Kein Einzelfall: Oury Jalloh - Demo in Dessau

Rassismus Vor 12 Jahren verbrannte Oury Jalloh in einer Dessauer Polizei-Zelle. Bis heute ist nicht geklärt wie das passieren konnte: Jalloh war an allen Vieren gefesselt.

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Die Causa ist – und das ist noch weit untertrieben - unerquicklich und der Umgang damit ein Skandal sondergleichen. Oury Jalloh war (Informationen via Wikipedia)

„ein in Deutschland lebender Sierra Leoner. Er kam durch einen Brand in einer Gefängniszelle im Keller des Dienstgebäudes Wolfgangstraße 25 des Polizeireviers Dessau in Sachsen-Anhalt ums Leben. Der in diesem Zusammenhang der Körperverletzung mit Todesfolge angeklagte Dienstgruppenleiter des Polizeireviers sowie ein weiterer der fahrlässigen Tötung bezichtigter Polizist wurden am 8. Dezember 2008 vom Landgericht Dessau-Roßlau freigesprochen.[3] Am 7. Januar 2010 wurde der Freispruch für den Dienstgruppenleiter vom Bundesgerichtshof aufgehoben.[4] Der Freispruch für den zweiten Polizisten war inzwischen rechtskräftig geworden. Am 12. Januar 2011 begann vor dem Landgericht Magdeburg die neue Hauptverhandlung. Am 13. Dezember 2012 wurde der Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen in Höhe von 90 Euro (10.800 Euro) verurteilt. [5] Aufgrund eines im November 2013 auf private Initiative angefertigten Gutachtens, das die These der Selbstverbrennung durch Oury Jalloh (an allen Vieren gefesselt!; Anm. C.S)) in Frage stellt,[6] hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau im April 2014 ein neues Ermittlungsverfahren zur Klärung der Todesursache eingeleitet.[7]

Trotz eisigen Winterwetters und Schneefall bis zu 2500 Menschen auf Demo zu Oury Jallohs Todestag in Dessau

Es ist kaum zu fassen: Am vergangenen Sonnabend jährte sich Oury Jallohs Todestag bereits zum zwölften Male. Um daran zu erinnern fand am 7. Januar 2017 in Dessau (Sachsen-Anhalt) eine Demonstration statt. Der Aufruf war mit „OURY JALLOH: #Kein Einzelfall! DAS WAR MORD! – #Keine Einzeltäter! - KAMPAGNE 7. Januar 2017 gegen das #Verbrennen#Vertuschen#Verschweigen#Verfolgen“ überschrieben. Trotz eisigen Wetters und Schneefall nahmen an dieser Demonstration – wie auch die Mitteldeutsche Zeitung konzediert – mehr Menschen als im Vorjahr teil. Die Polizei sprach von 1100, die Veranstalter von bis zu 2500 Teilnehmern. Zu letzterer Zahl neigt auch der Kölner Journalist Peter Donatus, welcher die Demonstration von Anfang bis Ende begleitete. Mit ihm habe ich heute telefoniert. Die Demo, sagte er, sei für ihn „mehr als ein Erfolg“ gewesen. Zumal man von einer bundesweiten Demonstration sprechen müsse, denn es seien Teilnehmer aus ganz Deutschland angereist.

Demozug über fünf Stationen. Berührendes Gedenken an den im Jahr 2000 getöteten Alberto Adriano

Donatus berichtete darüber hinaus von einer hoher Polizeipräsenz. Die Polizistinnen und Polizisten wären quasi „bis an die Zähne“ bewaffnet gewesen. Einerseits begrüßt der Journalist deren so zahlreiches Vorhandensein, denn es gelte freilich den Aufzug vor möglichen rechten Störern zu schützen. Anderseits habe die hohe Präsenz der Ordnungshüter womöglich auch mit den im Vorfeld der Demonstration in der Presse geäußerten Ängsten zu tun, es könne zu Ausschreitungen linker Kräfte aus dem Demonstrationszug heraus kommen.

Der Demonstrationszug begann am Dessauer Hauptbahnhof, führte zum Gebäude der Staatsanwaltschaft, in einem Park, zum Markt, vor das Rathaus und endete dann wieder am Hauptbahnhof. Station wurde auch an einem Gedenkstein gemacht, der inder Stadt für den Mosambikaner Alberto Adriano aufgestellt wurde. Adriano wurde im Jahr 2000 von Rechtsextremisten grausam zusammengeschlagen und erlag schließlich seinen schweren Verletzungen. Peter Donatus gab an, sehr berührt gewesen zu sein, als der Antirassismus-Song „Adriano (Letzte Warnung)“ der Brother Keepers gespielt wurde. Ein Highlight sei das gewesen, so Donatus am Telefon. Es habe des Weiteren viele Redebeiträge auf der Kundgebung gegeben

Berichterstattung der Journalisten wurde behindert. Beschwerden folgen auf dem Fuße

Anwesenden Journalisten wurde verweigert der Übergabe der kritischen Stellungnahme von Iain Peck zum jüngsten Brandgutachtens von Dr. Kurt Zollinger(das außergewöhnlich lange zurückgehalten wurde) zur Ermittlung der Todesumstände Oury Jallohs in der Dessauer Polizei-Zelle an die Dessauer Staatsanwaltschaft beizuwohnen. Peter Donatus am 7. Januar 2017 via Facebook:

