Das deutsche Gesundheitssystem mag noch immer eines der besten in der Welt sein. Viele Länder mögen uns darum beneiden. Wenn ich aber im vorangegangen Satz das Wörtchen noch kursiv geschrieben habe, hat das einen Grund. Seit Jahrzehnten nämlich doktern Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur an diesem Gesundheitssystem herum. Immer wieder liest und hört man dieses sei im internationalen Vergleich sehr teuer, liefere aber nicht die Ergebnisse, die angesichts der hohen Kosten erwartbar wären. So stand es vor einiger Zeit auch wieder einmal in der „Welt“ zu lesen. Das Blatt verwies auf das Ergebnis einer Untersuchung der Unternehmensberatung KPMG.
Mehr Effizienz!
"Das deutsche Gesundheitssystem muss effizienter werden", wird Volker Penter, Leiter des Gesundheitsbereichs bei KPMG, zitiert. Nun, wer könnte etwas gegen mehr Effizienz haben? Doch drängt sich da gleich eine weitere Fragen auf: Wem kommt dieses Mehr an Effizienz zugute? Der medizinischen Qualität von Krankenhäusern und damit den Patienten? Wie wir wissen muss das nicht zwingend so sein.
Ökonomisierung setzt Gesundheitssystem unter Druck
Die Ökonomisierung von nahezu allem und jedem kennt in Zeiten ausuferndem Neoliberalismus schon lange keine Grenzen mehr. Auch das Gesundheitssystem steht permanent unter Beschuss. Freilich nur zum Wohle unserer immer älter werdenden Menschen. Es müsse effizienter werden, so tönt es nicht erst wie im Januar 2014 aus dem dem KPMG-Mund Volker Penter – sondern bereits seit Jahrzehnten. Freilich sollen hinter diesem Aufruf zu mehr Effiziez nur gute Motive stehen. Damit, so hören und lesen wir, soll abgesichert werden, dass auch morgen noch wichtige Leistungen am Patienten möglichst kostengünstig vollbracht werden können. Und der Missbrauch müsse bekämpft werden. Überkapazitäten (etwa bei Krankenhausbetten) gehörten abgebaut. Wer könnte etwas dagegen haben? Allerdings erleben wir, dass bei den ein übers andere Mal von der Politik zu diesem Zwecken eingeleiteten Maßnahmen und verabschiedeten Gesetzen meist nur der Patient Opfer bringen musste. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Im Zuge dieser Effizienzaufrufe und deren Umsetzung stehen immer mehr Krankenhäuser und deren Personal unter immensen (Kosten-)Druck.
Der ökonomische Druck bewirkt im Gesundheitssektor nichts anderes wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch: Alles was sich zu Geld machen lässt wird auch zu Geld gemacht. Koste es was es wolle. Zulasten der Gesamtgesellschaft. Und zum Schaden vieler Einzelner. Die herrschende Politik leistet willfährig Schützenhilfe, indem sie die nötigen Gesetze dafür auf den Weg bringt. Kürzungen und Privatisierungen von Krankenhäusern bei gleichzeitigem Druck auf die Löhne der Belegschaften sind nur eine Folge dieser Politik.
Ökonomisierung per Gesundheitspolitik fordert auch Todesopfer
Seien wir doch ehrlich: Um das Wohl und Wehe des einzelnen (Kassen-)Patienten geht es bei der Gesundheitspolitik höchstens am Rande. Allenfalls wird wird ein Feigenblatt bewahrt. Das machen auch regierungsamtliche Äußerungen vom immer noch anderen Systemen in anderen Ländern überlegenem deutschen Gesundheitssystem nicht besser. Diese fortschreitende Ökonomisierung des Gesundheitswesens fordert nämlich auch Opfer. Auch Tote. Wird im Zug dessen auch an der nötigen Hygiene in deutschen Krankenhäusern gespart? Reinigungsfirmen haben schon lange festangestellte eigenes Personal ersetzt. Meist bekommen nur die billigsten (sprich: die effizientesten) Reinigungsfirmen Krankenhausaufträge. Werden da die Krankenzimmer im Sauseschritt durchgefeudelt? Manchmal schon. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) infizieren sich jährlich rund eine Million Patienten in deutschen Hospitälern mit Keimen. Etwa 40.000 Menschen sollen jedes Jahr als Folge mangelnder Hygiene in Kliniken sterben, wie DGKH-Vorstand Klaus-Dieter Zastrow einst der WAZ sagte.
