Occupy Dortmund: Hin- und damit aufgefallen

Occupy im Ruhrpott Occupy Dortmund ist noch ein zartes Pflänzchen. Aber bedenken wir: Die Krise ist bei uns noch längst nicht richtig angekommen.

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http://www.readers-edition.de/wp-content/uploads/2012/08/2012-08-11-12.45.08-e1344773373652.jpgVergangenen Sonnabend: Die Dortmunder Einkaufsmeile brummt. Auf dem Westenhellweg schieben sich in beiden Richtungen die Menschenmassen eng aneinander vorbei. Wie immer am Sonnabend. Einkaufszeit. Bummelzeit. Von Krise keine Spur. Es ist alles wie immer. Wie immer?

Plötzlich brechen drei junge Menschen unter ihrer Last auf dem Rücken zusammen. Sinken zu Boden. Ächzend und stöhnend versuchen sie sich wieder aufzurichten. Vergebens. Zunächst waren die drei jungen Leute überhaupt nicht aufgefallen. Gebückt unter der anscheinend in ihren blauen Müllsäcken befindlichen Last hatten sie, nur mühsam vorwärts kommend, immer wieder die ihnen entgegenkommende Menschenmasse, geteilt.

Junge Menschen fallen wie vom Schlag getroffen zu Boden

Passanten hatten ihnen so gut wie keine Aufmerksamkeit gewidmet. Gewiss hatten sie anderes im Kopf, als sich über die jungen Leute mit ihren Mülltüten auf dem Buckel auch nur die geringsten Gedanken zu machen. Auch den hinter den Sackträgern herlaufenden Menschen ging es augenscheinlich so. Nicht einmal die auf die blauen Müllsäcke in schwarzer Schrift aufgemalten Dollar- und Eurozeichen schienen bei ihnen irgendwelche Assoziationen auszulösen. Doch, als die jungen Menschen wie vom Schlag getroffen mit ihren Säcken zu Boden fielen, sahen wenigstens einige der Passanten erschrocken hin. Aber schon bald verflog dieser Schrecken bei Einigen schon wieder. Was mochten sie gedacht haben? Sicher wieder so eine Performance. Reklame? Aber für was? Wieder andere tippten sich auf die Stirn. Dann schoben sie sich kopfschüttelnd, dabei mit ihren jeweiligen Partnerinnen oder Partnern tuschelnd.

Einzelstimme: „Die sollen mal arbeiten gehen!“

Manche Passanten, die doch kurz stehenblieben waren, wenigstens kurz verharrten, fiel immerhin die die Mülltütenschlepper begleitenden Menschen mit bunten Schirmen auf. Darauf etwas von Rettungschirmen für Menschen gepinselt stand, die dringend nötig seien, statt den ewigen von einem auf das andere Mal vergrößerten Bankenrettungsschirmen. Einer von denen skandiert: „Die Menschen brechen unter den Schulden zusammen. Bald bricht auch das System zusammen. Die Menschen können die Last nicht mehr tragen. Bald trifft es vielleicht auch Sie!“

Ein paar Einkaufsbummler schauen sich fragend an. Einen hörte ich im Vorbeigehen zu seiner Frau sagen: „Die sollen mal arbeiten gehen!“ Leute gibt’s! Wo denn? Und zu welchen Bedingungen?

Unbehagen bei Frau Juwelier

Inzwischen haben sich die Geldsackträger mithilfe der Träger der Menschenrettungsschirme mit Ach und Krach wieder hochgerappelt. Doch schon – nur ein einige Meter weiter – brechen sie wieder zusammen, klatschen mit ihrer Last wieder auf den Boden. Nur zwei Meter weg von einem vor dem noblen Geschäft eines Dortmunder Juweliers geschieht das. Der vor dem Juweliergeschäft postierte Sicherheitsmann im dunklen Anzug bleibt tapfer mit vor seinem Bauch zusammengefassten Händen stehen. Doch man bemerkt eine leichte Unruhe in seinem Gesicht. Die Augen blicken hin und her. Was mögen das für welche sein? Würde er – und dann wie – reagieren müssen?

Ausgerechnet zu dieser Zeit schiebt sich auch noch eine bunte freie afroamerikanische Kirchengemeinde mit schwarz-rot-goldenen Perrücken auf den Köpfen – eine gewisse „Christ Embassy“ – mittenmang durch die potentielle Samstags-Käufermasse. Doch die Sorgen des Sicherheitsmannes erweisen sich als unbegründet. Einer der Geldsackschlepper rappelt sich hoch und robbt zu dem Sicherheitsposten. Er überreicht ihm einen Flyer. Der Wächter in Zivil überfliegt das Flugblatt und steckt es dann zusammengefaltet in die Sakkotasche. Sein Gesicht überfliegt eine leichte Röte. Darunter schimmert ein schwaches Lächeln auf.

Da erscheint eine Dame, augenscheinlich die Chefin des Ladens, in der Tür. Ihr musste der Auflauf vor dem Klunkerladen aufgefallen sein. Sie überblickt die Szene. Dann sagt sie in, in auf gewisse Weise zum noblen Juweliergeschäft passenden, leicht abgehobenem Tone: „Man muss ja mal schauen, ob man nicht einen Arzt rufen muss. Denen scheint es ja nicht gut zu gehen.“ Dann verschwindet die distinguierte Dame wieder in ihrem Laden voll mit allerlei Gold, Uhren und Brillanten.

