Gewerkschaft INTERMODAL für Fahrarbeiter?

Transportbranche 9,5 Millionen Menschen arbeiten in der EU in der Kategorie "Verkehr und Lagerei". Etwa 2,5 Millionen davon sind Berufskraftfahrer. Meist im Niedriglohnbereich

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Laut Akademie und Institut für Sozialforschung e.V. Verona ist der Bereich Transport und Logistik europaweit ein weiter wachsender Wirtschaftsbereich. Und zwar deshalb, weil dieser „als zentrales Funktionselement der Gewinnsteigerung durch räumliche Arbeitszerlegung“ diene. Die Akademie stellt fest, dass das Segment Transport und Logistik ein „per se transnationaler und zumindest 'europäischer' Wirtschaftsbereich“ sei.

9,5 Millionen Beschäftigte in der EU im Bereich "Verkehr und Lagerei – 900 000 Berufskraftfahrer in Deutschland

In der EU sind im Segment Transport und Logistik ca. 9,5 Millionen Beschäftigte tätig. Allein in Deutschland arbeiten im Wirtschaftsbereich Transport und Logistik ca. 900 000 Berufskraftfahrer! Ab und zu berichten es die Medien: Um die Arbeitsbedingungen und die Gesundheitsversorgung insbesondere der Fernfahrer im EU-Transitverkehr ist es - beschönigt ausgedrückt - nicht gerade zum Besten bestellt. Zuweilen stellt sich deren Arbeitslage als verzweifelt da. Für die deutschen Beschäftigten ist traditionell die Gewerkschaft ver.di mit dem Fachbereich 10 (Postdienste, Speditionen und Logistik) zuständig. Doch offenbar tut ver.di zu wenig für die doch zahlenmäßig sehr umfangreich zu nennende Klientel.

Die zuständige Gewerkschaft ver.di mit wenig Engagement bei der Sache

Nach „jahrelangen Bemühungen um mehr Engagement dieser Gewerkschaft im Bereich Transport und Logistik“ ist die Akademie über die Lage in diesem Bereich ziemlich gut im Bilde. Seit Jahren werden nicht nur von der Akademie unermüdlich Verbesserungen angeregt. Enttäuscht wird jedoch nun resümiert: Es werde von der zuständigen Gewerkschaft eine „dezidierte Politik des Nicht-Engagements“ verfolgt.

Dieses wahrlich wenig schmeichelhafte Urteil wird durch die Tatsache gestützt, dass ver.di der Entscheidung der Bundesarbeitsministerin, den deutschen Mindestlohn für Fahrer aus den EU-Nachbarländern während des Deutschland-Transit auszusetzen, offenbar ohne ernstzunehmende Gegenwehr einfach hinnahm. Dies nennt etwa Prof. Albrecht Goeschel, Mitglied des Akademie-Präsidiums „typisch“. Dabei fehlt es an Vorschlägen aus der Accademia an die Adresse von ver.di nicht. Nicht einmal an dem von der Regierung der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol finanzierten Konzept einer autobahnintegrierten europaweiten Gesundheits-

infrastruktur („Zentren für Kraftfahrergesundheit“) soll die ver.di-Bundesverwaltung Interesse gehabt haben. Im Sinne einer Verbesserung der Arbeits(um)welt der „Fahrarbeiter“ - wie die Berufskraftfahrer hier akzentuiert bezeichnet werden hat sich die Akademie unter den Überschriften „Logistik und Gesundheit“ bzw. „Kraftfahrergesundheit“ sowie „Autobahn-Stadt Europa“ umfassende Gedanken gemacht. Labournet zitiert aus einem Artikel von Albrecht Goeschel und Marion Fendt in der Fachzeitschrift „Alternative Kommunal Politik“, Heft Mai/Juni 2014 :

