DJELEM DJELEM Roma-Kulturfestival in Dortmund

Roma-Kultur Das erste Roma-Kulturfestival Dortmund will an unterschiedlichen Orten in der Nordstadt Einwanderer-Kultur(en) sichtbar werden lassen und Willkommenskultur fördern.

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Jeder dritte für eine Studie in Deutschland Befragte gab an, Roma nicht als Nachbarn haben zu wollen. Roma klauen. Roma sind schmutzig. Daran denken Viele, wenn sie das Wort Roma hören oder lesen. Wo Roma sind, da sind Probleme, meint mancher. Aber was wissen wir schon über die Roma? Roma sind immerhin in Europa die größte Minderheit. Ihre Zahl wird mit 10 bis 12 Millionen angegeben.

Die Dortmunder Nordstadt ist schon seit Jahrzehnten Integrationsstadtteil

Dortmund ist neben Duisburg u.a. eine der Städte in Nordrhein-Westfalen mit hoher Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Unter den Menschen befinden sich auch Roma. Die Dortmunder Nordstadt schon seit Jahrzehnten ein Integrationsstadtteil ist. Nicht zuletzt durch die Medien wird die Diskussion zum Thema Zuwanderung aus Südosteuropa häufig defizitär geführt, ohne auf die Bedürfnisse der Zugewanderten sowie die Ressourcen, die sie mitbringen, einzugehen. Zudem wird häufig über und nicht mit den Menschen geredet. Die gesellschaftliche Folge sind verstärkte Diskriminierung und Ausgrenzung. Das sind die Menschen – besonders die Roma – bereits aus ihren Herkunftsländern gewohnt.

Einwanderer-Kultur(en) sichtbar werden lassen

Nun findet vom 18. September - 21. September 2014 unter der Schirmherrschaft von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft das erste Roma-Kulturfestival „DJELEM DJELEM" in Dortmund statt. „Djelem, Djelem“ ist der Name der internationalen Roma-Hymne. Man kann es mit „Ich gehe“ übersetzen.

Die Veranstalter AWO UB Dortmund , das Theater im Depot, das Kulturdezernat der Stadt Dortmund, Terno Drom/ MIGoVITA unter Beteiligung der Auslandsgesellschaft NRW, des Quartierbüros Nordstadt und des Planerladens möchten an unterschiedlichen Orten in der Nordstadt Einwanderer-Kultur(en) sichtbar werden lassen und Willkommenskultur fördern.

Podiumsdiskussion

Gestern Abend war zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Roma im Gespräch – Lebensweg und Selbstorganisation“ in den Großen Saal der Auslandsgesellschaft Dortmund geladen. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf dem Podium hatten u.a. Platz genommen Sami Dzemailovski (MIGOViTa; Terno Drom e. V.), eine Vertreterin des Freundschaftsvereins der Neuzuwanderer Dortmund e.V., Ismeta Stojkovic (Terno Drom e.V.) und Mirza Demirovic (AWO Streetwork). Die Moderation besorgte Johanna Esch (WDR Funkhaus Europa). Übrigens erwies sich die Moderatorin geradezu prädestiniert für das Thema des Abends. Hatte sie doch an der Universität Dortmund beim Journalistikstudium eine Arbeit über Roma und Sinti verfasst. Kollegen, so Esch, hätten sie damals noch ob der Wahl des Themas belächelt.

Musikalisch stimmte „The Old Bridge“ auf das Thema ein.

Stadtdirektor Jörg Stüdemann: Festival war längst überfällig

Dortmunds Stadtdirektor Jörg Stüdemann erinnerte in einer kurzen Ansprache daran, dass Zuwanderer ein große eigne Kultur mitbrächten. Sowie spannende Ergebnisse oder Kenntnisse aus Bulgarien und Rumänien – dem Balkan, von dem man nur träumen könne. All das sei nicht mehr gesehen worden. Eigentlich sei dieses „Festival längst überfällig“ gewesen. In Bezug auf die Zuwanderung käme es darauf an, „Veränderung der Wahrnehmung einzuläuten und einzuleiten“. Dortmund sei immer schon Einwanderer- und Ankunftsstadt gewesen. Stüdemann meinte, wenn wir als Stadtgesellschaft mit 170 bis 180 verschiedenen Nationalitäten würdevoll umgehen wollen, dann sei es notwendig, die Gäste die kommen oder in Zukunft hier leben wollen, würdevoll behandeln. „Und nicht unter fiskalischen, sozialstatistischen, sozialarbeiterischen Wahrnehmungen allein betrachten“. Das Kulturfestival solle zur gegenseitigen Begegnung beitragen. Das Wichtigste solle die Botschaft sein, „dass in Dortmund niemand Sorge haben muss, oder Angst haben muss, wenn er sagt, ich bin Rom. Ich komme von Rumänien, Bulgarien und ich bin Rom. Ich muss nicht sagen, ich bin Bulgare, Rumäne. Ich kann sagen, ich bin Rom und ich bin stolz drauf.“

