Als Ex-Nachrichtendienstler bin ich empört

Geheimdienstaffäre NSA und kein Ende. Nun kommt auch noch heraus, dass die CIA dutzende Quellen in deutschen Ministerien führt. Zeug für eine Staatskrise. Juckt es jemanden?

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Ein Greenhorn bin ich ja schon lange nicht mehr. Bereits seit Langem halte ich es mit dem guten alten Otto Reutter. Zeufahre ganz gut damit. Dessen vor vielen Jahrzehnten zu Papier gebrachten Couplets sind im Wesentlichen heute noch pumperlaktuell. Zum Beispiel dieses : „“Ich wunder`mir über jar nischt mehr ...“ Auch habe ich die Hose nicht mit der Kneifzange angezogen.

Die Geschichte mit der Kneifzange

Das habe ich übrigens von einem DDR-Volkspolizisten aus Halle an der Saale. Als Schuljunge hatte ich – weiß nicht mehr was genau – etwas angestellt. Da kam der Freund und Helfer daher. Ich druckste eine windelweiche und deshalb sehr durchsichtige Erklärung hervor. Aber der Volkspolizist lehrte mich Mores und gab zurück: „Denkste, ich hab mir die Hose mit der Kneifzange angezogen?“ Ich musste mit aufs Revier …

Ob die DDR-Regierenden dachten ihr Volk habe die Hosen mit der Kneifzange angezogen, entzieht sich meiner näheren Kenntnis. Davon auszugehen ist in Teilen aber wohl schon. Wir wissen wie das ausging ...

Aber betreffs der derzeitigen Bundesregierung bin ich mir da ziemlich sicher. Die balbieren uns – und zwar in vielerlei Hinsicht – über die Ohren. Mindestens in Sachen NSA-Affäre.

Ich schrieb es ja bereits eingangs: Ein Greenhorn bin ich keines, mehr. Und das Leben in zwei Systemen kommt einen da - glauben Sie es mir - ganz gut zu passe, um keines mehr zu sein.

Apropos NSA! Die National Security Agency der USA – das ist uns ja über Monate lang und breit zur Kenntnis gebracht worden – ein Nachrichtendienst von mehreren des auch „god`s own country“ genannten Landes auf der anderen Seite des großen Teichs.

Als Angehöriger des SND kein DDR-Snowden

Nun oute ich mich: Auch ich war einst, zwar nicht Agent, so doch aber Angehöriger eines Nachrichtendienstes. Gleichwohl unfreiwilliger Mitarbeiter. Denn das war bei der „Fahne“ (der Nationalen Volksarmee; NVA) als ich dort meinen 18-monatigen Wehrdienst (im DDR-Jargon: „Ehrendienst“) ableistete. Zum SND (Spezialnachrichtendienst) kam ich also sozusagen wie die Jungfrau zum Kinde.

Der in einer eigenen Etage in der Kaserne hinter einen Tür mit Knauf residierende geheime Nachrichtendienst war so geheim, dass ich nicht einmal meinen Mitgenossen Soldaten ein Sterbenswörtchen darüber sagen durfte. Es ging da um Cobra-Verschlüsselungen. Wir bedienten eine Maschine sowjetischer Bauart (gewohnt robust gebaut) – äußerlich einer Schreibmaschine ähnlich – mit der man verschlüsseln konnte. Entschlüsselt wurden die Zahlenkolonnen dann via eines Blocks, welcher Zahlenkolonnen enthielt. Ich denke, diese Maschine ist mit der berühmten Enigma vergleichbar. In dem Sinne eine Rotor-Schlüsselmaschine.

NSA und SND sind als Nachrichtendienste nicht vergleichbar. Auch ich möchte nicht mit dem NSA und schon gar nicht mit deren Agenten verglichen werden. Schon gar nicht bin ich ein DDR-Snowden. Schließlich habe ich keine Geheimnisse zu verraten. Jedenfalls keine, die das Zeug dazu hätten, die Welt aus den Angeln zu heben. Zur Geheimhaltung wurden wir SND-Leute zu DDR-Zeiten verdonnert. Vergattert, wie das in Armeesprache hieß. Dies galt auch für die Zeit nach der Beendigung des Wehrdienstes. Was mir jährlich ein Rendezvous mit einer blonden feschen Genossin Oberfeldwebel im örtlichen Wehrkreiskommando einbrachte. Die nahm mich mit auf ihr Zimmer und fragte, ob ich Kontakt mit Personen aus dem NSW (Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet) gehabt hätte. Ich verneinte. Auch wenn das der Fall gewesen war. Sie legte mit ein Formblatt vor. Ich machte mein „Wilhelm“ darunter. Und das war`s – Ciao bella, bis zum nächsten Jahr!

