Professor Albrecht Goeschel sendet SOS

Krankenhäuser Seit Jahrzehnten legt man die Axt ans Gesundheitssystem an. Prof. Goeschel übt scharfe Kritik: Weitere Finanzierungsdefizite und Privatisierungstendenzen drohten

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Das deutsche Gesundheitssystem mag noch immer eines der besten in der Welt sein. Viele Länder mögen uns darum beneiden. Wenn ich aber im vorangegangen Satz das Wörtchen noch kursiv geschrieben habe, hat das einen Grund. Seit Jahrzehnten nämlich doktern Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur an diesem Gesundheitssystem herum. Immer wieder liest und hört man dieses sei im internationalen Vergleich sehr teuer, liefere aber nicht die Ergebnisse, die angesichts der hohen Kosten erwartbar wären. So stand es vor einiger Zeit auch wieder einmal in der „Welt“ zu lesen. Das Blatt verwies auf das Ergebnis einer Untersuchung der Unternehmensberatung KPMG.

Mehr Effizienz!

"Das deutsche Gesundheitssystem muss effizienter werden", wird Volker Penter, Leiter des Gesundheitsbereichs bei KPMG, zitiert. Nun, wer könnte etwas gegen mehr Effizienz haben? Doch drängt sich da gleich eine weitere Fragen auf: Wem kommt dieses Mehr an Effizienz zugute? Der medizinischen Qualität von Krankenhäusern und damit den Patienten? Wie wir wissen muss das nicht zwingend so sein.

Ökonomisierung setzt Gesundheitssystem unter Druck

Die Ökonomisierung von nahezu allem und jedem kennt in Zeiten ausuferndem Neoliberalismus schon lange keine Grenzen mehr. Auch das Gesundheitssystem steht permanent unter Beschuss. Freilich nur zum Wohle unserer immer älter werdenden Menschen. Es müsse effizienter werden, so tönt es nicht erst wie im Januar 2014 aus dem dem KPMG-Mund Volker Penter – sondern bereits seit Jahrzehnten. Freilich sollen hinter diesem Aufruf zu mehr Effiziez nur gute Motive stehen. Damit, so hören und lesen wir, soll abgesichert werden, dass auch morgen noch wichtige Leistungen am Patienten möglichst kostengünstig vollbracht werden können. Und der Missbrauch müsse bekämpft werden. Überkapazitäten (etwa bei Krankenhausbetten) gehörten abgebaut. Wer könnte etwas dagegen haben? Allerdings erleben wir, dass bei den ein übers andere Mal von der Politik zu diesem Zwecken eingeleiteten Maßnahmen und verabschiedeten Gesetzen meist nur der Patient Opfer bringen musste. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Im Zuge dieser Effizienzaufrufe und deren Umsetzung stehen immer mehr Krankenhäuser und deren Personal unter immensen (Kosten-)Druck.

Der ökonomische Druck bewirkt im Gesundheitssektor nichts anderes wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch: Alles was sich zu Geld machen lässt wird auch zu Geld gemacht. Koste es was es wolle. Zulasten der Gesamtgesellschaft. Und zum Schaden vieler Einzelner. Die herrschende Politik leistet willfährig Schützenhilfe, indem sie die nötigen Gesetze dafür auf den Weg bringt. Kürzungen und Privatisierungen von Krankenhäusern bei gleichzeitigem Druck auf die Löhne der Belegschaften sind nur eine Folge dieser Politik.

