Aufschrei der Bahner

Deutsche Bahn AG Vorbei das Mainzer Bahn-Chaos? Mitnichten. Nichts ist gut bei der Deutschen Bahn. Mitarbeiter, auf die von allen Seiten verbal eingeprügelt wird, sagen: Es reicht!

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Aufschrei der Bahner

Foto: Matthias Hangst/Getty Images

Inzwischen ist es um das "Mainzer Bahn-Chaos" wieder etwas ruhiger geworden. Die Medien haben andere Themen am Wickel. Dabei ist weder in Mainz noch anderswo etwas gut im System Deutsche Bahn AG. Jederzeit können Krisensituationen wie in Mainz oder in anderer Form an anderen Orten in Deutschland auftreten. Vollmundige Erklärungen und Versprechungen aus der Bahn-Chefetage, die Dinge von nun an in den Griff bekommen zu wollen, sind äußerst gewagt.

Dabei sind die Probleme alles andere als plötzlich vom Himmel gefallen. Verantwortliche in Politik und Management tragen ddie Hauptschuld an der Misere. Viel ist in letzter Zeit über das "Mainzer Bahn-Chaos" im Einzelnen und das Unternehmen Deutsche Bahn AG geschrieben und gesendet worden. Für meine Begriffe sind die Beschäftigten der Deutsche Bahn AG selbst dabei viel zu kurz gekommen.

Dieser Tage stieß ich auf Facebook auf den "Offenen Brief eines Eisenbahners". Als Chronist betrachte ich es als meine Pflicht diesen ehrlichen und aufrütteln sollenden Brief hier zu veröffentlichen. Und wenn man so will: auch zur Diskussion zu stellen. Schließlich sind wir alle irgendwann einmal Bahnkunden. Viele sogar tagtäglich Und am einwandfreien und sicheren Betrieb dieses Verkehrsmittels dürfte wohl allen gelegen sein.

Offener Brief eines Eisenbahners

12. August 2013 um 14:06

an den Vorstand der DBAG, die Politik der Bundesrepublik Deutschland, die Gewerkschaften EVG & GDL

Seit jeher findet das Bahn-Bashing statt. Damit haben wir Eisenbahner uns irgendwie arrangieren können. Geschehen irgendwo in der fernen Welt Unglücke,so sind wir Eisenbahner in Deutschland es gewohnt, dass man uns und unsere Arbeit unter die Lupe nimmt, das selbsternannte Experten uns dann zu Gefahrenquellen degradieren. Man den Bahnern Ihre Kompetenzen sprichwörtlich beraubt.

Nun kommen auch noch Autoren von Zeitungen dazu und stellen die Berufe im Eisenbahnwesen als überbewertet dar. Wir als Eisenbahner haben eigentlich nur noch, nach Aussage vieler Autoren und einzelner Experten, die überwachende Funktion, haben nur noch eine bedeutungslose Tätigkeit in diesem doch sospielanmutenden System Eisenbahn.

Jetzt nimmt diese Form des Bashings allerdings Formen an, die wir alsEisenbahner aller Generationen nicht hinnehmen möchten, und auch nicht werden... ES REICHT!!!!

Seit die Bahnreform 1994 angestoßen wurde, ist diese vor allem unter Herrn Mehdorn unter Zuhilfenahme diverser Einsparprogramme vorangetrieben worden. Personal wurde als Kostenfaktor in Massen abgebaut, rollendes Material wurde in ganzen Zügen zum Schrotthändler gefahren und entsorgt, welches uns heute schlichtweg fehlt. Stellwerke wurden zentralisiert und Personal in der Fläche zusammengezogen und abgebaut. Wir wissen alle, dass diese Liste noch unendlich weiter geführt werden könnte.

