Stimmungsmache mit "Flüchtlingsflut"

"Asylmissbrauch" Anscheinend überraschend strömen dieser Tage viele Flüchtlinge nach Deutschland. Darunter sind u.a. in ihren Heimatländen oft wie menschlicher Müll behandelte Roma.

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Schon ist von “Asylmissbrauch” die Rede. Anfang der 1990er Jahre hatten wir eine ähnliche Situation. Bald danach brannten Asylheime. Wehren wir den Anfängen! Vernunft ist jetzt die Devise. Panikmache dagegen völlig unangebracht.

Seit Tagen machen Meldungen über die ansteigende Zahl von Flüchtlingen die Runde, welche hauptsächlich aus Serbien und Mazedonien stammen sollen. Es kommen aber auch welche aus dem Bürgerkriegsland Syrien, aus Afghanistan und anderen Ländern. Die Stadt Dortmund hatte mit dem Flüchtlingsansturm anfangs im wahrsten Wortsinne ihre liebe Not. Über die überfüllte Erstaufnahmeeinrichtung im Ortsteil Hacheney hatte die Stadt Dortmund einen Aufnahmestopp verhängen müssen. Die Asylbewerber mussten auf eine eiligst hergerichtete Notunterkunft in der Brügmann-Sporthalle ausweichen. Die Flüchtlinge hatten sich bereits auf der Straße zur besagten Erstaufnahmeeinrichtung angestaut. Anwohner hatten dankenswerter Hilfe geleistet. Fernsehen, Lokalzeitungen und Radiostationen berichteten täglich. Was wiederum andere Anwohner beeunruhigt haben dürfte. Schließlich sorgten die Berichte für Unruhe. Würden in den nächsten Tagen gar tausende Menschen aus Mazedonien, dem Kosovo und Serbien kommen? Im Grunde – sicher nicht gewollt – eine ungerechtfertigte Panikmache. Die die Medien via genauerer Information hätten von Anfang an vermeiden können. Inzwischen hat sich die Lage in Dortmund entspannt. Die Bereitstellung einer weiteren Notunterkunft durch das Land kam ins Gespräch: eine neue Asylbewerberunterkunft in Neuss. Das hat eine Sprecherin des Landesinnenministeriums bestätigt. Die Einrichtung soll in ein leerstehendes Krankenhaus einziehen. Über die Nutzung werde noch verhandelt.

Schon zucken hierzulande die übliche Reflexe auf

Statt Dampf aus dem Kessel abzulassen, wird neuer hineingeblasen. Etwa durch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrichs (C[!]SU): Die ansteigende Zahl von Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien machen dem guten Mann große Sorgen, hört man. Weshalb er die Zuwanderung aus diesen Ländern lieber heute als morgen stoppen würde. Der CSU-Mann meint, die hätten bei uns nichts zu suchen. Die wollten nur die angeblich üppigen (!) Geldbezüge für Asylbewerber abkassieren. Im WDR-Lokalfernsehen war etwa von einer Summe von 700 Euro zu hören, die jeder ankommende Flüchtling erhalten. Ein Kollege von mir horchte da auf. Ein Mann, den ich etwa betreffs Steuerhinterziehung in Euromilliardenhöhe und angesichts von gigantischen Rettungschirmen für die von unverantwortlich handelnde Banken und gierigen Spekulanten verursachte Finanzkrise nie habe aufhorchen, geschweige denn aufschreien hören, sagte: Nichts wie raus mit denen! Aha, soweit sind wir schon wieder! Hatten wir das nicht schon einmal? Erst vor Kurzem wurde des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen Anfang der 1990er Jahre gedacht. Weitere Stichworte: Mölln, Solingen! Dräut wieder eine ähnliche Situation hoch? Gott bewahre!

Nehmen wir bitteschön Dampf aus dem Kessel

Damals war das vorwurfsvoll gebrauchte Wort „Asylmissbrauch“ fast tagtäglich in den Medien zu hören. Nach den angesteckten Flüchtlingsheimen kam die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl.

