No versus Pro

Prostitution Am Thema Prostitution scheiden sich die Geister. Alice Schwarzer prescht mit einem Appell zur Eindämmung der Prostitution vor. Sexworker halten mit einem PRO dagegen.

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Sie muss es ziemlich nötig haben, sich einmal mehr mit medialem Geklingel in die Öffentlichkeit zu werfen. Oder geht es der Jean d'Arc der deutschen Frauenbewegung auch darum die Auflage der vor sich hin dümpelnden Frauenzeitschrift "Emma" zu päppeln? Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Fraglos hat sich Alice Schwarzer, von der - wie unschwer zu erkennen sein wird - die Rede ist, hohe Verdienste beim Kampf um Frauenrechte erworben. Besonders in Zeiten der verknöcherten, verkrusteten Altbundesrepublik. Da Ehemänner gesetzlich noch das Recht besaßen es ihren Ehefrauen zu erlauben oder zu verbieten eine Arbeitsstelle anzutreten. Für Ehemänner, die meinten ihre Gattinnen wie unmündige Kinder behandeln zu müssen, oder Medienmänner und Politiker, die offen frauenfeindlich auftraten, war Alice Schwarzer ein rotes Tuch.

Schwarzers radikale Form des Feminismus mag nötig gewesen sein

Sozusagen hatte Schwarzers Kritik etwas von einem Pfahl im Fleische der Machowelt. Recht so. Für die Gleichberechtigung der Frau auf allen gesellschaftlichen Ebenen - die nebenbei bemerkt selbst heute noch nicht erreicht ist - einzutreten, wurde im Verlaufe der Jahre Vielen zur Selbstverständlichkeit. Und zwar Frauen wie Männern. Den Anteil, welchen Alice Schwarzer an dieser positiv zu nennenden Meinungsbildung hat, ist gewiss nicht niedrig anzusetzen. Um frauenfeindlichen Verkrustungen aufzubrechen und mehr und mehr abzubauen mag sicherlich auch ein radikaler Feminismus nötig gewesen sein. Es gibt Menschen - und zwar Frauen und Männer gleichermaßen - die da anderer Meinung sind. Sie sagen zum Kampf für Gleichberechtigung von Mann und Frau einhellig Ja. Mit einem verbohrten Radikalfeminismus, der verbal zuweilen geradezu militant daherkommt können sie dageben nicht anfreunden. Genauso wie das Menschen mit DDR-Hintergrund (die möglicherweisen einen feministischen Kampf a' la Schwarzer für übertrieben hielten und halten) und die in der Altbundesrepublik sozialistierten unterschiedlich beurteilen.

Ist Alice Schwarzer wirklich noch die alte?

Für Alice Schwarzers Mitstreiterinnen und Mitstreiter existieren nach wie vor Gründe, sich vehement für Frauenrechte und volle Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen. Zumal eigentlich inzwischen eine Zurückentwicklung zu beobachten ist. Was früher in Werbung, Medien Unterhaltung zu Recht als sexistisch anprangert und zurückgedrängt wurde, kommt schwappt heute sozusagen wieder zurück. Und das Schlimme: Viele junge Mädchen begreifen den "neuen" Sexismus überhaupt nicht also solchen, sondern machen ihn sogar ziemlich unkritisch (naiv?) mit! Aber das steht auf einem anderen Blatt. Auch steht die Frage im Raume, ob in der Alice Schwarzer von Heute überhaupt noch genügend von der Alice Schwarzer von Gestern steckt. Vielen, Frauen wie Männern, stößt es immer wieder sauer auf, wenn sie konstatieren müssen, dass sich Schwarzer etwa mit der BILD quasi ins Bett gelegt hat bzw. legt. Hat eine solche "Entwicklung" nicht eine frappierende Ähnlichkeit mit der bedenklich zu nennenden des einstigen Frankfurter Straßenkämpfers Joschka Fischer, des späteren Außenminister, der sich inzwischen in Konzernbetten äußerst wohlzufühlen scheint?

