"Trommeln" für Gustl Mollath in Dortmund

Weggesperrt Der Fall des Gustl Mollath löst nach der Ausstrahlung eines Films in der ARD auch bundesweit Empörung aus. Wurde hier versucht einen Unbequemen mundtot zu machen?

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Der Journalist und Umweltaktivist Franz Alt sagte im ARD-Kulturmagazin "titel thesen temperamente" (vom 28. Juli 2013) hinsichtlich der Einstellung der Deutschen zu Flüchtlingen: "Wir sind eine einschläfernde Gesellschaft, eine alternde Gesellschaft, die nicht mehr engagiert ist für humanitäre Aktionen und daran sollten wir arbeiten. Und ich bin sicher, wenn einer mal richtig anfängt da loszutrommeln, wird es wieder gelingen."

Wolfgang Nottmeier stand für Gustl Mollath unter der heißen Sonne auf dem Dortmunder Friedensplatz

Am vergangenen Samstag - ich war unterwegs, um über den Dortmunder Flashmob #StopwatchingUs zu berichten - traf ich einen, der im übertragenen Sinne, angefangen hat loszutrommeln. Zwar im vorliegendem Fall nicht um für eine Willkommenskultur Flüchtlinge betreffend einzutreten, sondern nur für einen einzigen Menschen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dieser Mensch, den ich also am Samstagnachmittag auf dem Dortmunder Friedensplatz vor dem Rathaus der Stadt unter der brennenden Sommersonne hinter seinen mit Informationsmaterial und Unterschriftenlisten belegten Tapeziertisch antraf, träte ebenso für die von Franz Alt und anderen geforderte Verbesserung der Willkommenskultur für Flüchtlinge ein. Wenngleich er im Moment da ich ihn traf eben nur für einen Menschen in die Bresche sprang. Was wahrlich nicht nichts ist! Lehrt uns doch der Talmud sinngemäß: "Wer ein Menschenleben rettet, der rettet die ganze Welt." Ebenso reklamiert das Christentum diese Aussage. Und ebenso ist im Koran zu finden: "Und wer einen Menschen rettet, für den soll es sein, als habe er die ganze Welt gerettet." (Koran 5:32 )

Der Mann hinter dem Tapeziertisch ist Wolfgang Nottmeier. Ein Zahnarzt aus Herne. Wie ich erfuhr, setzt sich Nottmeier - und zwar nicht nur an diesem brütend heißen Samstagnachmittag - für den zwangspsychiatrisierten Gustl Mollath ein. Ein bedauernswerter Mann, dieser Mollath, den aufgrund eines kürzlich gesendeten Filmbeitrags mittlerweile viele von uns kennen dürften, hockt zur Zeit da ich Wolfgang Nottmeier auf dem Friedensplatz in Dortmund traf ca. 372,6 Kilometer Luftlinie von dort entfernt, unfreiwillig eingesperrt seiner Zelle in der Anstalt. Um genau zu sein: Seit dem 27. Februar 2006. Auf der Website "gustl-for-help.de" ist "Der Fall Gustl Mollath" dokumentiert. Demnach sind dem Mann bis dato 2709 Lebenstage gestohlen worden. In Stunden sind das über 65030 (wird laufend aktualisiert). Die angefallenen Kosten für die Steuerzahler für Mollaths Zwangsaufenthalt in der Anstalt sollen inzwischen ca. 758690 Euro betragen!

Der Fall

Wikipedia vermerkt zum Fall Mollath eingangs des Eintrags: "Gustl Ferdinand Mollath (* 7. November 1956 in Nürnberg) wurde 2006 in einem Strafprozess wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Wegen der im Verfahren festgestellten Gemeingefährlichkeit wurde er danach zwangsweise in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht. Das Strafverfahren, die Umstände der Urteilsfindung und die Rechtmäßigkeit der noch andauernden Zwangsunterbringung werden in der Öffentlichkeit breit und kritisch diskutiert. Es gibt verschiedene Bemühungen, eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. seine Entlassung aus der Psychiatrie zu erreichen."

Auf der "gustl-for-help.de"-Seite lesen wir: "(M)eine unglaubliche Geschichte oder: wie es einer Bank mit Regierungsbeteiligung fast gelungen wäre, Schwarzgeldverschiebungen zu vertuschen, und wie einer ihrer Kritiker ohne Lobby über den Missbrauch forensischer Psychiatrie und fachlicher Gutachten fast mundtot gemacht worden wäre."

Wer mehr über den schier unglaublichen, ja: empörenden Fall Mollath erfahren möchte, sollte sich den ebenfalls auf der "gustl-for-help.de"-Seite eingebundenen Film darüber ansehen.

