Leoluca Orlando: "Niemand ist illegal"

24. Friedensratschlag Der Bürgermeister von Palermo hat erfolgreich gegen die Mafia gekämpft. Heute setzt er sich mit großem Herzen via der Charta von Palermo für Geflüchtete ein

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Der 24. Friedenspolitische Ratschlag in Kassel startete am zweiten Tag des vergangenen Wochenendes in der Aula mit einem hochinteressanten Plenumsvortrag des großartigen Leoluca Orlando, langjähriger Bürgermeister von Palermo und 2017 abermals in dieses Amt gewählt. Orlando, Jurist und Politiker war schon des Öfteren zu Gast in Deutschland. Früher von der Mafia bedroht oft unter Polizeischutz. Inzwischen, so Orlando, spiele die Mafia im Grunde keine Rolle mehr in der Stadt.

Ich bin eine Person“ – Die Charta von Palermo

Am frühen Sonntag sprach Leoluca Orlando auf Deutsch (er versteht fünf Sprachen) vor voller Aula in Kassel über außergewöhnliche „Charta von Palermo“ (von 2015).

Im Kern geht es darin um die Internationale Freizügigkeit von Menschen. Sie nimmt sich der Migration als Problem zur Freizügigkeit als unveräußerlichem Menschenrecht an. Der Leitsatz der Charta von Palermo: “Io sono persona” (Ich bin eine Person.)

Leoluca Orlanndo. „Palermo ist eine Mittelmeerstadt“

„Palermo“, sagte Leoluca Orlando, „ist keine europäische Stadt – Palermo ist eine Stadt in Europa“.

„Palermo ist nicht Frankfurt“ fuhr der Bürgermeister fort, „tut mir leid. Palermo ist nicht Kassel. Aber Palermo ist in Europa. Palermo ist eine Mittelmeerstadt.“ Das Mittelmeer empfindet Orlando als eine Art „Kontinent des Wassers“. Und da müssten die Freizügigkeit und die Menschenrechte respektiert werden.

Palermo hat keine Migranten. Alle Menschen in Palermo sind Menschen

Dann kam der Bürgermeister auf sogenannten Islamischen Staat zu sprechen und fragte: „Was der Unterschied zwischen Islamischen Staat und der Mafia?“ und antwortete darauf selbst: „Keiner!“

Hundert Jahre habe die Sizilianische Mafia in Palermo geherrscht. Der Bürgermeister sei normalerweise ein Freund vom Mafiaboss gewesen. „Einmal sogar war er der Boss.“

In Palermo habe es kein Migrant gegeben. Die Mafia duldete nur BürgerInnen mit sizilianischem Blut. „Die sizilianische Mafia ist wie der Islamische Staat – der dulde nur reine Muslime.“

Doch man sehe sich die Menschen heute an: Palermo mit seinen Menschen sei „wie ein Mosaik“. Es bestehe aus Menschen. „Wenn Sie mich heute fragen, wie viele Flüchtlinge in Palermo leben, antworte ich nicht: 60 000 oder 100 000. Sondern: keine. Alle in Palermo „sind Menschen“. Beifall brandete auf.

Die Charta von Palermo sage „Mobilität ist ein Menschenrecht. Wir sind gegen Aufenthaltsgenehmigungen. Wir sind nicht gegen Reisepass.“ Wer nach Palermo kommt sei Palermitaner.

Der Mord an Piersanti Matarella veränderte das Leben von Leoluca Orlando

Dann sprach Orlando darüber wie seine politische Laufbahn begann. Es sei der Tag gewesen, als der Präsident der Region Sizilien Piersanti Mattarella, der Präsident der Region Sizilien, von der Mafia ermordet wurde. Am 6. Januar 1980. Das habe sein Leben verändert. Leoluca Orlando war damals Rechtsprofessor an der Universität von Palermo. Die Familie von Piersanti bat ihn, dessen Erbe anzutreten und in die Politik zu gehen. Sie sagten, „Du musst das machen, du bist sauber. Es gibt zu viele korrupte Politiker. Du musst in die Politik gehen.“ Jahrzehnte später konnte Sergio Mattarella, den nunmehrigen Präsident Italiens, anrufen und sagen: „Die Mafia lebt nicht mehr.“

Der Bürgermeister von Palermo heißt die Flüchtlinge im Hafen seiner Stadt persönlich willkommen