Nun, 19 Jahre später, nehmen die Sparkurse Formen an, die sich nicht wirklich mehr verbergen lassen. Züge bekommen bei Unregelmäßigkeiten Verspätungen weil Schichtpläne so eng gestrickt werden, das das Personal im Fall des Falles nicht zur Verfügung steht, weil es keine Pause bekommt, im Gegenzug sitzt, der leider massive Verspätungen hat oder aufgrund Schichtübergängen fehlt. Eine Stadt wird sukzessive vom Schienennetz getrennt, weil das Personal an seine Belastungsgrenzen geraten ist und man sich dann wundert das diese ausfallen. Das Personal in allen Basisbereichen schiebt mittlerweile Überstunden vor sich her, die selbst bei einem guten Willen definitiv nicht abbaubar sind.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass vor allem bei der DB AG der Altersdurchschnitt immens hoch ist, und ein großer Teil der „alten Hasen“ in den nächsten Jahren in den Ruhestand/ Rente gehen werden und das in einer Größenordnung die jeden anderen Betrieb an den Rand der Existenzgefährdung bringt. Es ist zubezweifeln, ob dieser Personalverlust und vor allem Wissensverlust der Alten in kurzer Zeit auffangbar ist.

Bei der Eisenbahn gibt es kaum einen Berufsbild, das nicht einer gewissen Verantwortung unterliegt. Dafür bedarf es zwingend gut ausgebildetes und spezialisiertes Personal. Das eben auch nicht jeder für diese Berufe geeignet ist, erklärt sich irgendwie von selbst. Das viele von uns Eisenbahnern ihren Job gerne und aus Überzeugung, gar aus Ehrgefühl machen muss hier nicht erwähnt werden.

Wir können den Unmut vieler Reisenden verstehen, wenn die geplanten Fahrten, egal ob morgens und abends zu Pendlerzeiten oder aber die Urlaubsreisen verschoben und/oder geändert werden müssen, weil Teile Deutschlands aus bahntechnischer Sicht nicht mehr angefahren werden können. Wir haben Verständnis für die alltäglichen Beeinträchtigungen, die Pendler und Reisende auf Ihren Fahrten erdulden und über sich ergehen lassen müssen, denn auch wir sind oft genug selbst Reisende, sei es nur vom und zum Dienst.

Jedoch haben wir kein Verständnis, wenn immer die Mitarbeiter an der Basis, die alles dafür geben, dass der Laden läuft, wenn auch unter Einschränkungen und mit Kompromissen, als Deppen der Nation dargestellt werden. Der tägliche Konflikt mit den Reisenden ist oftmals eine Belastung, zu der wir als Mitarbeiter im kundennahen Einsatz nichts können, wir aber größtenteils von den Führungskräften keinerlei Rückhalt bekommen. Um dann noch von Politik und Chefetage eine auf den Deckel zu bekommen wenn ein Zug liegenbleibt, die Klimaanlagen ausfallen oder der Urlaub angetreten ist, obwohl Personal krank wird. All das bringt mit jedem Tropfen das sprichwörtliche Fass zum überlaufen.

Wenn wir uns die Liste der Vorstands- und der Aufsichtsratsmitgliederanschauen, so vermissen wir den gelernten und erfahrenen Eisenbahner in diesen Ebenen. Menschen, die in Kooperation mit Kaufleuten ein Gleichgewicht in der Führungsebene bilden, in einem Unternehmen und System welches nicht nu rvon Zahlenakrobaten geführt werden darf.

Aber wer leitet denn das Unternehmen? Menschen die Ökonomie studiert haben,die Finanzbereiche studiert haben, aber wenig Erfahrung und Ahnung vom System Bahn haben. Erkennbar daran, dass man eben den Teamgeist, wie Herr Döring von der FDP einfordert. Kennt dieser Herr eigentlich die Bedeutung des Wortes „Teamgeist“ ? Was uns noch mehr interessiert, wie kommt jemand ohne Vorkenntnisse in den Aufsichtsrat des Konzernes DB AG? Welche Referenzen hat er für seine Berufung/ Ernennung/ Wahl aufgezeigt?

Wir vermissen gerade das ernste und mahnende Wort vom Chef Herrn Dr. Grube. Er, der sich seit seinem Antritt als Chef immer sehr nah an den Mitarbeitern zeigte, sollte doch wissen, wie dieser Teamgeist bei uns Eisenbahnern ausschaut.

Warum lassen sie Herr Dr. Grube es zu, dass wir gerade so derb in den Medien zerrissen werden. Ihnen muss doch bewusst und klar sein, dass sie die Scherben Ihres Vorgängers beseitigen müssen, und wir mit unseren Kräften dabei aktiv behilflich sind. Dann zeigen sie uns gegenüber bitte auch wie ein Chef agieren sollte und stärken uns in dieses Tagen durch eine klare Haltung und Position den Rücken. Ein guter Chef steht auch in schlechten Zeiten vor seinem Personal und zeigt die Richtung.