Stüdemann regte an, auch politisch darauf hin zu wirken, dass Situationen „fürchterlicher Diskriminierung“, die Herkunftsländer in denen Roma leben mit heraufbeschworen haben, sodass Rom und Roma aus diesen Ländern auf die Wanderschaft gegangen sind, einer Veränderung abgestellt würden. Das seien „keine tragfähigen Zustände für die europäische Gemeinschaft. Sie sind zum Teil skandalös.“

Gerda Kieninger): Herkunft, der Glaube oder die Weltsicht eines Menschen nicht ausschlaggebend für das gleichberechtigte Leben aller Menschen in Deutschland

Die SPD-Landtagsabgeordnete Gerda Kieninger (Arbeiterwohlfahrt) ging es in ihrer Rede darum, dafür zu werben, dass eine über viele Jahrhunderten in Europa lebende, vielfach verfolgte, unterdrückte und - „leider auch und immer noch in Deutschland“ - unterdrückte Minderheit wie die Roma in Dortmund willkommen zu heißen. Wir wüssten, so Kieninger, über keine Minderheit in Europa so wenig wie über die Roma. „Gleichzeitig haben wir gegenüber keiner Bevölkerungsgruppe mehr Vorurteile.“ Dabei seien diese Menschen wie wir Europäer und Teil unserer Gesellschaft und sollten auch genauso behandelt werden. Der Arbeiterwohlfahrt sei wichtig, „dass die Herkunft, der Glaube oder die Weltsicht eines Menschen nicht ausschlaggebend für das gleichberechtigte Leben aller Menschen in Deutschland sein wird.“

Eine Angehörige der Roma aus Rumänien, die nach Spanien gegangen, dort Arbeit gefunden, aber durch die Wirtschaftskrise wieder verloren hatte, erzählte, dass sich nun in Dortmund schon wohlfühle, jedoch durchaus Vorbehalte gegenüber ihr spüre. Beispielsweise in der Form, dass bei vorbeifahrenden Autos die Knöpfe der Türen heruntergedrückt würden. Die Frau wies daraufhin, dass Respekt in der Roma-Kultur eine große Rolle spiele.

Die Sprache der Roma ist Heimat

Ismeta Stojkovic, studierte Philologin, von Rom e.V. aus Köln, schilderte, dass ihre Roma-Herkunft während ihrer Zeit in Jugoslawien eigentlich keine Rolle besondere gespielt habe. Sie habe auch nicht gesagt, dass sie Roma ist. Und keiner habe auch gefragt. Es sei nicht so wichtig gewesen. Später habe sie das bearbeitet. Mitschüler jedoch hätten damals jedoch nie gedacht, dass sie sich zum Studium in Belgrad anmelden würde. Heute sei sie stolz eine Roma zu sein. Bei der Arbeit etwa mit Jugendlichen Roma heute werde sie als Vorbild gesehen: „Auch eine von uns kann es schaffen.“ Da die Roma in Staatsform keine Heimat hätten, sei sozusagen ihre Sprache Romanes die Heimat der Roma. Auf die Frage der Moderatorin Johanna Esch, ob denn der Wunsch nach einem eignen Staat da sei antwortete Ismeta Stojkovic: „Ich wünsche mir so was, aber halte das in jetziger Zeit nicht mehr machbar.“

Dankenswerterweise sprach die Moderatorin die bedauerliche Tatsache an, dass während des Nationalsozialismus in Deutschland 500000 Sinti und Roma ermordet worden waren.

Sami Dzemailovski: „Sichtbarkeit der Roma“ unabdingbar

Sami Dzemailovski, der als Siebenjähriger mit seinen Eltern, Gastarbeiter, darauf angesprochen – sie waren damals gar nicht einmal solange nach dem Ende des Krieges – in den 1960er Jahren - nach Westdeutschland gekommen, schilderte, die damaligen Vorbehalte. „Ja, da war doch was. Die Deutschen fahren mit Panzern rum ...“ Aber dann, als sie in Westdeutschland waren, sahen sie, dass die Leute Hüte anstelle von Stahlhelmen trugen und auch nicht Panzern herumfuhren. Und beruhigten sich. Sami Dzemailovski erzählte, seine Familie hätte sich anfangs nicht als „Roma geoutet“. Man war eben Jugoslawe.