Schwarzers Appell: Eindämmung und Abschaffung des Systems Prostitution

Wie auch immer. Nun bläst Alice Schwarzer wieder einmal mehr ins radikal-feministisch ins Horn. Als Medienfrau mag sie reichlich Ahnung vom Tuten haben - doch was bleibt bei genauerer Beschäftigung mit dem von ihr aufgegriffenem Thema nach dem Verklingen des wieder einmal schrillen Schwarzer-Tones?

Diesmal reitet Schwarzer, Feministin und Herausgeberin der Frauenzeitschrift "EMMA" mit dem Verve einer Jeane 'Arc einer Kampagne für ein Prostitutionsverbot in Deutschland voran. in der November/Dezember-Ausgabe der "EMMA" werden "Maßnahmen, die kurzfristig zur Eindämmung und langfristig zur Abschaffung des Systems Prostitution führen, gefordert. Kling(elt)t nicht schlecht. Schwarzer im Bunde mit vielen Prominenten fordert, die "moderne Sklaverei", respektive Menschenhandel, zu unterbinden, Freier zu ächten und Präventions- und Hilfsmaßnahmen für Prostituierte zu schaffen. Kann das schlecht sein? Ein "Appell gegen Prostitution" kritisiert die Reform des Prostitutionsgesetzes der rot-grünen Bundesregierung von 2002. Das Gesetz, so wird moniert, haben viel versprochen, aber kaum etwas davon gehalten. Vielmehr, so Schwarzer, sei "Deutschland zu Europas Drehscheibe für Frauenhandel und zum Paradies der Sextouristen aus den Nachbarländern geworden". Vom Bundeskriminalamt kann dieser Vorwurf, jedenfalls nicht durch eine Anstieg der Opferzahl in Bezug auf sexuelle Ausbeutung seit 2002 verzeichnen, untermauert werden. Die Zahlen seigen gar rückläufig. Dennoch steht außer Frage: Das von Rot-Grün gemachte Gesetz von 2002 hat bislang nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt. Alice Schwarzers Appell versteigt sich dazu, Prostitution und Menschenhandel gleichzusetzen. Etwaigem Widerspruch tritt der Text vorbeugend entgegen: Selbst freiwillige Prostitution verletzte dei Menschenwürde.

Freilich ist Schwarzers Appell - trotz aller Kritik daran - nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Hier die Hauptforderungen:

- Eine Gesetzesänderung, die der Deregulierung von Frauenhandel und Prostitution schnellstmöglich Einhalt gebietet und die Frauen sowie die Minderheit männlicher Prostituierter schützt.

- Prävention in Deutschland und in den Herkunftsländern, sowie Hilfen zum Ausstieg für Frauen in der Prostitution. Und Schutz vor Abschiebung von Zeuginnen sowie deren Aufenthaltsrecht.

- Aufklärung über die Folgen von Frauenkauf bereits in den Schulen etc.

- Ächtung und, wenn nötig, auch Bestrafung der Freier; also der Frauenkäufer, ohne die dieser Menschenmarkt nicht existieren würde.

- Maßnahmen, die kurzfristig zur Eindämmung und langfristig zur Abschaffung des Systems Prostitution führen.

Ein menschenwürdiges Leben ist denkbar.

Widerspruch vonseiten eines Teils von Prostituierten

Schon hat sich Widerspruch gegen den Schwarzer-Aufruf erhoben. Und zwar ebenfalls in Form eines Appells "FÜR Prostitution". Nämlich von der Seite der Betroffenen, nämlich vom Berufsverband erotische Dienstleistung. Vorsicht ist verständlicherweise auch hier geboten. Wie der Appell von Alice Schwarzer nur einen Teil der gesellschaftlichen Meinung zum Thema Prostitution widergibt, so fühlen sich gewiss auch nicht sämtliche Menschen, die sich hierzulande prostituieren von den Ansichten von Sexwork Deutschland vertreten.