Ökonomisierung per Gesundheitspolitik fordert auch Todesopfer

Seien wir doch ehrlich: Um das Wohl und Wehe des einzelnen (Kassen-)Patienten geht es bei der Gesundheitspolitik höchstens am Rande. Allenfalls wird wird ein Feigenblatt bewahrt. Das machen auch regierungsamtliche Äußerungen vom immer noch anderen Systemen in anderen Ländern überlegenem deutschen Gesundheitssystem nicht besser. Diese fortschreitende Ökonomisierung des Gesundheitswesens fordert nämlich auch Opfer. Auch Tote. Wird im Zug dessen auch an der nötigen Hygiene in deutschen Krankenhäusern gespart? Reinigungsfirmen haben schon lange festangestellte eigenes Personal ersetzt. Meist bekommen nur die billigsten (sprich: die effizientesten) Reinigungsfirmen Krankenhausaufträge. Werden da die Krankenzimmer im Sauseschritt durchgefeudelt? Manchmal schon. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) infizieren sich jährlich rund eine Million Patienten in deutschen Hospitälern mit Keimen. Etwa 40.000 Menschen sollen jedes Jahr als Folge mangelnder Hygiene in Kliniken sterben, wie DGKH-Vorstand Klaus-Dieter Zastrow einst der WAZ sagte.

Die Hälfte aller Krankenhausinfektionen ist nach Ansicht der Fachleute vermeidbar. Warum gibt es nicht bessere Kontrollen und Hygieneärzte wie etwa in Krankenhäusern der Niederlande? Läuft das einem guten Effizienzergebnis zu wider?

Im deutschen Gesundheitswesen geht es um viel Geld. Professor Albrecht Goeschel gab dies auf einer Veranstaltung im Januar 2015 in Dortmund (hier mein Bericht dazu) zu bedenken: „Der Zentrale Gesundheitsfonds verteilt mittlerweile fast 200 Milliarden Euro jährlich zwischen den schwächeren und den stärkeren Regionen um – leider nimmt die Öffentlichkeit davon so gut wie keine Notiz. Heftig diskutiert wird dagegen der Föderale Finanzausgleich zwischen den Bundesländern mit seinen geradezu läppischen 8 Milliarden Euro Umverteilungsvolumen.“

Fehlendes Interesse in Politik und bei den Medien

An der „Effizienz“ deutscher Krankenhäuser indes wird weiter herumgedokert. Professor Albrecht Goeschel (STUDIENGRUPPE FÜR SOZIALFORSCHUNG - NEUGRÜNDUNG in MARQUARTSTEIN AM CHIEMSEE) will uns die Augen öffnen. Seine scharfe Kritik hat er vor ein paar Wochen mittels Presseaussendung verbreitet. Offensichtlich bekunden weder Medien noch Politik Interesse auf die „drohenden weiteren Finanzierungsdefizite und Privatisierungstendenzen“ in „sämtlichen deutschen Akutkrankenhäusern“ hinzuweisen beziehungsweise abzuwenden:

Deutsche Krankenhäuser: Ahnungslos ?

Neue Bedrohungen durch EU-Fiskalpakt, Berliner Schuldenbremse

und TISA

Die Akademie und Institut für Sozialforschung Verona hat im November und

im Dezember 2014 sämtlichen deutschen Akutkrankenhäusern Informationen über die drohenden weiteren Finanzierungsdefizite und Privatisierungstendenzen angeboten. Es ging um die Auswirkungen des EU-Fiskalpakts, der Berliner Schuldenbremse und des Länderfinanzausgleichs. Ergebnis wie erwartet: Kein Interesse am Thema auf der ganzen Linie. Kommentar des Projektleiters Prof. Goeschel: „Genau das hatte ich erwartet. In der ehemals gesundheitspolitisch aktiven und innovativen Krankenhauslandschaft ist Friedhofsruhe eingekehrt. Die Akutkrankenhäuser sind durch den Ökonomisierungsterror von Bundesregierungen, „Volksparteien“, Kassenverbänden und Privatinvestoren in einen gnadenlosen Existenzkampf getrieben worden, der jeden gesundheitspolitischen Gestaltungsgedanken unterdrückt und jeden gesundheitspolitischen Gestaltungswillen vernichtet hat.“

Scharfe Kritik übt Prof. Goeschel in diesem Zusammenhang aber auch an den gesundheitspolitischen und wirtschaftspolitischen Fachbereichen der zuständigen Gewerkschaft ver.di. Anstatt das offenkundige Kritikdefizit in der Krankenhauswirtschaft

mit eigenen Konzepten für eine gemeinwirtschaftliche Krankenhausversorgung der Bevölkerungen in den Regionen auszugleichen, bleibt es bei Allgemeinplätzen,

Belanglosigkeiten und Dauerschweigen.

