"SlutWalk Ruhr" startete erstmalig in Dortmund und gleich erfolgreich

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An diesem Wochenende fanden so genannte "SlutWalks" in mehreren deutschen Städten statt. Diese "Schlampenspaziergänge" haben ihren Ursprung im kanadischen Toronto.Dort fand am 24. Januar an der New York Universität eine Veranstaltung zu Sicherheit und Gewaltvorbeugung für Studierende statt. Einer der auftretenden Redner, der Polizeibeamte Michael Sanguinetti, sagte, dass "Frauen vermeiden sollten, sich Schlampen anzuziehen, um nicht zu Opfern zu werden". Der Rat dürfte durchaus gut gemeint gewesen sein, dennoch löste der Ordnungshüter unter den Teilnehmern reichlich Empörung aus. Warum? Ganz einfach: Wurde dadurch doch wieder einmal mehr quasi den Opfern einer schweren Straftat "Vergewaltigung" eine Mitschuld zugewiesen.

Zwei junge Kanadierinnen, Sonja Barnet und Heather Jarvis, setzte ihre Empörung darüber kurzerhand in konkretes Handeln um: Die Frauen brachten den ersten "SlutWalk", den ersten "Schlampenspaziergang" auf die Straße. Er fand im April diesen Jahres in Toronto statt. Eine neue, verkrustete Demonstrationsformen aufsprengende, Bewegung wardt so geboren. Und die schlug gewissermaßen Funken. Funken, die zum Nachbarn USA und schließlich auch über den großen Teich bis nach Europa überschlugen. Die Bewegung könnte das Zeug dazu haben, weltweit engagierte Anhänger zu finden. In verschiedenen Großstädten der westlichen Hemissphäre nahm die SlutWalk-Bewegung schon ordentlich an Fahrt auf. Vergangenes Wochenende kamen in insgesamt drei finnischen Städten ungefähr 6500 - mehr als zu den 1.Mai-Demos! - zu "Schlampenspaziergängen" zusammen.

Davon inspiriert, wagten sich mutige junge Frauen in Dortmund an die Planung eines ersten "Schlampenmarsches". Sie gingen wacker auf's Ganze, bezogen gleich noch ihre gesamte Region, das Ruhrgebiet, mit ein und nannten die Demo folgerichtig "SlutWalk Ruhr". Dass ihr Wagemut womöglich durchaus eine Chance hätte, sich in reichlicher Demo-Beteiligung auszuzahlen, ahnten die Frauen spätens ab dem Moment, da sich in den letzten Tagen vor dem "SlutWalk" Pressenachfragen häuften.

Inzwischen ist der erste "SlutWalk Ruhr" bereits Geschichte. Und in punkto Beteiligung muss sich dieser "Schlampenspazierung" nun ganz und garnicht verstecken. Bravo, den Mutigen! Nach Angaben der Veranstalter dürften sich zirka 300 (später war sogar von 400 die Rede) Menschen - Frauen, Männer, Junge und Ältere - daran beteiligt haben. Schon kurz vor 14 Uhr hatte sich eine beachtliche Anzahl Menschen in freizügiger Kleidung und bestückt mit selbst hergestellten Plakaten, Fähnchen und anderen passenden Accessoires, geschminkt oder auch nicht; mit knallrotem, pinkfarbenem und grünem Haupthaar oder schlicht und einfach naturfarbbelassen auf der Katharinentreppe gegenüber des Dortmunder Hauptbahnhofes niedergelassen. Passanten blieben stehen, stutzen ob der bunten Truppe. Die Medien waren gut vertreten: Presse, Rundfunk und TV-Teams. Es wurden Fotos gemacht, Kurzinterviews geführt. Kameraleute schwenkten die auffällige Szenerie mit ihren Fernseh- und Videokameras ab und Tonassistenten fingen O-Töne ein. Man hätte sich ob der vielen zu sehen gewesenen Dekolletés, der langen Beine mancher junger Mädchen oder Frauen durchaus wie ein Voyeur vorkommen können. Was der Sache ja nicht entgegengekommen wäre: hier ging es ja gegen "Mackertum und Sexismus". Ein bisschen war diese Unsicherheit auch umgekehrt bei den halbnackten jungen Mädchen zu bemerken. Klar: All das war schließlich ungewohnt. Doch ein junges Mädchen überwand mit leichten gerötetem Gesicht ziemlich schnell ihre kurz aufgeflackerte Unsicherheit - wann steht frau auch schon einmal so gut wie ausgezogen gegenüber dem Hauptbahnhof! - und sprach sendereife kluge Sätze in das Mikrofon einer Rundfunkkollegin.

Recht bald war auch das Eis für alle gebrochen. Alle mehr oder weniger Beteiligten respektierten einander in sehr angenehmer Weise. Befürchtungen - ich gebe zu, im Vorfeld der Veranstaltung ebensolche, zumindest sehr leise, gehegt zu haben - derart, dass etwa johlende angetrunkene Störer, Pöbler, herandrängende schwitzende Voyeristen oder gar Grapscher diesen ersten "SlutWalk Ruhr" beschädigen und so zum Fiasko werden lassen könnten - erwiesen sich als erfreulicherweise als unbegründet.

