Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken

Islam/Rezension Warum ein Muslim für Vielfalt, Toleranz und Freiheit kämpft. Ein Buch von Hassan Geuad

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Hassan Geuad wurde 1990 in Bagdad geboren.. Vier Monate vor dem Zweiten Golfkrieg. Neun Jahre später verließ er mit seinen Eltern den Irak. Geuad empfand es so, als hätte er seine Mutter verloren. Der Neunjährige landet in Deutschland. Der Vater sei dankbar gewesen, dass er endlich mit der Familie in Deutschland war. Er fand das, was er sich für die Familie gewünscht hatte: „Ein Leben in Frieden, in Sicherheit und Freiheit.“ (S.8)

Geuad hatte vieles im Irak verloren, was ihm etwas bedeutete. Am neuen Ort sei er in manchen Momenten verzweifelt gewesen und habe manches zunächst einmal abgelehnt, was ihm begegnete. „Heute“, schreibt er, „kann ich sagen, ich wurde ins kalte Wasser geworfen und habe schnell schwimmen gelernt.“

Ja, er wurde gut aufgenommen. Auch in der Schule.

Probleme tauchten erst nach dem Terroranschlag von 9/11 auf. Wir erinnern uns: Ab da wurden in unseren Breiten Menschen, die etwa zuvor einfach als Türken gesehen wurden plötzlich als Muslime wahrgenommen. Und damit quasi als potentielle Terroristen. Hassan Geuad hat den Weggang aus dem Irak und die Ankunft hier in Deutschland ausführlich in seinem kürzlich erschienen Buch „Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken“ beschrieben.

Plötzlich wurde der Islam zum Hassobjekt

Im Kapitel „Religion als Hassobjekt“ (ab S.41) erinnert sich Geuad: „Seit dem 11. September ist der Islam zu einem zentralen Angst- und Hassobjekt in der westlichen Wahrnehmung geworden.“ Als 11-jähriger Junge hatte er zwar die Zusammenhänge nicht verstanden, aber auch er hatte die schrecklichen Bilder aus New York gesehen. Und er spürte im täglichen Leben die damit im Zusammenhang stehenden Veränderungen. Sie hatten sich ja von einem auf den anderen Tag eingestellt. Mitschüler und Freunde hatten an ihm eher eine freundliche Neugierde gezeigt. Religion war von der Familie privat gelebt und nicht im Alltag so gut wie keine Rolle gespielt.

Nun spürte der Junge häufiger Distanz und gar misstrauische Ablehnung:

„Früher war ich Hassan, ein Junge aus dem Irak. Ich wurde als ein Individuum wahrgenommen. Jetzt war ich plötzlich 'ihr Moslems' und die waren mindestens gefährlich, wenn nicht gar alle Terroristen.“

Der Islamische Staat verbreitete Angst und Schrecken

Und die Zeiten wurden künftighin nicht besser. Der Islamische Staat wuchs auf. Andere Terroranschläge verbreiteten Angst und Schrecken. Nicht nur in den Medien wurde immer häufiger die Frage ventiliert: Warum schweigen die Muslime dazu? Und gar: Warum entschuldigen sie nicht? Und auch Hassan Geuad und andere Muslime stellten sich Fragen:

„Wir verstanden die Welt nicht mehr und schon gar nicht die Haltung der Muslime, hier in Deutschland wie überall in der Welt. Ihr tatenlosen Zuschauen und ihr Schweigen, so, als ginge sie all das, was da gerade im Irak und Syrien passierte, gar nichts an. Bloß, weil es irgendwie weit weg passierte? Ich kann mich noch erinnern, wie ich innerlich zu kochen begann.“ (S.71)

Waren denn nicht die Moslems selbst die meisten Opfer von islamischem Terror?

Andererseits dürften sich wiederum die Muslime hierzulande gefragt haben, warum sie sich dazu äußern sollten. Schließlich trugen sie doch keine Schuld an den Terrorakten! Und außerdem: Waren denn nicht die meisten Opfer – zumindest in ihren Heimatregionen – selbst Moslems? Na also!

