24.000 beim ver.di-Warnstreik in Dortmund

Öffentlicher Dienst Auch die zweite Runde der Tarifverhandlungen für die 2,1 Mio. Beschäftigten von Bund und Kommunen sind ohne Ergebnis geblieben. Die Gewerkschaft ver.di erhöht den Druck

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Die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes stehen bis dato unter keinem guten Stern. Während die Gewerkschaft ver.di für die Bediensteten eine Lohnerhöhung von 3,5 Prozent und 100 Euro monatlich, sowie die Übernahme der Auszubildenden fordert, sprechen die Arbeitgeber des Öffentlichen Dienstes diesbezüglich von "überzogenen Forderungen".

Die Arbeitgeber bewegten sich auch nach den ersten Warnstreiks von ver.di nicht. Nennenswertes boten sie nicht an.

Warnstreiks von ver.di gestern und heute

Bereits gestern gab es an mehreren Orten in Deutschland abermals Warnsteiks, um den Druck auf ie öffentlichen Arbeitgeber zu verstärken.

Auch am heutigen Donnerstag wurde weiter gestreikt. Der öffentlichen Nahverkehr ruht. Viele kommunale Einrichtungen sind dicht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sparkassen legten die Arbeit nieder. So auch in Dortmund und Umgebung.

Der Druck auf die Arbeitgeber soll erhöht werden

"Die zweite Runde der Tarifverhandlungen für die 2,1 Mio. Beschäftigten von Bund und Kommunen sind ohne Ergebnis geblieben", informiert ver.di Dortmund auf der eignen Internetseite. „Die Gespräche haben in einigen Punkten zwar Annäherungen gebracht“, so Michael Bürger, Geschäftsführer von ver.di Dortmund, „aber gerade bei den Forderungen nach einem Sockelbetrag von 100 € und einem Zuschlag von 70 € für die Beschäftigten im Nahverkehr liegen die Positionen noch sehr weit auseinander. Wir wollen deshalb den Druck vor der nächsten Verhandlungsrunde erhöhen und rufen zu weiteren Warnstreiks auf.“

Arbeitsniederlegung auch bei der Telekom

Ebenfalls ganztägig gestreikt wird u.a. in Dortmund bei der Telekom . In dieser bereits seit 6 Wochen laufenden Tarifrunde fordert ver.di dort eine monatliche Erhöhung um 5,5 % und die überproportionale Anhebung der unteren Einkommen.

Viele Tausende Streikende wurden erwartet

Für den Warnstreik am heutigen Donnerstag erwartete ver.di nicht nur 8.000 bis 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Dortmund, Lünen, Castrop-Rauxel und Schwerte. Mit ebenso vielen Streikenden aus den benachbarten Städten und Regionen Hamm,Unna, Münster, der Hellwegschiene, dem Hochsauerlandkreis, dem Siegerland, aus Südwestfalen mit Hagen, Gevelsberg und Lüdenscheid, aus Bochum, Herne und dem Kreis Recklinghausen wurde gerechnet.

Hauptverkehrsadern von Streikenden geflutet

Und tatsächlich: In Dortmund knubbelten sich die Menschen! Von überall her strömten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter heran. Eine riesige Menschenmenge setzte sich vom Friedensplatz aus, wo das Dortmunder Rathaus steht, bei herrlichem Sonnenschein in Bewegung. Über die sonst stark vom Autoverkehr frequentierten Hauptverkehrsadern Ost- und Königswall liefen die Menschen mit Transparenten, Fahnen und in neonfarbenen ver.di-Westen. Gegenüber dem Hauptbahnhof stoppte die jetzt schon schier unübersehbare Menge: Von der Katharinentreppe her kommend reihten viele Sparkassenangestellte ein und verstärkten so den Demonstrationzug.

Quer gestellter Lkw als Bühne

Auf dem Südwall angekommen, dauerte es lange bis sich alle herangeströmten Gewerkschafter auf den breiten Fahrspuren verteilt hatten. Auf der Straße, kurz vor der großen Verkehrskreuzung am Adlerturm war ein Lkw quer zur Fahrbahn gestellt worden: Dessen Ladefläche war die Bühne für die Abschlusskundgebung.

