Marsch für ein "neues Nigeria" nach Berlin

Nigeria Am 10.12, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, mobilisieren Nigerianer*innen für ein "New-Nigeria". Stationen: Kanzleramt und nigerianische Botschaft

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Das Thema Nigeria ist brandaktuell und außenpolitisch von enormer Bedeutung.

Am 10.12.2020 (Internationaler Tag der Menschenrechte) kommen

Nigerianer*innen aus ganz Deutschland unter der Schirmherrschaft eines

breiten Bündnisses progressiver nigerianischer MSOs

(MigrantInnen-Selbstorganisationen) in Berlin zusammen, um gegen

Polizeigewalt, außergerichtliche Hinrichtungen, grobe

Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Bad-Governance in Nigeria

sowie gegen Koloniale Kontinuitäten in Afrika zu protestieren.

Der Marsch soll auch die deutsche Öffentlichkeit über die politische

Dekadenz des nigerianischen Staates aufklären, mit dem Ziel,

politische Lobby bzw. Unterstützung für unsere Initiative für ein

„New-Nigeria“ (neues Nigeria) zu mobilisieren.

Ebenso soll gegen die korrupten und kriminellen Machenschaften

nigerianischer Botschaftsangehörige in Berlin und Frankfurt am Main

demonstriert werden, wie der jüngste Sex-Für-Pass-Skandal, der die

nigerianische Botschaft derzeit erschüttert.

Berlin als Hauptstadt Deutschlands wurde als Standort des Marsches

bewusst gewählt, nicht nur wegen ihrer kolonialgeschichtlichen

Verantwortung, sondern auch wegen ihrer Verwicklung in die aktuellen

Miseren Afrikas.

#AfrikaIsBleeding: Burkina Faso, Kamerun, Kongo, Elfenbeinküste,

Eritrea, Äthiopien, Guinea, Libyen, Mali, Namibia, Nigeria, Somalia,

Südafrika, Sudan, Tunesien, Uganda, Simbabwe, um nur einige zu nennen.

Der Marsch, der bereits angemeldet ist, beginnt um 10 Uhr mit einer

Kundgebung vor der Botschaft Nigerias. Dann geht es mit einer

Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt weiter (14 – 18 Uhr).

Titel des Vorhabens ist: Nigeria – The March To Berlin. Der Marsch

wird auch von anderen Afrikaner*innen, Schwarzen sowie Freund*innen

Afrikas unterstützt.

ABLAUF

Kundgebung vor der nigerianischen Botschaft

Uhrzeit: 10:00 – 12:00 Uhr

Ort: Nigerianische Botschaft, Neue Jakobstraße 4, 10179 Berlin

Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt

Uhrzeit: 14:00 – 18:00 Uhr

Ort: Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin

Alle Corona-bedingten Schutz- und Hygienevorschriften werden eingehalten!

BETEILIGTE ORGANISATIONEN

Pay Day Africa International, Cologne

Bündnis14 Afrika, Cologne

The Concerned Nigerians, Kassel

Nigerian Community Germany, National

Nigeria Association Rhein/Main Area (NARA), Frankfurt

Network Refugees4Refugees, Stuttgart

The Concerned Panafricanists, Frankfurt

Nigerian Family in Dortmund (NfiD), Dortmund

Nigerian Scholars in Germany (NiSIG), National

Nigerian Scholars in Germany (NiSIG) Munich, Regional

The Voice, Bremen

Ihee Ndi Igbo Progressive Union, Bremen

Nigerian Community Bayern, Munich

Council of African Pastors, Hamburg

Yes Afrika, Hamm

TakeItBack Movement, Berlin

African Black Community, Berlin

Edo United, Munich

African Peoples Convention, Kassel

Impact Initiative, Munich

Lower Niger Congress, Kassel

AfroRoots, Dortmund

Hintergrund

NIGERIA: MARCH TO BERLIN 2020 - EndSARS Protest and the Urgent Need to Resolve the National Question

Warum „March To Berlin“?