Sei es drum, sagte sich Hassan Geuad im Kreise von Freunden bei einer Zusammenkunft bei seinem Freund Ali in Dortmund, wo sie sich empört über die Exekution des IS von hunderten Kadettenschülern des Luftwaffenstützpunktes Camp Speicher empörten:

„Waren es 1000 oder sogar an die 1700 Tote? Niemand weiß es. Doch der Tigris soll sich kilometerlang rot vom Blut der so sinnlich getöteten Menschen gefärbt haben.“ (S.71)

„Irgendwann brach es dann wütend aus mir heraus: 'Wir müssen endlich aufstehen. Wir müssen etwas tun gegen den radikalen Islam.“

Und dann: „Wie wäre es mit einer Kunstaktion?', schlug Mohammed vor.“

Schockierende Kunstaktion in Essen

Gesagt, getan. Was sich im Herbst 2014 in Essen zutrug, war zwar kein Terroranschlag des Islamischen Staates, sondern nur Theater. Aber ganz schön schockierend war es es für die Passanten in der Fußgängerzone der Ruhrgebietsstadt dann doch. Und auch ganz und gar nicht ohne Risiko. Obwohl die Kunstaktion bei der Polizei angemeldet war und sie auch vor Ort anwesend war, wohnte ihr ein Risiko inne: Was war, wenn andere Muslime, gar Salafisten (immerhin gibt es eine nicht unbedeutende Salafistenszene im Ruhrpott), vor Empörung mit Gewalt reagierten? Die Aktivisten-Gruppe „12thMemoRise“ rund um den gläubigen schiitischen Muslim Hassan Geuad gegen islamistischen Terror verursachte schon ein ziemliches Aufmerken:

Am helllichten Tag trieben in Schwarz gehüllte Aktivisten (anscheinend Kämpfer der Terrororganisation IS zwei Männer durch die Fußgängerzone in Essen. Sie bedrohten die Gefangenen in der orangenen Sträflingskleidung mit einem großen Krummsäbel und einer Pistole (man hatte sich für eine Softair-Waffe entschieden) und zwangen sie, mit auf den Rücken gefesselten Händen vor einem Einkaufszentrum in einem Fußgängerbereich der Großstadt Essen niederzuknien. Verängstigte Kinder rannten weg, oder deren Eltern hielt ihnen die Augen zu, andere Passanten blieben mit vor Schreck geweiteten Augen angewidert stehen. Dann knallt es. Ein Schuss hallt von den Häuserwänden zurückgeworfen durch die gut besuchte Einkaufsstraße. Einer der Gefangenen ist mit einem Schuss in den Hinterkopf hingerichtet, dem anderen mit dem Krummsäbel die Kehle durchtrennt worden. Beide Männer sanken auf das Pflaster.

Die Aktion blieb nicht ohne Widerhall

Die Aktion hatte die Passanten nicht nur in Angst und Schrecken versetzt, sondern auch eine Diskussion in Gang gebracht. Man „fütterte“ das Publikum mit Informationen.

Auch ein Video hatte man gemacht auf You Tube veröffentlicht. Es wurde schon in den ersten Stunden eine halbe Million Mal angeschaut. Die Medien meldeten sich, machten Interviews.

