Kulturbanausen ante portas - Vergreift sich Wuppertal am Theater?

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Derzeit ist die Schweinegrippe in fast aller Munde. Das Blatt Papier mit den großen Buchstaben und den flotten Girls des Tages mit ihren meist prallen Argumenten knallte das Monstrum natürlich gleich auf die Tittenseite: 35.000 Tote durch die Schweinegrippe. Kai Dieckmann ging forsch vor der auf ihn gerichteten Videokamera voran und ließ sich vorBILDlich spritzen. Nun weiß es jeder: Den Mann hat was gestochen...

Andere Menschen halten nichts von diesen Stichen. Die Impfung will einfach nicht so flutschen, wie die Pharmariesen hofften. Womöglich ahnen jene Menschen: Die Gefahr droht von wo ganz anders!

Schauen wir doch einmal nach Wuppertal. Schwebebahn!, werden Sie sofort denken. Und Tuffi wird Ihnen da einfallen. Der kleine Elefant, der einst einmal aus einem Waggon dieser Schwebebahn herunter in die Wupper sprang. Und den Leserinnen und Lesern des FREITAG wird sicher auch das sofort und wie geölt über die Lippen kommen: Die unvergessene weltbekannte Pina Bausch und ihr Tanztheater! Ja, Gott hab' die Göttliche selig! Eben war noch Wim Wenders mit allerneuester Hollywood-Filmtechnik da, um ausgewählte Bausch-Choreographien für die Nachwelt festzuhalten.

Nun frage ich mal provokant: Verfährt die Stadt Wuppertal jetzt nach der zwar frevelhaften, dafür aber sehr praktischen Devise: Pina Bausch ist tot, nun lebt sich's völlig ungeniert?

Auch der Stadt Wuppertal (wie übrigens vielen anderen deutschen Kommunen auch) steht das Wasser auf Grund einer desaströsen Finanzlage Oberkante Unterlippe. Die mit 1,8 Milliarden (!!!) Euro dramatisch hoch verschuldete Stadt will nun - klar: die Kommunalwahlen sind ja unter Dach und Fach (die Bürger haben ihre Stimme im wahrsten Sinne des Wortes abgegeben) - bis zum Jahre 2014 zirka 216 Millionen Euronen einsparen. Sie ahnen sicher schon, was den Kommunalpolitikern so alles einfiel, um dies ins Werk zusetzen. Kürzungen von 10 Prozent sieht das ausgeklügelte Sparpaket allein im Jugend- und Sozialbereich vor. Auch Bäder sollen dichtgemacht werden.

Es trifft wie immer diejenigen, die im Sinne der neuen schwarz-gelben Regierung in Berlin mit der sozialdemokratisch wirken wollenden Bundeskanzlerin Merkel an der Spitze und dem ach so sozial eingestellten Guido Westerwelle als deren Vize, auch in Wuppertal nicht gerade zu den Leistungsträgern der Gesellschaft gehören. Und kommunale Einrichtungen, welche nichts an in Euro zu messendem Profit erbringen. Folgerichtig wird so auch die Wuppertaler Kultur zurückgenschnitten. Pina Bausch war gestern. Ein Streichkonzert macht jetzt Musik.

Wuppertal droht die Komplett-Schließung des Sprechtheaters. Dessen jährliche Kosten schlagen bei einem 11-Millionen-Euro-Jahresetat für das Zwei-Sparten-Theater mit zwei Millionen Euro zu Buche. Bereits vor kurzem wurden dem Schausspiel schon einmal 500 000 Euro weggenommen. Für ein Theater gewiß kein Pappenstiel. Das Abgeknapste floss in die Finanzierung des Schulmittagessen. Frei nach Brecht: Erst kommt das Fressen, dann die Kultur? Nichts für ungut. Zynismus beiseite. Ich prophezeie: Am Ende des Verschiebens der Finanzen von einem zum anderen Posten steht der große Jammer. Dann wird mehr über die Wupper gegangen sein als nur die Kultur...

Auch anderen Städten und Gemeinden in Deutschland geht es nicht besser. Die im Sinne der Allgemeinheit betrachtet völlig verfehlte neoliberale Politik der vergangnenen Jahre, einhergehend mit steigender Arbeitslosigkeit und wachsenden Sozialausgaben - bei gleichzeitig immer weiter einbrechenden Steuereinnahmen - hat die Länder und Kommunen nahe an den Abgrund der Zahlungsunfähigkeit geführt. Die Politik von Schwarz-Gelb in Berlin dürfte diesen Zustand in den kommenden Jahren eher noch verschärfen.

