrer etwas pathetischen, aber festen Art erzählt. Bis die gut angezogenen Schlägertrupps auch vor ihrer Haustür standen.“Placeholder image-3Die Elterngeneration unserer Väter hatte an eine neue, mit Mossadegh eingeleitete Demokratisierung geglaubt. Aber vielleicht war meine Familie auch zu jener Zeit auf der anderen, falschen Seite. Meine Eltern sprachen jedenfalls stets mit Bewunderung über ihn. Die Unterstützung Großbritanniens und der USA garantierte jedoch, dass die souveräne Ölpolitik von Mossadeghs Regierung zum Scheitern verurteilt war. Der Schah konnte in der Rolle eines pro-westlichen Despoten bleiben. Zwei Jahrzehnte später, als die Revolution begann, hofften die Menschen erneut, dass ihrem Land eine bessere Zukunft bevorstand. Es war keine leichte Erkenntnis für mich, dass für sehr viele, vielleicht die meisten, nicht die Revolution selbst die Katastrophe gewesen war, sondern das, wozu sie wurde. Es gab eine kurze Phase der Befreiung und Öffnung, auf den Straßen und in den Universitäten, bei Gewerkschaftssitzungen und den Treffen auf dem Basar. Ich stelle mir vor, dass die aktuelle Eruption im Iran von den Menschen auf ähnliche Weise empfunden wird. Jede Revolution ist auch ein Moment der Gemeinschaft und der Hoffnung.Heute spricht die FreiheitIch verdanke diese Erkenntnis unter anderem der Auseinandersetzung einer weiteren deutsch-iranischen Autorin mit der eigenen Familiengeschichte. Shida Bazyars Debüt Nachts ist es leise in Teheran bildet ein wichtiges Moment in meiner Emanzipation. Im ersten Kapitel beschreibt Bazyars Protagonist Behsad, wie er mit seinen Kameraden in den Tagen der Revolution ein Kino auseinandernimmt: „Hier saßen mal Menschen und waren glücklich, dachte ich, wie hat sich das wohl angefühlt, hier drin glücklich zu sein? Wie fühlt sich das an, wenn man ignoriert, dass die Hälfte des Landes hungert, wenn man ignoriert, dass unser Land sein Öl verschenkt, damit ein einziger Mann im Luxus schwelgen kann, wenn man ignoriert, dass die Gefängnisse voll sind von Menschen, die mal deine Nachbarn waren.“ Ich wusste, es war mein Vater, meine Familie, die sehr wahrscheinlich dort gesessen haben könnte. Behsad stand exemplarisch für all jene, die gegen jenes Glück auf Kosten anderer aufbegehrt hatten.Die Heimat, die meine Eltern vermissten, war für viele Menschen eben kein Sehnsuchtsort, sondern eine Hölle gewesen.In meinem Buch Betrachtungen einer Barbarin habe ich versucht, offen mit dieser Ambiguität umzugehen, auch wenn es mir schwerfiel. Ich glaube fest daran, dass es essenziell ist, auch im Exil darüber zu sprechen, was wir uns in unseren Ländern angetan haben. Es verschwindet nicht mit unserer Abreise, sind die Folgen doch heute noch im Land zu spüren. Mit „wir“ spreche ich über diese seltsame Gruppe migrantisierter Menschen, die in Deutschland zu oft als Einheit begriffen werden, die aber in ihren Herkunftsländern aus sehr unterschiedlichen politischen, sozialen und kulturellen Kontexten stammen. Ein Wir, das nicht existiert. Durch mein eigenes Schreiben habe ich das Glück, sowohl Maryam Aras wie auch Shida Bazyar und die Schriftstellerin Nava Ebrahimi kennengelernt zu haben. Ich zähle sie heute zu meinen Freundinnen. Und es sind diese neuen Freundschaften mit iranischstämmigen Autorinnen in deutschsprachigen Ländern, die mir erlauben, eine Haltung zum Iran zu finden, die losgelöst ist von meinen familiären Verstrickungen. Ein Geschenk der letzten Jahre. Durch die aktuellen Proteste im Iran hat sich mir eine Vorstellung aufgedrängt, wir könnten irgendwann gemeinsam in den Iran reisen. Eine Reise befreundeter deutscher Iranerinnen – oder iranischer Deutsche – in ein Land, das gerade wieder von einer neuen, besseren Zukunft zu träumen wagt. Es ist ein anmaßender Wunsch, denn nicht ich bin auf den Straßen des Iran und muss um meine Menschenrechte kämpfen und um mein Leben bangen. Ich musste es nie. Wer weiß, auf welcher Seite ich heute gelandet wäre. Doch von hier aus gilt meine Loyalität jenen Menschen, die nach Freiheit rufen, gestern und heute.