Manfred Liebscher, Kriminalist beim MfS

Eine DDR-Biographie Der Versuch mit der DDR den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden zu errichten, ist gescheitert. Menschenschicksale künden davon.

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Zwanzig Jahre liegt der Fall der Mauer nun schon zurück. Vor sechzig Jahren war die DDR gegründet worden. Das Experiment des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden fand nur kurze Zeit später sein Ende. Gescheitert war es schon viel früher. Vor allem an sich selbst. Und den führenden Betonköpfen im Zentralkomitee der SED und anderswo. In vielfältiger Weise wird in diesen Tagen an die zurückliegenden historischen Ereignisse in diesem Zusammenhang gedacht.

DDR – Heimat der kleinen Leute

Auch der einstige DDR-Oberstleutnant a. D. Manfred Liebscher dürfte das tun. Allerdings – wie ich mir nach der Lektüre seiner Autobiographie vorstellen kann – mit einiger Wehmut und Trauer. Schließlich ging mit der DDR sein Staat unter. Die DDR war für ihn “die Heimat der kleine Leute”. Ja: das in vielfacher Hinsicht das bessere Deutschland…

Um Manfred Liebscher zu verstehen, müssen wir uns auf einen bestimmten Nenner begeben: Die DDR hat es so nicht gegeben. Und deren frühere Bürgerinnen und Bürger haben das Land – bei aller notwendigen und richtigen Kritik – und ihr Leben auf die eine oder die andere Weise unterschiedlich erfahren. Diejenigen, welche die einst größte DDR der Welt, gemäß den Worten des früheren BRD-Justizministers Klaus Kinkel (FDP) kurz nach deren Ende erst zu “delegitimieren” gedachten, um den Staat dann ein für alle Mal dem Vergessen anheim zu geben; könnten sich getäuscht haben. Die Historiker werden sich möglicherweise noch viele Jahrzehnte nach dem Ende der DDR weiter mit deren Geschichte befassen. Müssen. Ein Blick in die Geschichtsbücher betreffs anderer historischer Ereignisse bestätigt diese Sichtweise.

Kriminalist im Dienst des Ministeriums für Staatssicherheit

Oberstleutnant a. D. Manfred Liebscher diente der DDR bis an deren Ende. Der Offizier war Mitarbeiter des Ministeriums für Staatsicherheit (MfS). Des DDR-Staatsorgans, das heute meist nur verkürzt “Stasi” genannt wird. Wer heute Stasi hört, denkt sofort an Unrecht und Unterdrückung. Manche sogar bringen Mord und Totschlag damit in Verbindung. Nun ja… Von der Stasi ist immer wieder die Rede. Und die Leute wissen, vielmehr: glauben zu wissen, bzw. sollen wissen, was “Stasi” war, und was davon zu halten ist. Zu spüren bekam das auch Manfred Liebscher, als sein Land aufhörte zu existieren, als sein Dienst abgewickelt wurde. Liebscher, der beim MfS als Kriminalist in einer speziellen Untersuchungsstelle tätig gewesen war, welche sich mit NS-Kriegsverbrechen befasste, wurde wie viele andere seiner Kollegen einer Überprüfung von Seiten des Staates – nämlich der BRD – unterzogen, in welchem die DDR 1990 schließlich aufgegangen war. In Verlauf der Überprüfungen konnte im Falle des Oberstleutnants Liebscher weder ein Fehlverhalten festgestellt, noch strafbare Handlungen nachgewiesen werden. Nicht umsonst beschäftigte man Manfred Liebscher dann auch noch nach dem Beitritt der DDR weiter in der Außenstelle des Koblenzer Bundesarchivs, in welchem die MfS-Abteilung samt Aktenmaterials auf- bzw. überging.
Übrigens geschah ähnliches, ohne damit die DDR insgesamt schönreden zu wollen, in einer Vielzahl von Fällen. Die ZERV leitete nach dem Ende der DDR insgesamt 20 327 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Regierungskriminaliät ein. Über 19 000 Verfahren mussten eingestellt werden.

Persönliche Erinnerungen vorallem für die Enkel geschrieben

Manfred Liebscher hat keine Autobiographie geschrieben, um sich zu rechtfertigen. In Teilen darin setzt er sich nämlich durchaus kritisch mit bestimmten Erscheinungen während der DDR-Zeit auseinander. Liebscher hat seine persönlichen Erinnerungen hauptsächlich für seine Enkel geschrieben.