Kern der Kritik der Sexworker an Schwarzers Sicht auf die Dinge: "Prostitution ist keine Sklaverei. Prostitution ist eine berufliche Tätigkeit, bei der sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt angeboten werden. Ein solches Geschäft beruht auf Freiwilligkeit. Gibt es keine Einwilligung zu sexuellen Handlungen, so handelt es sich nicht um Prostitution. Denn Sex gegen den Willen der Beteiligten ist Vergewaltigung."

Dies kann so gesehen werden oder nicht. Jeder Mensch dürfte dazu eine eigne Meinung haben.

Die Forderungen der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter:

- Beteiligung von Sexarbeiter_innen an politischen Prozessen, die sich mit dem Thema Prostitution befassen.

- Keine Ausweitung der Polizeibefugnisse und keine staatliche Überwachung oder Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten.

- Keine Kriminalisierung der Kund_innen, weder nach dem Schwedischen, noch nach einem anderen Modell.

- Aufklärung statt Zwang und Verbot, staatlich geförderte

- Weiterbildungsangebote für Sexarbeiter_innen.

- Kampagnen gegen Stigmatisierung und für einen respektvollen Umgang mit Prostituierten.

- Bleiberechte, Entschädigungen und umfassende Unterstützung für Betroffene von Menschenhandel.

Miteinander statt übereinander reden

Alice Schwarzer hat wieder einmal kräftig ins Horn geblasen. Das Anliegen ist ehrenvoll. Wieder ein Verdienst, den Schwarzer sich an die Brust heften kann? Warum nicht: Die Kampferprobte hat abermals etwas angestossen. Doch sind die in Schwarzers Apell erhobenen Forderungen realistisch und in praxi auch realisierbar?

Vonseiten eines Teils der Prostituierten bläst Schwarzer nun ein Wind des Widerspruchs ins Gesicht.

Indes: Auch die Ansichten der Sexworker sind nachvollziebar und der Anerkennung wert. Das Vorpreschen der Jean d'Arc der deutschen Frauenbewegung hat einen Widerhall gefunden. Mit ziemlicher Gewissheit wurde eine wichtige Diskussion losgetreten. Die sollte fortgesetzt werden. Aber nicht gegeneinander. Sondern miteinander. Und alle dazugehörigen Fakten in der Sache beleuchtend und berücksichtigend. Bekanntlich werden Probleme nie vernünftig gelöst, indem man übereinander statt miteinander redet. Und schon gar nicht, indem die einen den Eindruck erwecken, womit anderen geholfen wäre. Das scheint mir nicht nur überheblich und anmaßend zu sein. Damit kann man nämlich auch verdammt schnell daneben liegen. Und mehr Porzellan zerdeppern, als etwas Hilfreiches für andere zu tun. Und die Betroffenen, für die man durchaus ehrenhaft Partei ergreifen will, können bei einem solchen Vorgang rasch unter die Räder geraten. Schon ist die Rede davon, dass Union und SPD vorhätten das Prostitutionsgesetz zu verschärfen. Schwarzers Aufruf könnte diesen Ansinnen noch befeuern. Zweifel allerdings sind angebracht. Und Schnellschüsse einer wahrscheinlichen Großen Koalition des lieben Friedens willen könnten für die Betroffenen rasch nach hinten losgehen. Dass ein verschärftes Prostitutionsgesetz wirklich im Interesse der von Menschenhandel Betroffenen und zur Prostititution gezwungenen wäre, ist mehr als fraglich. Dazu muss man nicht nur nach Schweden schauen. Schließlich gibt es bereits heute Gesetze gegen den Menschenhandel.

Moralisieren hilft niemandem. Aber in den Medien und diversen Politikerreden macht sich das allemal gut. Und immer ist dabei auch eine Portion Heuchelei mit im Spiele.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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