Nach Einschätzung von Prof. Goeschel haben die Bevölkerungen in den Regionen

Deutschlands den vierzigjährigen nichterklärten Krieg der Bundespolitik, der Kassen-

lobby und der Marktideologen gegen die soziale und regionale Krankenhausversor-

gung schlichtweg verloren. Völlig versagt hätten in diesem Zusammenhang die soge-

nannten „Sozialverbände“ VdK und SoVD, die sich zwar bei jeder Gelegenheit als angebliche Vertreter der Älteren und Ärmeren nach vorne drängeln würden, in der für

diese Personengruppen zentralen Frage aber lautstark geschwiegen hätten. Die genannten Verbände hätten 40 Jahre Zeit gehabt, um ein Minimum an gesundheitspolitischer Kompetenz aufzubauen. Geschehen sei: Nichts.

Was spielt sich im Krankenhausbereich derzeit im Vordergrund und im Hintergrund

ab? Nach den massiven Kürzungen im Rentenbereich, die bereits im Jahr 2010 begonnen haben, konzentriert sich die EU-Politik nun auf einen Abbau der Kranken-

hausversorgung. Zu welch katastrophalen Versorgungsproblemen dies beispielsweise in Griechenland geführt hat, ist mittlerweile Thema von Bundestags- und EU-Petitionen. Aber auch in so wirtschaftsstarken Regionen wie der Autonomen Provinz Bozen – Alto Adige (Südtirol) soll nun auf Spardiktat aus Rom die geographisch gebotene und medizinisch bewährte dezentrale Facharztambulatorien- und Krankenhausversorgung liquidiert werden.

In Deutschland wird der neueste Angriff auf die noch vorhandene soziale und regionale Krankenhausversorgung mit zwei Stossrichtungen geführt werden: Erstens sollen mit einem „Strukturfonds“ in Höhe von einer Milliarde Euro möglichst viele Krankenhäuser in die Schliessung oder Umwandlung geködert werden. Zweitens sollen Krankenhäuser mit angeblich schlechterer Qualität Abschläge bei den Leistungsentgelten auferlegt bekommen – und damit letztlich auch in die Schliessung oder Umwandlung getrieben werden.

Der eigentliche Schlag für die gesamte Krankenhausversorgung in den Regionen wird aber kommen, wenn EU-Fiskalpakt, Berliner Schuldenbremse und Reform des Finanzausgleichs wirksam werden. Die Länder, die für die Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser zuständig sind und schon jetzt statt der nötigen jährlich 6 Milliarden Euro gerade einmal 2,8 Milliarden Euro aufwenden, werden dann wegen des Verschuldungsverbotes noch weniger Investitionsmittel bereitstellen – damit werden die verbliebenen Krankenhäuser, soweit sie nicht sowieso schon Krankenhauskonzernen gehören, weiter in die Privatisierung getrieben.

Die Privatisierung von Gemeineigentum durch die Einschaltung von Privatinvestoren

ist ein Lieblingsprojekt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und steht in schönem Einklang mit den Privatisierungstendenzen des derzeit geheim

verhandelten USA-EU Abkommens TISA (Trade in Services Agreement).

(V.i.S.d.P.: Katharina Walter, Medien und Kommunikation, Unterwössen)"

Zu TiSA ein Beitrag von mir.

Fazit

Das deutsche Gesundheitssystem mag noch immer eines der besten in der Welt sein. Noch. Denn der Ruf ist schon lange schwer angeschlagen. Er lebt vom Eingemachten. Das jedoch dürfte bald verzehrt sein. Hört niemand die Äxte, die unaufhörlich auf dieses System einschlagen? Professor Abrecht Goeschel sendet SOS.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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