Hassan Geuad (S.95): „Gleichzeitig nahmen die üblen Beschimpfungen, Hasstiraden und die immer rabiateren Drohungen stetig zu. Und wo eben noch Euphorie über unseren Erfolg das dominierende Gefühl war, machte sich nun zunehmend Angst in unserer Gruppe breit.“

Im Kapitel „Drohungen, Gewalt und das Ende einer Verlobung“ (ab S.103) stellt der Autor klar: „Wir von 12thMemoRise betrachten den Islam und seine Protagonisten sehr kritisch. Aber wir handeln nicht aus Ablehnung oder gar Hass dem Islam gegenüber, sondern aus Liebe dazu.“

Die Beleidigungen und Drohungen nahmen zu

Es hätten sogar Fotomontage von ihm und seinem Bruder existiert, die sie in pornografischen Szenen zeigten. Hassan Geuad verlor in dieser Zeit viele Freunde. Jedoch das Traurigste, schreibt er, sei der Verlust seiner Verlobten gewesen. Seiner ersten großen Liebe. Sie habe ihn häufig angerufen und weinend immer wieder einen Satz wiederholt: „Ich kann nicht mehr!“

Unterstützung und Hilfe für ihr Ansinnen erwartete sich Hassan Geuad erwartete von Prominenten. Doch entweder wurde der Autor vertröstet wie von Jürgen Todenhöfer, traf bei Lamya Kaddor mehr oder weniger auf Desinteresse, vom angeschriebenen Norbert Lammert kam nie eine Antwort und auch von der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli empfing man so recht keine positiven Signale.

Mit ihren Aktion geriet die Gruppe 12thMemoRise mit ihren spektakulären Aktionen zwischen alle Stühle

Sie wollten erkunden warum Muslime nicht weltweit zu Hunderttausenden gegen Terroristen protestierten, die im Namen des Koran morden. Sie fragten: „Warum gehen sie nicht gegen Rassismus auf die Straße und verteidigen ihre Rechte?“ Antworten auf diese brennenden Fragen wollen sie so provozieren. Sie gerieten dadurch zwischen alle Fronten. Weil Kritik am Islam in der islamischen Community noch immer tabu ist.

Veränderungen zum Besseren hin sind anscheinend – wenn überhaupt – nur im Kleinen möglich. Aber auch innerhalb der Familie – wo ständig Kontrolle herrscht – ist das sehr schwer. Was vielleicht nicht nur immer grundsätzlich mit dem Islam zusammenhängen mag, sondern auch mit überkommenen, archaischen, im Hintergrund weiterwirkenden Strukturen. „Wir leben in Deutschland“, führt Hassan Guead aus, „einem Land, in dem die Trennung von Kirche und Staat schon lange vollzogen worden ist.“

Wozu – das möchte ich anmerken – auch dazu einige kritische Fragen gestellt werden müssten.

Guead weiter auf S.217): „Doch diese Trennung gibt es in der muslimischen Community nicht, denn hier besteht weiterhin das strenge, geistlich-familiäre Kontrollssystem, das einen auf Schritt und Tritt beobachtet und schon die Diskussion über Veränderung und Anpassung verhindert.“

Ein Manko: In der komplett dezentralisiert organisierten Religion, wie dem Islam gibt es keine einheitliche Meinungshoheit

Auch gibt es ja im Islam keine Instanz mit einer einheitlichen Meinungshoheit wie es bei den Christen mit dem Papst der Fall ist, der für „alle Christen“ sprechen kann. Im Kapitel „Fehlt uns Muslimen ein Papst“ (ab S.179) merkt Geuad an: „Von seiner Struktur her ist der Islam eine komplett dezentral organisierte Religion.“

Und zuvor steht zu lesen: „Mit wem sollen wir uns über eine Reform unterhalten?“

Fehlt dem Islam eine Reform – gar eine Reformation? Schon die Frage wird von vielen Muslimen geradezu als Ketzerei aufgefasst.

Prof. Mouhanad Khorchide (Islamwissenschaftler und Soziologe, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster) nennt Hassan Geuad als hoffnungsvolles Beispiel im Buch.