Von den Arbeitgebern nur Phrasen

Der örtliche Gewerkschaftsfunktionär informierte eingangs über den Stand der Tarifverhandlungen in Potsdam. Sein Fazit: Die öffentlichen Arbeitgeber hätten dort nur altbekannte Phrasen gedroschen und inhaltsleere Wortblasen von sich gegeben. Man zeigte sich überwältigt über die hohe Beteiligung am heutige Warnstreik in Dortmund. Die Polizei habe die Zahl ebenfalls bestätigt: 24.000 Menschen stehen zu diesem Zeitpunkt auf dem Südwall vor der Bühne.

Auszubildendenvertreterin: "Für mich seid ihr 24.000 Heldinnen und Helden!"

Direkt vor ihr die Auszubildenden. Sie forderten und skandierten lautstark: "Übernahme, Übernahme, Übernahme!" Es geht ihnen um die Weiterbeschäftigung nach der Ausbildung. Und Beifall brandete auf. Nacheinander sprechen vor den 24.000 zwei junge Frauen, gewerkschaftliche Vertreterinnen der Auszubildenden, über deren Sorgen und Nöte anno 2014.

Die erste Auszubildenden-Vertreterin ist so überwältigt, vor so vielen Menschen sprechen zu dürfen, dass sie - und damit bewertet sie gleichzeitig auch die Arbeit der Menschen im öffentlichen Dienst überhaupt: Für mich seit ihr alle Helden! Warum? Irgendein Dichter hat einmal geschrieben: 'Wer tut, was er kann, ist ein Held'. Für micht seid ihr 24.000 Heldinnen und Helden!" Das Zitat muss eigentlich lauten "Ein Held ist jemand, der tut, was er kann!" und stammt von Romain Rolland. Aber den Angesprochenen ist eh klar, was damit gemeint war.

Wie die Kosten des Lebens bestreiten?

Viele von den Auszubildenden, sagt die Nachfolgerin am Mikrofon, hätte lange Wegstrecken zu ihren Ausbildungsorten zurückzulegen. Die Arbeitgeber sagten: "Zieht doch näher heran!" Nur, so fragt die zweite junge Rednerin ins Mikrofon: Wie die Miete, den Strom zahlen und den Kühlschrank füllen, mit dem geringen Salär eines Auszubildenden?

Achim Meerkamp berichtet von den Tarifverhandlungen in Potsdam

Später trat Achim Meerkamp vom ver.di-Bundesvorstand ans Rednerpult. Er ist gleichzeitig auch der stellvertretende Verhandlungsführer bei den Verhandlungen in Potsdam. Meerkamp berichtet über sie. Auf die Jugendlichen eingehend, sagte der Funktionär, deren Probleme habe man Innenminister Thomas de Maiziére (CDU) dargelegt. Verbunden mit der Forderung nach Anhebung der Lehrlingsentgelte. De Maiziére jedoch habe nur eine in unseren Tagen überholt und zynisch anmutende Antwort darauf gehabt. Die richtete er an den ver.di-Vorsitzenden und Ersten Verhandlungsführer in den Tarifverhandlungen: "Lehrjahre sind nun mal keine Herrenjahre, Herr Bsirske." Achim Meerkamp findet, dies zeige in welchen veralteten Denkmustern ein Mann wie Dr. Thomas de Maiziére offenbar noch gefangen sei.

Achim Meerkamp: "Als ich 1973 in den öffentlichen Dienst gegangen bin, hatte man da noch eine Perspektive"

Und natürlich drohten die öffentlichen Arbeitgeber schon wieder für den Fall, die Forderungen von ver.di hätten Erfolg mit Privatisierungen. Der Innenminister: Es sei kein Geld da. Ver.di: Dabei hätten der Staat doch reichlich Steuern eingenommen. Finanzminister Wolfgang Schäuble freue sich wie ein Schneekönig darüber, den ersten ausgeglichenen Bundeshaushalt nach 45 Jahren ankündigen zu können.

Nein, die sture Abwehrhaltung der Arbeitgeber sei nicht hinnehmbar. Jahrelang seien von den Arbeitern und Angestellten im öffentlichen Dienst Lohneinbußen bzw. Stagnation hingenommen worden, gab der Gewerkschafter zu bedenken. Und die Frage, wer denn wohl in den nächsten Jahrzehnten noch im öffentlichen Dienst arbeiten solle, wurde gestellt. Schon jetzt würden immer mehr Menschen des öffentlichen Dienstes schlechter entlohnt als langjährig tätige Kollegen. Etwa im Nahverkehr. Da seien inzwischen Löhne von 1880 Euro für Neueingestellte "normal". Gewiss: die Gewerkschaften hätten das früher unterschrieben, um weitere Privatisierungen zu verhindern. Aber hat das gefruchtet? Wie zu sehen ist: nicht.

