Eine Frau zum Wegschmeißen? Bulgarin einfach aus dem Fenster geworfen

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Es ist immer wieder erschütternd was Menschen Menschen antun können. Diese Woche hat ein Mann in Dortmund eine Frau aus dem Fenster im ersten Stock eines Hauses am Nordmarkt geworfen. Oder gestoßen? Es kommt auf das selbe heraus: Die Frau wurde schwer verletzt. Sie wurde sofort notoperiert. Wie gestern die "WDR-Lokalzeit Dortmund" meldete, ist die junge Frau wieder bei Bewußtsein und ansprechbar. Spätere gesundheitliche Beeinträchtigungen (Kopfverletztung) seien jedoch nicht auszuschließen.

Täter inhaftiert

Der Mann (Mieter der Wohnung, die zum Tatort wurde), der 25-jährige mutmaßliche Täter, war ein Freier. Die junge Frau, ebenfalls 25 Jahre jung, eine bulgarische Prostiuierte. Inzwischen wurde der bereits wegen einer Gewalttat (auf seine damalige Freundin war er aus Eifersucht mit einem Teppichmesser losgegegangen) vorbestrafte und erst kürzlich nach Verbüßung einer viereinhalbjährigen Jugendstrafe aus dem Gefängnis entlassene mutmaßliche Täter von der Bundespolizei im Zug im brandenburgischen Wittenberge festgenommen. Er wollte sich nach Berlin absetzen.

Aus dem Fenster "gefallen"?

Der Mann gab an, er habe das Opfer als Prostiuierte kennengelernt und in seine Wohnung mitgenommen. Er gab zu, die bulgarische Sexarbeiterin für 20 Euro mit in seine Wohnung mitgenommen zu haben. Dort sei es zu einer handfesten Auseinandersetzung gekommen, weil die Frau versucht habe, ihm sein Handy zu stehlen. Dabei hätten sich beide gegenseitig verletzt. Der Mann habe mit einer Schere auf die Hure eingestochen. Die junge Frau sei dabei aus dem Fenster "gefallen"...

Dortmunder Straßenstrich: Erst aufgerüstet, dann zugemacht

Dergleichen hatte ich sogleich vermutet, als mich die Meldung vom "Fenstersturz" das erste Mal erreichte. Der Hintergrund: In diesem Jahr hatte die Stadt Dortmund den Straßenstrich verboten und schließlich auch geschlossen. Dieser hatte sich unweit des Dortmunder Nordmarktes (des nunmehrigen Tatortes) befunden. Erst zur FIFA-Fußballweltmeisterschaft 2006 hatte die Stadt den Straßenstrich etwas aufgerüstet, um für den Ansturm der männlichen Fußballfans und der unter ihnen vermuteten potentiellen Freier gewappnet zu sein. Unter anderen wurden dort sogenannte "Verrichtungsboxen" installiert. Sie erlaubten, dass der PKW-fahrende Freier mit seinem Auto und der Prostiuierten seiner Wahl an Bord in eine der Boxen einfahren konnte. Diese war so beschaffen, dass der hinter dem Lenkrad sitzende Freier auf seiner Seite nicht aussteigen konnte. Die neben ihm zum Sitzen gekommene Sexarbeiterin aber zu jeder Zeit. Desweiteren befand sich in ihrer Reichweite ein Alarmknopf, mittels dessen sie Hilfe herbeirufen konnte. Darüber hinaus waren vor Ort in einem Container untergebracht immer Vertreterinnen einer Prostituiertenberatungsorganisation zur Stelle, an die sich die Prostiuierten mit fast all ihren Problemen wenden konnten. Auch ärztliche Hilfe wurde dort zu bestimmten Terminen angeboten.

Problem erkannt - Problem verbannt

Mit all dem war freilich nach dem rigorosen Abräumen des Straßenstrichs seitens der Stadt Dortmund Schluß. Vergebens hatten die Prostiuierten vom Straßenstrich noch eine auch von den Medien vielbeachtete Demonstration (übrigens die erste Hurendemo in der Geschichte der Stadt Dortmund) unter dem Motto "Der Straßenstrich muss bleiben - wir lassen uns nicht vertreiben" organisiert. Indes die Demo war vergebens: Der Straßenstrich ("...Problem erkannt", notierte ich damals, "Problem verbannt") wurde ersatzlos gestrichen...