Berlin, die Hauptstadt Deutschlands mit ihrer berüchtigten Geschichte als Stätte der willkürlichen Teilung Afrikas im Jahr 1884/55 wurde als Standort des Marsches bewusst gewählt, nicht nur wegen ihrer kolonialgeschichtlichen Verantwortung, sondern auch wegen ihrer Verwicklung in die aktuellen Miseren Afrikas, sprich: Koloniale Kontinuitäten.

Am Internationalen Tag der Menschenrechte wird Berlin Schauplatz der #EndSARS-Bewegung. Es begann Anfang Oktober 2020 auf den Straßen von Lagos und verbreitete sich sehr schnell im ganzen Land: Tausende Nigerianer*innen, überwiegend Jugendliche, protestierten landesweit gegen die Brutalität der nigerianischen Polizei. Die spontane Protestwelle wurde schnell zu einer Bewegung, die mittlerweile weltweit als #EndSARS-Bewegung bekannt ist.

Die Protestierenden forderten die sofortige Auflösung der notorisch brutalen und korrupten nationalen Polizeieinheit „Special Anti-Robbery Squad“ (SARS), die auch für außergerichtliche Tötungen, Erpressung und andere grobe Menschenrechtsverletzungen bekannt ist.

Diese ursprüngliche Forderung der Protestierenden nach der Auflösung dieser Polizeieinheit war zugleich ein Blitzableiter für all die aufgestauten Frustrationen, Emotionen, Bestrebungen, Hoffnungen und Träume der leidenden Menschen in Nigeria, vor allem der jungen Menschen im Lande und wurde zur Forderung eines vollständigen Umbaus des gescheiterten nigerianischen Staates.

Die harte und exzessive Unterdrückung dieser friedlichen nationalen Massenproteste (derzeit weltweit bekannt als #EndSARS-Proteste) erreichte am 20. Oktober 2020 einen traurigen Höhepunkt, als Soldaten das Feuer auf Jugendliche eröffneten, die friedlich am Lekki Toll Gate, einer Mautstelle in Lagos, Nigerias Hauptstadt und Handelszentrum, protestierten. Dabei wurden Dutzende getötet und viele verletzt. Diese unverzeihliche Niederschlagung friedlicher Demonstrationen löste nicht nur eine Welle von Empörung, Proteste und Petitionen im ganzen Land aus, sondern auch in der Diaspora auf der ganzen Welt.

Was als Proteste gegen Polizeibrutalität begann, entwickelte sich bald zu Debatten und Forderungen nach einer Lösung der ewigen nationalen Einheitsfrage: „Die Einheitsverfassung von 1999 ist ein Schnellkochtopf für die Ungerechtigkeit", UN-Sonderberichterstatter (2019). Nach den Morden am Lekki Toll Gate haben Nigerianer*innen der Diaspora in vielen Städten auf der ganzen Welt demonstriert, um Solidarität mit den nigerianischen Jugendlichen und ihren Forderungen auszudrücken. Auch sie fordern den Umbau des „Gescheiterten Staates“ als wegweisende Lösung für die vielfältigen Krisen, die die Existenz der kolonialen Erfindung namens Nigeria bedrohen.

Wir, eine Koalition progressiver nigerianischer Organisationen in Deutschland, stellvertretend für die hier lebenden nigerianische Staatsbürger*innen, haben in verschiedenen deutschen Städten Deutschlands mehrere #EndSARS- / #RestructureNigeriaNow-Proteste bereits durchgeführt und dabei gute Ergebnisse erzielt.

Auf Initiative von Peter Emorinken-Donatus und des Vereins Pay Day Africa International haben wir uns nun entschlossen, mit unseren Protesten nach Berlin zu marschieren, um ein Zeichen der Solidarität mit den nigerianischen Jugendlichen zu setzen, die nicht nur während friedlicher Proteste massakriert, sondern auch unter dem Vorwand der nationalen Einheit entrechtet wurden. Wir marschieren mit unserer Forderung eines grundlegenden Wandels in Nigeria nach Berlin, der deutschen Hauptstadt, um Gehör zu finden. Berlin ist Sitz der nigerianischen Botschaft. Sie ist Treffpunkt der Regierungen Nigerias und Deutschlands.

