Gedenken an NSU-Mordopfer in Dortmund

Brauner Terror Zehn Menschen fielen hierzulande dem NSU-Terror zum Opfer. Endlich beginnt man der Opfer sichtbar zu gedenken. In Dortmund mit einem Gedenkstein für Mehmet Kubasik.

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Gedenken an NSU-Mordopfer in Dortmund

Fotos: Asansörpress35

In Dortmund wurde vor Kurzem ein Gedenkstein eingeweiht, der an Mehmet Kubasik erinnert. Der Kioskbesitzer war im April 2006 von der Naziterrorgruppe NSU ermordet worden. Mehmet Kubasik war eines von insgesamt zehn Mordopfern bundesweit.

Gamze Kubasik, Mehmet Kubasiks Tochter, sagte anlässlich der Abschlussveranstaltung des diesjährigen Ostermarsches Rhein-Ruhr:

“Ich habe ein schreckliches Schicksal. Denn mein Vater Mehmet Kubasik wurde am 4. April 2006 in unserem Kiosk ermordet. Jahrelang wussten wir nicht warum und weshalb. Immer wieder wurde über meinen Vater berichtet, er solle ein Krimineller, ein Drogendealer gewesen sein. Meine Familie und ich wussten, dass diese Vorwürfe nicht stimmen. Doch beweisen konnten wir es auch nicht. Es waren die schrecklichsten Zeiten meines Lebens gewesen. Heute bin ich erleichtert. Denn seit einigen Monaten wissen wir, wer meinen Vater ermordet hat. Es waren Neonazis. Ich bin erleichtert, dass all die Vorwürfe über meinen Vater nicht stimmten. Woran ich die ganze Zeit über fest geglaubt habe. Mein Vater musste so schrecklich und sinnlos sterben. Dass kann ich nicht akzeptieren. Und für meine Trauer und mein Schmerz finde ich keine Worte. Sowas darf nie wieder passieren. Das verhindern können wir nur alle gemeinsam. Ich bin begeistert und glücklich, dass sich hier so viele Menschen zum Ostermarsch versammelt haben. Ich bin stolz auf Sie, meine Mitbürgerinnen und Bürger, denn nicht nur meine Familie sondern Sie auch geben mir die Kraft, nicht aufzugeben. Und stolz auf meine Stadt Dortmund bin ich. Die solche Veranstaltungen unterstützt und fördert.”

Wunsch der Hinterbliebenen der NSU-Opfer: Erinnerungsorte schaffen

Nach der Trauerfeier für die NSU-Opfer im Februar 2012 war von den Hinterbliebenen der NSU-Mordopfer der Wunsch geäußert worden, öffentliche Erinnerungsorte für sie zu schaffen. Die Stadt Kassel hat einen Platz nach Halit Yozgat benennen. Der Mann betrieb ein Internetcafé. Dort wurde er am 6. April 2006 erschossen. In Hamburg soll bald schon ein Gedenkstein an den Gemüsehändler Süleyman Tasköprü erinnern. Er starb bereits 2001 durch die Hand der Naziterroristen. Die Stadt Nürnberg diskutiert noch über einen möglichen Gedenkort für drei NSU-Opfer. An die ermordete Polizistin Michéle Kiesewetter erinnert in Heilbronn eine Gedenktafel.

Gedenktafel unweit des Tatorts

http://www.readers-edition.de/wp-content/uploads/2012/10/2012-09-30-14.18.32-300x225.jpgHier befand sich Mehmet Kubasiks Kiosk. Darin wurde er von NSU-Terroristen getötet.

In Dortmund erfüllte sich dieser Wunsch nun. Auf der Mallinckrodtstraße 190, unmittelbar dort, wo der Deutschtürke Mehmet Kubasik seinen Kiosk (die Räumlichkeiten dienen nun einem anderen Zwecken) betrieb und am 4. April 2006 dem NSU-Terror zum Opfer gefallen war, wurde ein Gedenkstein enthüllt. Anlässlich der Enthüllung sagte Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD): "Wir lassen uns unser vielfältiges Dortmund nicht zerstören."

Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau entschuldigte sich bei Hinterbliebenen - Türkische Generalkonsulin Sule Özkaya: "Rechtsextreme Taten dürften niemals heruntergespielt werden."

Mit bebender Stimme entschuldigte sich Sierau für die zunächst falschen Anschuldigungen nach dem Mord im Familienumfeld: "Es macht mich betroffen, dass dieser Mord über viel zu lange Zeit nicht als rechtsextremistische Straftat erkannt wurde." Auch die türkische Generalkonsulin Sule Özkaya war nach Dortmund gekommen. Sie sagte: "Dieser Gedenktag ist ein wichtiger Tag für Deutschland." Rechtsextreme Taten dürften niemals heruntergespielt werden. Die konsequente Aufklärung der insgesamt zehn Morde durch den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) sei nicht nur wichtig für die innere Ruhe in Deutschland, sondern auch ein bedeutsamer Schritt, damit sich Türken hier wieder sicher fühlen könnten. "Alle Familien der Opfer sollen einen Gedenkstein bekommen", schlug die türkische Generalkonsulin vor.

Seitens Angehöriger und Anwohner wurden Rosen auf dem Gedenkstein niedergelegt. Er trägt die Aufschrift: "Zum Gedenken an Mehmet Kubasik" und "Ermordet am 4. April 2006 durch rechtsextreme Gewalttäter" (sh. Foto oben). Gamze Kubasik, sagte am Rande der Gedenkfeier laut einer dapd-Meldung: "Dieser Stein hat eine große Bedeutung für uns. Wir möchten, dass alle Familien der Opfer so einen Gedenkstein bekommen."