Die Hälfte aller Krankenhausinfektionen ist nach Ansicht der Fachleute vermeidbar. Warum gibt es nicht bessere Kontrollen und Hygieneärzte wie etwa in Krankenhäusern der Niederlande? Läuft das einem guten Effizienzergebnis zu wider?
Im deutschen Gesundheitswesen geht es um viel Geld. Professor Albrecht Goeschel gab dies auf einer Veranstaltung im Januar 2015 in Dortmund (hier mein Bericht dazu) zu bedenken: „Der Zentrale Gesundheitsfonds verteilt mittlerweile fast 200 Milliarden Euro jährlich zwischen den schwächeren und den stärkeren Regionen um – leider nimmt die Öffentlichkeit davon so gut wie keine Notiz. Heftig diskutiert wird dagegen der Föderale Finanzausgleich zwischen den Bundesländern mit seinen geradezu läppischen 8 Milliarden Euro Umverteilungsvolumen.“
Fehlendes Interesse in Politik und bei den Medien
An der „Effizienz“ deutscher Krankenhäuser indes wird weiter herumgedokert. Professor Albrecht Goeschel (STUDIENGRUPPE FÜR SOZIALFORSCHUNG - NEUGRÜNDUNG in MARQUARTSTEIN AM CHIEMSEE) will uns die Augen öffnen. Seine scharfe Kritik hat er vor ein paar Wochen mittels Presseaussendung verbreitet. Offensichtlich bekunden weder Medien noch Politik Interesse auf die „drohenden weiteren Finanzierungsdefizite und Privatisierungstendenzen“ in „sämtlichen deutschen Akutkrankenhäusern“ hinzuweisen beziehungsweise abzuwenden:
„Deutsche Krankenhäuser: Ahnungslos ?
Neue Bedrohungen durch EU-Fiskalpakt, Berliner Schuldenbremse
und TISA
Die Akademie und Institut für Sozialforschung Verona hat im November und
im Dezember 2014 sämtlichen deutschen Akutkrankenhäusern Informationen über die drohenden weiteren Finanzierungsdefizite und Privatisierungstendenzen angeboten. Es ging um die Auswirkungen des EU-Fiskalpakts, der Berliner Schuldenbremse und des Länderfinanzausgleichs. Ergebnis wie erwartet: Kein Interesse am Thema auf der ganzen Linie. Kommentar des Projektleiters Prof. Goeschel: „Genau das hatte ich erwartet. In der ehemals gesundheitspolitisch aktiven und innovativen Krankenhauslandschaft ist Friedhofsruhe eingekehrt. Die Akutkrankenhäuser sind durch den Ökonomisierungsterror von Bundesregierungen, „Volksparteien“, Kassenverbänden und Privatinvestoren in einen gnadenlosen Existenzkampf getrieben worden, der jeden gesundheitspolitischen Gestaltungsgedanken unterdrückt und jeden gesundheitspolitischen Gestaltungswillen vernichtet hat.“
Scharfe Kritik übt Prof. Goeschel in diesem Zusammenhang aber auch an den gesundheitspolitischen und wirtschaftspolitischen Fachbereichen der zuständigen Gewerkschaft ver.di. Anstatt das offenkundige Kritikdefizit in der Krankenhauswirtschaft
mit eigenen Konzepten für eine gemeinwirtschaftliche Krankenhausversorgung der Bevölkerungen in den Regionen auszugleichen, bleibt es bei Allgemeinplätzen,
Belanglosigkeiten und Dauerschweigen.
