Peymann furios von A bis Z in Recklinghausen

Ruhrfestspiele 2014 Claus Peymann ist einer der Großen unter den deutschen Regisseuren. Seine wichtigsten Stationen: Stuttgart, Bochum, Wien, Berlin. Peymann "las" zusammen mit Hermann Beil

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Manche stehen sonntags so früh auf, um zum Gottesdienst zu gehen. Selten des Theaters wegen. Einer Art "weltlichen Kirche", wie der Schauspieler Peter Sodann das Theater einmal zu nennen pflegte und dementsprechend verstand.

Also in diesem Sinne auf am vergangenen Sonntagmorgen, auf zu den Ruhrfestspielen nach Recklinghausen! Dort steht für elf Uhr "Lesung: Beil/Peymann" auf dem Programm. Ich liebe es so früh auf den grünen Hügel der Stadt Recklinghausen anzugelangen! Noch ist es rund um das Festspielhaus fast menschenleer. Das saftige Grün ringsum eine Augenweide! Die Vögel zwitschern schon putzmunter. Das Servicepersonal hantiert fleißig, wie hinter der imposanten Glasfassade des Festspielhauses zu beobachten ist. Schon öffnen sich die Türen: 10 Uhr!

Die Inszenierung vor der Inszenierung

Ein Regisseur und Theatermann bleibt ein Regisseur und Theatermann. Auch Sonntag früh gegen Zehn. Der Peymann tritt auf den Plan. Mit bescheidener Entourage. Ohne Allüren. Aber bestimmt. Der Tisch für danach, für's Signieren des Buches "Peymann von A-Z" könnte doch hier hin. Nein, mehr nach links zum Gang. Das Plakat dorthin, nicht dahin. Peymanns Mantel schwebt. Ein Käffchen im Stehen. Ja, und zwei Scheinwerfer auf Stativ - einer da und einer dort - wäre doch auch ganz nett. Techniker schwärmen aus. Und kehren bald mit dem Gewünschten zurück. Nein, so Peymann: Vielleicht könnte man doch das Plakat zunächst auf den Tisch ...

Atmosphäre für den großen Kasten

Als die Türen zum Großen Saal aufgetan werden, ist es bereits fast zehn nach Elf. Applaus. Die beiden Herren, Peymanns langjähriger Dramaturg, Hermann Beil und Peymann, seines Zeichens Intendant des "BE", himself haben die Bühne betreten. Nun stehen sie auf einer kleinen gut ausgeleuchteten Fläche vorm Bühnenbild von "Der Sturm", den ich bald u.a. mit Manfred Zapatka erleben darf. Zwei Stühle. Zwei Notenständer. Peymann, der die Szene mit einer Tüte betreten hatte, holt daraus ein kleines Maigebinde heraus: "Ich habe keinen Maienbaum hier in Recklinghausen gesehen. Und damit etwas Atmosphäre in den großen Kasten kommt." Er befestigt das Gebinde vorn an einer Schraube seines Notenständers.

Die Lesung beginnt. Stopp! Habe ich Lesung geschrieben? Das Erlebnis, das theatralische Stück mit Pfiff, hebt an.

Einigen wir uns: Zu erleben ist ein inszenierte Lesung. In der "weltlichen Kirche", dem Theater, zu unser aller Erbauung.

Das zugrundeliegende Buch ist eines über den Intendanten Peymann, "aus dem der Rezitator Claus Peymann zusammen mit dem Dramaturgen Hermann Beil" (Ankündigung Ruhrfestspiele) liest. Zu erleben ist "eine witzige, leidenschaftliche, großartige Suada über das Leben, das Theater und einem bestimmten Protagonisten: Claus Peymann".

Hans-Dieter Schütt, ein Theaterkritiker, der das Theater liebt

Dass dieses Buch vorliegt, ist nicht zuletzt Hans-Dieter Schütt zu verdanken. Schütt leitete lange das Feuilleton des "neuen deutschland". Hermann Beil bedenkt den hervorragenden Essayisten und erfinderischen, geistreichen Wortedrechsler Schütt mit Lob, mit welchem er gewiss ansonsten sparsam umgeht: "Hans-Dieter Schütt ist ein Berliner Theaterkritiker, der das Theater liebt. Eine Seltenheit in Berlin!"

"Peymann-Erfindung"

Besagter Schütt hat aus Briefen, Zwischenrufen, Aktennotizen, Interviews, Reden und Reaktionen von Freund und Feind eine fast biographische „Peymann-Collage“ verfasst. Welch Fleißarbeit! Danke dafür. Schütt selbst pflegt sein Werk eine „Peymann-Erfindung“ zu nennen, die „subjektiv komponierte Nach-Erzählung eines ausdauernden medialen Auftritts“. So schrieb er über den Menschen, den er bei seiner Arbeit monatelang umkreiste, über das „Gesamtkunstwerk“ Peymann: „Dieser Mann ist eine seltene Mischung aus Jähzorn und Zutraulichkeit, aus Zugriff und Flucht, aus Verletzbarkeit und Austeilkraft.“

Nun Claus Peymann selbst in Fleisch und Blut auf der Bühne stehen zu sehen ist wahres Fest. Neben ihm sein langjähriger „Nichtnur-Dramaturg“ Hermann Beil mit unterdessen schlohweißem Haar, der Peymann in nichts nachsteht. Wenn man nicht wüßte, dass der Mann Dramaturg ist, er ginge als Schauspieler durch. Was er freilich von sich weisen würde. Großartig!
Die Zuhörer gehen gemeinsam mit Peymann zurück auf dessen beruflichen Anfänge. Und folgen einem (Theater-)Leben beinahe auf Schritt und Tritt , das sich durch fünf Jahrzehnte und Städte wie Frankfurt, Stuttgart, Bochum, Wien und Berlin zieht.