Enttäuschung über das Ende der DDR

Freilich macht er in seiner Autobiographie auch seiner Enttäuschung über das Ende der DDR keinen Hehl. Besonders erregt ihn dabei augenscheinlich die Rolle der “Freunde”, wie die sowjetischen Genossen in Moskau sowie deren Besatzungstruppen in der DDR genannt wurden, namentlich die Rolle des Generalsekretärs der KPdSU, M.S. Gorbatschow. Deshalb zitiert ihn Liebscher auch in seinem Buch. Während eines Seminars der Amerikanischen Universitäten in der Türkei im Juli 2000 sagte Gorbatschow laut U.Z. vom 8.09.2000, nach “Prawda Rossij” freimütig: “Das Ziel meines Lebens war die Vernichtung des Kommunismus”. Welch eine Wandlung!, muss Liebscher gedacht haben. Bei seinem Besuch am 16. April 1986 am Brandenburger Tor schrieb Gorbatschow noch in das Gästebuch der DDR-Grenztruppen: “Am Brandenburger Tor kann man sich anschaulich davon überzeugen, wieviel Kraft und wahrer Heldenmut der Schutz des ersten sozialistischenn Staates auf deutschem Boden vor den Anschlägen des Klassenfeindes erfordert. Die Rechnung der Feinde des Sozialismus wird nicht aufgehen. Das Unterpfand dessen sind das unerschütterliche Bündnis zwischen der DDR und der UdSSR sowie das enge Zusammenrücken der Brudervölker im Rahmen des Warschauer Vertrages. Ewiges Andenken den Grenzsoldaten, die ihr Leben für die DDR gegeben haben.”

Liebscher dazu: “Jahre später schaute Gorbatschow als Ehrenbürger der Stadt Berlin ungerührt zu, als Grenzsoldaten, die nur ihre Pflicht erfüllt hatten, von der Justiz des ‘Klassenfeindes’ kriminalisiert wurden.”

Liebschers Autobiographie als kleines Mosaiksteinchen inmitten großer historischer Betrachtungen

Manfred Liebschers Autobiographie kann als kleines Mosaiksteinchen die großen geschichtswissenschaftlichen Betrachtungen zum Staate DDR ergänzen. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Der von Liebscher gewählte Titel “Im Paradies der Erinnerungen…” könnte womöglich mißverständliche Assoziationen auslösen. Doch Entwarnung: Liebscher möchte damit nichts rosarot anmalen. Der Titel bezieht sich auf Jean Paul: “Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.”

Vom Bauernknecht zum Offizier des MfS

Manfred Liebschers Schrift gewordener Lebenslauf lässt uns ein Stück weit den Staat DDR verstehen. Er gibt uns einen guten Einblick wie er entstand und was dem voraus ging. Liebscher, 1930 als Kind armer Menschen im Erzgebirge geboren, ist eine Lebensbiographie eigen, welche so für viele Menschen zutrifft, welche in seiner Zeit auf die Welt kamen. Die Familienverhältnisse waren zunächst schwierig. Manfred Liebscher wuchs deshalb zwischenzeitlich bei der Großmutter auf, musste dann aber auch das schwere Leben eines Pflegekindes in einer fremden Famile auf sich nehmen. Er arbeitete schwer und für wenig Lohn und Lob als Knecht beim Bauern. Schließlich ging er zur neugegründeten sowjetisch-deutschen Wismut AG (ich empfehle hier zusätzlich den Bräunig-Roman “Rummelplatz” als Lektüre) – wo Uran für die sowjetische Atombombe abgebaut wurde. Dann erlernte Liebscher den Beruf des Sattlers. Danach wiederum ließen ihn die Umstände Angehöriger der Kasernierten Volkspolizei werden. Deren Nachfolger wurde die NVA. Manfried Liebscher Offizier der Volksarmee. Bald eingesetzt als Ermittler in Militärstrafverfahren. Eines Tages warb ihn das Ministerium für Staatssicherheit ab. Wir erfahren: Bewerben konnte sich niemand beim MfS. Man wurde geworben. Liebscher schildert die damit einhergehenden üblichen Befragungen des Dienstes bei Kollegen, der Verwandtschaft und in der Nachbarschaft, die so “geheim” waren, dass schließlich nahezu jeder in seiner Umgebung davon Wind bekam, dass das ihn MfS haben wollte.

