Dortmund: artscenico ist 25!

Freie Theaterszene In einem Vierteljahrhundert waren 700 Akteure an den einzelnen Kunstprojekten beteiligt! Rolf Dennemann stellte gestern die kommenden Produktionen für 2016 im Depot vor

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Stürmisch ging es zu an diesem Rosenmontag. Auch in Dortmund. Dennoch waren zahlreiche Menschen dem Ruf „ARTSCENICO MEETS KÜNSTLER MEETS PUBLIKUM 2016“ ins Theater im Depot gefolgt. Diesmal gab es neben der Vorstellung des neuen Programms einen ganz besonderen Anlass: Im Jahr 2016 besteht artscenico künstlerisch 25 Jahre.

Das bedeutet 25 Jahre Innovation und Kontinuität, künstlerische Unabhängigkeit, Kooperationen mit Künstlern aus allen Bereichen - 25 Jahre internationale Projekte. Nicht nur ein Grund darauf zurückzublicken, sondern auch einer zum Feiern. Nach einer eigenwillig-frappierenden Performance („Wir denken uns einen Apfel“) von und mit Frank Niehusmann zu dessen von ihm komponierter elekronischen Musik und im Zusammenspiel mit Partnerin Anna Dimpfl, begrüßte Matthias Hecht, freier Schauspieler und langjähriges artscenico-Mitglied, die Zuschauer. „Vor 25 Jahren“, so Hecht, habe „artscenico entschieden, sich mit seiner Kunst, seiner Arbeit zu nomadisieren“. Nomade. Das habe aber nichts mit dem Wort Made zu tun. Immerhin stehe ja das Wort „No“ davor! „Und zum anderen habe diese spezielle Form der Kunst tatsächlich höchstwahrscheinlich und überhaupt nichts mit dem Zustand zu tun, den eine Made sehr wahrscheinlich erreicht, wenn sie sich im Speck wälzt“, kalauerte Matthias Hecht weiter.

Ein entzückter Rolf Dennemann dankt dem Theater im Depot und der Stadt

Rolf Dennemann, freischaffender Künstler, Regisseur, Festivalleiter, Schauspieler, Autor Gründungsmitglied von artscenico, zeigte sich „entzückt“ angesichts des zahlreich erschienen Publikums, konstatierte, Matthias Hecht sei schick angezogen, während er „schlonzig“ daherkäme. Dennemanns Dank galt dem gastgebenden Theater im Depot und dessen Leiter Berthold Meyer für die lange fruchtbare Zusammenarbeit. Und kam dann auf die Stadt Dortmund zu sprechen, ohne deren maßgebliche Unterstützung, artscenico nicht das wäre, was es ist. Mit herzlichem Dank begrüßte Rolf Dennemann Stadtdirektor Jörg Stüdemann.

Stadtdirektor Jürg Stüdemann charakterisiert artscenico: „Spektakulär ist der Anspruch und spektakulär ist der Gestus. Aber eben jenseits großsprüchiger, großspuriger Ankündigungsrhetoriken“

Stüdemann strich in seiner Grußansprache hervor, dass das 25-jähriges Bestehen eines Akteurs der Freien Theaterszene wie artscenico eine unglaublich lange Zeit sei. Ein solcher Zusammenschluss wie dieser sei etwas Besonderes, weil „Städte übergreifend, international ausgerichtet und lokal verankert“. Um Rolf Dennemann zu skizzieren erinnerte Stüdemann an einen Welt-Artikel von Stefan Keim aus dem vergangenem Jahr. Darin hatte Keim Rolf Dennemann als „eine stille Größe im Revier“ charakterisiert. Stüdemann: „Stille Größe meint nicht Abschätziges, sondern“ Dennemann „sei unprätentiös, humorvoll, experimentierfreudig und ein leutseliger Kommunikator, auch was die internationalen Bezüge der Performance“ anbelange. Zudem treffe auf artscenico zu, dass es „überhaupt nicht marktschreierisch“, sondern mit viel Raffinesse und Mut unterwegs ist. Viele Menschen würden angesprochen, wirkten gar oft selbst in Kunstprojekten mit. Soziale Milieus würden durchstöbert. „Spektakulär ist der Anspruch und spektakulär ist der Gestus. Aber eben jenseits großsprüchiger, großspuriger Ankündigungsrhetoriken“. Man könne sagen: „Groß in der Stille mit feinsinnigen Verrücktheiten“. Gewundert habe Stüdemann zuweilen, dass artscenico so große Sympathie in der Gesellschaft und den Medien genieße. Selten hätte er Menschen über artscenico schimpfen hören. Während bei ihm schon einmal Briefe eingingen, die die Forderung enthielten, bestimmten Erscheinungen im Kulturbetrieb doch jetzt mal den Geldhahn abzudrehen. Und ein kleines, doch sicher nicht unbedeutendes Geburtstagsgeschenk hatte Jörg Stüdemann dann doch mitgebracht: Es müsse betreffs des nächsten Haushalts der Stadt darüber nachgedacht werden, artscenico in der städtischen Förderung etwas stärker zu bedenken. Rolf Dennemann bekannte, „das ginge runter wie Öl“.

In den vergangenen 25 Jahren waren 700 Akteure an den einzelnen Kunstprojekten von artscenico beteiligt

Bereits im Gründungsjahr 1991, erinnerte sich Rolf Dennemann, sei es gelungen, viele Einzelkünstler aus aller Welt zu sich einzuladen und innerhalb von vier Wochen im fertigen Bühnenbild ein Stück zu inszenieren. Es folgten zwei Blocks schneller Videozusammenschnitte von beachtenswerter artscenico-Produktionen des zurückliegenden Vierteljahrhunderts des Kunstprojektes. Laut Rolf Dennemann waren in den vergangenen 25 Jahren 700 Akteure sowie Künstlerinnen und Künstler an den einzelnen Kunstprojekten beteiligt gewesen.