Unerfüllt gebliebener Wunsch: Bochum als Hauptsitz, Recklinghausen als Filiale

Den bescheidenen Anfängen folgen erste große Erfolge mit endlich guter Entlohnung. In Stuttgart: Wo man als Fremder sonntags nichts zu essen kriegt, während die ganze Stadt nach Rotkohl riecht, den die Schwaben an diesem Tage zuhause zu mampfen pflegen.

Aber auch bald erster Ärger. Wir erinnern uns: Claus Peyman setzte sich auf Bitten der Mutter von Gudrun Enslin, die als Terroristin in Gefängnis saß, dafür ein, dass der notwendige Zahnersatz für die Tochter über Spenden finanziert wird (Aushang im Stuttgarter Theater). Peymann gab selbst Geld dazu. Und wurde darob als Terroristenunterstützer verleumdet. Dann die großartige provokative "Publikumsbeschimpfung" von Peter Handke auf die Bühne gebracht. Die Vertreibung nach Bochum. Was nicht ohne auch (seelische) Beulen abging. Dennoch auf zu neuen Ufern: an die Ruhr. In die Provinz. Übrigens: Peymann verrät auf Recklinghausens Festpielbühne, die Ruhrfestspiele hätte er damals gerne gehabt, hatte gehofft auch dort der Chef zu sein, um Neues auszuprobieren: Bochum als Hauptsitz. Recklinghausen als Filiale. Es hat nicht sollen sein. Nicht mal eine Nacht der Diskussion mit Landesvater Johannes Rau in dessen Düsseldorfer Staatskanzlei konnte da etwa bewirken. Peymann: "Immerhin als Bundespräsident hat er es bereut!"

Das verrückte, wunderschöne Wien und die "gestorbene" Schlange

Aber dann kam Wien. Über ein Jahrzehnt war Peymann dort Burg-Chef. Eines Hauses, in einer verrückten, wunderschönen und wohl auch ein bisschen neurotischen Stadt, wo verstorbene Burg-Schauspieler eine einzigartige Ehre zuteil wird: Sie werden im Sarg einmal um das Haus getragen. Peymann: Heute nur noch gefahren.

Diese ganzen, grandiosen Anekdoten, ein Wahnsinn! Unterhaltsam und spannend. Erst recht, wenn man das Theater von hinter den Kulissen kennt. Aber auch so. Natürlich. Skurriles auch. Beispielsweise als über die Wiener Burg unter Peymann ein Gerücht die Runde macht, eine riesige Schlange sei angeblich dort auf einer Probe gestorben. Tierquälerei?! Verantwortlich war Peymann höchstselbst: Nach einer Proben des betreffenden Stückes hatte er einem Assistenten beschieden: "Die Schlange ist gestorben!" Mit "gestorben" wird im Theater etwas bezeichnet, das weggefallen ist.

Prompt hatte die Wiener Presse von dem "Tod" der Schlange Wind bekommen. Und die übliche Maschinerie setzte sich hypeartig in Bewegung. Sie machte auch vor Regierungsämtern nicht halt. Amtliche Briefe erreichen den Burg-Herrn. Das alles süffisant vom Wiener Hermann Beil gelesen - vorgetragen, so dass man sich auf die Schenkel schlagen muss. Beschimpfungstiraden und Selbstgeißelungen. Viele Stimmen, ob Weggefährten oder Gegner, kommen dabei zu Wort: Thomas Bernhard, Heinrich Böll, Peter Handke, Heiner Müller, der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel und viele andere.

Beim Signieren

Furios, das Ganze! Welch herrlicher Vormittag auf dem grünen Hügel in Recklinghausen bei den Ruhrfestspielen. Und dabei sind die gerade einmal nicht ganz drei Tage alt! Als wir Zuschauer wieder aus dem Saal strömen sind beinahe zwei kurzweilige Stunden vergangen. Jetzt traben die Menschen hinunter zum Brunch. Viele, viele jedoch zunächst einmal an den Buch-Signierstand, den - wie die Leser eingangs erfahren haben - eigens von Claus Peymann "inzseniert" worden war. Fleißig und geduldig schreibt Peymann Autogramme, signiert "seinen" PEYMANN und schiebt das "abgearbeitete" Exemplar zu Hermann Beil herüber, dass der seinen Namen darein setzt. Beil arbeitet genau und setzt noch "4.5.2014", das aktuelle Datum darunter.

Als die Warteschlange bis auf wenige Bücherfreunde geschrumpft ist, blickt Peymann auf die Armbanduhr und sagt freundlich aber bestimmt zu den Letzten: "Komm'Se nur. Ich muss noch zu'ner Probe nach Berlin. Muss meinen Flieger in Düsseldorf kriegen ..."

Ein Darbietung vom Feinsten. Für mich tat es übrigens die Regionalbahn. Und ich bekam sie sogar. Und hatte Anschluß auf dem so wichtigen Hauptbahnhof, dem Bahnknoten- um Umsteigepunkt für mich und so viele andere: Wanne-Eickel. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

Zum Abschluss:

Heiner Müller, köstlich zum Besten gegeben von Hermann Beil:

Alle verlassen das brennende Haus.

Bis auf Claus.

Der guckt raus.

Möge er noch recht lange rausgucken aus dem Haus, dieser Claus Peymann!

Informationen zu den Ruhrfestspielen 2014

Das Buch:

PEYMANN von A - Z

Ausgewählt und Herausgegeben von Hans-Dieter Schütt

Verlag das Neue Berlin

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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