Die Eltern vergatterten ihn, sagten: „Du bist Mohammedaner.“ Acht, neun Kinder seien sie in der Schule gewesen, die voneinander wussten, dass sie Roma sind. Aber den anderen hätten sie das nicht gesagt. Bis ungefähr 1990 sei das so gewesen. Bis die ersten Flüchtlinge aufgrund der Jugoslawien-Kriege gekommen seien. Die geflüchteten Roma engagierten sich für ihre Rechte. Dzemailovksi: „Wir haben dann nachgezogen.“ Man outete sich. Dzemailovsci findet das auch nötig. So sähen etwa Roma-Jugendliche heute, dass Angehörige ihres Volkes normal arbeiteten, lernten und studierten. Schon jahrzehntelang einen Platz in der deutschen Gesellschaft gefunden hätten, ein Teil der Gesellschaft seien.

Der mit Verve engagierte Sami Dzemailovksi hält die „Sichtbarkeit der Roma“ für unabdingbar. Seine Mutter ist wohl nicht so begeistert, sie halte ihm sein exponiertes Auftreten als Rom öfters vor. Eine Veränderung des Verhaltens der Menschen gegenüber den Roma hält der Mann für möglich. Freilich wüsste er aber auch, dass jahrhundertealte gepflegte Vorurteile nicht von heute auf morgen verschwänden. Er hofft jedoch, dass irgendwann einmal nicht mehr betreffs der Roma nur immer nur ausschließlich von „Armutszuwanderer“ und „Problemfällen“ die Rede sein werde.

Mirza Demirovic – Man versucht zu helfen, wo man kann

Etwa 5000 Menschen aus Bulgarien und Roma leben augenblicklich in Dortmund. Wovon freilich längst nicht alle der Minderheit der Roma angehören. Streetworker Mirza Demirovic berichtete von den Nöten der in Dortmund aus unterschiedlichen Gründen angelandeten Menschen. Sie auf der Straße leben, eine Stelle zum Schlafen oder auch medizinische Hilfe suchen. Betroffen sind auch Kinder. Kinder, die bürokratisch betrachtet „gar nicht da sind“ und infolgedessen nicht in der Schule untergebracht werden könnten. Oft würde zudem auch gefragt, wo man Deutsch lernen könne. Auch Kinder zeigten sich ausdrücklich lernbegierig. Man versucht in jedem Fall zu helfen, wo man kann.

Die Vertreterin des Freundschaftsvereins der Neuzuwanderer Dortmund e.V., die eine Bulgarin der dortigen türkischen Minderheit mitgebracht hatte, zeigte auf, wie zum Beispiel Frau Hakan sich gerade auch mit ihren Sprachkenntnissen sehr nützlich für die Vereinsarbeit erweisen. Allein schon die Tatsache, dass Zuwanderer oft mehrere Sprachen sprächen erbrächte einen Beweis dafür, dass sie nicht nur als Problemfälle kämen, sondern auch Nützliches für die Aufnahmegesellschaft mitbringen.

Integration ist keine Einbahnstraße

Und eines zeigte die Podiumsdiskussion und die anschließende Frage-Antwort-Runde im Anschluss ebenfalls auf: Integration ist keine Einbahnstraße. Unter der Einbeziehung der Neuzuwanderer und ihrer Vereine mit Empowerment und Selbstorganisation muss sich die Gesellschaft intensiver beschäftigen. Vorbehalten und Berührungsängsten sollten positive Beispiele entgegengestellt. Dortmund stellt sich den Herausforderungen. Längst hat die Stadt, haben entsprechende Hilfsorganisationen Mittel und Wege gefunden, einen vielleicht noch als bescheiden zu bezeichnenden Anfang gemacht, die Sorgen und Nöte – die Wünsche – der Zuwanderer einerseits verstehen zu versuchen und andererseits begonnen, Wege hin zu einer Willkommenskultur gestalten. Fakt ist: Andere Städte schauen bereits auf Dortmund, um vielleicht dort nützliche Anregungen für das künftige eigene Handeln zu finden.

Das erste Roma-Kulturfestival endet am Sonntag mit dem polnischen Film „Papusza“

Noch bis zum kommenden Sonntag wird es im Rahmen des ersten Roma-Kulturfestivals Fortbildungsveranstaltungen für Fachkräfte aus dem sozialen Bereich über Musik, Theater und Film bis hin zum Familienfest auf dem Nordmarkt geben. Mehr Informationen hier. Ein thematischer Filmabend im Sweet Sixteen Kino im Depot wird am Sonntag das Festival abrunden. Zu sehen sein wird der Film „Papusza“ von Joanna Kos-Krause und Kizysztot Krause (Polen 2013).

Schon gestern nach dem Ende der Veranstaltung in der Auslandsgesellschaft Dortmund – bei einem kleinen Imbiss und musikalischer Begleitung von „The Old Bridge“ - sowie diversen persönlichen Gesprächen dürfte ein Wunsch stark im Raume gestanden haben: Möge dieses erste Roma-Kulturfestival in Dortmund keine Eintagsfliege bleiben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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