Totalversagen von Politik und Medien

Ukraine-Krise Es läuft immer mehr aus dem Ruder. In der Ostukraine herrscht Krieg. Bestimmte westliche Politiker und Medien sind nicht unschuldig an der Eskalation.

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Nachrichten zu hören ist inzwischen beinahe unerträglich geworden. Desinformation, mehr oder weniger unverhohlene Kriegshetze und einseitige Berichterstattung sind an der Tagesordnung. Wäre ich nicht journalistisch tätig, täte ich mir Nachrichtensendungen und die Lektüre von gewissen Zeitungen oder eines sogenannten Nachrichtenmagazins womöglich schon längst nicht mehr an.

Egon Bahr schockte in diesem Jahr Schüler, stand zu lesen, indem er vor diesen sagte: „Ich, ein alter Mann, sage euch, dass wir in einer Vorkriegszeit leben.“

Egon Bahrs Grundauffassung: Krieg wird es nicht geben

Bahr, der seinerzeit im Kalten Krieg als Vordenker der Ost-Politik den „Wandel durch Annäherung“ beförderte, was das Verhältnis zur Sowjetunion und den anderen Staaten des Ostblocks grundlegend verbessern half, sagte den Schülern ebenfalls: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Vorkriegszeit hieße, wir befänden uns noch im Frieden. Heute veröffentlicht das „neue deutschland“ ein dpa-Interview mit Egon Bahr. Darin vertritt der SPD-Politiker folgende Ansicht:

„Die Lage ist so unübersichtlich und ändert sich von Tag zu Tag, so dass niemand ausschließen kann, dass daraus eine schwer beherrschbare Krise wird. Trotzdem bleibe ich bei meiner Grundauffassung, dass es keinen Krieg geben wird.“

Mit Vernunft und politischem Geschick Ausweg aus der Krise finden

Egon Bahr beweist damit abermals, dass er der kluge, politisch klar und realistisch denkende Mensch geblieben ist, der er zeitlebens gewesen ist. Kein Ideologe, der sich von Interessen geleiteten fahrlässigen Strömungen, gar vom Mainstream – vom politischen wie journalistischen - zu beeinflussen gedenken lässt. Ein Politiker – traurig genug, daran erinnern zu müssen – der noch selber denkt. Und Bahr lässt demzufolge auch keine Hoffnungen – und seien die auch nur in Form kleiner Fünkchen am Ende eines Tunnels – fahren, weil er aus langjähriger Erfahrung weiß, dass sich mit Vernunft und politischem Geschick im Grunde immer ein Ausweg aus Krisen finden lässt. Vorausgesetzt, es besteht der Wille dazu.

Daran, dass dieser politische Wille in der EU derzeit besteht, kann (muss) man eigentlich als Journalist und gewiss auch als selbst denkender Rezipient von gedruckten oder elektronisch verbreiteten Nachrichten täglich verzweifelter nur zweifeln.

Weil darin zumeist stur eine ideologische Linie geritten wird, nachdem Russland der schlimmste Bösewicht ist, bleibt und egal was es auch tut oder nicht tut, mehr und mehr wird.

Politiker und Medienleute drehen an der gleichen Eskalationsspirale

Das geben bestimmte Politiker Tag für Tag von sich. Obgleich sie Beweise dafür nicht vorlegen, die diese Haltung schlüssig begründen könnten. Es sind leider keine Politiker vom Schlage Egon Bahrs. Obgleich sich einen täglich mehr der Eindruck aufdrängt, dass wir die „Bahrs“ heute beinahe dringender bräuchten als damals in Zeiten des Kalten Krieges und der Ost-West-Konfrontation.

Die meisten der momentan in der EU Verantwortung tragenden Politiker wissen es anscheinend nicht besser oder wollen (sollen?) es nicht besser wissen, weil sie wiederum von bestimmten interessengeleiteten Kreisen beeinflusst werden. Vielleicht glauben einige gar selbst an das, was sie da sagen.

Schlimm genug. Schlimmer, dass es obendrein so gut wie keine nennenswerte kritische Presse gibt, die genauer hinleuchtet und sich intensiv bemüht, ob die uns von herrschender Politik präsentierten Darstellungen überhaupt Hand und Fuß haben.

Fast unisono wird stattdessen medial nachgekaut und nachgeplappert, was die Politik sich erfrecht uns da auf den Tisch des Hauses zu legen. Mainstream-Medien schalten sich anscheinend freiwillig untereinander gleich, tönen die gleiche Musik wie die herrschenden Politik, der sie so (zu) nahestehen, dass sie sich früher oder später jämmerlich – und nicht nur die Finger – daran verbrennen werden.

