Dortmunder Bürgerbündnis engagiert sich

UMfairTeilen Neoliberale Politik hat die Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich extrem verschärft. In Dortmund wollen Bürger das nicht länger widerspruchslos hinnehmen

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Merkel macht die Raute. Und wartet weiter zu und ab. Die Mainstream-Presse juchzt und jubelt: Deutschland geht es gut! „Wir“ waren Papst und sind Fußballweltmeister. Und wie die Märchentante GfK meint, steigt das Konsumklima überraschend. „Die“ Deutschen, heißt es via T-Online weiter, „kaufen weiter ein“. Also alles in Butter? Na, das denkt vielleicht allein der deutsche Michel. Die Wirklichkeit muss differenzierter in Augenschein genommen werden. Also runter mit der rosa Brille! Und, wie die Menschen - ihr Herz auf der Zunge tragend - im Ruhrpott zu sagen pflegen: Butter bei die Fische!

Die Spaltung in Arm und Reich kam nicht wie ein Springteufel

„Zwei Jahrzehnte neoliberale Politik hinterlassen in Deutschland längst mehr sichtbare als unsichtbare Spuren. Diese folgenreiche Politik trägt die Schuld an der voranschreitende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Wie ein Springteufel aus dem Nichts kam das nicht. Schon gar nicht ist ausufernde Armut etwas Gottgegebenes – wenn das denn irgendwer denken sollte.

Deutschlandweit liegt – so konnte man es im letzten Armutsbericht des Paritätischen lesen – auf einem Rekordniveau. Die Ruhrgebietsmetropole Dortmund liegt nach Auswertung der Daten bei den Großstädten inzwischen auf dem letzten Tabellenplatz! Die Armutsquote wurde mit dem bundesweiten Rekordwert von 26, 4 Prozent angegeben. Damit wäre jeder vierte Einwohner arm oder von Armut bedroht.“ (Soweit die Feststellung in der Einleitung zu meinem Artikel vom 12.9.2014).

Nicht alle Menschen aber gedenken dem Klassenkampf von oben, wie er seit Jahrzehnten auch hierzulande stattfindet wie die von Brecht erwähnten Kälber zu, die sich ihre Metzger auch noch selber wählen. Klassenkampf von oben: Der Milliardär Warren Buffett drückte das ja betreffs seines Landes bekanntlich so aus: „Wenn in Amerika ein Klassenkampf tobt, ist meine Klasse dabei, ihn zu gewinnen.“ (Quelle: Wikipedia)

Bündnis UmfairTeilen Dortmund wiederbelebt

Im vergangenen (Bundestagswahl-)Jahr fand, organisiert von Verbänden, Gewerkschaften und unterstützt von Kirchen und Teilen der Opposition eine große UmfairTeilen-Kampagne statt. In diesem Jahr ist es in dieser Hinsicht sehr still geworden. Dabei ist diese bedenklich Entwicklung der Umverteilung von unten nach oben keineswegs gestoppt. Im Gegenteil: „In vielerlei Hinsicht künden die sichtbaren oder verborgenen gesellschaftlichen Missstände davon, dass es bereits fünf nach zwölf ist. Weshalb sich ein „Bündnis UMfairTeilen“ in Dortmund vorsichtig, aber entschlossen solidarisch zusammen wirken wollend, aktuell wiederbelebt hat. Dessen Ziel: vor Ort für eine gerechtere Gesellschaft zu wirken. Heißt konkret, eine Umkehrung der Entwicklung der Umverteilung von oben nach unten einzufordern. Sowie einzutreten für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die 1997 außer Kraft gesetzt worden war.

Versammelt im Bündnis Umfairteilen Dortmund sind Vertreterinnen und Vertreter aus linken Parteien, von Gewerkschaften, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, von Attac sowie des regionalen Straßenmagazins „bodo“. Der in Dortmund und darüber hinaus gesellschaftlich vielseitig engagierte Ingo Meyer (Bundesvorsitzender DUW (Demokratische Unabhängige Wählervereinigung hat für dieses Bündnis getrommelt und die Koordinierung entsprechender Aktionen übernommen.