Geheimdienstkreise: CIA führt mehr als ein Dutzend deutsche Regierungsmitarbeiter als Quellen

Lange Rede, kurzer Sinn: Die USA über NSA, CIA, DIA und wer weiß noch was alles spionieren uns nach Strich und Faden aus. Das geht gar nicht, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Anfang. Jetzt klingt sie schon skeptischer. Aber passiert was? Nein! Es wird alles nur noch schlimmer.

Heute beim Frühstück höre ich via meines Leib- und Magensenders Funkhaus Europa den nächsten Kladderadatsch. Möglicherweise geht das Treiben von US-Spionen in Deutschland „möglicherweise noch umfangreicher als bisher angenommen. Der US-Auslandsgeheimdienst CIA habe mehr als ein Dutzend Regierungsmitarbeiter in Deutschland als Quellen geführt. „Bild am Sonntag“ beruft sich diesbezüglich auf „US-Geheimdienstkreise“. Betroffen seien die Ministerien für Verteidigung, Wirtschaft Innen- und Entwicklungshilfe,, . Das Letztere sei für die CIA interessant, weil darüber versteckte BND-Operationen im Ausland liefen.

Wo bleibt der Aufschrei?

Verdammt starker Tobak! Wobei: „Ick wunder' mir über jar nischt mehr.“ Erinnert sich noch wer? In der Regierungszeit des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der heute Gazmann ist, wurde ruchbar, dass in diversen Ministerien neben den regulären Bediensteten Lobbyisten säßen. Die die Gesetze der Wirtschafts- und Finanzwelt sozusagen leger auf den Leib schrieben. Damit sie diese Branchen nicht allzu sehr zwickten.

Und nun sitzen da eben noch zusätzlich ein paar Leutchen, die den diversen US-Geheimdiensten zu Diensten sind – so what? Pfff … wen interessiert es? Gibt es ein Aufschrei? Einen Aufschrei der Natur, wie es ihn gab, als der olle FDP-Brüderle eine attraktive Journalistin anbaggerte? Wochenlang ging des damals! Wo bleibt nun der Aufschrei?! Wir haben immerhin eine veritable Staatskrise!

Klar, man macht ein bisschen Sturm im Wasserglas. Für die Gasse, wie man im Theater sagt. Für das dummgehaltene, sprich: desinformierte Volk, sage ich. Obwohl: das murrt eh kaum. Hält still. Deutschland magst ruhig sein. In Massen weiter dahin trottet. Nach dem Brecht'schen Motto: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“ Außenminister Franz-Walter Steinmeier zürnt auch ein wenig. Ich hab' die Hose doch nicht mit der Kneifzange angezogen! Der müsste es doch besser wissen, war doch die alte „Schrödersprechpuppe“ doch einst Chef des Bundeskanzleramtes und somit zuständig auch für die Geheimdienste! Oder hat man auch ihn hinter die Fichte geführt? Kaum zu glauben. Ihn, den man im Amte „Graue Effizienz“ nannte?

Wird gar auch er geführt von den US-Diensten? Und Angela Merkel, deren Stasiakte ja verschwunden ist? Nun, dass wären jetzt Verschwörungstheorien. Aber mal Hand aufs Herz: Bräche dann endlich der Sturm der Empörung in diesem ansonsten so hysterisch schäumenden Landes – gesetzt den Fall es wäre so – hervor? Ich habe da so meine Bedenken. Kenne ich doch meine Pappenheimer.