Außerdem ist Berlin Schauplatz des Kampfes um Afrika 1884/85, Ursprung vieler Probleme des modernen Afrikas. Auch Nigeria ist ein Nebenprodukt dieses Gerangels um Afrika. Nigerias Probleme sind nicht nur politischer Natur, sondern, wie auch in anderen Ländern Afrikas, kolonialer Natur.

#AfrikaIsBleeding: Burkina Faso, Kamerun, Kongo, Elfenbeinküste, Eritrea, Äthiopien, Guinea, Libyen, Mali, Namibia, Nigeria, Somalia, Südafrika, Sudan, Tunesien, Uganda, Simbabwe, um nur einige zu nennen.

Ziele

Wir demonstrieren in Berlin, um:

unseren Protest direkt an die nigerianische Regierung über ihre Botschaft in Berlin zu richten und die Dekadenz des nigerianischen Staates aufzudecken,

politische und logistische Unterstützung für eine grundlegende Verfassungsänderung in Nigeria bzw. die Restrukturierung des gesamten Staates zu mobilisieren,

kolonialer Kontinuitäten und die Komplizenschaften Deutschlands und Europas anzuklagen; Kontinuitäten, die darauf abzielen, die Strukturen von Korruption, „Bad-Governance“ und die Förderung von „Schwacher Staaten“ aufrechtzuerhalten,

Deutschland und Europa an ihre historischen Rollen und Verantwortlichkeiten zu erinnern und Deutschland und Europa daher aufzufordern, den nigerianischen Staat wegen grober Menschenrechtsverletzung, Korruption und „Bad-Governance“ zu verurteilen,

ein Netzwerk politisch-progressiver nigerianischer Diaspora-Organisationen und Aktivisten zu schaffen, um langfristige Strategien, Positionen und Lösungen für den nigerianischen Kurs festzulegen.

Forderungen

✔ Wir fordern die nigerianische Regierung auf, alle inhaftierten friedlichen EndSARS-Demonstrant*innen unverzüglich und bedingungslos freizulassen und das rechtswidrige Einfrieren von Konten sowie die Belästigung von EndSARS-Aktivist*innen und ihren Anhänger*innen zu beenden.

✔ Wir fordern die nigerianische Regierung auf, eine unabhängige Kommission mit internationalen Beobachtern zu beauftragen, das Massaker an der Lekki-Mautstelle zu untersuchen und alle Täter innerhalb der Befehlsketten der nigerianischen Polizei und des Militärs vor Gericht zu stellen.

✔ Wir fordern die nigerianische Regierung auf, SARS, SWAT und andere Sicherheitseinheiten, die unschuldige Bürger in Nigeria terrorisieren, unverzüglich zu aufzulösen.

✔ Wir fordern die nigerianische Regierung auf, die Familien derjenigen zu entschädigen, die während der Proteste getötet wurden, aber auch die Verletzten.

✔ Wir fordern die nigerianische Regierung auf, jungen Nigerianer*innen in Nigeria Stipendien und Studiendarlehen zu gewähren.

✔ Wir fordern die nigerianische Regierung auf, den „Gescheiterten Staat“ umzustrukturieren.

✔ Wir fordern alle Nigerianer*innen auf, sich zusammenzuschließen, um die Einheitsverfassung von 1999 zu stürzen, weil all unser derzeitiges Elend aus dieser hervorgeht. Wir fordern auch alle Nigerianer*innen auf, ihre Teilnahme an zukünftigen nationalen Wahlen kritisch zu hinterfragen, da die Gewählten auf diese Verfassung schwören werden und dadurch die Grundlage für Sklaverei, Unterdrückung und Ausbeutung aufrechterhalten.