Hüten wir uns also vor jedweder Hetze. Nehmen wir doch bitteschön Dampf aus dem Kessel! Es stimmt zwar: Die Bezüge für Flüchtlinge sind angehoben worden. Dennoch lässt sich davon – gleiches gilt für Hartz-IV-Betroffene – keineswegs ein menschenwürdiges Existenzminimum absichern. Ebenfalls sollten vor allem Politiker und die Medien tunlichst vermeiden, die einen gegen die anderen auszuspielen. Billiger Populismus sollte vermieden werden. Denn der ist Zündstoff für eine ohnehin in Arm und Reich gespalten Gesellschaft.

Vorsicht Brandgefahr!

Jedoch besteht die Gefahr, dass es zu geistigen Brandstiftungen kommt. Warum? Weil die Mehrzahl der aus Serbien, Mazedonien und dem Kosovo in diesen Tagen zu uns Geströmten, Asylsuchenden, Roma sind [*]. Diese sind in vielen Balkanländern großem Hass seitens Teilen der dortigen Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt. Sie sind bitterarm und nicht selten Analphabeten. Viele von ihnen hatten in alten sozialistischen Zeiten wenigstens noch eine Arbeit als Hilfsarbeiter. Nun aber will sie niemand mehr. Manchen Menschen gelten sie in ihren Heimatländern nicht mehr als gewöhnlicher Müll. Und so leben nicht wenige dieser Roma auch: Nämlich auf Müllkippen. Ist es ihnen zu verdenken, dass sie Hilfe woanders suchen? Aber aus bestimmten Ecken des viertreichsten Landes der Welt, Deutschland, tönt es in eiskalt entgegen: Asylmissbrauch, Abkassierer von Sozialleistungen. Und mein Kollege fügte noch hinzu: Wenn sie wenigstens sauber und anständig wären …

Guntram Schneider: Chance auf Asyl gering - Kirsten Eichler: Land und Bund schlecht vorbeiteitet

Asyl erhalten dürften allerdings die wenigsten der in den letzten Tagen angekommenen Flüchtlinge. Das sagte gestern im WDR-Lokalfernsehen NRW-Arbeits- und Sozialminister Guntram Schneider (SPD). Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW machte im Gespräch mit dem Dortmunder Lokalsender Radio 91.2 für den Flüchtlingsansturm in Dortmund u.a. auch Schleuserbanden verantwortlich. Bei afghanischen Flüchtlingen z. B. könne man davon ausgehen, dass die Schleuser bis zu 15.000 Euro pro Person verlangten. Kirsten Eichler vom Vorstand des Flüchtlingsrats NRW brachte aber mehr Licht Aktion, die die dafür zuständigen Behören anscheinend so überraschend traf: „Es ist unverantwortlich, dass Land und Bund auf diese Situation so schlecht vorbereitet sind. Die Flüchtlingszahlen steigen seit etwa zwei Jahren kontinuierlich an. Die zuständigen Behörden wussten das und hätten genug Zeit gehabt, sich auf die Situation einzustellen. Insbesondere ist es inakzeptabel, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen, wie in Dortmund geschehen, wegen Überlastung einfach geschlossen werden und die Flüchtlinge ohne jegliche Versorgung vor den Toren stehen“.

Die Notlage kam nicht aus heiterem Himmel – Die NPD versucht Kapital daraus zu schlagen

Jetzt gilt es angesichts der nicht einfachen Situation mit Herz und von Vernunft geprägtem Handeln seitens der Verantwortlichen zu reagieren. Auch die Medien sollten sich ihrer diesbezüglichen Verantwortung bewußt sein. Schon muss man ausrufen: Wehret den Anfängen! Der Flüchtlingsrat NRW schreibt auf seiner Internetseite: „Das von Politik und Medien gezeichnete Bild unkontrollierbarer ‘Flüchtlingsströme’ ist nicht nur falsch, sondern auch hochgefährlich. Die extrem rechte NPD versucht bereits, politisches Kapital aus der Situation zu schlagen und hat bereits Demonstrationen gegen die neue Notunterkunft in Dortmund angekündigt. Also Vorsicht! Die momentane Situation stellt keineswegs eine gewaltige, unzubewältigende Katastrophe dar. Und sie ist nicht über Nacht sozusagen vom Himmel gefallen. Die Behörden haben die Not vielmehr sehenden Auges auf sich zukommen lassen. Dass sie in diesen Tagen plötzlich und anscheinend unbegreifbar wie aus dem Nichts ins Tagesgeschehen hineinprasselt, stimmt nicht. Immerhin naht der Winter. In dieser Zeit steigt stets die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge. Da wird es auf Müllkippen und in klapprigen Pappbuden auch auf dem Balkan nämlich verdammt ungemütlich. Wer wollte diesen Menschen verdenken, nach Deutschland zu flüchten.