Und wo sind unsere Gewerkschaften? Warum liest man dort immer nur kleine Statements, und kein Schlag mit der Faust auf den berühmten Tisch? Ist es gerade jetzt zu viel verlangt, dass sie sich vor die Menschen stellen, die auf sie hoffen und ihnen durch die Beitrittserklärungen ihre Loyalität erklärten? Oder ist es wieder nur ein Ding im gegenseitigen Kampf? Sie als Gewerkschaften dienen als Interessenvertreter den Mitarbeitern, nicht wir Ihnen als Gewerkschaften.

Sie alle lassen zu, dass die Medien uns und unsere Arbeit so maßlos in den Dreck ziehen.

Sicher ist ein verschmierter Rangierarbeiter der malocht nicht so schön für die Kamera, wie ein gestylter Business-Man. Das wir da unten aber zu kämpfen haben, passt scheinbar nicht ins Gesamtbild der Medienlandschaft.

Klar doch. Ein Zug der mit Verspätung ankommt und weiterfährt, hat dieseVerspätung nur, weil der Lokführer keine Lust hatte, schneller zu fahren, sondern lieber die Landschaft genießen wollte. Der Fahrdienstleiter, der im Stellwerk eigentlich die Fahrstraße legen soll, hat einfach keine Lust und lässt den Zug vor dem Bahnhof stehen weil das Essen schmeckt und man sich dabei nicht stören lassen will. Die Zugbegleiter, die dem eh schon genervten Reisenden erklären müssen, dass die Klimaanlage defekt ist, und man den Waggon auch nur deswegen räumt, weil sie die Reisenden ärgern möchten und deswegen die Klimaanlage per Sicherung abgeschaltet haben. Alles was eintritt und passiert und dann richtig schief geht, das passiert alles nur, weil wir Eisenbahner es so wollen und den Betrieb absichtlich stören und manipulieren. Und wenn die Bahn dann auch noch die Preise erhöht, dann nur, weil sich die Bahner allesamt die Taschen vollhauen, damit die Konten für später noch besser gefüllt sind, denn während der Schichtwochen fehlt uns leider die Zeit, das Geld auszugeben.

Aber wie sollten wir denn auch? Kurze Übergänge, verlängerte Schichten aufgrund von Störungen, Zusatzdiensten aufgrund von Personalmangel und geplatzten Dienstübergängen. Mit jedem neuen Tarifvertrag versucht man Sozialleistungen wie Jobtickets ,Familienheimfahrten etc. weiter zu reduzieren. Wenn nicht durch die Konzerne, dann durch die Politik. Das Durchschnittsgehalt ist schon lange mehr ein Schmerzensgeld, als eine gerechte Entlohnung, für Wechselschichten, Sonn- und Feiertagsarbeit, wenig soziale Kontaktpflege und leider immer mehr Aufgaben, Verantwortung und Stress auf der Arbeitsstelle.

Die Führungsebenen bekommen jedes Jahr einen guten Bonus, sei es für energiesparendes Fahren, für gute Umsatzzahlen, fürs Erreichen der von realitätsfremd agierenden Führungskräften in der mittleren Leitungsebene. Aber der kleine Mann an der Basis, der täglich dafür sorgt das die Bahnen rollen, der geht, so wie es 2013 geschehen ist, leer aus.

Ist das eine gerechte Entlohnung und Belohnung für den aufopfernden Dienst am Kunden?

Wir möchten nicht alles am Lohn und an der Entlohnung messen. Manchmal ist ein lobendes Wort mehr wert als ein dickes Gehalt, aber selbst das ist oftmals nur Wunschdenken. Wir müssen funktionieren. So steht´s ja im Arbeitsvertrag. Aber die Zeiten in denen man dem Mitarbeiter mit auf seinen Posten wartenden Arbeitslosen drohen kann sind ein für alle Mal vorbei.

Wir Bahner haben durch die Medien, jedoch am meisten durch die Ära Mehdorn so sehr an Ansehen verloren, dass unsere Berufe nur noch von wirklichen Enthusiasten erlernt und ausgeübt werden. Zeiten, in denen der Bahnernachwuchs in der Familie rekrutiert wurde, sind Vergangenheit.

