Günther Moewes: Arbeitswende

Buchbesprechung Im Rahmen des pad-Projektes "Ökonomisches Alphabetisierungsprogramm" liegt ein Text von Günther Moewes vor. Darin u.a. eine kritische Bilanz der Grundeinkommens-Debatte.

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Der kleine pad-Verlag aus Bergkamen leistet mit seinen Veröffentlichungen seit Jahren Hervorragendes darin, interessierten Leserinnen und Lesern die Krise und die ökonomischen Mechanismen und Fehlentwicklungen die dazu führten verständlich zu erklären. Einige dieser erschwinglichen Broschüren, die um die fünf Euro kosten, sind bereits hier an dieser Stelle besprochen worden. Die Texte erscheinen im Rahmen des pad-Projektes "Ökonomisches Alphabetisierungsprogramm" in Kooperation mit Labournet.

Der neoliberale Holzweg

Ein solches Alphabetisierungsprogramm aufgelegt zu haben halte ich für sehr wichtig. Zumal seit Ausbruch der Finanzkrise seitens des Medienmainstreams und er üblichen Meinungsmache auch der herrschende Politik stets die wirklichen Ursachen welche krisenursächlich waren absichtlich verschleiert, beziehungsweise tatsächlich nicht erkannt wurden. Denn der für unorthodoxe Ökonomen schon früh als Holzweg erkannte Neoliberalismus galt für seine Apologeten unter dem Motto "Der Markt regelt alles" geradezu als Allheilmittel. Den Menschen draußen wurde erzählt, sie "wir" hätten über unsere Verhältnisse gelebt, der Staat (Stichwort: "Staatsschuldenkrise") habe zu viel Schulden gemacht. Derweil haben wir es in Wahrheit mit einer Verteilungskrise zu tun.

Schon vor der Finanzkrise herrschte eine hohe Arbeitslosigkeit. Wenn wir heute in Deutschland wieder mehr Beschäftigungsverhältnisse haben, sagt das allein wenig aus. Schließlich sind eine Vielzahl dieser Stellen prekäre Beschäftigungen, schlecht bezahlte Leiharbeits- und Werksverträge. Vor Jahren schon schrieb der US-Ökonom Jeremy Rifkin, uns gehe (langfristig) die Arbeit aus.

Der Arbeitsbegriff aus historischer Sicht

Dabei hatte die Arbeit einst einmal einen ganz anderen, gehobeneren Stellenwert. Zweifelsohne hat längst eine "Arbeitswende" eingesetzt. Die Broschüre von Günther Moewes, fußend auf zwei von ihm in Birkenwerder und Bielefeld gehaltenen Vorträgen, erinnert auch historisch daran. Auf dem Titelblatt des Heftes "Arbeitswende - Die Überwindung des Beschäftigungsstaates" sehen wir eine Illustration eines Holzschnittes von Johannes Lichtenberger aus dem Jahre 1488. "Einer Zeit", wie es im Inneren des Heftes erklärend heißt, "in der die Nicht-Arbeit das Prinzip höherer Stände war. Die Inschrift lautet: "Du bete demütig, Du schütze, Du arbeite". Darstellung einer gottgewollten "Arbeitsteiligkeit". Über allen Christus, der die drei "Stände" segnet ...

Gut, dass Autor Günther Moewes gleich zu Anfang seines Textes die Geschichte des Arbeitsbegriffes vor Augen führt. Wir lernen: "Vor der Industrialisierung wurde unter dem Begriff "Arbeit" nur schwere körperlich Qualarbeit verstanden." Und zwar als "Strafe für den Sündenfall". "Geistige Arbeit und Müßiggang waren den Eliten vorbehalten." Nach der Industrialisierung also erst ist der Arbeitsbegriffe zusätzlich auf "geistige Entfaltungstätigkeiten ausgedehnt" worden. "Von jetzt an" notiert Moewes, "galt Müßigang als 'aller Laster Anfang'".