Ungenierte Umverteilung von unten nach oben eine Gefahr für die Demokratie

Am 30. Oktober 2014 war es nun soweit: Ausgerechnet am Weltspartag – an dessen Stelle die Aktivisten des besagten Bündnisses eigentlich lieber einen „Weltumfairteilen“-Tag sehen würden – schlug die Gruppe ein knallrotes Zelt unweit der Sparkasse und in Sichtweite des Hauptbahnhofs der Ruhrgebietsmetropole auf. Auf den Tischen stapelte sich reichlich Informationsmaterial. Das enthielt Informationen über die ungleiche Verteilung von Vermögen in Deutschland und die weiter statthabende ungenierte Umverteilung von unten nach oben respektive betreffs der dabei entstehenden Gefahren für die Demokratie in Deutschland.

Bald“ unter die Passanten gebracht

Aktivisten verteilten darüber hinaus das Material an vom Hauptbahnhof kommende bzw. dorthin strebende Passanten reichlich Material. Darunter Ausgaben des an die Aufmachung der Bildzeitung erinnern sollenden Blattes „Bald“. Wie immer bei solchen Aktionen winkten manche Leute ab. Andere griffen im Weitergehen zu. Wieder andere blieben stehen und kamen mit Aktivisten über die Aktion ins Gespräch. Ein Pärchen mit blonden Haaren pöbelte zurück: „Wir wählen sowieso Die Rechte!“ Ansonsten aber machte das Bündnis überwiegend positive Erfahrungen. Nicht wenige Menschen traten direkt an die Informationstische heran, um im direkten Gespräch mit Bündnismitgliedern über selbstgemachte Erfahrungen betreffs der bedenklichen neoliberalen Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu sprechen. Geredet wurde über die Ausbreitung von Armut im Allgemeinen, aber gerade auch unter Rentnern. Und auch darüber, wie die Armut selbst im Stadtbild immer offensichtlicher wird. Beispielsweise anhand der steigenden Anzahl von Flaschensammlern.

Bedenkliche Entwicklung aus erster Hand geschildert

Ein Hartz-IV-Empfänger, selbst zeitweise engagiert in der Kana-Suppenküche unweit des Dortmunder Nordmarktes, kritisierte die zunehmende Übernahme von Wohnhäusern durch ausländische Käufer in der Nordstadt jenseits des Hauptbahnhofes. Nicht selten, so bemerkte der selbst einst aus der Sowjetunion eingewanderte und in besseren Dortmunder Zeiten in der Stahlindustrie vollbeschäftigte Mann mit in einem Zopf übergehendem grau gewordenem Haar, pferchten die neuen Besitzer der Immobilien Arbeitsmigranten aus Bulgarien oder Rumänien zu Mehreren in eine Wohnung. Oft verlangten sie pro Mann und Matratze 150 Euro von diesen armen Menschen. Die wiederum erführen den Hass der einstigen prekär lebenden Ansässigen. Weil sie um ihre bescheidenen Pfründe im Viertel fürchteten. Zumeist Menschen mit türkischem Hintergrund. Eine gefährliche Entwicklung, meinte der Mann. Einer werde gegen den Anderen ausgespielt. Kapitalismus pur. Das Ergebnis: Vielleicht ein Pulverfass, das dereinst einmal hochgehen werde. Heute träfe der Mann mit dem Zopf bei der Essensausgabe in der Kana-Suppenküche oft auf 300 Hilfebedürftige am Tag. Zum Vergleich: Anfang der 1990er waren es meist weit weniger als 40 Menschen. Es kämen Zugewanderte auch aus Russland mit weder hinten noch vorne reichenden Altersbezügen, die fassungslos über die vorgefundenen Zustände in Deutschland, jedoch froh über eine warme Mahlzeit bei Kana sind.

Im Grunde, so kommt es manchen Bürgern vor, die sich am Infozelt kundig machten, muss diese Entwicklung gewollt sein. Denn, würde herrschende Politik sonst nicht verantwortungsvoll gegensteuern?

Man lacht und unterschreibt doch

Manche der Vorbeigehenden ist sofort zu einer Unterschrift zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer bereit. Andere wiederum zögern. Verständlich: Wer gibt heute schon gerne seine Adresse irgendwo an? Ein Aktivist scherzt auch noch: „Damit wir wissen, wohin der neue Kühlschrank geliefert wird.“ Man lacht und unterschreibt dann doch.