Mein14-jähriger Sohn sagte wörtlich. „Papa, ich soll zur Bahn? Nein, bei aller Liebe. Die Bahn ist doch daran Schuld,das ich 2/3 meiner Freizeit ohne Dich auskommen muss.“

Diese Aussage war bezeichnend für die Situation, die sich uns darbietet, aber keiner der Herren da oben auch nur wahrhaben will. Von daher fordern wir sie auf, endlich einmal uns Eisenbahner als Menschen zubehandeln. Erkennen sie, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden sind und geben sie offen zu, dass nicht die Mitarbeiter daran Schuld haben wie sich das Unternehmen entwickelt hat, sondern die Fehler weiter oben entstanden. Stehen sie endlich zu den Menschen, die täglich dafür sorgen, dass der Betrieb läuft. Suchen sie nicht immer erst bei diesen Menschen, die täglich Überstunden machen, Ihre Familien oftmals hinter den Job stellen müssen und sich damit stärker belasten, den Fehler und/oder die Störungsquelle. Beziehen sie Position,stärken sie denen den Rücken, die es nun nötig haben und verstecken sie sich nicht einfach.

Wir alle sind die Bahn. Wir sind die Zukunft dieser Unternehmen. Wir sind das Unternehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Lokführer Robert Mewes, IGE

Lokführer David Conrad-Fürstenberg, DB Fernverkehr AG

Robert Mewes (arbeitet nicht mehr bei der DB), dem ich dafür danken möchte, den Brief hier verwenden zu dürfen, und seinem Lokführerkollegen David Conrad-Fürstenberg gebührt Respekt für die ehrlichen Worte.

Alarmierender Pfiff aus dem Lokführerstand

Die Probleme der Deutschen Bahn AG haben einen langen Vorlauf und sind keinesfalls plötzlich vom Himmel gefallen. Sie haben sich vor unser aller Augen angehäuft. Kritiken und Warnungen vor Zuständen wie sie nun heute immer öfters - nicht nur im Bereich des Hauptbahnhofs Mainz - hervortreten, im Bahnbetrieb quasi wie Eiterblasen aufplatzen und die Krankheit an der das Unternehmen Bahn leidet je nach dem verschlimmern hat es immer wieder gegeben. Nur sie wurden überhört oder verniedlicht. Auch viele Bahnkunden dürften sich nicht sonderlich dafür intererssiert haben.

Wenn hernach bestimmte Medien auch noch über die ohnehin gebeutelten Bahner herziehen ist das ungerecht. Wir können von Glück reden, dass die Deutsche Bahn AG bislang noch nicht der Börse ausgeliefert wurde. Mag sein, dass die deutsche Eisenbahn noch nicht so heruntergewirtschaftet ist wie die British Railways nach ihrer Privatisierung und Zerschlagung in viele kleine Betriebe unter Premierministerin Thatcher. Was nicht zuletzt zu schlimmen Unfällen führte.

Allein die Beschäftigung mit den Folgen der britischen Bahnprivatisierung sollte deutschen Politikern, die jetzt schon wieder von der Deutschen Bahn AG als Unternehmen an der Börse träumen, zur Pflicht gemacht werden. Wochenlang müssten sie danach eigentlich von Alpträumen geplagt sein. Ich empfehle zu diesem Behufe den Spielfilm des britischen Regisseurs Ken Loach "The Navigators" zur Ansicht.

Der Aufschrei der Bahner - als solchen verstehe ich diesen Offenen Brief - sollte auf möglichst viele offene Ohren treffen. Die Hauptadressaten an die er sich richtet, sind eingangs des Briefes ersichtlich. Und die Kunden der Bahn sollten zu den Eisenbahner stehen. Wie ich finde, müssten sich aber auch die im Offenen Brief auch in Rede stehenden Gewerkschaften wieder einmal auf ihre ureignen Aufgaben besinnen. Zumindest dann, wenn die im Brief geäußerte Kritik zutreffend ist. In der Regel befindet sich die Lokomotive vorne. Und mit ihr die Lokführer. So auch hier via des Offenen Briefes für "ihre" Bahn von Herzen eintretend, die auch die unsere ist bzw. sein sollte. Sie haben von ihrem Lokführerstand einen alarmierenden Pfiff abgegeben. Möge er Gehör finden!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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