Nebenbei bemerkt:

Wenn man die nicht gleich an Franz Müntering (SPD) denken muss: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." Betreffs diesen Satzes verwies Müntefering einerseits auf die Bibel bzw. den SPD-Gründer August Bebel. Jedoch geht man mit beiden Quellen bezüglich des Münterfering-Satzes fehl. Weder Bibel noch Bebel könnte man sagen. In der Bibel steht "Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen". Bebel seinerseits bezog sich in "Die Frau und der Sozialismus wie Jens Berger (NachDenkSeiten) in anderem Kontext einmal klarstellte "nicht auf die Ärmsten der Gesellschaft, sondern auf die Oberschicht, die "Nichtarbeiter und Faulenzer der bürgerlichenWelt".

Qualarbeit und die Macht der Herrschenden

Fakt ist, "Qualarbeit" schanzten die Herrschenden stets den Beherrschten (S. 6 oben) zu. Zunächst durch Sklavenarbeit und hernach "indem man die Existenzberechtigung der Beherrschten von geleisteter Erwerbsarbeit abhängig machte. Bereits an dieser Stelle muss vorm inneren Auge des Leser "Hartz IV" dickrot aufblinken. Hat sich denn gar nichts geändert seither? Natürlich wissen wir es besser: Die besseren Zeiten von Arbeitern und Arbeit (von wirklicher "Qualarbeit", die immer auch existent gewesen war einmal abgesehen) hat es - zum Teil blutig erkämpft - gegeben. Nun sind wir anscheinend auf dem Rückweg. Günter Moewes erinnert daran, dass "bereits sehr früh von Herrschenden erkannt" (wurde), dass sich (...) überschüssiges Arbeitspotential hervorragend zur Schaffung und Festigung von politischer Macht eignete. Einmal "durch 'Arbeitsbeschaffung', Beschäftigung, Disziplinierung oder Ablenkung, um Aufsässigkeit vorzubeugen und zur unmittelbaren Verherrlichung der Herrschenden, z.B. durch Prachtbauten."

Moewes auf Seite 9: "Was früher Gottes Wille war, sind heute die angeblich 'naturgegebenen' Kapitalmechanismen."

Verherrlichung von Arbeit

Günter Moewes merkt an, dass in der Geschichte der Arbeit immer auch eine "Verherrlichung" gerade auch "von jenen betrieben (worden sei), die sich selber der Qualarbeit trickreich entzogen hatten". Moewes: "Arbeiterbewegung"? Wie viel Arbeiterführer gab es denn, die jemals selber Arbeiter gewesen waren?"

Ein interessanter Abriss der Geschichte des Arbeitsbegriffs. Ich kann nur empfehlen, sich diesen zu Gemüte zu führen. Auch um die heutige Situation besser zu verstehen.

Moewes meint, die "Behauptung der Konservativen, jeder Mensch arbeite gerne", müsse "differenziert werden: Jeder Mensch ist gerne sinnvoll tätig." Nach "Qualarbeit" steht gewiss niemanden der Sinn. Die tue nur jemand, der keine anderen Einkommensmöglichkeiten habe.

Selbstbestimmtes Arbeiten möglich

Günter Moewes steht auf dem Standpunkt (Seite 16) , dass wir "Wenn Bildung künftig nur "entsprechend organisiert werden" würde "einen Stand erreichen" könnten, "in dem alle Menschen auch fähig sind, selbstbestimmt zu arbeiten." Solche Arbeit, die sich nicht entsprechend organisieren ließe, müsse besser bezahlt werden. Unangenehme Qualarbeit, so Moewes, werde es zweifellos noch lange geben. Es leuchtet ein: Die "unsolidarische 'Arbeitsteilung' in gering qualifizierte Qualarbeiten und höher qualifizierte Entfaltungstätigkeiten" lassen "sich nicht von heute auf morgen abstellen."

Gleichwohl, gibt der Autor allerdings gleich darauf zu bedenken, müssten wir "diesen Zustand nicht bis in alle Ewigkeit hinnehmen, sondern an seiner Überwindung arbeiten."