Die Dessauer Polizei behindert die Pressearbeit vor Ort. Sie riegelte das Gebäude der Staatsanwaltschaft ab. Bei der Übergabe des Gutachtens an die Staatsanwaltschaft durch die Oury Jalloh Initiative hat die Polizei der Presse den Zutritt in das Gelände untersagt.“

Der Kölner Journalist kritisierte das noch vor Ort scharf. Man sei massiv von der anwesenden Polizei an der Ausübung journalistischer Tätigkeit gehindert worden. Und mehrfach gezwungen worden, seinen jeweiligen Standort zu wechseln. Zur Rede gestellt, erwiderte die Polizei, sie hätte entsprechende Anweisungen. Donatus protestierte lautstark. Jedoch bekam er keine Erklärung dafür, was man denn bei der Übergabe zu verheimlichen hätte bzw. verbergen habe. Der Kölner Journalist wird neben anderen Kollegen gegenüber der Polizeibehörde Beschwerde wegen Behinderung der Pressearbeit einlegen. Donatus: „Wir haben ja wohl noch Pressefreiheit in Deutschland.“ In Absprache mit Kollegen erwägt der Kölner zusätzlich noch eine entsprechende Beschwerde am Landtag Sachsen-Anhalt einzulegen.

Ein Gutachten, welches wohl abermals keine Klärung des Falls herbeiführt

Es muss darauf hingewiesen werden, dass das aktuelle Brandgutachten von Dr. Zöllinger bereits wieder in der Kritik steht. Und vermutlich abermals nicht dazu geeignet ist abschließend eine Klärung des Falles herbeizuführen.

Zu lesen (Englisch) in der gutachterlicher Stellungnahme von Iain Peck (Prometheus Forensic Services London/UK) 2. Dezember 2016. Dazu auch hier und hier (Deutsch). Ian Peck gibt zu bedenken:

Gutachterliche Stellungnahme Iain Peck, 2.12.2016, Pkt. 31

Bei einem Vorfall, bei dem ein Mensch zu Tode kommt, sollten den Interessen der Familie des Verstorbenen seitens des Staates der höchste Respekt und Rücksichtnahme entgegengebracht werden. Im Wesentlichen sollte der Staat für die Familie arbeiten und deshalb offene und ehrliche Untersuchungen aller in diesem Fall bekannten Fakten und Hypothesen darüber, wie das Feuer zustande kam, aufführen und vollständig untersuchen, damit von der Familie und Freunden so gut wie möglich nachvollziehen kann, wie der Verstorbene ums Leben kam. Im Fall von Herrn Jalloh‘s Tod in der Polizeizelle, sind diese Untersuchungen unserer Meinung nach von Anfang an fehlerhaft gewesen.“

Zum Fall sei auch auf ein Video (Vorsicht! 18 plus!) verwiesen. Dieses jedoch empfehle ich nur anzusehen, wenn man starke Nerven hat.

Peter Donatus bilanziert: Kundgebung war sehr sehr erfolgreich

Peter Donatus machte sich höchst zuversichtlich auf die Rückreise nach Köln:

Persönlich bin ich aufgrund der Horror-Hin- und -Rückfahrten gesundheitlich etwas angeschlagen.
Aber mein Ausgleich ist die Erkenntnis, dass die Kundgebung sehr sehr erfolgreich war, und dass so viele Menschen aus Gesamtdeutschland zusammenkamen. Trotz Schneewetter, um den vor 12 Jahren durch 'Dessauer Staatsbedienstete' ermordeten (so sieht es nach wie vor die Oury Jalloh Initiative) Afrikaner Oury Jalloh zu gedenken, und um gegen ein Übel friedlich zu protestieren - DIE POLIZEIGEWALT.
Auf dem weg zurück nach Köln nahm ich das mit:
TOUCH ONE TOUCH ALL! Peace!!!“ (via Facebook)

Nicht nur Donatus fragt sich nach nunmehr 12 Jahren (!) der Vernebelung und Verschleppung der Aufklärung der Todesumstände Oury Jallohs, wer wohl daran ein Interesse haben könne, dass die Wahrheit nicht ans Licht kommt. Man kann es ich eigentlich denken. Will man dies solange treiben, bis der Fall vergessen wird? Das ist nicht nur für die Angehörigen und Freunde Oury Jallohs unerträglich sondern bedeutet auch ein schweres Versagen staatlicher Organe. Und ist deshalb nicht länger hinnehmbar. Die Oury Jalloh Initiative und andere Organe werden dafür Sorge tragen, dass dieser Fall nicht der Vertuschung und dem Vergessen anheimfällt.

Früher oder später wird man sich in Dessau ehrlich machen müssen.

Dessau kommt nicht aus den Schlagzeilen heraus: Mord an einer chinesischen Studentin wirft wieder Fragen auf

Und schon wieder macht Dessau betreffs eines Mordes an einem Menschen aus dem Ausland Schlagzeilen. Die chinesische Studentin Y. Li wurde ermordet (dazu hier mehr) Der Stiefvater des Haupttatverdächtigen ist Polizeibeamter. Auch dessen Mutter ist Polizistin. Nahmen die Beamten Einfluss auf die Untersuchungen? Vielleicht. Nein. Es bleiben Fragen offen.

Hinweis: Der Beitrag ist hier auch bebildert (Fotos: Peter Donatus) abzurufen.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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