#protestbamfdo Flüchtlinge in Dortmunds Mitte

Flüchtlingsprotest In Dortmund protestieren syrische Flüchtlinge gegen die schleppende Bearbeitung ihrer Asylanträge. Sie erhalten Unterstützung in der Bevölkerung. Nazis machen Stimmung

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Die Flüchtlinge sind fast täglich in der Tagesschau. Und doch weit weg. Es gelingt ihnen zuweilen bis nach Lampedusa in Italien zu gelangen. Andere haben Pech: Friedensnobelpreisträger EU schottet sich ab und lässt viele der Flüchtlinge einfach im Mittelmeer ertrinken. Denn die italienische Rettungsmission „Mare Nostrum“ wurde eingestellt. Den Italienern war sie zu teuer geworden. Andere EU-Länder hatten sich finanziell nicht beteiligen wollen. Trotz aller Abschottung und sonstiger Widrigkeiten kommen Flüchtlinge durch nach Europa. Sogar bis nach Dortmund ins Ruhrgebiet. Über 2000 Flüchtlinge soll es derzeit in Dortmund geben. Zuständig für sie: ganze 6 Sozialarbeiter. Die Menschen sind für gewöhnlich nicht im Gesichtsfeld der Dortmunderinnen und Dortmunder. Was sich nun von einen Tag auf den anderen geändert hat.

Die Bearbeitung der Asylanträge verläuft zu schleppend

Seit vergangener Woche demonstrieren die Syrerinnen und Syrer, Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland, vor der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Dortmund. Ihre Forderung: eine schnellere Bearbeitung ihrer Asylanträge. Viele warten auf ihre Anhörung. Schon seit Monaten. Manche gar seit einem Jahr. Erst nach dieser Anhörung können sie einen Aufenthaltstitel bekommen. Ohne diesen sie haben sie keine Chance z.B. ihre Familien, welche sich noch im syrischen Kriegsgebiet befinden, nachzuholen. Um die stehen sie fürchterliche Ängste aus. Mütter und Kinder sterben jeden Tag dort. Doch das Amt ist anscheinend überfordert. Die Bearbeitung der Asylanträge verläuft schleppend.

Neonazis mobilisierten gegen das Flüchtlingsprotest-Camp

Mit ihrem Protestcamp im Dortmunder Westen wollten die syrischen Flüchtlinge friedlich auf ihre Lage aufmerksam machen. Doch die Partei Die Rechte , Neonazis, mobilisierten gegen das Camp. Schon am ersten Tag des Flüchtlingsprotestes marschierten zirka 20 Dortmunder Neonazis auf deren Camp zu. Sie skandierten rechten Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ und trugen (wie schon einmal beim Sturm auf das Dortmunder Rathaus in der Kommunalwahlnacht) gelbe T-Shirts mit dem Aufdruck „Stadtschutz“.

Polizei spricht von „Methoden wie in der Nazizeit“

Die Dortmunder Polizei, die in der Vergangenheit auf rechte Demonstrationen nicht selten fragwürdig reagierte, war diesmal rechtzeitig vor Ort präsent. Rechtsextremen erhielten von der Polizei Platzverweise. Es gab einige Festnahmen. Auch der rechte Ratsherr Michael Brück kam in Gewahrsam. Vergangenen Freitag dann versuchte sich ein syrischer Flüchtling, sich selbst anzuzünden. Der Versuch misslang glücklicherweise. Dessen Mitstreiter verstanden dessen Verzweiflung, distanzierten sich aber davon. Man sprach von einer „falschen Botschaft“. Nicht wenige Dortmunderinnen und Dortmunder zeigten sich solidarisch mit den Flüchtlingen. Sie brachten Isomatten, warme Getränke und Essen ins Camp. Viele Helfer sind via Twitter unter dem Hashtag #protestbamfdo organsisiert. Ein Syrer namens Khatib: „Wir sind der Polizei und den Dortmundern unbeschreiblich dankbar für alles.“ Die Polizei selbst sprach betreffs der Aktionen der Rechtsextremen von „Methoden wie in der Nazizeit“. Der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange versprach alles zu unternehmen, um den Schutz der Flüchtlinge, deren Demonstration genehmigt ist, sicherzustellen.

Das Protestcamp wurde nun ins Dortmunder Zentrum verlegt

Am Dienstag dieser Woche marschierten die Flüchtlinge von Unterstützern aus der Dortmunder Bevölkerung und unter ständigen Polizeischutz in die Innenstadt. Hin zu einem neuen Platz für ihre Protestcamp oberhalb der Katharinentreppen gegenüber dem Dortmunder Hauptbahnhof.