✔ Wir fordern Deutschland, Europa und die internationale Gemeinschaft auf, Chaos in Nigeria – mit seinen über 200 Millionen Einwohner*innen Afrikas bevölkerungsreichste Region – zu vermeiden, was ansonsten zu einem starken Zustrom von Geflüchteten hauptsächlich nach Europa führen könnte. Wir rufen dazu die internationale Gemeinschaft auf, insbesondere die Vereinten Nationen, die USA die EU:

• nigerianischen Politiker*innen, die Verbrechen in Nigeria begehen, ein Einreiseverbot aufzuerlegen,

• den Medizintourismus für nigerianische Politiker*innen und ihre Familien zu verbieten,

• Kinder korrupter nigerianischer Politiker*innen von internationalen Schulen zu verweisen,

• alle gestohlene Gelder an den nigerianischen Staat zurückzuüberweisen,

• Vermögen und Auslandskonten korrupter Nigerianer*innen zu beschlagnahmen bzw. zu sperren,

• Unterstützung für Korruption, Staatsplünderung, „Bad Governance“ und Ausbeutung der Völker Nigerias zu stoppen,

• den Ruf der nigerianischen Bevölkerung nach einer grundlegenden Verfassungsänderung und nach der Restrukturierung des Landes zu unterstützen.

✔ Wir fordern multinationale Unternehmen auf, in Nigeria Ölverschmutzungen, Gasfackeln, illegalen Rohstoffabbau und Entwaldungen zu beenden, das Niger-Delta zu sanieren und allen Opfern des Ökozids in diesen Regionen zu entschädigen - Ökozid ist ein Verbrechen gegen den Frieden!

Historischer Hintergrund

Der Teil Afrikas, der später zu Nigeria wurde, wurde von den indigenen Ethnien Hausa, Kanuri, Birom, Tiv und Gwari im Norden und im Süden hauptsächlich von Yoruba, Igbo, Edo, Ezon und Anak, u. a., bewohnt. Bis zum späten 19. Jahrhundert hatten die Fulanis, angeführt von Uthman Dan Fodio, in einem Dschihad-Krieg den von Hausa bewohnten Norden größtenteils erobert und marschierten nach Süden.

Der Brite George Tubman Goldie eroberte und kontrollierte durch einen Raubzug bereits die meisten Küstenprovinzen im Süden und war wiederum auf dem Weg Richtung Norden. Die Bestialitäten von Goldie im Kampf gegen die Völker des unteren Flusses Niger, veranlassten die britische Regierung, die von Goldie eroberten südlichen Provinzen für einen Wert von 865.000 Pfund von der Royal Niger Company zu kaufen, die in Besitz von Goldie war. Dies wurde anschließend von den britischen Kolonialisten als „Southern Nigerian Protectorate“ (Protektorat Südnigeria) benannt. A

Als die britischen Kolonialisten nach Norden und die Dschihadisten nach Süden marschierten, trafen sie sich in der Mitte und schlossen eine Vereinbarung. Die Frau von Lord Lugard hatte ihren Respekt für die Fulanis nicht verbergen können, die sie als kultivierte Herren mit dünnen Lippen und für Briten üblichen spitzen Nasen bezeichnete. So wurden gemeinsame Geschäfte gemacht und der Norden wurde dann zur „Northern Nigerian Protectorate“ (Protektorat Nordnigeria).

Im Zuge der Verwaltung der Kolonie erwies sich das nördliche Protektorat jedoch als kostspielig. 1914 wurde das nördliche Protektorat mit dem südlichen Protectorat (sog. „Southern Lady“) zusammengefügt, aus der Not heraus nämlich, wie Lord Harcourt später zugab - die Hafenstadt Port Harcourt im Niger-Delta wurde übrigens nach ihm benannt.

1953 stellte Chief Anthony Enahoro den Antrag auf Unabhängigkeit. Die Delegierten des Nordens lehnten den Antrag mit der Begründung ab, sie seien nicht zur Selbstverwaltung bereit. Trotz des Rückschlags schritten die Vorbereitungen für die Unabhängigkeit voran. Chief Michael Imoudu führte die nigerianischen Arbeiter*innen-Bewegung und unter den damaligen politischen Eliten waren auch Chief Nnamdi Azikiwe, Chief Obafemi Awolowo, Aminu Kano und Fumilayo Kuti.