Ein paar Exemplare dieser von Pressevertretern konnten wir am vergangenen Sonntag selbstsicher, naiv oder über die Maßen überheblich im Presseclub der ARD erleben. Nachzulesen auf NEOPresse. Im Artikel „MH 17: ARD-Presseclub grätscht rein“ ist dass entsprechend thematisiert worden. Zwei Herren und eine Dame waren einmal mehr der Beweis dafür in welch jämmerlichen Zustand sich der deutsche Journalismus befindet.

Politiker und Medienleute drehen gemeinsam an der Eskalationsspirale. Kritisch im ureigensten Sinne vierte Gewalt? Von wegen!

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen macht von Kiew aus Stimmung

Also doch Vorkriegszeiten? Wenn wir erfahren, dass Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bei einem Besuch in Kiew „der Ukraine im Konflikt mit Russland die Unterstützung des Militärbündnisses zugesichert“ hat.

Auf Deutschlandfunk (DLF) heißt es weiter:

„Er rief Russland zum Abzug seiner Truppen von der ukrainischen Grenze auf. In der Ostukraine gehen die Kämpfe unterdessen weiter. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat der prowestlichen ukrainischen Regierung im Konflikt mit Russland demonstrativ den Rücken gestärkt.

“Die Nato steht bereit, die Ukraine zu unterstützen”, sagte Rasmussen am Donnerstag bei einem Besuch in Kiew. Er warf Russland die Destabilisierung des Landes und die Unterstützung der prorussischen Separatisten vor. Der Konflikt im Osten bedrohe “die Freiheit und die Zukunft der Ukraine”, sagte der Nato-Generalsekretär.

Rasmussen aus voller Brust: „Wir stehen bereit.“ Tönt so jemand, dem es um Frieden geht? Vorkriegszeit! Wird da nicht Kriegshetze betrieben?

Für die NachDenkSeiten, die ebenfalls den Deutschlandfunk zitieren, fragt dazu Wolfgang Lieb, wie ich meine zu Recht:

Seit wann entscheidet eigentlich ein Nato-Generalsekretär über den Einsatz der Nato. Oder tut das Rasmussen in Abstimmung mit der deutschen Verteidigungsministerin? Warum pfeift von der Leyen Rasmussen nicht zurück? Seit wann ist die Ukraine Mitglied der Nato? Seit wann besteht eine Bündnisverpflichtung?
Rasmussen wirft Russland die Unterstützung der Separatisten vor und droht gleichzeitig mit Unterstützung der Nato für die Militäreinsätze von Seiten der Kiewer Regierung. Viel mehr Kriegstreiberei geht nicht.“

Ein ungeheuerlicher Vorgang! Woher nimmt Rasmussen eigentlich die Legitmation für sein Auftreten? Ist die Ukraine denn Nato-Mitglied? Und warum blendet der Däne, der Russland der Unterstützung der Separatisten bezichtigt, aus, dass westliche Geheimdienste längst an der Seite der via eines Putsches an die Macht gekommenen ukrainischen Regierung agieren? Nicht einmal im Kalten Krieg hat es so unverschämte Aktionen gegeben.

Was wiederum zeigt, wohin es gekommen ist. Was zeigt, warum man auch „Russland-Versteher“ sein muss.

Runter vom Baum!

An ein Abrüsten denkt der Westen augenscheinlich nicht. Im Gegenteil: Neue Sanktionen gegen Russland wurden kürzlich seitens der EU-Staaten abgenickt. Man freute sich über dabei erzielte Einigkeit unter den Mitgliedern, die bekanntlich bei anderen Abstimmungen meist zu wünschen übrig lässt.

Das Verhängen dieser Sanktionen seitens der EU gegen Russland ist m.E. so dumm, dass es quietscht. Angeblich schaden sie Russland mehr als umgekehrt der EU. Warten wir es ab. Gestern nun hat Russland die Sanktionen mit Maßnahmen gegen die EU-Länder beantwortet. Muss man sich darüber wundern?

Russland und die russische Bevölkerung wird vielleicht sogar gestärkt aus diesen wirklich dümmlich zu nennenden EU-Sanktionen hervorgehen.

Der Artikel „Äpfel und Kartoffeln haben wir immer“ (Quelle: NachDenkSeiten; Kai Ehlers) nährt jedenfalls diese Annahme.

Im oben zitierten dpa-Interview schätzte Egon Bahr ein „niemand ausschließen kann, dass aus der momentanen Lage eine „schwer beherrschbare Krise wird“.