(…) „Seine Fahrarbeiter sind der Inbegriff singularisierter und mobilisierter Arbeitsindividuen. Sie sind die Bürger der „Autobahn-Stadt Europa“ – und im Übrigen zu 96 Prozent Männer. (…) Es ist allerhöchste Zeit, Konzepte für eine angemessene Sozial- und Gesundheitsinfrastruktur für die wachsende Autobahnstadt, für eine „Soziale Autobahn-Stadt Europa“ auszuarbeiten und einzufordern. Bisher gibt es dazu das Konzept „Zentren für Kraftfahrer-Gesundheit“ an wichtigen Autobahn-Knotenpunkten und an wichtigen Logistik- und Transportstandorten in Europa. Entwickelt wird es von der Autonomen Provinz Bozen, der Straßenverkehrs-Genossenschaft Hessen (SVG), der Akademie und Institut für Sozialforschung Verona und vom Bildungszentrum Haus Brannenburg der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. (…)

Beitrittsangebote seitens ver.di halten die Kapitäne der Straße entgegen: "Nichtvertreten können wir uns selber und billiger"

Nur wie wären wirksame Verbesserungen für die Fahrerschaften durchzusetzen? Gsnz einfach: Über eine starke Gewerkschaft! Wie hieß es doch – lang ist's her: Wenn unser starker Arm es will, stehen alle Räder still!“ (Bundeslied)!. Käme da nicht gerade ver.di, die mit 2,1 Millionen Mitgliedern größte Dienstleistungsgewerkschaft der Welt, als mächtige Interessenvertretung zu passe beziehungsweise quasi naturgemäß in Betracht? Doch über Beitrittsangebote seitens ver.di sollen die „Kapitäne der Straßen“ nur gelacht haben. Und zwar nach dem Motto "Nichtvertreten können wir uns selber und billiger".

Apropos „...stehen alle Räder still“: Die Streiks – besonders der bislang letzte – der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) haben offenbar bei den Berufskraftfahrern gewissen Überlegungen in Gang gesetzt. Die Akademie in Verona will definitiv wissen, dass in den Fahrerschaften große Bewunderung für die GdL und ihren Vorsitzenden Claus Weselsky herrsche. Doch damit nicht genug: Unter ihnen soll gar der Wunsch verbreitet seit , dort organisiert zu sein.

Transportwirtschaft eine der schlimmsten Niedriglohnzonen bei geringer gewerkschaftlicher Organisierung

Mitarbeiter der Akademie und das Institut für Sozialforschung e.V. Verona befeuerten diese Überlegungen anscheinend.Im engeren Kreis Accademia zirkuliert wohl ein Strategiepapier.

Es ist bekannt, dass die Transportwirtschaft ohne Zweifel zu den schlimmsten Niedriglohnzonen in Europa zählt. Zudem ist die gewerkschaftliche Organsierung in diesem Bereich besonders dürftig. Dass unter den Fahrern „organizing“ nicht möglich wäre, dürfte eine faule Ausrede sein. Es liegt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit daran, dass die sich für zuständig erklärende Gewerkschaft ver.di in diesem Fachbereich wenig bis keinerlei Engagement zeigt. Schlimmer noch – wie kritisch zu vernehmen ist - offensive und innovative Konzepte und Initiativen ignoriert und mit bürokratischer Raffinesse sabotiert und blockiert.

Medienhetze und gesellschaftliches Rollback

Zurück zum GdL-Streik: Die nicht selten unappetitliche Hetze der Medien, Politik, des Bahnkonzerns (hinter welchem sich der nach wie vor hundertprozentige Eigentümer, der Bund sich versteckte) und von Betongewerkschaften gegen die GdL und namentlich Claus Weselsky zeigt Wirkung. Die GdL mit ihm als Gesicht hat - obzwar eine kleine Gewerkschaft – bewiesen, was engagierte Gewerkschaften bewirken können – beziehungsweise erinnerten daran, was auch große Gewerkschaften einst einmal – lang ist es her – zu bewirken vermochten.