Der quasi zur Religion erhobene Markradikalismus hat uns schnurstracks in die schlimmste Weltwirtschaftskrise seit achzig Jahren manövriert. Nicht nur einzelne Invenstmentbanker haben im Glauben daran ihre Hirne umpolen lassen und dabei offenbar auch gleich noch den gesunden Menschenverstand mit abgeschaltet. Auch Städte und Gemeinden ließen sich im Schwange dieses - auch von einigen Medien hochgepushten Rausches - auf Irrwege lavieren. Fragwürdige Cross-Border-Leasing-Geschäfte und Finanzspekulationen mit kommunalen Steuergeldern galten als der Bringer. Auf dies alles ließen sich Kommunen ein, obwohl man die dazugehörigen Vertragsbedingungen nur ungenügend kannte bzw. überhaupt nicht verstand. Nichtsdestotrotz wurden diese komplizierten, verklausulierten Vertragskonstrukte von den zuständigen Volksvertretern brav abgenickt. Das dicke Ende all dessen dürfte sich nun allmählich nähern. Unseren Kindern und Kindeskindern - sie müssen künftig die Folgen tragen - gnade Gott!

Was nun den Fall "Wuppertal" anlangt, so hofft man dort noch auf einen "Theaterpakt", den NRW-Kulturstaatssekretär Grosse-Brockhoff (CDU) ins Spiel gebracht hat. Wuppertals Kulturdezernent Nocke tröstet sich: "Wir sind jedenfalls nicht allein." Tatsächlich: Das Theater Hagen hat seine Tanzsparte gestrichen und Oberhausen steht unter striktem Spardiktat. Und auch in Dortmund wird gespart, dass es quietscht. Dort war ausgerechnet nach den NRW-Kommunalwahlen ganz zufällig ein Haushaltsloch von über 100 Millionen Euro aufgetaucht! Nun gilt eine Haushaltsperrre. Am Dortmunder Theater muss die Beschaffung eines jeden einzelnen Schräubchens Kuppe für Kuppe hoheitlich abgenickt werden. Sogenannte Bühnenbohrer zur Befestigung von Kulissenteilen werden gar nicht mehr angeschafft.

Der bedauernswerte Wuppertaler Theaterchef Christian von Treskow ist angesichts der Misere ratlos und sieht schwarz. Er ahnt: am Ende des angedachten Einsparungprozesses könnten die Wuppertaler Bühnen anders aussehen, "...wie wir sie kennen". Befürchtet wird, dass letzten Endes nur ein Haus ohne Bühnenbild, ohne Chor und ohne Schausspieler übrigbleibt.

Am Rande bemerkt: Die Kulturausgaben der Kommunen machen in der Regel 1 bis 5 Prozent des Gesamthaushaltes aus. Das Land NRW subentioniert jede Theaterkarte in etwa mit 135 Euro.

Das mag nach viel klingen. Was jedoch wäre die Alternative? Man stelle sich einmal eine Gesellschaft ohne Theater, Kunst und Kultur vor. Was bliebe dann? Höchstwahrscheinlich eine Gesellschaft der Barbaren. Wir schlügen uns wohl gegenseitig die Köpfe ein. Nicht sofort. Aber irgendwann...

Eines scheint hingegen sicher: In Zeiten der Krise feiert so manch schon tot geglaubte Sparidee wieder fröhliche Urständ. Und schon macht auch die Warnung Sinn: Achtung! Kulturbanausen ante portas!

Ob der Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung und Kämmerer Johannes Slawig (beide Christliche Demokraten der Union) nun Kulturbanausen sind oder nicht, steht mir nicht zu zu beurteilen. Aber nicht nur viele Wuppertaler dürften betreffs ihrer Stadt finden: Nur mit der Schwebebahn allein ist kein Staat zu machen...

Nicht nur Pina Bauschs Ehre und die Erinnerung an die großartige Künstlerin sollte die Stadt hochhalten, sondern auch wieder einmal an einen ihrer Söhne denken.

Beispielsweise an Friedrich Engels, der am 28.11.1820 in Barmen (heute zu Wuppertal gehörend) geboren wurde. Und wenn in einer Woche dessen Geburtstag gefeiert wird, sollte sich Wuppertal ruhig einmal an dessen Schriften erinnern. Aber nicht nur an die. Sondern ebenfalls an die seines Freundes Karl Marx. Der ist nämlich dank der Krise des Kapitalismus plötzlich wieder hochaktuell. OB Jung und Kämmerer Slawig müssen ja nicht gleich das ganze "Kapital" von Marx "wuppen". Für den Anfang reicht vielleicht das "Kommunistische Manifest". Das ist ja recht dünn. Nur nicht vom Inhalt her: Der Text lässst sich auch heute noch verblüffend aktuell und durchaus mit großem Gewinn lesen...

Ob die Schweinegrippe erbarmungslos zuschlagen wird, wissen wir nicht. Aber, dass die Kulturbanausenbereits ante portas sind, steht fest. Ein Impfstoff dagegen ist bislang unbekannt. Abwehrkräfte gegen Banausen aller Art sind aber dennoch dringend gefragt!

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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