Durch die Hecke zu furzen reicht nicht

Aktionstag in Europa In vielen Ländern Europas sind heute Generalstreiks angesagt. In Deutschland sind immerhin Solidaritätsaktionen geplant.

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In vielen europäischen Ländern werden Aktionen gegen die einseitige Sparpolitik zu Lasten der Arbeitenden, der Rentnerinnen und Rentner sowie der Jugend durchgeführt. In vielen Ländern Europas wird es am Mittwoch Generalstreiks geben. In Deutschland hingegen sind immerhin Solidaritätsaktionen in mehren Städten geplant. Zum Aufruf zum Generalstreik fehlt dem deutschen Gewerkschaftsdachverbund DGB der Mumm. Schließlich haftet dem politschen Streik hierzulande der Ruch des Verbotenen an. Andererseits ist die Frage, ob, wenn es anders wäre, überhaupt genug Deutsche bereit wären, einem solchen Aufruf zu folgen.

Solidaritätsaktionen sind aber schon einmal besser als gar nichts. Eine solche wird es am Mittwoch auch in Dortmund geben. Treffpunkt ist 15.00 Uhr an der Betenstraße, Ecke Alter Markt im Zentrum der Ruhrgebietsmetropole.

Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat den 14.11.2012 zum Europäischen Aktionstag ausgerufen

http://dortmund-hellweg.dgb.de/++co++fd1ecaf0-2cc2-11e2-a06b-00188b4dc422/scaled/size/642(via EGB)

„Die weltweite Finanz- und Wirtschftskrise dauert mittlerweile fünf Jahre. Vor allem in Südeuropa leiden die Menschen unter einer Krise, die sie nicht verschuldet haben. Es sind immer in erster Linie die Arbeitnehmerinnen und Arbeiter, welche die Last der Krise zu tragen haben – während die Krisenverursacher in den Finanzzentren und die Besitzer großer Vermögen ungeschoren davonkommen. Das lässt uns nicht kalt!“, resümiert die Vorsitzende der DGB-Region Dortmund-Hellweg, Jutta Reiter, die am Mittwoch auf der Kundgebung in der Dortmunder City reden wird.

Der EGB hat für den 14. November zu einem “Europäischen Aktionstag” aufgerufen. Der europäischen Dachverband der Gewerkschaft mit Sitz in Brüssel weiß: “Die einseitige und rigorose Sparpolitik verschärft die Krise und führt zu unzumutbaren Belastungen für die Beschäftigten. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze, wenn sie diese nicht schon verloren haben. Die Arbeitslosigkeit steigt kontinuierlich und vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit ist eine schwere Hypothek für die betroffenen Länder. Löhne werden gesenkt, Arbeitnehmerrechte ausgehebelt, Sozialleistungen und Renten werden gekürzt – obwohl die Menschen den sozialen Schutz in der Krise mehr denn je brauchen.”

Jutta Reiter, Chefin vom DGB Dortmund-Hellweg betont: „Die DGB-Gewerkschaften wissen, die Krise macht nicht vor nationalen Grenzen halt. Wir verurteilen die Angriffe auf die Tarifaufonomie und den Abbau von Arbeitnehmerrechten in Europa. Wir brauchen nicht weniger Rechte, nicht weniger Schutz für die Beschäftigten, sondern mehr Demokratie, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit – auch bei uns. Statt Europa kaputtzusparen, brauchen wir solidarische Krisenlösungen und ein Programm für Wachstum und Beschäftigung. Darum setzen wir uns gemeinsam ein für ein faires, demokratisches und soziales Europa und übermitteln den Kolleginnen und Kollegen in Spanien, Griechenland, Irland und Portugal unsere Solidarität. Unsere Solidarität übermitteln wir insbesondere jenen Kolleginnen und Kollegen, die uns in der Krise aus Griechenland, Portugal und Spanien besucht und uns über ihre Situation informiert haben,“, so Jutta Reiter.

Versäumnisse der Gewerkschaften

Vorweg: Die Soliaktionen morgen in Dortmund und anderswo in Deutschland sind richtig und wichtig. Nicht vergessen dürfen wir jedoch, dass die deutschen Gewerkschaften, für die Sozialkürzungen und so genannten Reformen in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung unter dem “Genosse der Bosse” ebenfalls nicht wenig Verantwortung an der heute zu beklagenden gesellschaftlichen Verwerfung tragen. Und zwar aus dem Grunde, weil sie nicht oder so gut wie gar keine Gegenwehr geleistet haben. Entweder weil sie die Folgen dieser “Reformen” damals nicht begriffen, oder ihnen einfach die Kraft fehlte, dagegen zu mobilisieren. Schließlich sind die Gewerkschaften in den letzten zwei Jahrzehnten stark geschwächt worden. Unter den Tisch wollen wir keinesfalls fallen lassen, dass es dennoch Widerstand von mutigen Politikern und Gewerkschaftern gegen Agenda 2010 gegeben hat. Der Sozialpolitiker Ottmar Schreiner könnte (hier stellvertretend für andere Mutige in der SPD genannt) ein trauriges Lied darüber singen. Seine Einwände wurden nicht nur einmal brüsk abgebürstet. Ursula Engeler-Kefer (kürzlich schrieb sie darüber) musste sich vom Brioni- und “Hol-mir-mal-ne-Flasche-Bier!”-Kanzler Gerhard Schröder ob der von ihr geäußerten Kritik gar als Frau Quengelen-Kefer verspotten lassen.