Auf die Misere aufmerksam machen

Dass es unseren Gesellschaften nicht gut, meinen auch die jungen Leute. Genauer ausgedrückt: Die Aktivistinnen und Aktivisten von „Occupy Dortmund“ und Attac, die sich zunächst oberhalb der Katharinentreppe, am Katharinentor, gegenüber dem Dortmunder Hauptbahnhof getroffen hatten und sich dann auf den Weg in die Einkaufsmeile gemacht hatten. Um auf die Misere, in die uns die Diktatur der Finanzmärkte und die verfehlte Politik de Regierenden gebracht haben und immer weiter bringen, aufmerksam zu machen.

Dortmund ist nicht New York

Schon am Freitagnachmittag hatten sie symbolisch den Friedensplatz vor dem Dortmunder Rathaus besetzt. Die Auflage der Polizei: Zelte mussten ab 22 Uhr wieder abgebaut, die Veranstaltung beendet sein. So geschah es denn auch. Polizei und Staatsschutz, die die Aktion der Occupy-Aktivisten beobachteten, hatten keinen Grund zur Kritik, noch bot sich ihnen ein Vorwand zum Eingreifen. Der einzige Wermutstropfen: Zur symbolischen Besetzung des Friedensplatzes waren kaum mehr als 50 Menschen gekommen. Ein bisschen peinlich ist das schon, meint jemand von Attac dazu. Aber aller Anfang ist nun einmal schwer.

Es ist zwar eine Binse, aber wahr: Dortmund ist nicht New York. Und Madrid oder Frankfurt am Main sind auch von anderem Kaliber. Und die Deutschen sind nun mal bekanntlich nicht vom Schlage der protesterprobten Franzosen. In Frankfurt am Main wurde das Occupy-Camp unterdessen aufgelöst. Auch dasjenige in Düsseldorf wurde abgeräumt.

Occupy Dortmund ist noch ein zartes Pflänzchen. Und die Krise hier im Lande noch nicht richtig angekommen. Was vermutlich nur einer der Gründe ist, warum es in Deutschland noch keine massenhaft blühenden Occupy-Landschaften gibt.

99% versus 1%

Wichtig sind Gespräche mit interessierten Passanten. Und die gibt es! In ihnen wird schon ein wenig das Unbehagen von mit- und nachdenkenden Bürgerinnen und Bürgern betreffs der gefährlichen Entwicklung seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 – und weiter verschärft bis heute – deutlich. Einige Menschen befürchten wir befänden uns schon in einer Fünf-nach zwölf-Situation. Weshalb es höchste Zeit seit etwas zu tun. Und tun könne man immer etwas. Selbst wenn das Gesellschaftsschiff schon sinke.

Von unten müsse etwas zu unternommen werden, das denen da oben Beine macht. Die berühmten 99 Prozent gegen das bestimmende eine Prozent in der Gesellschaft. Das Occupy-Motto von New York. Deshalb fordern sie – und auch Occupy Dortmund greift das auf: Rettungschirme für Menschen statt immer nur wieder für Banken. Schluss mit Sozialkahlschlag und anderen Grausamkeiten. Sie fordern, alle sollen sich beteiligen, „weil Demokratie heißt, das alle gemeinsam Entscheidungen treffen und keiner ausgeschlossen wird.“ Ebenso, dass Entscheidungen im Konsens getroffen werden sollten, „weil Mehrheitsentscheidungen Menschen ausschließen und deren Bedürfnisse unberücksichtigt lassen können.“

Achtung Mic check!“

Dies und anderes diskutieren die Occupy-Aktivisten jeweils auf einer Asamblea (Bürgerversammlung). Wie wohl zuerst bei den Occupy-Aktivitäten in New York praktiziert, bedient man sich auch in Dortmund des mic check. Und schon wird gerufen: „Achtung Mic Check!“ Ein junger Mann aus der Runde spricht etwas an, die anderen wiederholen das Gesagte für die Umstehenden oder Sitzenden. In Dortmund ist das eigentlich (noch) nicht nötig, denn die Gruppe ist noch klein, als dass per mic check verstärkt werden müsste. Einer der gestern dabei war, findet es dennoch gut: „Durch die Wiederholungen bleiben wichtige Theman besser hängen. Und man bekommt ein Geschmeinschaftsgefühl vermittelt.“

Am Sonnabend in der Dortmunder Einkaufsmeile hat ein kleines Occupy-Pflänzchen geblüht. Mit Engagement und frischer Kraft sprengte es seine zarten Zweige durch die Masse der Einkaufsbummler. Hat es etwas bewirkt? Wird es etwas bewirken? Man wird sehen. Einige Bürger haben hingeschaut. Andere pikiert ihren Blick abgewendet. Wieder andere schüttelten den Kopf. Haben Hinsehende etwas gesehen, gar etwas begriffen? Ist der Pfennig, pardon: der Cent, bei dem Einen oder der Anderen gefallen?

Jeden Sonntag um 16 Uhr wollen sich die Dortmunder Occupy-Aktivisten nun zur Assamblea auf dem Friedensplatz vorm Rathaus der Stadt treffen.

Asamblea – Das Konzept

Asamblea ist:

  • Eine basisdemokratische Bürgerversammlung
  • Ein Ort wo jede seine Meinung äußern kann und soll
  • Eine Entscheidungsform bei der keiner überstimmt wird, denn Entscheidungen werden im Konsens getroffen

Photos: Autor

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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