Vor diesem Hintergrund rückt plötzlich auch der Niedriglohnbereich „Transportsektor“ ins Blickfeld. Und damit die wichtigste Erkenntnis, dass es keine vergleichbar große Branche in Deutschland gibt, die so „in der Wolle“ transnational und europaweit angelegt ist wie der Transportsektor. Warum wird der drittgrößte und weiter wachsender Wirtschaftsbereich jedoch wirtschafts- und gesellschaftspolitisch kaum zur Kenntnis genommen?

Die internationale und die europäische räumliche Arbeitszerlegung gilt als ein Profittreiber ersten Ranges. In der Transportbranche ist unglaubliche Lohndrückerei an der Tagesordnung. Die vollkommen fehlende Gesundheitsversorgung ist anscheinend kein Thema.

In Deutschland sind etwa 900 000 Berufskraftfahrer auf den Straßen und Fernstraßen unterwegs. „Wohnen“ tun sie die größte Zeit über in ihren Fahrerkabinen. In der EU sind es schätzungsweise 2,5 Millionen. Es dürften noch mehr werden.

Zu den bereits vorhandenen 68 000 Kilometer Fernstraßen in der EU sollen in den kommenden Jahren weitere 58 000 Kilometer hinzukommen. Eine nennenswerte Lobby haben die Berufskraftfahrer nicht.

Anti-Griechenlandterror soll den Süden disziplinieren, die Anti-GdL-Hetze hatte – wie zu vermuten ist - die Aufgabe die Dienstleister zu disziplinieren. An Negativem dazu kommt noch das ausgerechnet von der Sozialdemokratin (!) Andrea Nahles verantwortete Tarifeinheitsgesetz. Zornige Kritiker desselben sehen darin ein neues Ermächtigungsgesetz.

Wird das in vielen Bereichen losgetretene und immer weiter vorangetriebene gesellschaftliche Rollback mit seinen negativen Wirkungen auf die jeweils davon betroffenen arbeitenden Menschen weiter so klaglos hingenommen werden? In der Transportbranche grummelt es anscheinend.

Betrachtung der Transportwissenschaft

In der Transportwissenschaft werden die modernen gesamtwirtschaftlichen Transportprozesse als komplementär zusammenhängende und teilweise schon integrierte Prozesse aufgefasst und betrachtet. „Modal-Split“ bezeichnet die Verteilung des gesamtwirtschaftlichen Transportaufkommens auf die Verkehrsträger bzw. die Beanspruchung der Verkehrsträger durch die verschiedenen Transportaufgaben. Die Verkehrsträger: Schienenwege, Straßenwege, Luftwege und Wasserwege. „Intermodal“ sind Transportprozesse, bei denen die Verkehrsträger integriert werden.

Kampfstarke neue Gewerkschaft für die „Fahrarbeiter“

Im in der Accademia zirkulierenden Strategiepapier hat man – eigentlich naheliegend - all diese Aspekte zusammen gedacht. Und einen Schluss daraus gezogen: Eine noch zu gründende Gewerkschaft für die Cockpitpiloten im Bahnzug, im Lastkraftwagen und im Frachtflugzeug könnte den Namen INTERMODAL tragen. Mit einem Vorsitzenden namens Claus Weselsky an der Spitze? All das ist Zukunftsmusik. Und wäre Weselsky überhaupt dazu bereit? Spass beiseite: Unmöglich wäre es nicht. Die neue Gewerkschaft verfügte jedenfalls über die nötige Kampfkraft, um die Arbeitsbedingungen in der Transportbranche nachhaltig verbessern zu helfen.

Wie bereits erwähnt: der Bereich Transport und Logistik ist europaweit ein weiter stramm wachsender Wirtschaftsbereich. Und da soll natürlich für die Firmen auch ordentlich Profit herausspringen. Was zu befürchten steht: Auch weiter auf dem Buckel der vielen „Fahrarbeiter“ und wenigen „Fahrabeiterinnen“. Denn diese werden in diesem alles durchökonomierenden neoliberalen Zeiten als lästige – aber eben immer noch notwendige - Kostenstellen betrachtet.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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