Ermittlungen in Sachen NS-Verbrechen

Liebschers letzte Tätigkeit beim MfS, die Ermittlungen in Sachen Verbrechen der NS-Zeit, man spürt das beim Lesen seines Buches deutlich, empfand er als sehr wichtig. Das hat ihn, der diese schlimme Zeit noch als Kind erlebt hatte (manche von ihm bearbeitete Fälle, korrespondierten sogar mit seiner erzgebirgischen Heimat), nicht nur stark geprägt, sondern zuweilen auch tief erschüttert. Um so wütender macht es ihn, dass seitens der BRD-Justiz viele – zu viele – NS-Verbrechen entweder unaufgeklärt blieben, oder deren gerichtliche Behandlung teilweise bis heute verschleppt worden sind. In unseren Zeiten anhängige Verfahren (wie etwa der Fall Boer in Aachen), geben Liebscher Recht. Am meisten ärgert es ihn, dass nach dem Fall der DDR von Politikern oder Medien der BRD behauptet wurde, deren staatlichen Organe hätten Nazi-Täter geschützt.

Vorallem deshalb, weil im westlichen Teil Deutschlands nachweislich “15 Minister und Staatssekretäre der Bundesrepublik, 100 Generale und Admirale der Bundeswehr, 828 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter, 245 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, 297 hohe Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes” (“Braunbuch”), die zu den “Stützen der Hitlerdiktatur” und “überführten Mördern von Antifaschisten und Widerstandskämpfern” zählen, die in den Anfangsjahren der BRD, bis weit in die Sechziger Jahre hinein, wieder zu Ämtern und Würden gekommen waren.

Fazit

Auf dem Cover von Manfred Liebscher Buch ist der Dresdner Fürstenzug abgebildet. Dieser inspirierte den Autor, einmal der näheren Erforschung seiner famliären Wurzeln nachzugehen. Ich habe das Buch kritisch aber mit hohem Gewinn gelesen. Für meinen Geschmack ist es hier und da etwas zu ausführlich geraten. Während Liebschers Ausführungen zu seiner kriminalistischen Tätigkeit beim MfS hätten länger sein können. Dann aber, so gebe ich zu, wäre es ein Fachbuch und eben keine Autobiographie geworden.

Wer Manfred Liebschers Autobiographie einigermaßen unvoreingenommen zu lesen bereit ist (die “Stasi-Keule” muss jedoch zu diesem Behufe im Schranke bleiben), wird wieder ein Stück DDR mehr kennengelernt haben. Man wird feststellen: die DDR hat es so nie gegeben. Zugeben: In der Darstellung der Zeitung mit den großen Buchstaben ist das alles viel einfacher. Und es kommt vielen Leuten wohl auch entgegen. Näheres zu erfahren kostet eben auch viel Mühe. Doch manchmal sollten wir uns den Luxus erlauben, unsere grauen Hirnzellen etwas mehr anzustrengen, als landläufig gewollt ist. Wir erfahren dabei auch mehr über uns selbst.

Manfried Liebschers Autobiographie ändert nichts an der Tatsache, dass die DDR vor allem an sich selbst gescheitert ist. Dennoch lässt sie uns Menschen verstehen, die ihr (warum) nachtrauern. Tausende DDR-Bürgerinnen sahen und sehen ihr Leben nach dem Ende ihres Staates auf die eine oder andere, oft auf sehr unschöne Art und Weise ent-, be- oder abgewertet. Noch dazu aus der Entfernung und nicht selten von oben herab. Aber woher nahmen diejenigen, die solches taten, das Recht dies zu tun? Manchmal hätte man sich stattdessen fragen sollen, wie man wohl an der einen oder anderen Stelle des Lebens selbst gehandelt hätte, wäre man nicht in Kassel, sondern in Halle an der Saale auf die Welt gekommen?

Wer den Roman "Der Turm" von Uwe Tellkamp gelesen oder kürzlich den gleichnamigen zweiteiligen Film in der ARD gesehen hat, kann über die Lektüre dieser Autobiografie zsätzliche Aspekte über das Leben in der DDR erfahren. Diesmal aus der Sicht von jemanden erzählt, dem dieser Staat in jungen Jahren verständlicherweise als große Chance galt. Manfred Liebscher war über das Ende der DDR enttäuscht. Und man erfährt auch warum. Eines macht wiederum auch dieses Buch deutlich: Die DDR ist gewiss längst nicht auserzählt.

Fragen bleiben. Auch hier. Und Menschen quälen sich damit. Gibt es ein richtiges im falschen Leben? Oder: das falsche im richtigen? Es entscheide jeder für sich selbst…

Manfred Liebscher: “Im Paradies der Erinnerungen…”, 300 Seiten, erschienen im Nora-Verlag; ISBN-10: 3935445784, ISBN-13: 978-393533788

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Foto: Asansörpress35

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Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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