Nach Einschätzung von Prof. Goeschel haben die Bevölkerungen in den Regionen
Deutschlands den vierzigjährigen nichterklärten Krieg der Bundespolitik, der Kassen-
lobby und der Marktideologen gegen die soziale und regionale Krankenhausversor-
gung schlichtweg verloren. Völlig versagt hätten in diesem Zusammenhang die soge-
nannten „Sozialverbände“ VdK und SoVD, die sich zwar bei jeder Gelegenheit als angebliche Vertreter der Älteren und Ärmeren nach vorne drängeln würden, in der für
diese Personengruppen zentralen Frage aber lautstark geschwiegen hätten. Die genannten Verbände hätten 40 Jahre Zeit gehabt, um ein Minimum an gesundheitspolitischer Kompetenz aufzubauen. Geschehen sei: Nichts.
Was spielt sich im Krankenhausbereich derzeit im Vordergrund und im Hintergrund
ab? Nach den massiven Kürzungen im Rentenbereich, die bereits im Jahr 2010 begonnen haben, konzentriert sich die EU-Politik nun auf einen Abbau der Kranken-
hausversorgung. Zu welch katastrophalen Versorgungsproblemen dies beispielsweise in Griechenland geführt hat, ist mittlerweile Thema von Bundestags- und EU-Petitionen. Aber auch in so wirtschaftsstarken Regionen wie der Autonomen Provinz Bozen – Alto Adige (Südtirol) soll nun auf Spardiktat aus Rom die geographisch gebotene und medizinisch bewährte dezentrale Facharztambulatorien- und Krankenhausversorgung liquidiert werden.
In Deutschland wird der neueste Angriff auf die noch vorhandene soziale und regionale Krankenhausversorgung mit zwei Stossrichtungen geführt werden: Erstens sollen mit einem „Strukturfonds“ in Höhe von einer Milliarde Euro möglichst viele Krankenhäuser in die Schliessung oder Umwandlung geködert werden. Zweitens sollen Krankenhäuser mit angeblich schlechterer Qualität Abschläge bei den Leistungsentgelten auferlegt bekommen – und damit letztlich auch in die Schliessung oder Umwandlung getrieben werden.
Der eigentliche Schlag für die gesamte Krankenhausversorgung in den Regionen wird aber kommen, wenn EU-Fiskalpakt, Berliner Schuldenbremse und Reform des Finanzausgleichs wirksam werden. Die Länder, die für die Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser zuständig sind und schon jetzt statt der nötigen jährlich 6 Milliarden Euro gerade einmal 2,8 Milliarden Euro aufwenden, werden dann wegen des Verschuldungsverbotes noch weniger Investitionsmittel bereitstellen – damit werden die verbliebenen Krankenhäuser, soweit sie nicht sowieso schon Krankenhauskonzernen gehören, weiter in die Privatisierung getrieben.
Die Privatisierung von Gemeineigentum durch die Einschaltung von Privatinvestoren
ist ein Lieblingsprojekt der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und steht in schönem Einklang mit den Privatisierungstendenzen des derzeit geheim
verhandelten USA-EU Abkommens TISA (Trade in Services Agreement).
(V.i.S.d.P.: Katharina Walter, Medien und Kommunikation, Unterwössen)"
Fazit
Das deutsche Gesundheitssystem mag noch immer eines der besten in der Welt sein. Noch. Denn der Ruf ist schon lange schwer angeschlagen. Er lebt vom Eingemachten. Das jedoch dürfte bald verzehrt sein. Hört niemand die Äxte, die unaufhörlich auf dieses System einschlagen? Professor Abrecht Goeschel sendet SOS.
