Starkes Signal aus Bochum

UmFAIRteilen Am vergangenen Samstag gingen, aufgerufen vom Bündnis UmFAIRteilen, in 40 deutschen Städten ca. 40.000 Menschen für eine solidarischere Gesellschaft auf die Straße.

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Laut Pressemeldung des Bündnisses „Umfairteilen war der Aktionstag (Readers Edition informierte) am Sonnabend ein voller Erfolg. Wie Gudrun Müller (ver.di) an diesem Tag auf der Kundgebung in Bochum informierte, waren mehr als hundert Aktionen in 40 deutschen Städten geplant. Das Resümee am Sonntag: Mehr als 40.000 Menschen demonstrierten bundesweit für mehr Gerechtigkeit und die Zukunft des Sozialstaats. Fünftausend waren auf der Kundgebung in Berlin, 6000 in Bochum, 5000 in Frankfurt am Main, 7000 in Hamburg, 4000 in Köln, 3000 in Bremen, 1000 in München, 1000 in Trier, 1000 in Bayreuth und 750 in Saarbrücken.

Wenngleich die deutschen Demonstrantenzahlen an die in Spanien von dieser Woche – wo zwischen 50.000 und 100.000 Menschen allein in der Hauptstadt Madrid auf der Straße waren – nicht heranreichten, sind die Initiatoren mit dem Aktionstag zunächst dennoch zufrieden. Bundesweit demonstrierten insgesamt mehr als 40.000 Menschen für eine stärkere Besteuerung von Reichtum und gegen soziale Ungleichheit und Sozialabbau. Zu den Demonstrationen aufgerufen hatte das Anfang August an die Öffentlichkeit getretene Bündnis „Umfairteilen – Reichtum besteuern“ von Attac, Gewerkschaften, Sozialverbänden und weiteren zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen. Konkret fordert das Bündnis eine dauerhafte Vermögenssteuer sowie eine einmalige Vermögensabgabe, um reiche Haushalte in Deutschland deutlich stärker als bisher für die Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Schwerpunktaktionen fanden in Berlin, Bochum, Köln, Hamburg und Frankfurt am Main statt.

Gudrun Müller (ver.di): "Der Pott soll kochen!"

Zügig strömten schon vor Demobeginn (12 Uhr) Menschen um Menschen aus vielen Teilen Nordrhein-Westfalens aus dem Hauptbahnhof der Ruhrgebietsstadt. Andere waren mit Bussen angereist. Die Menschen reihten sich in den bereits in Bewegung gekommenen Demozug ein, um mit Fahnen, Transparenten, kräftig betätigten Vuvuzelas und Trillerpfeifen in die Innenstadt zu einer von zwei Bühnen (die andere war am Bochumer Schauspielhaus aufgebaut) zur Massenbergstraße zu marschieren. Ver.di-Funktionärin Gudrun Müller verlieh ihrer Freude darüber Ausdruck, dass so viele Menschen - darunter auch viele junge - gekommen waren. Diese sich für einen starkten Sozialstaat engagierenden Menschen selbst dürften von Minute zu Minute mehr begeistert gewesen sein. Konnten sie doch auf einer Video-Wand die in die Innenstadt strömenden beeidruckende Menschenmasse, welche von zu Minute zu Minute weiter anwuchs, sehen. „Der Pott soll kochen!“, rief Gudrun Müller ins Mikrofon. Und wie er kochte!

"Chupa Cabras" heizte den Massen ordentlich ein

http://www.readers-edition.de/wp-content/uploads/2012/09/2012-09-29-12.06.21-300x225.jpgDie Band Chupa Cabras.

Dafür sorgte nicht zuletzt die Band „Chupa Cabras“ mit flotten Bläsersetzen und spanischen und anderen ins Blut gehenden Rhythmen. Die sympathische Band brachte die Leute ordentlich auf Trab und animierte sie zum Mitmachen. Was mit offensichtlicher Freude seitens den Kundgebungsteilnehmer aufgenommen wurde. So sangen Tausende mit und sprangen auf Signal der Band aus der Hocke kraftvoll in die Höhe. Um auszudrücken: Wir bewegen uns für eine solidarische Gesellschaft. Ein Sänger der Truppe, selbst in Madrid gebürtig, bat die Menschen kräftig Lärm zu machen. Auf, dass man diesen bis Madrid höre. Wo, wie der junge Mann sagte, diese Woche bei der schon erwähnten Kundgebung vorm spanischen Parlament junge Menschen und sogar Alte von der Polizei brutal verprügelt worden seien. „Chupa Cabras“ trat wie die anderen Künstler an diesem Tag in Bochum ohne Gage auf.