Zusätzliche Gedenktafel für alle Mordopfer geplant

Die Stadt Dortmund verlautbarte, dass die Stadt Dortmund für alle zehn Opfer der bundesweiten Mordserie voraussichtlich Anfang 2013 eine zusätzliche Gedenktafel einrichten möchte. Die Entscheidung geht auf eine Übereinkunft der Bürgermeister von Dortmund, Heilbronn, Kassel, Nürnberg, München, Rostock und Hamburg – allesamt Tatorte des NSU-Terrors - vom Frühjahr diesen Jahres zurück.

An bloße Zufälle und Schlampereien mag man angesichts des NSU- Skandals kaum noch glauben

Der braunen Terrorzelle wird zugeschrieben von 2000 bis 2007 neun griechische und türkische Kleinunternehmer sowie eine deutsche Polizistin ermordet zu haben. Unfassbar und ein Skandal sondergleichen: Die Rechtsterroristen haben diese Mordtaten planen und ausführen können, ohne das Sicherheitsbehörden eingriffen. Inzwischen legen sogar über Untersuchungsausschüsse in Bayern, Sachsen, Thüringen sowie im Bundestag erlangte Erkenntnisse nahe, dass sich allen voran der Verfassungsschutz unglaubliche Pannen betreffs der Aufklärung der Morde geleistet hat. Es wurde wohl auch Polizeiarbeit behindert. An bloße Zufälle, Pech, Pannen und unfassbarer Schlamperei in Sachen Ermittlung mag man angesichts eines solchen Skandals kaum mehr glauben. Statt lückenloser Aufklärung, wie sie im Februar sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel, verbundenen mit der Versicherung, dass alle zuständigen Behörden mit Hochdruck daran arbeiten, muss die Öffentlichkeit erleben, wie Verschleierung und Verschleppung offensichtlicher wird. Das ganze Gegenteil von Aufklärung also. Bundestags-Untersuchungsausschussmitglied Hans-Christian Ströbele, findet allmählich keine Worte mehr dafür. So ein Skandal sei ihm im Leben noch nicht unterkommen, sagte Ströbele der Presse.

Zum Schluss soll noch einem Gamze Kubasik zu Wort kommen. Auf einer Gedenkveranstaltung für Opfer des Hitlerfaschismus sagte sie vor einiger Zeit in der Dortmunder Bittermark:

“Als wir damals in der Schule im Geschichtsunterricht das Thema Hitlerzeit hatten, und unsere Lehrerin vorne stand und uns die schreckliche Geschichte erzählte, waren wir als Klasse still und hörten ihr aufmerksam zu. Dann haben wir Filme gesehen über diese schreckliche Zeit. Ich dachte mir wie schlimm muss das damals gewesen sein und erinnere mich, dass ich teilweise meine Tränen nicht unterdrücken konnte während des Filmes. Es wurden unschuldige Menschen gequält, misshandelt und ermordet. Viele Angehörigen mussten sogar zuschauen, wie ihre Mütter, Väter, Kinder, Verwandte und ihre Bekannte umgebracht wurden. Ich dachte mir damals, wie kann man so ein Schmerz verkraften? Heute denke ich es nicht, ich fühle es. Mein Vater Mehmet Kubasik wurde am 4. April 2006 in unserem Kiosk ermordet. Jahrelang wussten wir nicht warum und weshalb. Heute wissen wir es. Es waren Neonazis, die meinen Vater umgebracht haben. Ich kann es einfach nicht akzeptieren, dass mein Vater so sinnlos sterben musste. So sinnlos sterben musste wie damals diese unschuldigen Menschen. Ich finde keine Worte für meinen Schmerz. Heute wünsche ich mir nur eins: Es soll kein weiterer Mensch so sinnlos sterben! Kein Kind, keine Ehefrau und all die anderen Familienangehörigen sollen so leiden wie wir es tun. Zum Schluss möchte ich ein Gedicht von einem türkischen Dichter namens Nazim Hikmet, das ich bereits bei der Gedenkfeier in Berlin vorgetragen habe nochmals vortragen. Denn dieses Gedicht sagt das, was wir fühlen und wir alle leben und empfinden.“

Hier das Gedicht “Leben” des türkischen Dichters Nazim Hikmet: Leben wie ein Baum/einzeln und frei/brüderlich wie ein Wald/das ist unsere Sehnsucht

Möge eine solches von Nazim Hikmet beschriebenes Leben in Deutschland wieder möglich sein nach diesen schrecklichen Mordtaten neuer Nazis. Mögen auch die Wünsche von Gamze Kubasik in Erfüllung gehen. Die Stadt Dortmund hat gut daran getan, diesem Gedenkstein einen Platz vor dem Kiosk zu geben. Unweit der Tatorts, an welchem Mehmet Kubasik sein Leben so sinnlos durch die Hand neuer Nazis verlor. Dass dürfte seinen Hinterbliebenen die von bleibender Trauer gequälten Herzen gewärmt haben. Ruhe werden sie wohl nie wieder finden. Allenfalls ein gewisses Maß an Befriedigung, wenn die Mordtaten vollends aufklärt und noch lebende NSU-Terror-Täter für ihre Taten juristisch zur Verantwortung gezogen sein werden. Und darüber hinaus, wenn – und zwar ohne Rücksicht auf Verluste - aufgeklärt sein wird, warum wichtige Sicherheitsorgane des deutschen Staates so jämmerlich versagten.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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