Griechenland und die deutsche Meinungsmache

Griechenland-Wahl Vor der Wahl in Hellas wussten deutsche Politiker deutsche Medien wie die Griechen zu wählen haben. Nun auch wie die Regierung aussehen soll ...

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Kommentar

Griechenland hat gewählt: Nach der Wahl wussten dieselben Politiker und dieselben Medien, die zuvor vorgaben, wie die Griechen zu wählen haben, nun auch schon wieder, wie die Regierung zu bilden sei. Ihr Tenor: Die ND solle mit der PASOK zusammen regieren. Laut „taz“ „zwei korrupte Altparteien mit zwielichtigem Personal“.

Nun also sind die in ganz Europa mit Spannung erwarteten Wahlen in Griechenland sozusagen gegessen. Und die einschlägigen, Meinung machenden Medien, wie die sie vorgebenden Vertreter der „Diktatur des Finanzkapitalismus“ (Stéphane Hessel) – also die demokratisch und weniger demokratisch ins Amt gekommenen Herrschenden Europas – sind’s zufrieden. Der Spiegel etwa bringt die Stimmung so auf den Punkt Vorsichtiges Aufatmen in Europa: Nach der letzten Prognose liegt die gemäßigte Nea Dimokratia bei den Parlamentswahlen in Griechenland hauchdünn vor der linksradikalen Syriza … eine Koalition der Euro-Retter erscheint damit möglich”

Eine Gefahr war demnach in Europa umgegangen. Ist die nun gebannt? Weil die Wahlen in Griechenland eine Mehrheit für die vermeintlich Guten, die Nea Dimokratia (ND) mit Antonis Samaras (61) an der Parteispitze und eine (zwar) knappe Niederlage für das von den zuvor genannten Medien und Herrschenden aufs Emsigste verteufelte linke Parteienbündnis SYRIZA und deren Vorsitzenden Alexis Tsipras (37), ausgingen. Wer genauer hinschaut, hinhört und sorgfältig hinterfragt, was er von den uns immer öfters hinter die Fichte führenden Medien tagtäglich so aufgetischt wird, weiß: so einfach ist das alles nicht. Nichts ist wie es auf den ersten Blick erscheint. Nichts ist gut in Europa …

Teufel SYRIZA? Und “Der kluge Grieche” und “Der kluge Europäer” nach “taz”-Logik

War es also gerechtfertigt, SYRIZA als großen Teufel an die Wand zu malen? Ein Teufel, der nicht nur Griechenland völlig zugrunde richtet (viel fehlt daran ja schon heute nicht mehr), sondern auch den Schaden für die EU und den Euro vergrößert hätte. Führende europäische Politiker setzten dem griechischen Volk vor der Wahl ziemlich unverblümt die Pistole auf die Brust und drohten ihnen in Mafiamanier entsprechende Konsequenzen an, sollten es nicht so wählen, wie sie es gerne hätten. (Lesen Sie dazu den Beitrag „Hallo Griechen! Entweder Ihr wählt richtig! Oder wir helfen Euch nicht mehr!“ von Albrecht Müller auf den NachDenkSeiten.) Unverschämt gab die Financial Times Deutschland eine Wahlempfehlung für die konservative ND ab. Sogar die angeblich linke „taz“ fand angesichts der fürchterlichen Misere in der Griechenland dahinsiecht Folgendes vernünftig: „Eine Staatspleite hätte zur Folge, dass für die gekürzten Renten und die Gehälter im öffentlichen Dienst plötzlich kein Geld mehr da wäre – nicht für die Feuerwehr, nicht für die Busfahrer und nicht für die viel zu wenigen Steuereintreiber. Und selbst wenn die Gehaltszahlungen nach einer Währungsreform wieder einsetzten, dann wäre das Geld vielleicht noch die Hälfte wert. Enteignet würden also nicht die Reichen, sondern die Armen und die Mittelschicht. – Es mag verrückt klingen, es dreht sich einem der Magen um, und doch führt kein Weg daran vorbei: Der kluge Grieche wählt eine der beiden korrupten Altparteien mit ihrem zwielichtiges Personal, ja am besten gar die konservative Nea Dimokratia, weil die als Einzige die Chance auf einen Wahlsieg besitzt. Der kluge Europäer hofft auf eine Niederlage von Syriza. Nicht etwa, damit es künftig gerechter zugeht. Sondern, damit sich Armut und Unrecht nicht ins Unermessliche steigern.“