Originell und kreativ auch die zum Jubiläum eingesandten, an diesem Abend im Depot gezeigten Glückwunschvideos von Künstlerinnen und Künstlern, welche bislang bei artscenico aktiv waren. Sie erreichten Dortmund u.a. aus Dänemark, aus der Türkei, aus Litauen sowie aus Polen.

Karnevalistischer Ausritt Nummer 2 und mit leckerer Tomatensuppe durch die Pause

Nach dem karnevalistischen Ausritt mit dem Bild von der Made eingangs, sollte nun kurz vor der Pause ein weiteres Arrangement folgen. Zu diesem Behufe machte sich artscenico ein Erinnerungsbild (Fotos) von den Zuschauern, die lustige kleine bunte Hütchen verpasst bekamen. Selbst die Pause wurde nach den künstlerischen Genüssen des ersten Teils zu einem Genuss – nämlich einem kulinarischen: Leckere Tomatensuppe.

50 Menschen“ vielleicht beim Festival FAVORITEN

Rolf Dennemann tat gut daran im zweiten Teil noch einmal an das sehr außergewöhnliches Projekt „50 Menschen“ (als lebende Exponate“, die sich freiwillig ausstellen und von anderen Menschen betrachten ließe (nordstadtblogger berichteten). „Dass war eine sehr irritierende Veranstaltung“, befand Dennemann. Es könne sein, dass diese Produktion beim Festival FAVORITEN, dabei sein werde. Ein zwölfminütiger begeisternder Film über das Projekt fand den Beifalls des Depot-Publikums. Kurze Tanzsoli von Roberta Storelli (Italien), Nikos Konstantakis (Griechenland) fanden begeisterte Beachtung des Publikums.

Die Produktionen 2016:

Die Messe“

Lob und Rolf Dennemann galt dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die die Organisation bravourös stemmten. Des Weiteren erinnerte der artsenico-Leiter an die Kunstaktion „Missing Links“: „Märchen und anderer Wahnsinn für Erwachsene“. Was „sehr dunkel“ und „seelentief“ daherkommen war. In diesem Jahr, informierte Dennemann, werde Ende Mai die erste Produktion im Theater im Depot „Die Messe“ sein. Diese Messe werde im Zuschauerraum des Depot „im wahrsten Sinne des Wortes zelebriert“. „Ein Ritual. Dunkel, verstörend, böse, komisch“ solle diese Nachfolgeproduktion (mit Tanz, Schauspiel und Gesang) von „Missing Links“ werden. „Über alle Themen der Welt“ über die wir uns alle Sorgen machten.

Sperrzone“

Für den Sommer 2016 wurde eine Koproduktion, „Sperrzone“ betitelt, mit „bodytalk“ (Köln/Bonn) angekündigt. Das werde auf einer Brache in Dortmund und einer weiteren im Kölner Raum stattfinden. Das Problem jedoch, bedauerte Dennemann, „dass wir diese Brache in Dortmund eigentlich noch gar nicht haben“. Dennemann klagte, entweder gehörten in Frage kommende Brachen in Dortmund einem großen Industriekonzern oder einem bekannten Eisenbahnunternehmen, oder es seien dort Logistikunternehmen ansässig bzw. geplant. Beziehungsweise „irgendein Quakfrosch“ - vor welchem er als Naturfreund natürlich Respekt habe – wohne in dem Grün und man dürfe dort kein Lärm machen. Aufruf von Rolf Dennemann: Wer in Dortmund eine Brache (100 mal 80 Meter) kennt, der möge sich bitte melden. Bei dem Projekt soll es grob umrissen um Heimat gehen.

Abendschule“

Für den Spätsommer avisiert ist das Projekt „Abendschule“. Es solle in einer im Betrieb befindlichen regulären Schule, mit 45-minütigem Unterricht, großer Pause und Hausmeister, spielen. Der Unterricht selbst wird inszeniert sein. Schauspieler und Tänzer sollen die Dozenten geben. Dennemann: „Jede Stunde dreht sich um Heimatkunde“.

Zwei Tanz-Soli beschlossen den Abend künstlerisch

Den hoch unterhaltsam wie informativen Jubiläumsabend von artscenico beschlossen künstlerisch zwei Tanz-Soli. Dass beeindruckend-einfühlsam vorgetragene Tanzsolo von Lim Hyunjin (Südkorea), einer koreanischen Tänzerin, sowie das im wahrsten Sinne (nämlich mit transparentem Klebeband) fesselnde Stück einer sich ausdrucksstark einwickelnden Kollegin aus Portugal.

Tulpen in die Hand und ein Schnaps der Wahl vom Haus zum Prosten aufs Haus

Zum Finale bekamen alle Zuschauer eine Tulpe überreicht. Passend gewiss auch für das 25-jährige Jubiläum von artscenico. Schließlich stehen Tulpen u.a. in der Blumensprache auch für Liebe und Zuneigung. Und noch einmal wurden Fotos zur Erinnerung an diesen schönen Abend, der ein Blick zurück nach vorn war, geschossen. Wer wollte, konnte zum Schluss noch ein Schnäpschen - wahlweise ein spanisches oder eines aus Belgrad – auf Kosten des Hauses artscenico bzw. gleichzeitig zum Prosten auf selbiges und die nächsten hoffentlich erfolgreichen 25 Jahre des agilen Kunstprojektes trinken.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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