Nach einer Reihe von Verhandlungen mit dem Norden und dem Süden Nigerias in Lancaster in 1959, wurde die Bundesrepublik Nigeria aufgerufen. Nigeria wurde am 1. Oktober 1960 mit drei föderalen Regionen unabhängig: dem Norden, dem Westen und dem Osten . An dieser Stelle ist es wichtig, das Memoir von Sir Ahmadu Bello zu erwähnen, der Premierminister und Anführer des Nordens war.

Er sagte: „Die neue Nation namens Nigeria könnte ein Nachlass unseres Urgroßvaters Uthman Dan Fodio sein. Wir müssen einen Machtwechsel unbedingt verhindern. Wir nutzen die Minderheiten im Norden als Werkzeug und den Süden als erobertes Gebiet aus. Somit erlauben wir ihnen niemals, die Kontrolle über ihre Zukunft zu haben. “ Außerdem muss die Volkszählung von 1959 erwähnt werden, die die britischen Kolonialisten zugunsten des Nordens manipulierten.

Harold Schmidt, der damals Beamter in der Kolonialverwaltung war, bestätigte kürzlich, dass die Briten die Volkszählungsdaten manipulierten, indem sie der Bevölkerung des Nordens 20 Millionen Menschen hinzufügten. Der mittlere Westen (Mid-West) wurde nach einer Volksabstimmung im Jahr 1963 die vierte Region des Landes. Diese Regionen waren mit eigener Verfassung, eigenen Sicherheitsapparaten und der Kontrolle über ihre Ressourcen weitgehend autonom, zahlten jedoch 15% der Einnahmen an die Zentralregierung.

Schließlich wurde die Regierung durch Unruhen in 1966 und 1967 gestürzt. Bemühungen, zu der Vereinbarung vor der Unabhängigkeit einschließlich des sog. Aburi-Abkommens zurückzukehren, scheiterten. Der Osten spaltete sich ab, was zu einem dreijährigen Krieg führte, der 3,5 Millionen Menschen das Leben kostete. Im Mai 1967 verkündete Gowon das Dekret 14, wonach Nigeria 12 Bundesländer aus den 4 Regionen geschaffen wurden.

Seit 1967 gibt es eine Einheitsverfassung, die das Staatsvermögen und die Souveränität der Völker vollständig für sich reklamiert. Nach Jahren der Militärdiktatur, riefen Murtala Mohammed und später Olusegun Obasanjo eine verfassungsgebende Versammlung ins Leben, um die Macht an eine demokratisch gewählte Regierung zurückzugeben. 1978 verabschiedete Obasanjo den Verfassungsentwurf im Alleingang, mit 17 Zusatzartikeln und führte ein Präsidialsystem ein, entgegen der Empfehlung der verfassungsgebenden Versammlung, nämlich das parlamentarische Regierungssystem.

Diese Ergänzungen wurden zur Verfassung von 1979, die jedoch nicht Gegenstand eines Referendums war. Zwischen 1983 und 1999 begannen diversen Ethnien hauptsächlich aus dem Süden, die sich ausgegrenzt und ausgebeutet fühlen, sich für die Kontrolle ihrer Ressourcen einzusetzen. Die gewaltige Umweltverschmutzung, insbesondere im Nigerdelta, wo das meiste Öl herkommt, führte zu Unruhen und der Forderung nach Umweltsanierung oder die Ölförderung einzustellen. Ölverschmutzungen in den Küstengebieten, die zu einer Umweltkatastrophe wurden, veranlassten Ken Saro Wiwa und seine Landsleute, den Kampf für eine bessere Umwelt zu internationalisieren, da sich multinationale Ölkonzerne wie Shell und die Zentralregierung in Abuja wenig für den Verlust von Lebensgrundlagen aufgrund von Ölverschmutzungen interessierten.