Leoluca Orlando lässt es sich nicht nehmen, in den Hafen von Palermo zu fahren, wenn wieder einmal Flüchtlinge dort ankommen, um diese persönlich willkommen zu heißen. Jedes Mal berühre ihn jedes persönliche Flüchtlingsschicksal, von dem er zu hören bekommt. Einmal sei er auf ein junges Mädchen aus Kongo, vierzehn Jahre alt, getroffen. Es verlor während der Flucht übers Meer seine Mutter und gab sich die Schuld dafür. Er mache den erschöpften Menschen dann stets Mut bei der Ankunft, sage ihnen, das Schlechte ist vorbei, sie seien frei, sind am Leben und in Sicherheit.

Einem jungen Ghanaer habe er seine Karte gegeben und gesagt: „Wenn du Probleme hast, ruf doch mal an.“ Aber der Junge blieb traurig und antwortete: „Zwei meiner Brüder sind gestorben. Und ich bin nun allein hier.“

Orlando: Wir können nicht sagen, wir hätten vom Schicksal der Flüchtlinge nichts gewusst

Orlando habe an das Unrecht im Dritten Reich und an Auschwitz denken müssen und dann an die Nürnberger Prozesse. „Unsere Großmutter, unser Großvater konnte sagen, sie hätten nichts über die Naziverbrechen, den Genozid, gewusst.“ Wir heute aber wüssten vom Schicksal der Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken. Orlando: „Wir müssen das Recht anwenden und die Menschenrechte schützen!“

Was hat der Vatikan mit meinem Glauben zu tun? Nichts!

„Der Vatikan“ erhob Orlando seine Stimme empört, „hat die Todesstrafe erst 2001 abgeschafft! Ein solcher Staat würde nie in die Europäische Union aufgenommen. Ich bin Katholik. Was hat der Vatikan mit meinem Glauben zu tun? Nichts! Ich hoffe, dass Papst Franziskus den Vatikan kaputtmacht.“

Palermo verzeichnet Erfolge

Alles bewege sich langsam. Aber dennoch sind Erfolge zu verzeichnen, was Palermo anbelangt. „Wissen Sie wie viel Prozent die Lega Nord bei den letzten Wahlen bekommen hat? Ein Prozent!“

Wir, gab der Bürgermeister von Palermo zu bedenken, dürften die Menschen nicht separat behandeln. Sondern wie ein Doktor müssten wir handeln, der für den Erhalt des Lebens zuständig sei.

In Palermo spüre man wie die Leute ihre Stadt schützen. Auch die hinzugekommenen Muslime empfänden sich als Palermitaner.

Bürgermeister Orlando ist stolz auf seine Stadt, „die versucht ein Mosaik zu sein“

Leoluca Orlando zeigte sich stolz darüber, dass man sich als Stadt so stark für die Menschenrechte einsetze. Einer Stadt anzugehören, „die versucht ein Mosaik zu sein“.

„Es gibt in Europa einen dummen, einen kriminellen Unterschied zwischen Migranten, auch denen, welche aus wirtschaftlichen Gründen kommen und Flüchtlingen. Es sind beides Menschen! Warum darf ein Syrer kein Ticket kaufen, um direkt nach Paris oder nach Rom zu fliegen? Warum muss er Mittelmeer sterben? Das ist kriminell. Warum haben sie nicht das Recht zu kommen? Warum müssen sie einen Mafiaboss bezahlen, um zu kommen?“

Weinen Sie nicht

Und sagte Orlando noch zum Abschluss: „Wenn ich irgendwann ins Gefängnis komme, weil ich einen illegalen Migranten bei mir zu Hause habe – weinen Sie nicht. Denken Sie daran: Niemand ist illegal!“ – Lang anhaltender Beifall.

Was den Moderator der Veranstaltung, Willi van Ooyen, so begeistert

Moderator Willi van Ooyen ergänzte noch, dass ihn Palermo selbst so begeistere, weil die Stadt Menschen ein Grabstätte anbiete, die durch die Todesstrafe getötet worden sind. „Jeder hat das Recht auf ein würdiges Begräbnis. Überdies werde jeder Flüchtling der tot in Palermo angeschwemmt ein Grab oder wenigstens eine Gedenktafel bekomme.

Übrigens wird Palermo 2018 Kulturstadt Italiens sein.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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