Und zwar obwohl die Neonazis den Platz für ihre wöchentliche Mahnwache nutzen. Das Camp wird nach Absprache mit der Polizei nun erst am Dienstag in die Innenstadt verlegt. Eine Konfrontation möchten die Syrer indes vermeiden. Kathib: „Wir vermissen Syrien. Wir haben uns die Situation nicht ausgesucht, aber jetzt gebt uns doch die Gelegenheit, gute Mitbürger zu sein.“

Ein gut gewählter Platz

Der Chronist besuchte gestern Mittag das Camp an der Katharinenstraße. Unter Planen und zeltähnlichen Gebilden sitzen die Syrer auf Decken und Kissen nun vor einem Gebäude, dass der Stadt Dortmund gehört und irgendwann einmal zu einem Hotel umgebaut werden soll. Auf Facebook schlug heute jemand vor, die Stadt könne das ohnehin nicht genutzte Haus ja temporär den Flüchtlingen als Unterkunft zur Verfügung stellen. Während meines Besuches ist alles ruhig. Mehrere Polizeifahrzeuge stehen links und rechts des Weges. Die Polizeibeamten sind in Bereitschaft.

Mein Eindruck: Der Platz ist gut gewählt. Schließlich gehen hier täglich tausende auf dem Weg vom Bahnhof in die Stadt oder umgekehrt vorbei. Und die Passanten schauen auch nach dem Camp. Sie studieren die selbstgemalten Plakate und Schilder. Darauf steht zu lesen „Unsere Familien sind noch im Kriegsgebiet“, „Wir wollen uns integrieren“ oder „Wir wollen hier arbeiten und lernen“ . Ab und an kommen sogar Passanten mit den Flüchtlingen ins Gespräch. Ein Kamerateam interviewt gerade einen Flüchtling. Dieser erklärt die Aktion und spricht von der schlimmen Situation zuhause in Syrien. Der Mann mahnt Europa an, den Flüchtlinge wieder legale Möglichkeiten zu eröffnen, um nach Europa zu gelangen, damit man dort einen Asylantrag stellen könne. Diese Möglichkeiten seien unterminiert worden. Weshalb viele Flüchtlinge die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer in letzter Verzweiflung wagten. Über die Aufnahme durch hilfsbereite Menschen und die netten Behandlung äußert sich der Mann sehr erfreut und dankbar. In anderen Ländern sei das so nicht der Fall. Eine älterer Frau aus Dortmund spricht das die Reporterin des Kamerateams an. Sie erzählt spontan, dass auch ihre Mutter einst nach dem Zweiten Weltkrieg mit zwei Kindern als Flüchtling in die Region gekommen war. Sie könne also ziemlich gut verstehen, was die Flüchtlinge fühlen und wie sie litten, weil sie ihre Heimat hinter sich lassen und die Familien zurücklassen mussten.

50 Millionen Menschen sind momentan weltweit auf der Flucht

Die Flüchtlinge des Dortmunder Protestcamps wollen einfach verstanden werden. Womöglich gelingt das in gewisser Weise an diesem prominentem Ort in der Dortmunder Innenstadt. Die Flüchtlinge sind fast täglich in der Tagesschau. Und doch so weit weg. Aber plötzlich stehen sie vor der eignen Haustür, tauchen in der eignen Stadt auf. Wann begreifen wir endlich, dass die Abschottungspolitik nicht auf Dauer funktionieren kann? Über 50 Millionen Menschen sind momentan in der Welt auf der Flucht! Nicht mitgerechnet viele Binnenflüchtlinge in Krisenländern wie Syrien. Dort sind es um die 6 Millionen. Das die Flüchtlingszahlen steigen, hat mit uns Europäern zu tun.

Neue Mauern in Europa

Gestern lese ich, dass Orbans Ungarn plane, einen Grenzzaun an der Grenze zu Serbien zu errichten. Ein Wahnsinn! Ungarn war es, dass einst die Grenze für Flüchtlinge aus der DDR öffnete, den Stacheldraht öffentlichkeitswirksam durchtrennen ließ. Und nun baut wieder eine Stacheldrahtzaun?! Kann diese Europa, die EU, noch eine nennenswerte Zukunft haben? Es wird seitens herrschender Politik oft von europäischen Werten geschwafelt – welche sind denn das konkret?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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