Eines fernen Tages

Moewes stellt sich vor, es sei "eines fernen Tages eine Welt" (S. 17 unten) denkbar, "in der es keine Unterqualifizierten mehr gibt und unterqualifizierte Qualarbeit reihum solidarisch in zwei bis drei Pflichtjahren von Allen erledigt wird." Dies würde gleichfalls dazu führen, "dass die heutige Verständnislosigkeit gegenüber der Qualarbeit von jenen 80 % der Bevölkerung, die selber niemals welche geleistet haben nach und nach abgebaut wird".

Allein: Grau ist alle Theorie. Wann wird die Gesellschaft reif dafür sein? Moewe dürfte kein Träumer sein. Er selbst nennt dies "ferne Zukunftsmusik".

Nach diesem Part wird dem Leser schon klar wohin Moewes orientieren will: Als ersten Schritt "in einen Ausstieg aus der bisherigen, historischen Zweiklassengesellschaft" könnten "Arbeitszeitverkürzung und eine bedingungsloses Grundeinkommen" sein.

Sprichworte und Zitate von Hegel, Jünger, Marx, Russel und Ludwig Erhard

In Kapitel 1.3 "Verherrlichung oder Befreiung?" geht es um "Die Verherrlichung der Arbeit in Geschichte und Literatur". Es folgen ein Sprichworte und eine Reihe Zitate von Hegel über Lenin ("Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." (machte uns der römisch-katholische Müntefering also in Wahrheit den Leninist?) bis hin zu Ernst Jünger.

Von den unter dem Abschnitt "Die Befreiung von Qualarbeit in Geschichte und Literatur" (ab Seite 19 unten) abgedruckten Zitaten lassen besonders eines von Karl Marx ("Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört."), jenes von Bertrand Russel ("Ich glaube nämlich, daß in der Welt zuviel gearbeitet wird, dass die Überzeugung, Arbeiten sei an sich schon vortrefflich und eine Tugend, ungeheuren Schaden anrichtet, und daß es not täte, den modernen Industrieländern etwas ganz anderes zu predigen." sowie das von Ludwig Erhard ("Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer nützlich und richtig ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoll ist, unter Verzichtleistung auf diesen 'Fortschritt' mehr Freiheit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.") aufmerken.

Entwertung von Menschenarbeit

Günter Moewes führt aus, dass man gegenwärtig statt den "unaufhaltsamen Rückgang der Menschenarbeit" zu begrüßen selbiger von Ökonomie und Politik "systematisch dazu benutzt" würde, um "ein Überangebot zu erzeugen und Menschenarbeit so immer mehr zu entwerten". Die Arbeitsentwertung treibe die "zunehmende private Bereicherung der Kapitalseite voran." (Seite 21 oben)

Und Moewes weist auf einen offensichtlichen Widerspruch hin: Trotz gewaltiger Produktivitätssteigerungen in den letzten Jahrzehnten schreitet man ab 1992 plötzlich wieder

zu Arbeitszeitverlängerungen! "1960 wurde das damalig BIP noch 56,47 Mrd. Arbeitsstunden erwirtschaftet. Bereits 2004 wurde mit 46,13 Mrd. Arbeitsstunden bereits ein BIP erwirtschaftet, das 3.3 mal so groß war wie das von 1960."

Doch den Nutzen daraus zieht die Mehrheit der Bevölkerung nicht. Moewes meint es müsste deutlich gemacht werden, das "wir längst in einer Plutokratie leben, in einer Reichenherrschaft, die beginnt, mafiöse Endzeitzüge anzunehmen" (Seite 38).

Ebenso ist dem Autor beizupflichten, wenn er unter 2.6 daraufhin weist, das "Rettungschirme" für Finanzmärkte auf Kosten der Arbeitenden gingen.

Freilich ist gleich war, dass die Finanzkrise in Wirklichkeit eine Verteilungskrise ist. Geld ist also genug da. Wie Heiner Geißler immer zu sagen pflegt: Geld wie Dreck.

Überwindung von überflüssiger und falscher Arbeit

Nur wie herankommen an das Geld? Moewes: Die "tatenlos hingenommene Umverteilung sowohl von unten nach oben, als auch aus Sphäre der Realwirtschaft in die Sphäre der Finanzspekulation" und "die notwendige Überwindung überflüssiger und falscher Arbeit, kann" hier stark verkürzt wiedergegeben, "nur durch zwei Instrumente umgekehrt bzw. überwunden werden: die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und ein Bedingungsloses Grundeinkommen."