Eher fünf nach zwölf

Warum jetzt der Verweis darauf? Ganz einfach: Es heißt ja schließlich in einem Kampflied: “Vorwärts und nicht vergessen!” Aber wollen die deutschen Gewerkschaften nun wirlich (endlich!) vorwärts, Statt das soziale rollback neoliberal infizierter Politiker an den Marionettenschnüren der “Dikataur des Finanzkapitalismus” (Stéphane Hessel) nur sanft abfedernd zu begleiten, wie bislang? Weil sie vielleicht nicht vergessen und (endlich!) verstanden haben? Man möchte es ihnen wirklich nur all zu gern glauben. Denn es wäre dringend nötig! Meines Erachtens steht die Uhr nämlich bereits eher schon fünf nach, als noch auf fünf vor zwölf!

Rainer Kahnis Skepsis

Oder müssen wir Tage nach den sicherlich kritisch tönenden Reden aus den Mündern diverser Gewerkschaftsfunktionäre auf mehrern deutschen Straßen und Plätzen am morgigen Mittwoch abermals bitter konstatieren: Viel heiße Luft und kein Bums dahinter? Der in Frankreich lebende Schriftsteller Rainer Kahni (Monsieurrainer) scheint genau das zu befürchten. Er kann sich auf langjährige Erfahrungen als Journalist und Kriegsreporter stützen und sich dementsprechend lebensweise äußern, ohne sich da noch sonderlich irgendwelchen Illusionen hinzugeben. Heute urteilt er auf Facebook nüchtern-skeptisch:

“Folgendes wird geschehen: In den südlichen Ländern wie Portugal, Spanien, Italien und Griechenland wird es morgen zu landesweiten Generalstreiks gegen das einseitig zu Lasten des Volkes gehende Sparpacket kommen. Mit Sicherheit wird es dazu in Deutschland nicht kommen und das hat mehrere Gründe: a) es gibt kein Sparpaket der deutschen Bundesregierung an ihrem Haushalt; es werden weiter munter Schulden gemacht! b) Es gibt keine ernstzunehmenden deutschen Gewerkschaften, die in der Lage wären, einen solchen Generalstreik zu organisieren! c) Es gibt trotz grosser Armut und grossem Unrecht in Deutschland zu wenig Menschen, die bereit wären, sich mit diesen geknechteten Menschen zu solidarisieren!”

Offene Antworten

Die einstige linke Landtagsabgeordnete Heidelinde Penndorf ist mit Rainer Kahni auf Facebook befreundet. Sie schrieb vor einiger Zeit einen Offenen Brief an die Vorstände der deutschen Gewerkschaften sowie an den EGB in Brüssel. Darin erbat sie eine Stellungnahme betreffs der von den Gewerkschaftenspitzen begangenen Unterlassungen, um etwa prekärer Arbeit und Sozialabbau entgegenzuwirken. Soviel mir bekannt ist, erhielt Penndorf bis dato nicht eine einzige Antwort aus den jeweiligen Gewerkschaftszentralen auf ihr Schreiben! Hier finden Sie den Offenen Brief via Readers Edition.

Den Gewerkschaften ins Stammbuch: “Um ´nen Acker umzubrechen reicht es nicht, durch die Hecke zu furzen.“

Mit diesem Wissen als Hintergrund kann man verstehen, dass langjährige Gewerkschafter und sogar Funktionäre den Gewerkschaften ernüchtert und desilluioniert den Rücken kehren. Ein solches Beispiel ist Volker Bräutigam. Den Gewerkschaften schrieb er, der in jungen Jahren begeistert in die Gewerkschaft eingetreten war, dick ins Stammbuch: “Um ´nen Acker umzubrechen reicht es nicht, durch die Hecke zu furzen.“ Bräutigams an DGB und ver.di gerichtetes Austrittschreiben kann hier nachgelesen werden. Es lohnt sich. Handelt es sich doch um eine gnadenlose Analyse des Zustandes und der Arbeit deutscher Gewerkschaften. Deren Zustand kann nur als äußerst jämmerlich bezeichnet werden.

Hier endet die eingeflochtene – aber m.E. nötige Schelte – der Gewerkschaften. Morgen wird es in Folge des Aufrufs des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) unter dem Motto “For Jobs and Solidarity – No to Austerity” (Mehr Beschäftigung – Nein zur Sparpolitik) in verschiedenen deutschen Städten zu Solidaritätsaktionen kommen. Beteiligen werden sich auch andere Organisationen und Mitglieder aus Parteien. In Dortmund wird das “Bündnis gegen Sparschweinereien” und “Occupy Dortmund” zur Stelle und dabei sein. Es wird ein Offenes Mikrofon angeboten.

Die Solidaritätsaktionen in Deutschland werden gewiss wohltuend in den von den Austeritätspolitik betroffenen Menschen in den südeuropäischen EU-Ländern wahrgenommen werden. Vielleicht können sie zusätzlich dafür sorgen, dass hierzulande endlich das Verstehen von wirtschaftlichen Zusammenhängen wächst. Dass es eben nicht reicht vom deutschen Stammtisch aus auf vermeintlich faule Südländer zu schimpfen. Deutschland ist nämlich an der momentanen Krise nicht nur nicht unschuldig, sondern verschärft diese auch noch, indem sie von den EU-Krisen-Ländern weitere, verschärftere Sparmaßnahmen – die, siehe Griechenland, schlussendlich nur ins Verderben führen können – fordert. Im besten Falle könnte der morgige Aktionstag im Sinne Stéphane Hessels (“Empört Euch!”) sowie Andreas Ehrholdts (“Solidarisiert Euch!”) verlaufen. Und wirken?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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