Damit die nicht eintritt wäre, es m.E. dringend geboten, dass alle Scharfmacher in Politik und bei den Medien - die sich dabei gegenseitig auch noch anheizten - auf einen ziemlich hohen Baum (der Eskalation) geklettert sind, allmählich wieder den Rückzug antreten. Um beim Material Holz zu bleiben: Das Ende der Fahnenstange dürfte erreicht sein! Eine auf beleidigte Leberwurst machen bringt uns nicht weiter. Das einstige SPD-Urgestein Herbert Wehner rief einmal wütend aus dem Bundestag hinaus gelaufenen CDU-Abgeordneten zu: Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen. Will heißen: Vernunft und Diplomatie muss nun endlich Platz greifen.

Allerdings benötigte es zu diesem Behufe Köpfe vom Schlage eines Egon Bahr.

Die sind auch bei den deutschen Grünen längst ziemliche Mangelware. Ein Herr Özdemir macht sich für eine mögliche spätere Koalition mit der CDU hübsch. Und ein Herr Toni Hofreiter muss sich vom Linksparteipolitiker (zwar in einem anderen politischen Zusammenhang) wohl zu recht vorhalten lassen, ein „Irrlicht“ zu sein.

Die grüne EU-Parlamentarierin Rebecca Harms und ihr Parteikollege Ralf Fücks gefielen sich Anfang diesen Jahres in der, wie ich meine. naiven Rolle den Umsturz in der Ukraine von hinten bis vorne zu unterstützen.

Ansonsten sieht es düster aus bei den Grünen. Deshalb wohl strahlt wohl derzeit ein Grüner um so heller: Robert Zion vom Landesverband NRW. Alles andere als ein Irrlicht.Er notierte dieser Tage auf Facebook nicht das erste Mal Kluges.

Der NRW-Grüne Robert Zion: „Jetzt sind wir an einem Punkt, der sehr unangenehm ist, der aber auch vorhersehbar war: Wie kommt wer da wieder gesichtswahrend heraus?“

Diesmal erinnerte Robert Zion an Kant. Und sich an dessen „Die drei Kritiken“ orientierend, schrieb er nicht nur seinen Mit-Grünen via Facebook (zitierter Text in originaler Schreibweise übernommen) ins Stammbuch:

„Vernünftiges, rationales Denken kann man lernen. Ich gehe sogar noch weiter: es muss auch gelernt werden. Man kann es aber auch lassen und mit einem dauerhaften moralischen Klos im Hals, Selbstgerechtigkeit, Missionierungseifer und einem Gut-Böse-Schema im Kopf so tun, als betreibe man "Politik".

Wir sind für die Folgen unseres Tuns und Unterlassens verantwortlich, erstrecht, wenn Menschenleben und der Frieden auf dem Spiel stehen. Darum ist es unsere Pflicht, unseren Verstand zu gebrauchen, unsere ethischen Prinzipien und Ziele offen darzulegen, die Entwicklungen immer von ihren möglichen Enden her zu denken.

Die ganze Ukraine-Krise war so gesehen ein Totalversagen bestimmter "Politiker" und "Journalisten". Zu feige und zu abhängig, um auch einmal investigativ tätig zu werden, den Mainstream infrage zu stellen.

Diejenigen, die Europa in diese Entwicklung getrieben haben, haben ihre Motive und Interessen, diejenigen aber, die da mitgemacht haben, obwohl es ihre Pflicht war, alle Seiten zu beleuchten und die Interessen der Menschen in Europa zu beachten und zu achten, haben nur versagt.

Alle haben sie damit unsere aufgeklärte europäische Kultur verraten und setzen diese weiterhin aufs Spiel. Jetzt sind wir Geißeln von Nationalisten und Bellizisten, die die Entwicklungen weiter bestimmen werden.

Jetzt sind wir an einem Punkt, der sehr unangenehm ist, der aber auch vorhersehbar war: Wie kommt wer da wieder gesichtswahrend heraus?“

Auf ans Werk!

Noch Fragen? Auf ans Werk! Wir leben in Vorkriegszeiten, meint Egon Bahr. Allein dies ist schon Achtungszeichen genug. Bahr weiter; „Trotzdem bleibe ich bei meiner Grundauffassung, dass es keinen Krieg geben wird.“

Möge Bahr recht behalten. Anders Fogh Rasmussen und dessen willfährigen Helfer in den Medien senden fast täglich Signale anderer Natur. Bedenken wir, was uns Robert Zion ins Stammbuch schreibt: „Die ganze Ukraine-Krise war so gesehen ein Totalversagen bestimmter Politiker und Journalisten".

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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