Historiker Foschepoth: Die Amis dürfen

Wollen wir zum Thema US-Spionage lieber den Historiker Josef Foschepoth vernehmen: “Die Amerikaner hätten also Grund zu behaupten, dass sie spionieren dürfen?”, so die Frage der Stuttgarter Zeitung an den Historiker Josef Foschepoth. Und dieser antwortete dem Blatt: “Die Amerikaner hätten also Grund zu behaupten, dass sie spionieren dürfen?”, so die Frage der Stuttgarter Zeitung an den Historiker Josef Foschepoth. Und dieser antwortete dem Blatt: “Ja, sicher. Die sechzigjährige Geschichte der Überwachung der Bundesrepublik zeigt, dass sich alle Bundesregierungen den Ansprüchen der Amerikaner gebeugt haben. Das hat natürlich zum Teil erhebliche Konsequenzen für die Souveränität und Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik gehabt. Ein Beispiel: Das Bundesverfassungsgericht hat 1970 im Urteil zum G-10-Gesetz gesagt, dass geheimdienstliche Überwachungen, die sich im Nachhinein als überflüssig erwiesen haben, den Betroffenen mitgeteilt werden müssen. Die Amerikaner haben da aber nur müde gelächelt. Es gibt in den Akten des Bundesinnenministeriums Unterlagen darüber, wie intensiv und erfolglos zugleich die deutschen Beamten die US-Behörden zur Kooperation bewegen wollten. Die US-Geheimdienste waren dazu einfach nicht bereit.” (Quelle: mein Artikel auf clausstille wordpress)

Staatskrise - Wer sind wir?

Noch Fragen? Für mich steht fest: Wir stecken in einer veritablen Staatskrise, die in eine Identitätskrise münden kann. Deren Folgen sind im Moment noch gar nicht zu abzuschätzen. Interessiert es wen? Wen „wir“ heute Fußballweltmeister werden sollte, wird das Thema erst einmal im Freudentaumel wieder untergehen. Deutschland, wird es uns mit Monsterlettern aus der Blödzeitung entgegen springen und aus den elektronischen Massenmedien wie von Vuvuzelas geblasen schrill zutröten, ist Weltmeister, Weltmeister, Weltmeister, Weltmeister! Nichts dagegen.

Doch: Wer oder was ist Deutschland eigentlich? Sind wir Frau/Herr im eigenen Hause? Sind wir vollständig souverän? Oder fremdgesteuert? Wir haben es da nicht Peanuts zutun. Hier geht es an die Substanz. Ans Eingemachte, sozusagen! Und wer hat uns eingemacht? „Allein machen sie dich ein“, tönten früher Ton Steine Scherben. Sind wir so allein, so klein? Wo bleiben die Rufe „Wir sind das Volk!“? Glauben wir diese Staatskrise (warum wird sie als solche nicht laut benannt?) wirklich einfach so aussitzen zu können? Da wären wir verdammt schief gewickelt. So etwas kommt wieder hoch. Das walte Hugo!

Wollen wir als Volk ein Volk von Kälbern, frei nach Brecht sein? Aufklärung kann ziemlich weh tun. Schon höre ich: Aber das Staatswohl! Ach, papperlapapp. Es geht um unsere Identität! Wie geht es einem Kind, das erfährt der Vater ist nicht sein leiblicher Vater, die Eltern nicht die richtigen Eltern?

Was du nicht selbst tust

Da müssen wir die Zähne zusammenbeißen und durch. Schluss mit Heuchelei und Lügen. Aus dieser stinkenden Pampe aus beidem sollten wir uns bald befreien. Wir brauchen dringend ein reinigendes Gewitter. Unter die Dusche! Es stinkt nämlich schon jetzt bestialisch zum Himmel! Vielleicht komm dann auch einmal alles über den NSU heraus. Waren nicht etwa im Mordfall Michelle Kiesewetter auch amerikanische Agenten in Nähe des Tatortes?

Also Mut – befreien wir uns nach Kant aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit!

Und wenn es die Regierung nicht tut?

Felix Lope de Vega Carpio, spanischer Priester, päpstlicher Protonotar und Bühnenschriftsteller schrieb: „Was du nicht selber tust, tut kein anderer für dich“

Empört im Sinne Hessels

Wenn ich hier mit Otto Reutter, der alten Coupletkanone, schrieb, „Ick wunder' mich über jar nischt mehr“, dann heißt das nicht, mich nicht mehr über das hier zur Sprache gebrachte aufzuregen. Vielmehr bin ich im Sinne Stéphane Hessels empört! Erst recht als Ex-"Nachrichtendienstler".

Nix is fix, sagt man in Österreich. Die USA werden, um mal deren manchmal manichäisch angestrichenen Wortschatz zu gebrauchen, diese „bösen Werke“ nicht auf Ewigkeit betreiben (können). Weil sie womöglich selbst auf den Trichter kommen, dass dies ihnen mehr schadet als nutzt.

Vielleicht haben die ja USA die Hose mit der Kneifzange angezogen? Entwenden wir sie ihnen doch! Dann rutscht sie, die Hose. Und die Amis stehen nackt da. Wir dann gewiss auch wenig. Aber was wäre die Alternative? Sich weiter belügen (zu lassen)?

os

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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