Den Hilfesuchenden ein wenig die Herzen wärmen

Klar, man hört schon gleich die Signale vom deutschen Stammtisch: Wir können doch hier nicht jeden aufnehmen. Uns geht’s doch selber dreckig! Nichtsdestotrotz: Wärmen wir den Hilfesuchenden ein wenig der Herzen. Wenn es auch nur die paar Wochen bis zu Abschiebung ist. Denn traurige Realität ist: Die meisten der in diesen Tagen zu uns gekommenen Menschen werden vielleicht Weihnachten wieder in ihrer Heimat sein. Dort, wo sie unwillkommen sind. Wo man ihnen vielleicht die Bretterbude über Nacht in Brand steckt. Die Dortmunder sind als herzlicher Menschenschlag bekannt. Auf einem Foto von der Notunterkunft haben liebe Menschen ein Transparent angebracht. Auf dem steht „Herzlich Willkommen!“ in mehreren Sprachen. Denjenigen Roma, die lesen können, wird das „DOBRE DOŠLI“ vielleicht ein wenig das Herz wärmen. „Wir“ sind ja nun alle Friedensnobelpreisträger“. Handeln wir auch danach! Auch die in ihrer Not zu uns gekommenen Menschen gehören zu Europa. Mag es nun Einigen gefallen oder auch nicht. Nach Frieden hungern diese Menschen gewiss ebenfalls. Zusätzlich knurren ihnen in ihrer Heimat die Mägen. Und ein Dach überm Kopf, das menschenwürdig ist und ihnen nicht über Nacht angezündet wird, wäre ihnen ganz sicher auch ganz lieb. Gerade die Roma trifft es hart. Es gibt schon Gegenden, da man sie und ihrer Siedlungen einfach umauert hat. Dennoch zeigen die Flüchtlingsbewegungen dieser Tage: Aus den Augen aus dem Sinn, das funktioniert so nicht. Auch nicht mitten in Europa, der EU, dem Gebiet, wo nun um die 500 Millionen Friedensnobelpreisträger wohnen. Nicht zuletzt muss den aus bitterster Not heraus zu uns fliehenden Menschen in ihrer Heimat geholfen werden. Dafür muss sich Friedensnobelpreisträger Europäische Union bei den für sie zuständigen Regierungen stark machen. Besonders eben, geht es darum das "Roma-Problem" zu lösen. Die Roma sind die größte ethnische Minderheit in der EU. Trotz vollmundiger Ankündigungen in den vergangenen Jahren hat Brüssel nichts zuwege gebracht, dass das Leben dieser Minderheit in den Gegenden Europas zu bessern, wo die Roma die größte Not leiden. Immer nur mit Abschiebung der Menschen hier und von Hass gesteuerter Ausgrenzung dort wird keine Besserung von deren Lebensumständen zu erreichen sein. Im Gegenteil! Natürlich stimmt es ebenfalls, dass diese Minderheit auch selber gewissen Anstrengungen unternehmen muss. Nur dazu müssen ihnen zunächst einmal die notwendigen Chancen eröffnet werden. Ein Schlüssel von gleich mehreren heißt Bildung. Aber die Lösung der Probleme wird nicht von heute auf morgen zu erreichen sein. Deshalb muss endlich einmal begonnen werden, die ersten Schritte zu gehen. Viel zuviel Zeit der Untätigkeit ist nämlich schon verronnen bzw. mit halbherzigen falschen politischen Ansätzen vergeudet worden...

Udo Lindenberg sang, „Ein Herz kann man nicht rapieren ..“ Wärmen wir dieser Tage die Herzen der Hilfesuchenden ein wenig. Es ist das Mindeste. Und vielleicht strömt dabei ein wenig dieser Wärme dabei auch in unsere Herzen zurück? Lassen wir unsere Herzen für die Ausgegrenzten brennen, bevor wieder Häuser und dann die Menschen darin brennen. Danach sollte auch der Innenminister einer sich christlich nennenden Partei sein Handeln ausrichten. Doch ist das zu erwarten?

Interessantes über das Leben und die Probleme von Roma finden Sie hier auf dem dROMa-Blog.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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