„Der kluge Grieche“ macht es also richtig, wenn er entweder die sozialdemokratische PASOK mit Evangelos Venizelos an der Spitze, „ja am besten gar die konservative Nea Dimokratia, weil die als Einzige die Chance auf einen Wahlsieg besitzt“ wählt? Beide, wie „taz“ richtig notiert, korrupte Altparteien. Die wohl bemerkt in den vergangenen Jahrzehnten Land und Pfründe jeweils wechselseitig unter ihren Parteifreunden und Familienmitgliedern aufgeteilt und nach Strich und Faden ausgeweidet hatten und Griechenland in den Abgrund führten. Welch sonderbare Logik! „Der kluge Europäer“, so die „taz“, „hofft auf eine Niederlage von Syriza“. Heißt das nicht in Klartext übersetzt: Dumm sind die Griechen, welche ihr Kreuz bei SYRIZA machten. Dumm sind diejenigen Europäer, welche auf einen Sieg von SYRIZA hofften? Will man uns für blöd verkaufen? Angesichts solcher plumpen wie unverschämten Meinungsmache möchte man förmlich aus der Haut fahren!

Das 10-Punkte-Programm von SYRIZA

Um besser zu verstehen, sollten wir uns noch einmal anschauen was Alexis Tsipras und SYRIZA eigentlich so vorhatten, wären sie stärkste Partei im griechischen Parlament geworden. Eigentlich dürfte auch den am meisten ökonomisch verblendeten, Pardon: verblödeten, unter den Neoliberalen klar sein, dass Griechenland beim besten Willen angesichts der Land und Leuten von der Troika (EU-Kommission, EZB, IWF) verordneten, im Endeffekt tödlichen, Austeritätspolitik, weder niemals aus der Misere herauskommen, noch seine Schulden in Gänze wird zurückzahlen können. Letzteres und die Tatsache zur Kenntnis nehmend, das die Not und Verarmung breiter Volksschichten des Landes bei gleichzeitig weiterem Sich-Entziehen der Reichen vor Steuereinzug eingedenk der Griechenland aufgezwungenen unerreichbaren Sparziele, hat SYRIZA ein 10-Punkte-Programm aufgestellt. Es sollte Gerechtigkeit herstellen, indem es Weg zeichnete, dahingehend, ein Schild zum Schutz der Gesellschaft gegen die Krise zu schmieden. Ich empfehle den werten Leserinnen und Lesern dieses 10-Punkte-Programm von SYRIZA (via Webseite des Bundestagsabgeordneten der Partei DIE LINKE, Andrej Hunko) zu lesen. Und sich hernach selbst eine Meinung zu bilden, ob SYRIZA zu Recht als des Teufels bezeichnen werden könnte. Freilich – wäre SYRIZA stärkste Partei im griechischen Parlament geworden – ist auch klar, dass an diesem Programm der eine oder andere Abstrich hätte gemacht werden müssen. Die Richtung jedoch, in die die es weist, kann doch nicht verkehrt sein.

Die Wähler des Einen sind klug, die des Anderen dumm

Sogar der nunmehrige Wahlsieger Antonis Samaras (ND) hat vor der Wahl davon gesprochen, dass über die Griechenland aufgelegten Sparaufgaben mit EU bzw. der Troika gesprochen werden müsse. Aber so ist es eben: Samaras ist der Gute. Tsipras ist der Teufel. Die Wähler des Einen sind klug, die des Anderen dumm! Ja, geht’s noch? Dabei hätte die EU auch mit Tsipras leben können und müssen. Kompromisse hätten es gewiss gegeben. Griechenland hätte man nicht einfach so fallen lassen. Entsprechende Pläne liegen sicher in Brüsseler Schreibtischschubladen.

Vermisst: unabhängige, unparteiische Berichterstattung

Wahr ist indes, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Unerträglich war und ist es, wie besonders die deutschen Mainstream-Medien (auch ZDF-heute und ARD-tagesschau) vor und nach der Wahl agierten. Nichts selten kam mir da die Galle hoch. Mit unabhängiger, unparteiischer Berichterstattung und der Erfüllung journalistischer Sorgfaltspflichten hatte und hat das längst nichts mehr zu tun. Niemals zuvor hat es m. E. eine derartige politische wie mediale Einmischversuche auf die Wähler eines anderen Landes gegeben. Deutschland würde sich im umgekehrtem Fall zu Recht dergleichen energisch verbitten. Aber wir stehen ja so gut da, während die Griechen als „faule“ EU-Randgebietler reichlich Bockmist gebaut haben und nun als „Strafe“ unter Kuratel gestellt gehören, bzw. bereits de facto sind! Ist das der Unterschied?