Gleichzeitig brauche es eine "Deglobalisierung" Arbeit und Produktion und die "Überwindung des Beschäftigungsstaates".

Für und Wider des Bedingungslosen Grundeinkommens

Das Kapitel 6 befasst sich schließlich mit der Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Untertitel: "Die Arbeitswende hat schon begonnen"

Hat sie das? Vielleicht das Nachdenken darüber, das will ich konzedieren. Betreffs BGE oder Bürgergeld gibt es mehrere Modelle und entsprechende Berechnungen dazu. Aber ist die Zeit schon reif dafür? Ich glaube eher nicht. Zu sehr sind viele von uns noch geprägt von einer halbwegs intakten Auffassung von Arbeit und Leben. Auch Gewerkschaften sind per se nicht unbedingt Freunde des BGE, gehörten doch auch sie bislang nicht selten zu den Verherrlichern der Arbeit. Aus gutem Grund: ihre Mitglieder sind Arbeitende. Obschon in Parteien wie SPD, Grüne und DIE LINKE Modelle wie Bürgergeld oder BGE diskutiert werden, dürfte sich in naher Zukunft auch da keine Mehrheit dafür finden, um sie wirklich aufs Tapet zu bringen. Auch über die Finanzierung des BGE wird heftig gestritten. Der Ökonom Heiner Flassbeck und andere (hier) befürchten gar die allgemeine Arbeitsbereitschaft würde sinken. Moewes will dennoch nicht sehen, dass das BGE ein "Irrweg" ist, wie Flassbeck meint.

Günther Moewes: "Ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist sehr wohl finanzierbar."

Und das begründet er auch ziemlich nachvollziehbar. Doch wird die Politik einen solchen - dafür nötigen - immensen Systemumbau eines Tages umsetzen können? Wird sie es überhaupt wollen, können? Nicht solange die Gesellschaft nicht bereit dafür ist. Moewes selbst räumt ein, es bedürfe eines Übergangsstadiums.

Es lohnt sich immerhin über das BGE nachzudenken. Und Günther Moewes liefert in seinem Text die Argumente und Berechnungen die es seiner Meinung dafür sprechen und die Finanzierung sicher stellen können.

Ja, Moewes liegt durchaus nicht falsch, wenn er die "Arbeitswende" als im Gange befindlich beschreibt. Und ihm muss ebenfalls Recht gegeben werden, wenn er schreibt Vollbeschäftigung sei eine Illusion. Und zwar immer schon gewesen. Es habe sie immer nur regional und vorübergehend gegeben. Forderungen nach Vollbeschäftigung seien "rückwärtsgewandt". Der Jugend ruft er zum Schluss gewissermaßen zu, sie solle sich "abwenden von Neoliberalen und Altgewerkschaftern, die ihr Unglück durch abstruse Ideologien verursacht" hätten. "Sie sollte nicht mehr 'Arbeit, Arbeit, Arbeit' fordern, sondern angemessenen Anteil an den Ergebnissen der explodierenden Produktivität."

Fazit

Ein Büchlein für alle, die sich für die künftige Definition von Arbeit und einer gerechten Gesellschaft interessieren. Diesbezüglich, auch geschichtliche Entwicklungen aufzeigend, kann man es mit Recht als Nachdenk-Anleitung verstehen. Es enthält u.a. eine kritische Bilanz der bundesdeutschen Grundeinkommens-Debatte:

Überwindung des Wachstums, bedeutet auch Überwindung falscher Arbeit. Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung und BGE sind erste Schritte in eine solidarische und ökologische Gesellschaft. Nicht-Arbeit wäre kein Privileg reicher Besitzender mehr.

Das Buch:

Günther Moewes

Arbeitswende

Die Überwindung des Beschäftigungsstaates

pad-Verlag Bergkamen, E-Mail: pad-verlag@gmx.net

ISBN 987-3-88515-256-9

5 Euro

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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