Zur besseren Verständnis möchte ich dazu hier aus einem Beitrag von SWR 2 zu „Gottes falsche Anwälte“ – Profunde Kritik an islamischer Theologie von Mouhanad Khorchide“

zitieren: „Mouhanad Khorchide skizziert nicht nur die Kalamitäten, in denen sich seine eigene Religion, der Islam, befindet, sondern bietet gleichzeitig auch – frei nach Kant - einen Weg aus deren „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ an. Die ersten zehn Kapitel beschreiben den Status Quo – klar und unmissverständlich. So wurde der Islam laut Khorchide spätestens seit der Etablierung des Kalifats durch die Ummayaden im Jahr 661 – also knapp 30 Jahre nach Tod des Propheten Mohammad – durch vielfache Manipulationen zu einer Religion der Unterwerfung.“

Betreffs Hoffnungen auf einen Oberhirten für die Muslime, der der Institution Papst vergleichbar wäre, gibt Hassan Guead zu bedenken: „Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, wie es gelingen könnte, einen Menschen zu finden, dem nun alle Muslime vertrauen und den nötigen Respekt entgegenbringen würden. Das wäre wohl eine echte Herkules-Aufgabe, die zudem sehr wahrscheinlich als Sisyphus-Job enden würde. Einfach nicht machbar.“

Die islamischen Dachverbände in Deutschland sind eher Problem denn eine Hilfe

In die islamischen Dachverbände, die, worauf der Autor hinweist, die maximal zwanzig Prozent der Muslime in Deutschland repräsentieren, setzt er keine Hoffnung. Denn seien dann „höchstens diese zwanzig Prozent, die sich hier als Gottesbeschützer aufspielen und der überwiegenden Mehrheit der Muslime hier vorschreiben wollen, was sie zu glauben, zu denken, zu essen und zu fühlen haben.“

Sie erschwerten jeden Fortschritt „zu einem liberalen und aufgeklärten Islam und bauen immer neue Hürden auf dem Weg zu einem integrierten Zusammenleben mit allen Menschen hier in Deutschland“. (.S189)

Im Kapitel „Zurück zum Anfang“ (S.205) beschreibt der Autor seine Reise – es schließt sich sozusagen ein Kreis-, die ihn 2018 in seine Heimat, den Irak führte, die er mit seinen Eltern als Kind verlassen hatte.

Zum Schluss ist zeigt sich Hassan Geuad über Folgendes im Klaren: „Ich mache mir nichts vor, wir haben noch einen langen, beschwerlichen Weg vor uns. Aber wenn man wie wir erst einmal losgegangen ist, dann ist umkehren keine Alternative mehr, selbst wenn ich hier und heute nicht sagen kann, ob wir unsere Ziele je erreichen werden. Aber daran arbeiten werden wir weiterhin – so viel steht fest.“

Ein interessantes Buch eines hoch engagierten Menschen, der uns einen Blick eröffnet auf und in eine Welt von der wir oft nur Bruchstücke wissen, die zumeist vor allem ausschließlich aus Vorurteilen bestehen.

Der Westend Verlag über das Buch Hassans Glaubenkrieg

Warum halten die Muslime still und demonstrieren nicht zu Hunderttausenden gegen Terroristen, die im Namen des Korans morden? Warum schauen sie tatenlos zu, wie ihre Religion von radikalen Glaubensbrüdern und -schwestern missbraucht wird? Warum gehen sie nicht gegen Rassismus auf die Straße und verteidigen lautstark ihre Rechte? Hassan Geaud gründete die Initiative „12thMemoRise“, um mit spektakulären Aktionen Antworten auf diese Fragen zu provozieren, und landete zwischen allen Stühlen. Denn Kritik von Muslimen an Muslimen ist in der islamischen Community noch immer tabu. Er erhielt Morddrohungen und seine Verlobte trennte sich auf Druck ihrer Familie von ihm. In seinem Buch berichtet er von seinem Kampf für einen modernen Islam und eine offene Gesellschaft.

Hassan Geuad

Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken

Warum ein Muslim für Vielfalt, Toleranz und Freiheit kämpft


Erscheinungstermin:

15.03.2021

Seitenzahl:

224

Ausstattung:

Klappenbroschur

Artikelnummer:

9783864893025

18,00 €

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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