Kommentare 2
SOS im Gesundheitssystem: das finde ich bemerkenswert. Natürlich ist der Anspruch der Deutschen an das Gesundheitssystem hoch. Vielleicht zu hoch?
Ich gebe Ihnen Recht, Effizienz kann man übertreiben. Geldverschwendung aber auch, hin und wieder ließt man über unnötige Operationen und zu teure medizinische Strukturen, um auch den letzten Lebenstag eines Patienten noch zu verlängern.
Vom hohen Roß aus gesehen haben Sie Recht, aber nicht aus der Sicht einer wie auch immer definierten Standardversorgung. Und diese Standardversorgung ist auf höchstem Niveau.
Was ich schwierig finde, ist die Budgetdiskussion im Gesundheitsbereich, da sie selbstverständlich eine moralische ist und am Ende immer die Frage steht: wie teuer ist ein Menschenleben?
Aus vielen Projekten dieser Welt ist eines bekannt: nach der Pareto Regel investiere ich 20%, um 80% zu erreichen. Für die fehlenden 20% muss eine exponentiell wachsende Summe investiert werden, um die 100% zu erreichen. M.E. sind wir in der Gesundheitsindustrie über dieses Maß von 80% bei weitem hinaus, so dass jede weitere Entwicklung extrem teuer wird. Dafür sorgen die Lobbyisten, die Geld verdienen wollen.
Und das ist ein Grundproblem unserer Gesellschaft, dass sie nicht devot und dankbar sein kann für das, was bereits erreicht wurde. Jeder weitere Meter ist nicht finanzierbar, das sehen wir gerade überall.
In allen Bereichen fehlt die Konzentration auf das Wichtige.
@WUNDERSAM Das finde ich ja bemerkenswert, was Sie da schreiben: "Natürlich ist der Anspruch der Deutschen an das Gesundheitssystem hoch. Vielleicht zu hoch?" Kann man von einem hohen, ja zu hohen Anspruch "der Deutschen" an das Gesundheitssystem reden? Ich glaube nicht.
Weiter lese ich bei Ihnen: "Und das ist ein Grundproblem unserer Gesellschaft, dass sie nicht devot und dankbar sein kann für das, was bereits erreicht wurde. Jeder weitere Meter ist nicht finanzierbar, das sehen wir gerade überall." Devot und dankbar soll die Gesellschaft ein? Soll sie sich über Sozialabbau und die Beschädigung schwer erkämpfter Errungenschaften freuen? Lassen wir uns doch nicht in die Irre führen! Jeder Cent, der bei der Versorgung der Patienten abgezogen wird, wird ja nicht eingespart: des sacken sich andere ein. Es fallen bestimmte Leistungen weg bzw. werden von den Kassen nicht mehr erstattet. Dafür picken sich bestimmte Ärzte lukrative Krankheiten und Operationen heraus, weil sie sich finanziell nutzen. Als Patient wird man immer unsicherer. Man fragt sich, ist eine bestimmte OP nötig oder wird sie nur durchgeführt, um damit ein Krankenhaus Reibach macht. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich will hier - und das macht auch Prof. Goeschel nicht - keinem überhöhtem Anspruchsdenken das Wort reden. Das Gesundheitssystem soll gewiss effizient arbeiten. Aber jede Ökonomisierung von Krankenhausleistungen verbietet sich m.E. Gesundheit darf keine Ware sein! Wenn das ein hoher Anspruch ist, weiß nicht. Seit "Reformen" keine Verbesserungen mehr sind, bin nicht nur ich sehr skeptisch geworden. In der Gesundheit ist viel Geld zu verdienen. Und die, die eine starke Lobby haben, sorgen dafür, dass es in ihre Kassen wandert. Der Patient soll bluten. Vielleicht sogar irgendwann im Sinne des Wortes. Der Patient hat nämlich keine Lobby. Das Problem ist der Neoliberalismus.