Achim Meerkamp sprach auch die "sogenannten Leistungsgeminderten" an. Menschen sind das, welche gesundheitliche Beeinträchtigungen hätten. Seit 2005 sahen die keine Lohnerhöhungen!

Es sei nun darüber mit den Verhandlern auf Arbeitgeberseite zu sprechen, wie man künftig mit den Menschen im öffentlichen Dienst umzugehen gedenke. Schließlich stiegen seit Jahren die Anforderungen an sie. Und damit auch der Stress.

Ausdrücklich lobte Meerkamp den auch heute wieder deutlich gewordenen Zusammenhalt, den gemeinsamen Kampf der Gewerkschafter. Was kämen denn auch heraus, wenn jede Fachgruppe für sich kämpfe?

Meerkamp zum Ist-Zustand der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes: "Als ich 1973 in den öffentlichen Dienst gegangen bin, hatte man da noch eine Perspektive." Das müsse wieder erreicht werden.

Meerkampf kündigt Bewegung an, wenn sich die Arbeitgeber weiterhin nicht bewegen

Kommenden Montag fänden die nächsten Verhandlungen in Potsdam statt. Nun müssten die Arbeitgeber sich endlich bewegen. Meerkamp: "Und wir wollen noch einmal klarmachen, was wir wollen." Für den Fall, dass sich die Arbeitgeber wieder nicht bewegten, "müssen wir uns wieder bewegen", so der stellvertretende Verhandlungsführer von ver.di. Das hieß Streik. Dann aber länger.

MM Graphia schließt in Dortmund. Acht Prozent Rendite nicht genug

Gegen Ende der Abschlusskundgebung erhielt noch der Betriebsrat der Dortmunder Firma MM Graphia, der im Stadtteil Aplerbeck angesiedelt ist, Gelegenheit zu reden. Der Betrieb soll zum 30. Juni geschlossen werden. 80 Familien, so der Betriebsrat, seien davon betroffen. Immerhin erwirtschafte die Firma acht Prozent Rendite. Jedoch gelte heuzutage international eine Rendite von zwanzig Prozent als das Mindeste. Was seien das für Zeiten? "Auf Deutsch und auch auf Griechisch", sagte der griechischstämmige Betriebsrat, "hat man uns verarscht!" Kampflos wolle man das nicht hinnehmen. (Dazu auf Radio 91,2)

Wer den Mund spitzt, muss schließlich auch pfeifen

Und wie wird es nun weitergehen beim Kampf der 2,1 Millionen ver.di-Beschäftigten? Was, wenn die Arbeitgeber stur bleiben? Wird ver.di-Chef Frank Bsirske respektive die Große Streikkommission dann zu einem längeren Streik aufrufen? Doch schon sagt so mancher: Wer den Mund spitzt, muss schließlich auch pfeifen! Und nicht wieder (zu) weit gehende Zusgeständnisse machen, wie schon manches Mal zuvor. Zwar hören sich 3,5 Prozent plus 100 Euro mehr viel an. Aber was bedeutet das in der Realität bzw. zählt das in den Brieftaschen der Einzelnen nach Jahren der Lohnzurückhaltung und nach diversen Steigerungen der Kosten des täglichen Lebens? Denn die ver.di-Mitglieder sind freilich auch nicht mit dem Klammerbeutel gepudert. Und wissen demzufolge, dass beim Tarifabschluss letztlich nie die geforderte Lohnverbesserung herauskommt. Wie weit könnte man vom jetzt Geforderten noch heruntergehen? Anfang nächster Woche wissen wir mehr.

Streikbereitschaft ist vorhanden

Gestern und heute jedenfalls standen im Bereichen des öffentlichen Dienstes erst einmal viele Räder still. Und wichtige Einrichtungen blieben geschlossen. Viele tausend Menschen beteiligten sich bundesweit am ver.di-Warnstreik. Die ver.di-Mitglieder - in Dortmund kam das klar zum Ausdruck - sind empört über die Negativhaltung der öffentlichen Arbeitgeber. Sie wären gewiss bereit, auch länger als eine Woche zu streiken. Beispiele, dass dies im Rahme des Möglichen ist, gibt es bekantlich in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Fotos vom Warnstreik in Dortmund hier; via Claus-Dieter Stille, Facebook.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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