Und Probleme mag es gegeben haben. Auch ich möchte das hier garnicht in Abrede stellen: Anwohner hatten sich über all zu freizügig - in "Arbeitskleidung" - durchs Wohngebiet zur ihrem Arbeitsort spazierende Sexarbeiterinnen beklagt und auch andere Belästigungen und Belastungen kritisiert. Es stimmt auch: Die Zahl der Straßenprostiuierten hatte durch den Zuzug von Frauen aus Bulgarien oder Rumänien beträchtlich zugenommen. Übrigens ein soziales Problem: Viele dieser Frauen sind schlecht gebildete und heutzutage immer stärkeren Diskriminierungen ausgesetzte Angehörige der ethnischen Minderheit der Roma im EU-Land Bulgarien. Dieses "Problem" hatte sich halt nach Dortmund verschoben, weil in Plovdiv, woher die meisten dieser Frauen stammten, die Kunde ging: in Dortmund könne frau ganz gut (auf diese Weise) verdienen.

Sexarbeit als einzige Einnahmequelle, um die Familie zu ernähren

Und bei der Demo, welche ich als Berichterstatter damals begleitete, erzählten mir einige der jungen Frauen, diese Sexarbeit sei die einzige Möglichkeit ihre Familien (oftmals mit mehreren Kindern) zu ernähren. Traurig aber leider bitter wahr. Das "Problem" ist also in erster Linie ein gesellschaftliches - und nicht zuletzt: auch ein EU-Problem.

"Ansprechverbot" und taskforcemäßiger Fahndungsdruck

Die Stadt Dortmund jedoch fragte nicht danach. Die Ratsmehrheit zog das Strichverbot knallhart durch. Nur Grüne und LINKE im Rat protestierten und machten Lösungsvorschläge. Aus den Augen aus dem Sinn? So wie kleine Kinder bisweilen denken und sich die Augen zuhalten, weil sie annehmen, man sähe sie so nicht, mochte die Stadt Dortmund gedacht haben, als sie das Straßennstrich-Verbot beschloß und schlußendlich auch durchzog. Aber konnte man so naiv sein, zu glauben, das Problem verschwände dann so einfach? Vermutet wurde zunächst, die Prostituierten würden dann in Nachbarstädte abwandern. Aber schon bald stimmte eine den einstigen Bezirkszeitungen der SED in ihren Lobgesängen auf die (zumeist verfehlte) Stadtpolitik meiner Meinung nach immer ähnlicher werdende Dortmunder Lokalzeitung sinngemäß: "Prostituierte wie vom Erdboden verschluckt - Strategie der Stadt scheint aufzugehen!" Welche Strategie? Etwa derart, nach der Vertreibung eine Lösung sei?- Soweit indes dachten die Stadtoberen immerhin dann doch noch: Fortan galt eine Anordnung, wonach Prostituierte, die potentielle Freier auf der Straße ansprechen erst mit Verwarnungen und im Wiederholungsfall mit Geldstrafen zu rechnen haben. Das "Ansprechverbot" gilt auch für Männer, die mutmaßliche Prostiuierte ansprechen. Einige Strafen wurden schon verhängt. Freier bekommen Post an die Heimatadresse. Wohl in der Hoffnung die Ehefrauen regeln das mit der Bratpfanne oder dem Ausklopfer? Die für das Viertel zuständige Ordnungsamtruppe wurde "taskforcemäßig" personell aufgestockt und verdonnert, das "Ansprechverbot" durchzusetzen, sprich: ständigen Fahndungsdruck aufrecht zu erhalten Begeistert sind die nach Aussagen einer dieser Kolleginnen "alles sehenden Adleraugen des Ordnungsamtes" darüber gewiss eher weniger. Immerhin äußerte diese, Verständnis für die, fast liebevoll "unsere Prostis" genannten, Frauen zu haben.

Erstes Opfer des Straßenstrich-Verbotes?

Ist diese junge bulgarische Prostiuierte, welche Anfang der Woche von einem Freier in Dortmund aus einem Fenster seiner im ersten Stock liegenden Wohnung in einem Anfall von Wut wie eine Sache, etwa ein alter Fernseher, welcher nicht das gewünschte Bild zu liefern imstande war, mit brutaler Gewalt hinunter auf die Straße geworfen wurde, nun das ersteblutige Opfer dieses Dortmunder Straßenstrich-Verbot-Schnellschusses? Warnungen vor den Gefahren der dadurch ins Illegale verdrängten Straßenprositution seitens der Prostituierten und der sie unterstützenden Vereine KOBER und "Mitternachtsmission" hat es jedenfalls rechtzeitig gegeben. Auch gestern in der "WDR-Lokalzeit Dortmund" wiesen Vertreterinnen darauf hin. Früher während des Bestehens des Straßenstrichs mit "Verrichtungsboxen" hatten die Sexarbeiterinnen (zu denen auch immer mehr Hartz-IV-Betroffene zählen) zumindest dem Freier gegenüber - wünschte dieser etwa mit ihnen in den Wald oder in eine Wohnung zu fahren - die Möglichkeit "Nein!" zu sagen. Und bei Gefahr hatten sie dort den Alarmknopf sowie bei Bedarf eine medizinische Betreuung. Jetzt sind die Frauen wieder im Dunklen und Verborgenen weitgehend potentiellen gewalttätigen Freiern bzw. sich als Zuhälter gerierenden Männern aus dem kriminellen Millieu ausgeliefert.