Wer als Wähler nicht „richtig“ wählt, dem werden (vorerst nur) die Instrumente gezeigt

Angesichts dessen kann einem nur angst und bange werden um die schon jetzt arg beschädigte Institution Demokratie. Man kommt sich manchmal längst nicht mehr nur wie im Kindergarten vor. Es ist bereits viel schlimmer. Die immer weiter ausufernde Krise (absurd: ohne deren Verursacher an die Kandarre zu nehmen!) wird zum Anlass genommen, nicht nur sozial, sondern auch demokratische Errungenschaften zu schleifen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Totengräberin des europäischen Gedankens, hat wohl nicht von ungefähr von einer „marktkonformen“ Demokratie gesprochen. Wer da als Wähler nicht „richtig“ wählt, dem werden (vorerst nur) die Instrumente gezeigt. Wohin führt das? Und Medien machen da auch noch mit! Eine Schande. Da haben die Griechen noch einmal Glück gehabt! Sie haben im Sinne der „taz“ klug gewählt.

Wie die neue Athener Regierung gebildet werden soll

Zurück zu Griechenland. Nach der Wahl wissen dieselben Politiker und dieselben Medien, die zuvor vorgaben, wie die Griechen zu wählen haben, nun auch schon wieder, wie die Regierung zu bilden ist. Ihr Tenor: Die ND solle mit der PASOK zusammen regieren. Laut „taz“ „zwei korrupte Altparteien mit zwielichtigem Personal“. Kaum jemand zitiert PASOK -Chef Venizelos, der bereits gestern Abend vorschlug, eine Regierung der nationalen Einheit unter Einbeziehung des linken Parteienbündnisses SYRIZA. Eine solche Regierungsbildung wäre gewiss nicht einfach. Aber es wäre für das Mutterland Europas und der Demokratie wohl das Vernünftigste. Gesetzt den Fall, alle drei Koalitionäre wären vernünftig. Eine solche Regierung vereinte dann zwei inländische Hauptschuldige (Parteien) an der griechischen Misere und einen Partner mit quasi weißer Weste, der auf den Trümmern Griechenlands eine Zukunft bauen möchte.

Wie wir unterdessen wissen: Es kommt nicht dazu. SYRIZA dürfte nicht in der neuen griechischen Regierung vertreten sein. SYRIZA geht gestärkt aus der Wahl hervor. SYRIZA wird harte Opposition machen und auch die Straße zusammen mit den Gewerkschaften mobilisieren. Erste Streiks könnten noch in diesem Sommer ausgerufen werden .

Hoffnung

Die Hoffnung auf ein Griechenland bleibt, das vielleicht ganz im Sinne von Mikis Theodorakis dazu inspiriert, „Zusammen ein neues Europa (zu) bauen“ (Readers Edition) Was zweifelsohne besser sein dürfte, als in Athen eine sogenannte „Expertenregierung“ oder technische Regierung (nach dem Muster der demokratisch nicht legitimierten unter Monti in Rom?) zu installieren, wie es Antonis Samaras schon mal andeutete.

Möge Klugheit (nicht im Sinne der „taz“) und Vernunft siegen. In Athen wie in Brüssel. Sowie in Berlin und dem Kopfe der Physikerin Angela Merkel! Aber ist das zu erwarten?- Für Europa wie im besonderen Maße Griechenland muss jetzt gelten: Schluß mit der rigiden Austeritätspolitik. Stattdessen braucht es eine Art Marshall-Plan. Wie einst für Westdeutschland nach dem 2. Weltkrieg. Wenn damit die Konjunktur sinnvoll angekurbelt wird, können auch im gewissen Maße Schulden zurückgezahlt werden. Illegitime Schulden Griechenlands müssen gestrichen und Rüstungsaufträge notfalls storniert werden. Es braucht ebenfalls einen Schuldentilgungspakt. Auch dieser Weg wird im Falle Griechenlands hart und steinig sein. Dort wie in der gesamten EU müssen künftig die Menschen wieder in den Mittelpunkt der Politik gestellt werden. Die Entwicklung einer gerechten Gesellschaft gehört auf die Agenda gesetzt. Die Diktatur des Finanzkapitals muss zum Auslaufmodell gemacht werden. Und die Demokratie wieder mit Leben erfüllt werden.

Ein Hinweis zum Schluss:

Catastroika - Ein Film, der beunruhigt und deshalb aufrüttelnd wirken sollte. Auch das Thema Privatisierung von öffentlicher Daseinsvorsorge hat mit den Problemen in Griechenland zutun. Es geht uns aber alle etwas an:

Die Video-Empfehlung, passend zum Thema neoliberaler Privatisierung weltweit. Unter anderen wird auch Griechenland beleuchtet. Sehenswert! Beunruhigend. (Quelle: catastroika)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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