Gottschalk-Fremdschämen

Fernsehkritik Ex-"Wetten, dass...?"-Moderator Thomas Gottschalk macht nun bei Dieter Bohlen die Randfigur. Warum? Ist es Sucht? Müssen wir uns Sorgen um den Berufsjugendlichen machen?

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Höflichkeit ist eine Zier. Weiter kommt man ohne ihr. Heißt es. Und tatsächlich wäre es manchmal besser und vor allem: gesünder für die eigne Gesundheit, handelte ich so. Mir geht ja eh schon das nicht vorhandene Messer in der Tasche auf, wenn ich irgendwo die privaten Trash-Kanäle ansehen muss, weil sie jemand eingeschaltet hat. Was ich – das walte Hugo! - selbst nie – über meine Leiche nicht – mache. Gut, man könnte in einer solchen Situation einfach weglaufen. Nun aber war ich vergangenen Sonnabend bei einer lieben Freundin zu Gast, die RTL und „Das Supertalent“ (1/14) [sic!] auf ihren Flachbildschirm gelassen hatte. Was also machen? Weglaufen? Das wäre unmöglich gewesen. Die Liebe ist Nigerianerin und ich helfe ihr beim Deutschlernen. Und offenbar kann sie an der Sendung nichts Schlechtes finden. Na ja, also beschloss ich mich mit bedenklich angeschwollenem Blutdruck zu Toleranz.

Immerhin kamen wir in Deutsch – in anderen Sachen leider (noch) nicht – weiter. Und das Nebenbeihinsehen auf „Das Supertalent“ verhalf mir zu einer – allerdings wahrlich nicht ganz neuen – Einsicht: Fernsehen ist eine Droge. Süchtig sind aber beileibe nicht nur manche TV-Konsumenten, wie man glauben könnte, sondern – und das nicht zu knapp - auch sogenannte „Fernsehmacher“.

Sucht?

Da geht es einigen Fernseh-Schaffenden gewiss nicht anders als bestimmten „Politikmacher“. Um nur ein Beispiel – und das reicht zur Genüge! - zu nennen: Gerhard Schröder war so einer. Als der Bundestagswahl gegen Angela Merkel verlor, wollte er das nicht zunächst ums Verrecken nicht wahrhaben. Offenbar mit einigen Gläsern gutem Rotwein in den Genosse-der-Bosse-Adern – gebärdete er sich zunächst arrogant siegesgewiss. Wie es weiter ging, wissen wir. Heute ist Schröder „Putins Gasmann“ und verdient (auch) dank seiner zuvor betriebenen Politik jede Menge Kohle. Das funktioniert offensichtlich ganz gut als Trostpflaster gegen Politikentzug. Und wenn nicht: Auch mit Geld lässt sich heute mehr denn je Politik machen. Nie stimmte der Satz Geld regiert die Welt so sehr wie heute, sagt jedenfalls sein alter Widersacher und Ex-Parteifreund (kein Blatt Papier passte angeblich zwischen beide Männer) Oskar Lafontaine...

Ja Kruzifix noch ein mal! Hätte sich denn nicht auch für den süchtigen Fernsehmacher Thomas Gottschalk etwas finden lassen, dass ihn wie Schröder von der (offiziellen) Politik von der TV-Mattscheibe fernhält? Bekanntlich war Gottschalk, der mit „Wetten, dass...?“ über Jahre hinweg einen fabelhafte Erfolge feiern konnte, sich nicht zu schade dafür gewesen, in einer ARD-Vorabend-Mini-Talkshow aufzutreten, die fast niemand sehen wollte. Welche deshalb wohl zu Recht von den ARD-Oberen abgesetzt worden war.

Ohne Abkühlphase zu Bohlen

Darauf, sozusagen ohne jegliche Abkühlphase, bot sich Gummibärchen-Gottschalk offenbar dann sogleich Dieter Bohlen wie Sauerbier als Beisitzer für „Das Supertalent“ an. Bohlen hatte wohl nichts dagegen: Leute, über die sich anscheinend heutzutage allesfressende Fernsehzuschauer - wie der erfolgreiche Musikproduzent aus Tötensen selber - lustig oder gar verächtlich machen, kann man immer gebrauchen. Warum also nicht diesen Berufsjugendlichen mit den bunten Kasperklamotten?

Randfigur Gottschalk

Und als solcher saß Gottschalk dann ja auch da. Neben Michelle Hunziker und eben dem Bohlen, Dieter. Und zwar größtenteils als kasperklamottige Randfigur. Auch Jury-Mitglied genannt. Da hockte der Gottschalk dann da und hörte einen Kandidaten, Georg aus Sachsen zu, der Wolfgang Petry nicht imitieren konnte. Gottschalk stoppte Georg und dessen Blamage und sagte zu dem armen Wurm: "Vor Leuten wie Dir habe ich mich gefürchtet" Nun ja! Warum eigentlich fürchtet er sich nicht vor sich selbst, der Gottschalk? Weiter versuchte sich ein Papagei als Supertalent, der nur schwer wieder zum Verstummen gebracht werden konnte. Halbwegs amüsant war dann noch der Auftritt eines Schaumgesichter machenden Kandidaten, dem die Hunziker hernach einen Schmatzer auf das beschäumte Gesicht drückte. Aber: Auch das konnten – zwar mit anderem Material – Künstler aus der Schweiz (Mummenschanz) vor zig Jahren schon einmal viel besser. Und auch ein Handfurzer (!) ersparte man Gottschalk nicht. Schlimmer geht’s nimmer? Oder etwa doch? Immerhin stichelte der blonde Thomas: "Er will das Lied nicht singen, das kann man ja verstehen."