Stadt Dortmund gibt sich unschuldig. KOBER ist verärgert

Die Stadt Dortmund selbst will nun bezüglich der an der bulgarischen Prostituierten verübten Bluttat kein Zusammenhang mit dem Straßenstrich-Verbot sehen. Was zu erwarten war? Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle KOBER zeigten sich darüber verärgert. Es hätte zwar auch auf dem früheren Straßenstrich Übergriffe gegeben, jedoch sei das Risiko nun für die Frauen viel größer. Die Mitternachtsmission Dortmund hielte einen professionell bewirtschaften Straßenstrich für die bessere Lösung. Eine Mitarbeiterin des Vereins sagte dem WDR: "Dass da ein Betreiber ist, der würde dann dafür sorgen, dass da alles sauber ist, dass das hygienisch ist, dass die Frauen Möglichkeiten haben ihrer körperlichen Hygiene nachzugehen, dass da auch für die Sicherheit gesorgt wird."

Die Tat selbst macht einen ob des menschenverachtenden Antriebs, welcher die schreckliche Bluttat möglicherweise beförderte, unbändig wütend!

Frauen zum Wegschmeißen?

Irgendwie musste ich dabei an das Stück des großen italienischen italienischen Theatermachers, Satirikers und Politiaktivisten, Dario Fo, mit dem Titel "Die Frau zum Wegschmeißen" ("La Signora é da buttare"), denken. Nach Aussage des mutmaßlichen Täters war zwischen ihm und der Prostituierten ein Freierslohn von sage und schreibe 20 Euro (!) ausgemacht. Was wieder einmal zeigt, dass die Straßenprostituierten in eigentlich jeder Art und Weise ganz am unteren Ende einer Liste - so es diese gäbe - des "Berufsstandes" Hure rangieren; sie sozusagen Prekarisierte im doppelten Sinne und Verdammte sind. Über die sich manche/r unserer Mitmenschen auch noch ungezogen-gemein und abschätzig zu äußern bemüßigt fühlen. Sei es am Stammtisch oder in diversen einschlägigen Foren. "Natürlich" auch was deren Entlohnung für Sexdienste angeht, müssen sich diese Frauen für diese eigentlich unbezahlbare "Arbeit" mit Brosamen begnügen: Denn in einem halbwegs passablen Sex- oder FKK-Club zahlt Mann schon ab 30 Euro aufwärts allein als Eintritt. Waren die zwischen Täter und Opfer am Dortmunder Nordmarkt vereinbarten 20 Euro diesen Mann noch zuviel? Wollte er den Preis noch tiefer drücken? Lehnte die Hure das ab? Schmiss dieser die 25-Jährige (hat sie daheim, in Bulgarien, Familie, Kinder zu versorgen?) deshalb verärgert einfach weg - aus dem Fenster, weil vielleicht seiner Meinung das "Preis-Leistungs-Verhältnis" nicht stimmte? Pfui Teufel!

Aber ist etwa Geiz nicht geil, wie es dümmlich eine große Elektronikkette per Reklame bis zum Erbrechen propagierte?! Der Kapitalismus ist eine Gier- und Wegwerfgesellschaft. Moral, was ist das? Was zählt schon ein Mensch?, mag da manch einer manches Mal denken - erst recht eine Hure! Immer öfters heißt es in unserer verkorksten Gesellschaft: Und 'raus bis du!

Gute Besserung dem Opfer!

Dabei war doch diese junge Bulgarin schon längst 'raus. Höchtstwahrscheinlich war sie schon von Geburt an überhaupt nirgendwo drin - in welcher Gesellschaft auch immer. Deutschland mag ihr da aus der Ferne, auf dem Balkan, womöglich als das Land erschienen sein, wo Milch und Honig fließen. Nicht nur deshalb ist es doppelt und dreifach bitter und unfaßbar erst recht zu nennen, was ihr nun in Dortmund an Fürchterlichen widerfuhr. Von dieser Stelle hier sei ihr von ganzem Herzen gute Besserung und hoffentlich vollständige Genesung gewünscht!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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