Einführung der Vermögenssteuer notwendig

Wie nötig u.a. die Wiedererhebung der Vermögenssteuer ist, davon ist auch die Rede im hervorragend recherchiertem Sachbuch „Wem gehört Deutschland?“ von Jens Berger. Ja, wem gehört eigentlich Deutschland? So genau kann (oder will) uns das gar niemand sagen. Deswegen haben es die Regierenden wohl auch nicht so mit der Einführung einer Vermögenssteuer. Warum? Man könne, heißt es dann, Vermögen verdammt schwer erfassen. Oder will man nicht?

Absatz finden die Informationsmaterialien. Besonders empfehlen die Umfairteilen-Aktivisten eine anschaulich gestaltete Broschüre der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, ver.di. Sie verdeutlichte die für Demokratie und Gesellschaft unselige Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte samt der konkreten Auswirkungen äußerst anschaulich.

Ein Buch zieht die Blicke der Passanten auf sich

Selbiges tut auch ein von der 2009 aus der CDU ausgetretenen Annegret Meyer gestaltetes großes Buch, das die Blicke der Passanten auf sich zieht.

Positives Fazit

Ingo Meyer zieht nach der gut zweistündigen UmfairtTeilen-Aktion an diesem Tag in der Dortmunder Innenstadt oberhalb der Katharinentreppe ein positives Fazit: Das Bündnis sei zwar zunächst bescheiden, aber doch mit viel Engagement der eingezogenen Aktivisten erfolgreich wiederbelebt worden. Es habe auf sich aufmerksam gemacht und sei durchaus auch überwiegend wohlwollend und von den Bürgerinnen und Bürgern mit Interesse aufgenommen worden. Nichtsdestotrotz sei aber künftig noch viel zu tun, um für die für Demokratie und Gesellschaft – auch über Dortmund hinaus – unverzichtbare Umverteilung von oben nach unten, einschließlich der Forderung nach Wiedereinführung der Vermögenssteuer zu tun.

All dies wolle man kämpferisch entschlossen, jedoch unverbissen und ideologiefrei weiter ins Werk setzen. Und zwar mit allen demokratischen gesellschaftlichen Kräften zusammen, die die Notwendigkeit dazu erkannt hätten. Dabei sei verstärkt die Information über das Anliegen des Bündnisses für Umfairteilen an erste Stelle zu setzen.

Angesichts des in dieser Hinsicht – was eine kritische Berichterstattung anlangt - zunehmend versagenden Medien sei das unverzichtbar und dringend nötig. Konstatieren müsse man im Rückblick, dass die Mainstream-Medien über die Jahre hinweg in nicht geringem Maße sehr aktiv daran beteiligt gewesen sind, die neoliberale Politik als quasi alternativlos darzustellen.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ...

Mag Merkel weiter die Raute machen. Und zu und abwarten. Die Mainstream-Presse juchzen und jubeln: Deutschland geht es gut. Es gibt in Deutschland sozial engagierte Menschen, die Licht in die dunkle Seite jenseits dieses Hurrapatriotismus' bringen und schon lange erkannt haben, dass die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich letztlich die Demokratie zerstören wird. Und deshalb die Umverteilung von unten nach oben gerechte umgekehrt werden muss. Deshalb unternehmen sie etwas. Und sie suchen sich Verbündete dafür. So wie gestern in Dortmund. Sie lassen sich durch nichts und niemanden eine rosa Brille verpassen. Ihr Kampf, ihr demokratisch-soziales Engagement ist mühselig, gewiss: Jedoch lehnen sie die Rolle des braven obrigkeitshörigen deutschen Michel kategorisch ab. Sie gedenken nicht wie die allerdümmsten Kälber auch noch ihren Schlächter selber zu wählen. Sie verstehen ihre Rolle u.a. auch als Wachrüttler des deutschen Michel. Wird der aufwachen? Ein paar von ihnen vielleicht. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. "Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns // Vor uns liegen die Mühen der Ebenen“, schrieb Bertolt Brecht. Wie resümierte Ingo Meyer gestern: „Die in toto durchaus erfreulichen Reaktionen auf unsere heutige Aktion macht Mut unsere Ziele kämpferisch weiterzuverfolgen.“

Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“: Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
(…) Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“

Den Neuanfang zum UmfairTeilen haben die Dortmunder Aktivistinnen und Aktivisten gewagt. Das rote Zelt ist wieder angebaut. „Auf ein Neues, bald!“, versprach Ingo Meyer zum Abschied. Und allmählich hielt der Abend Einzug in Dortmund ...

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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