Die „Bewegung für das Überleben der Ogoni“ (MOSOP) wurde zur führenden Organisation, die die Umweltprobleme anzuprangern. Am 10. November 1995 wurden MOSOPFührer Ken Saro-Wiwa und acht weitere Ogoni vom Militärregime von General Sani Abacha gehängt. 1999 verabschiedete die Militärjunta von Abubakar Abdulsalami mit dem Dekret 24 die Verfassung von 1999, eine Reinkarnation der Verfassung von 1979. Nur die Anzahl der Bundesländer (36) war anders.

Obwohl es kein Referendum dafür gab, behauptet diese Einheitsverfassung fälschlicherweise: „Wir, das nigerianische Volk, haben fest und feierlich zugestimmt, in Einheit und Harmonie als eine unteilbare und unauflösliche Nation zu leben [...] erklären hiermit die folgende Verfassung für uns selbst.“

Dies macht die Verfassung von 1999 zu einer Fälschung und ein gefälschtes Dokument kann nicht reformiert werden. Es bleibt immer eine Fälschung, weil die verschiedenen Ethnien in Nigeria weder Einfluss auf die Ausarbeitung dieser Einheitsverfassung hatten, noch sich bereit erklärten, ihre Ressourcen und Souveränität der Zentralregierung in Abuja zu abzugeben.

Es gibt 68 Punkte auf der Exklusivliste in der Verfassung, was bedeutet, welche NUR die Zentralregierung in Abuja beispielsweise autorisiert:

Autobahnen, Bundesstraßen und Brücken zu bauen

Strom zu produzieren und an die Bevölkerung zu verteilen

für die Verteidigung und Sicherheit von Leben und Eigentum zu sorgen, beispielsweise durch die überzentralisierte, größtenteils ineffektive und rücksichtslose Polizeiarbeit, die die Jugend wiederum dazu veranlasste, ein Ende von SARS zu fordern.

Die als Hirten getarnten Fulani-Dschihadisten haben unzählige Frauen und Kinder im ganzen Land ermordet, verstümmelt und vergewaltigt, aber die Einheitsverfassung verbietet den Nigerianer*innen, sich gegen die mit AK-47-Gewehren bewaffnete Feinde zu verteidigen.

Die Situation in Süd-Kaduna ist zum Beispiel äußerst prekär.

Auch die enormen Gehälter der gewählten / auserwählten Senatoren / Abgeordneten, die mangelnde Transparenz, die unangemessene Immunität, die Korruption und das Verteidigungsetat, das als Mittel zum Staatspünderung dient, all diese sind in dieser Einheitsverfassung verankert. In Anerkennung der Notwendigkeit einer föderalen Volksverfassung haben Vertreter*innen verschiedener Ethnien unter der Schirmherrschaft der PRONACO und mit den USA, der Vereinten Nationen und der EU als Beobachter zwischen 2005 und 2007 einen Verfassungsentwurf ausgearbeitet. Die Regierung von Obasanjo lehnte dieses Dokument jedoch ab.

Es sei daran erinnert, dass Präsident Muhamadu Buhari damals ein Delegierter war, der die Ethnie der Fulani in Nigeria vertrat. Die Proteste gegen die Einheitsverfassung nahmen während Jonathans Regierung zu, so dass er 2014 sogar eine nationale Konferenz initiierte.

Die nachfolgende Regierung von Buhari hat die Verfassung nach der Machtübernahme im Jahr 2015 jedoch nicht einmal zur Prüfung angefasst.

Der UN-Sonderberichterstatter, der 2019 Nigeria besuchte, sagte:

"Die Verfassung von 1999 ist ein Schnellkochtopf für die Ungerechtigkeit.“

Quelle: Pressemitteilung Pay Day Africa

Zu Kongo-Konferenz (auch „Berliner Konferenz“ genannt): hier

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Hinweis: Diesen Beitrag finden Sie ebenfalls hier.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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