Das Signal aus Bochum

Gudrun Müller beschwor die Leute: Von Bochum und den anderen Städten müsse ein machtvolles Signal für eine (wieder) gerechtere Gesellschaft ausgehen. Müller: Nach Bochum seien Menschen vom Niederrhein und sogar aus Ostwestfalen angereist um dabei zu sein.In der ersten Reihe vor der Bühne standen Bochums Oberbürgermeisterin Dr. Ottilie Scholz, die es sich – wie Gudrun Müller betonte – wie bei ähnlichen anderen Anlässen auch diesmal nicht hatte nehmen lassen, mit dabei zu sein. Nicht weit von ihr war Annelie Buntenbach (Bundesvorstand des DGB) in der Menschenmenge auszumachen. Sie würde später vorm Schauspielhaus sprechen.

Dr. Ulrich Schneider (Der Paritätische): Unhaltbare soziale Zustände im Land, das nach Geld stinkt

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen.

Als einen „echten Durchbruch in der Gerechtigkeitsdebatte“ bezeichnete in Bochum Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes den Aktionstag: „Die überwältigende Resonanz auf unseren Aufschlag zeigt, dass die Sorge um die Zukunft unseres Sozialstaats und die Einsicht in die Notwendigkeit einer wieder gerechten und solidarischen Steuerpolitik endlich in der Mitte der Bevölkerung angekommen sind. Mit dem heutigen Tage steht fest, dass die Verteilungspolitik in Deutschland im Wahlkampf 2013 ein zentrales Thema sein wird“, das von keiner Partei mehr ignoriert werden könne. Ulrich Schneider war soeben von einer Aktion in Oberhausen gekommen. Nach dessen Auftritt in Bochum stand noch eine weiterer in Köln an, weshalb Schneiders Rede zeitlich vorgezogen worden war. Vor Schneiders Rede hatte Gudrun Müller verraten, dass Ulrich Schneider selbst ein Kind des Ruhrgebiets ist. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen hatte das lächelnd mit einem stolzen Nicken bestätigt. Und während der Rede war ihm anzumerken, wie wohl es Schneider tat, im heimatlichen Revier aufzutreten. Vor einem Menschenschlag, von dem man weiß, sie tragen das Herz am rechten Fleck und halten nicht hinterm Berg, wenn es Not tut, Tacheles zu reden.

Von Ulrich Schneider stammt auch die gedanklich leicht nachvollziehbare Aussage, wonach unsere Gesellschaft ohne eine gerechte Umverteilung ihr soziales Gesicht verliere. Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft zwischen Arm und Reich sei nicht hinnehmbar, so Schneider: „Deutschland stinkt vor Geld!“ Inzwischen sei aber jeder Fünfzehnte arm hierzulande. Unhaltbar sei dies. Immer mehr Menschen seien von Hartz IV betroffen, oder könnten von immer mehr Arbeit nicht auskömmlich leben. Demgegenüber, so kritisierte Schneider, stünde ein unverschämt anwachsender Reichtum. „Die Einkommensverteilung, in Deutschland“, donnerte Ulrich Schneiders Stimme aus den Lautsprechern in Bochum, sei „obszön“. Die Kommunen litten an Einnahmeproblemen. Immer mehr von ihnen seien überschuldet. Schneider mahnte, dass es noch schlimmer käme, wenn erst die Schuldenbremse zur Anwendung käme, wo noch einmal 40 Milliarden Euro zusammenkämen, die eingespart werden müssten und den Kommunen künftig fehlten. Schneider geißelte eine Politik, die nur auf Kürzen und Sparen setze. Dies sei ein „fataler Weg“, den man da zu Lasten einer zunehmenden Anzahl von Menschen gehe. Wer diese Politik propagiert, forderte Schneider, der müsse den Menschen die Folgen ins Gesicht sagen. Die Gesellschaft müsse sich endlich ehrlich machen. Und sagen, dass so der Lebensstandart breiter Massen immer mehr sinke. Und das, erinnerte Ulrich Schneider, „im viertreichsten Land der Welt!“ Schneider bezeichnete den Sozialstaat als wichtig. Deutschland stehe vor einer Richtungsentscheidung: Wolle man Ausgrenzung oder gerechte Umverteilung? Schneider: „Das Thema Umverteilung wird aus der öffentlichen Debatte nicht mehr wegzubekommen sein!“ Es müsse dafür gesorgt werden, dass „sich in der Republik was ändert“. Und der Pott kochte: Tosender Applaus. Ulrich Schneider verließ die Bochumer Bühne mit einem Kompliment für die „Ruhris“ gen Köln: „Das Ruhrgebiet steht wie eine Eins!“