Angst um Vito

Dann kam der herzkranke, übergewichtige Vito an die Reihe. Der schlug sich sängerisch ganz wacker. Und auch tänzerisch. Mir schlug dabei das Herz höher. Nicht aber vor Freude. Sondern aus Angst, der Junge könnte vor den Fernsehkamera sterbend zusammenbrechen. Wie können Eltern so etwas – so gut gemeint es gewiss auch sein mag – nur zulassen? Warum tut das ein Fernsehsender? Wir ahnen und wissen es inzwischen nur zu gut: Wegen der Quote und dem damit verbundenen Profit. So weit ist es gekommen. Fernsehen im Jahre 2012. Wo, wie und mit was wäre da noch eine „Steigerung“ nach unten möglich? Vito kann von keiner Karriere träumen. Wenigstens brachte man es dem kranken Kind halbwegs schonend bei. Gottschalk väterlich: "Der Onkel Dieter erklärt Dir jetzt mal, was man als Sänger so braucht." Überhaupt nicht lustig fand ich den „Spaß“ von Michelle Hunziker, den übergewichtigen Jungen auf ihren Schoß hieven zu wollen. Sie musste scheitern. Aber für den einen oder anderen Lacher auf Kosten des herzkranken Kindes dürfte es gereicht haben. Widerlich. Fernsehen zum abgewöhnen.

Gewisse "Instinkte"

Ja, es stimmt: Menschen haben gewisse „Instinkte“. Auch Schadenfreude lieben sie. Und Menschen, die – sei es durch Gebrechen – aus der Art schlagen. Oder weil ihnen der Verstand dazu fehlt, zu erkennen, wie sie sich im Fernsehen zum Affen machen, über die sich hinterher (im Alltag ohne die eingeschaltete TV-Kamera) die halbe Republik auf ihre Kosten schlapp lacht. Es stimmt sogar, dass es das schon immer gab. Man titulierte diese Menschen Schiessbudenfiguren. Auf dem Rummel waren sie eine Attraktion. Aber diese Zeit glaubte ich, sei eigentlich vorbei. Ward uns nicht Aufklärung? Inzwischen muss man daran schwer zweifeln. Die Einführung des Privatfernsehens sorgte u.a. dafür, dass mit Sensationen, die auf niedrige „Instinkte“ anspielen wieder - wie früher auf dem Rummel - Blumentöpfe zu gewinnen sind. Sprich: Quote, Kohle zu machen ist. Dass nicht einmal davor zurückgeschreckt wird, Menschen, die sich zum Heinz machen, ohne sich dessen bewusst sein zu können, zu benutzen ist schändlich. Dabei haben wir als Gesellschaft eine Verantwortung, diese Menschen zu schützen. Wenn es sein muss, vor sich selbst. Auch das Privatfernsehen hat eine solche Verantwortung. Es nimmt sie aber nicht oder nur unzureichend war. Uns Zuschauern kommt diesbezüglich ebenfalls eine Verantwortung zu. Ärgern oder drüber schimpfen allein reicht nicht. Mit Talent-Suche hat derlei nichts zu tun. Mit Talenten geht man sorgsamer um. Sie zum Spaß, der Kohle, oder kurzem Profit wegen regelrecht zu verheizen, verbietet sich. Besser wird die Sache nicht, wenn wir hören, einige von ihnen hätten es doch zu etwas gebracht.

Kritik von Frank Elstner

Frank Elstner, der Erfinder nicht nur von „Wetten dass...?“ übte indessen Kritik an Gottschalk: "Ich habe es immer abgelehnt, Leute durch den Dreck zu ziehen", sagte er dem "Spiegel". Zur Gottschalk-Äußerung, „Wetten, dass...?“ sei ein abgenagter Knochen, erklärte Elstner: "Die Sendung hat ihn zum Multimillionär gemacht."

Gottschalk, der Heesters der Moderatoren?

Höflichkeit ist eine Zier. Weiter kommt man ohne ihr. Deshalb sei Thomas Gottschalk ein Ausstieg aus der Bohlen-Sendung empfohlen und eine Abkühlphase angeraten. Doch dagegen steht offenbar schon wieder die Sucht: Man munkelt nämlich, Gottschalk stünde angeblich kurz vor einem Abschluss von Verhandlungen mit der ARD. Ausgerechnet über eine Castingshow! Ohgottogott. Muss man Angst um Thomas Gottschalk haben? Dass er womöglich zum Johannes Heesters der Moderatoren wird?

Ich habe mich am Sonnabend etwas fremdgeschämt. Darüber, dass es dieser Moderator-Millionär offenbar nötig hat (und sei es „nur“ aus Sucht), als Randfigur in einer Show von Dieter Bohlen herum zu sitzen. Ein wenig hat sich sogar Thomas Gottschalk geschämt. Meine ich gesehen zu haben. Helft ihm!

Etwas Gutes

Übrigens, ein Gutes hatte es, dass ich meiner nigerianischen Freundin am Samstagabend nicht weggelaufen bin: In Deutsch hat sie Fortschritte gemacht. Nur in Deutsch. Aber man muss Geduld haben. Budjet, budjet (es wird schon), sagen die Russen. Allerdings, was das Fernsehen angelangt mache ich mir da keine große Hoffnungen. Hoffnungen können so leicht enttäuscht werden. Und was Gummibärchen-Gottschalk, dem Berufsjugendlichen, der in dieser „Funktion“ längst auch den ehemaligen Ober-FDJ-Sekretär Egon Krenz den Rang abgelaufen hat, betrifft: Er ist alt genug, Er muss wissen, was er tut...

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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