Die VeranstalterInnen informierten in kurzen Redebeiträgen am Fuße der Katharinentreppe noch kurz über den eingangs hier schon erwähnten Hintergrund für die "Slut-Walk-Bewegung". Wie oft bei derartigen Veranstaltungen streikte auch hier die via Mikroport arbeitende Mikrofon-Verstärker-Anlage. Aber auch dafür fand sich rasch Ersatz: ein Megaphon. Sympathisch: Auch ein Mann sprach, verständlicherweise vor Aufregung nur so flatternd, über Anmache in der Diskothek und anderswo seitens anderer Mit-Männer, die anscheinend noch immer Mädchen und Frauen als verfügbares Eigentum betrachteten. Der junge Mann namens Ulli gab zu bedenken, dass ihm kein Fall bekannt geworden sei, wo Jungs von Mädchen so plump angemacht worden sind, wie das umgekehrt eigentlich fast die Regel sei. Und er erinnerte daran: Nein heißt Nein aus Mädchen- und Frauenmündern. Zum Täter würde man(n) durch die Nichtakzeptanz dieses Neins, das absichtlich als ein Ja interpretiert würde. Sozusagen aus schlechter Tradition. Und zwar auch durch überkommene, sich trotz Aufklärung und Frauenrechtebewegung noch immer hartnäckig haltender Vorurteile, weitervererbt über Generationen von Männern, auch über die Väter, hinweg. Der junge Mann weiter: Es müsse dagegen gelten: "Mein Körper - Meine Entscheidung" Schließlich meinte er wohl, sind wir Männer keine Tiere, die ihre Triebe nicht im Zaume halten können. Darüber nachzudenken, könne sich lohnen und Mann sogar letztlich befreien.

Katja, eine Jugendsekretärin der Gewerkschaft ver.di, informierte darüber, dass wohl rund 75 Prozent der Frauen und 45 Prozent der Mädchen hierzulande in ihrem Berufsleben mindestens einmal Opfer sexueller Belästigungen seitens Männern würden. In den seltensten Fällen würden die Täter zur Verantwortung gezogen. Die Gewerkschaftsfunktionärin beklagte überdies eine unklare Gesetzeslage, die entsprechende Sankionierungen von Tätern oft unmöglich mache.

Die Marschkolonne konnte sich nach dem informativen Entree also nun in fröhlicher Stimmung, aber mit sehr ernstgemeinten Forderungen und Hinweisen, welche von den Slutwalkerinnen und Slutwalkern Satzweise skandiert oder auf mitgeführten Plakaten und Transparenten zu lesen unters Volk gebrachte wurden, sich auf die geplante und genehmigte Demonstrationsstrecke machen. Angeführt und begleitet von Polizeiautos und Krädern umrandete der Pulk der Slutwalker zunächst gewissermaßen den Hauptbahnhof, um dann Kurs auf's Rathaus in der Stadtmitte zu nehmen.

Hier nur einige Aufschriften der mitgeführten Plakate: "Schweigen ist keine Zustimmung!, "Meine Kleidung ist kein Freifahrtschein!", eine warnte: "Keine Schuld-Keine Angst-Keine Scham", "Liefert Vergewaltigern keine Ausreden, "Männer sind keine Jäger, Frauen kein Freiwild!", "Nur weil ich meine Beine zeige, heißt das nicht, dass ich auch meine Beine für dich breitmache!" oder auch "Have Sex - Hate Sexism!" Erschreckend, wenn die Zahl auf einem anderen Pappplakat stimmt: "46.869 Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung im Jahr 2010"...

Immer wieder tönte es aus der Gruppe der Slutwalker: "No means No! - Nein heißt Nein!"

Nach etwas über zwei Stunden traf der Zug heute nachmittag nach 16 Uhr auf dem Friedensplatz zwischen neuem und altem Rathaus an der Friedenssäule ein. Von den Stufen an der Säule herab wurden noch ein paar Redebeiträge zu Gehör gebracht. Unter anderen über versteckten Sexismus in Werbespots. Ein Vertreter einer sich "Macker-Massaker" nennenden Initiative bedankte sich, dabei gewesen sein zu dürfen und bekannte: Beim nächsten Mal sind wir wieder mit dabei! Die Initiatorinnen des ersten "SlutWalks Ruhr"indes schätzten diesen zuguterletzt nicht nur für die Region auch für Dortmund als Premiere in die Stadtgeschichte eingehenden "Schlampenmarsch" mit Fug und Recht als vollen Erfolg (zumindest erst einmal von der Beteiligung her) - noch dazu sozusagen aus dem Stand, dem Nichts heraus so prächtig gelungen, an- und aufgenommen, ein. Etwa 400 vom Thema sexuelle Selbstbestimmung Bewegte brachte der "SlutWalk Ruhr" heute in Dortmund auf die Straße

Wem vor diesem ersten "SlutWalk" in Dortmund tief im seinem Innern winzige Bedenken gekommen sein mögen, wonach diese neue "Institution" diesen Namens - ausgelöst durch die gut gemeinten Ratschläge eines kanadischen Polizisten, Frauen sollten sich nicht wie Schlampen kleiden, um nicht Opfer eines Verbrechens zu werden - wieder einmal nur ein neumodisches Spektakel mehr sein könnten, ging heute beruhigt aber auch tief bewegt vom Platze.

Und wohl auch sehr nachdenklich: Ist es nicht schlimm, dass sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen - einmal abgesehen davon, dass sie im Job noch immer 23 Prozent weniger Geld verdienen, wie Männer! - noch oft genug vorsätzlich und überheblich missachtet wird. Was in unseren Breiten an sich schon eine ziemliche Schande darstellt. Noch immer kommt es vor, dass man dem Opfer eine Mitschuld zuweist. Schlimmer noch: In bestimmten Gebieten der Welt, geht weiter zu wie einst im Mittelalter. Da wird Vergewaltigung wie damals als Waffe gegen "Feinde" eingesetzt, um diese demütigen...

Die Slutwalker von der Ruhr, so war inzwischen zu vernehmen, planen bereits den 2. Slutwalk Ruhr im nächsten Jahr. Gut so!

Das Manifest des "SlutWalk Ruhr" finden Sie hier.

Fotostrecke: hier

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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