Machtvolle Manifestation

Die Bochumer Kundgebung ging friedlich und kraftvoll als eine von Tausenden getragene unüberhörbare und unübersehbare Manifestation gegen Sozialkahlschlag und für ein soziales Miteinander, verbunden mit der Forderung einer Garantie auf eine möglichst gerechte Partizipation am gesellschaftlichen Reichtum betreffs der sozial ausgegrenzten Menschen im Lande, welche der letzte Redner auf dem Podium an der Massenbergstraße, Kemal Bozay, vorgetragen hatte, über die Bühne. Im Anschluss marschierte die Sechstausend von Bochum zu zweiten Bühne zum Schauspielhaus der Stadt. Gudrun Müller von ver.di kündigte für dort „eine kleine Überraschung“ an, „die die Bochumer Falken“ organisiert hätten. Über die kann hier leider nichts berichtet werden. Der Reporter musste sich leider an dieser Stelle aus dienstlichen Gründen von der Aktion in Bochum verabschieden.

Erfolg, oder nur lahmer Spaziergang?

Für die Organisatoren des Bündnisses „UmFAIRteilen“ waren die Aktionen vom Samstag in 40 deutschen Städten ein Erfolg. Andere – der „taz“ zufolge, Demoteilnehmer in Berlin – waren offenbar enttäuscht, monierten an der Hauptstadt-Aktion, diese sei ein langweiliger Spaziergang der viel zu Wenigen gewesen. Nun: Mehr war wohl erst einmal nicht drin. Wird es einen heißen Herbst geben? Leider wurde dieser – so vom DGB – schon öfters angekündigt, aber kaum wirkungsvoll in Szene gesetzt. In Bochum fiel zumindest eines erfreulich auf: Die Masse der Demonstrationsteilnehmer setzte sich nahezu aus allen Generationen von Menschen zusammen. Die Sozialverbände waren vertreten. Genauso wie die Parteien. Vertreter von CDU und FDP waren dort zumindest auf den ersten Blick nicht zu entdecken. Was wohl auch niemand wirklich erwartet hätte. Angesichts der unsozialen, kapitalfreundlichen Politik der schwarz-gelben Bundesregierung. Zwar stehen auch diese Parteien für Umverteilung. Allerdings für eine von oben nach unten, die alles andere als fair ist. SPD und Grüne indes zeigten mit Fahnen und Plakaten Präsenz. Obgleich freilich auch sie – wie CDU und FDP – für die vorhandene soziale Misere mit verantwortlich zeichnen. Den einfachen Parteimitgliedern von SPD und Grünen, die in Bochum wie anderswo, mühsam versuchen müssen, das von ihren Parteileitungen zerschlagene Porzellan irgendwie zu kitten, ist abzunehmen, dass sie für eine wieder solidarischere Gesellschaft eintreten. Allein die Parteizentralen von Rot und Grün in Berlin lassen entsprechende Worte der Entschuldigung, die eine verfehlte Politik eingestehen, verbunden mit dem Versprechen von nun an positiv gewendet in die Zukunft zu schreiten, noch immer vermissen. Von Bochum ging am Sonnabend jedenfalls ein kräftiges Signal aus, das ausdrückt: Wir brauchen dringend eine soziale Neugestaltung unserer Gesellschaft. Wurde dies und die Signale aus den anderen 40 deutschen Städten in Berlin gehört?

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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