Fakt dürfte inzwischen sein: Gustl Mollaths damalige Hinweise an die Behörden über die Schwarzgeldverschiebungen, die dessen damalige Frau für bestimmte "Klienten", in die Schweiz durchführte entsprachen der Wahrheit. Die behauptete Misshandlung seiner Frau (das Gericht sah darin die "Gemeingefährlichkeit" bestätigt) steht heute auch auf wackeligen Füssen. Ebenso die Aussagen seiner Ex-Frau.

"Freiheit und Gerechtigkeit für Gustl Mollath"

"Bring'se mal, bring'se mal 'n Stein ins Rollen", so oder so ähnlich hieß mal eine Radiosendung des NDR, wo Leser ihrer Kritik Luft machen konnten. Der Stein im Falle Mollath ist längst ins Rollen gebracht worden. Doch noch immer sitzt der Mann in der Anstalt. Geht es nach inzwischen immer mehr werdenden Unterstützern des Gustl Mollath, so wird gefordert, dass ihm endlich Gerechtigkeit widerfahre. Auch auf den Unterschriften des Herners Wolfgang Nottmeier ist es oben unter der Überschrift "Friedensoffensive 2013", für die der Zahnarzt hier und anderso steht, ausgedruckt: "Wir fordern Freiheit und Gerechtigkeit für Gustl Mollath, der unschuldig in der Psychiatrie gegen seinen Willen festgehalten wird."

Die aus der Innenstadt kommenden, über den Friedensplatz laufenden Menschen teilten sich an diesem Nachmittag in drei Gruppen: Zur ersten gehörten die, die den Fall schon kannten, ihre Empörung darüber offen kundtaten und dann sofort unterschrieben. Zur zweiten Gruppe gehörten die, von Wolfgang Nottmeier freundlich angesprochen, schon von Weitem heftig abwinkten. Nottmeier meinte, sie entschuldigend: "Es ist einfach zu heiß. Die wollen nur nach Hause." Kann man das glauben? Kann eine Unterschrift so schweißtreibend sein, dass man sie nicht eben kurz mal auf das Papier setzen könnte? Die zur letzten Gruppe zu zählen waren, bekundeten unbedingt die Empörung über den Fall Mollath zu teilen. Ihre Unterschrift jedoch wollten sie eben dann doch lieber nicht geben.

Gustl Mollath hat in erster Line ein Anliegen:

"Fairness für mich, Fairness für andere, für uns alle: ein entgleistes Justiz- und Regierungssystem wieder in die richtige Spur zu bringen.

Nachdem mein Kontakt zur Außenwelt auf perfide Weise derzeit so gut wie unterbunden ist, benötige ich dazu Ihr Interesse."

Zwangsläufig denkt man beim Lesen des Textes: Wie ist das nur möglich in einem Staat wie dem unseren, der sich so viel auf sein Rechtssystem einbildet! Zwangspychiatrisiert mögen manche von uns bis zum Fall Mollath gedacht haben, wurde doch nur in totalitären Staaten. In Diktaturen. Geschieht jedoch so etwas bei uns, kann einem ziemlich unwohl werden. Schließlich kann es unter widrigen Umständen jeden von uns ebenso treffen wie Gustl Mollath. Besonders flau wird es einem im Magen, wenn man zu hören bekommt: Es gibt viel mehr solche "Mollaths" in unseren Anstalten als jeder von uns zu denken wagt ...

Mehr Nottmeiers!

Am Samstag bekam Mollath dieses von ihm gewünschte Interesse. Sogar ca. 372,6 Kilometer entfernt von dessen vergitterter "Unterkunft" in Bayreuth. Der Stadt, wo es gerade "wagnert" und die Großen und Wichtigen bzw. die, welche sich dafür halten, im feinen Gewändern an der Presse vorbei defilieren. Dort, wo Gustl Mollath seit 2006 gezwungenermaßen "daham" ist.

Wolfgang Nottmeier aus Herne hat in Dortmund auf seine bescheide Art für eben dieses so wichtige Interesse am Fall Mollath gesorgt. Gerettet ist damit Gustl Mollath längst noch nicht. Aber womöglich der Rettung ein Stück näher. Befördert doch jede Öffentlichkeit die dieser Fall erreicht ein Denken in den Köpfen der damit in Berührung gekommen Menschen. Mit Sicherheit ist es mit dem Denken allein nicht getan: Es muss auch gehandelt werden. Die dafür zuständigen Institutionen müssen zu diesem Behufe gewissermaßen zum Jagen getragen werden.

Angestoßen werden indes kann das auch durch so eine - wie manch an Wolfgang Nottmeiers Tapeziertisch vorbei gegangener oder gar stehengeblieber und den Stift zur Unterschrift gezückt habender Passant am Samstag in Dortmund womöglich gedacht haben mag: die anscheinend "mickrige" Aktion eines Einzelnen auf einem großen Platz in Dortmund. Fazit: Mehr Nottmeiers braucht das Land!

Link zu den Fotos von der Unterschriftenaktion in Dortmund (Wolfgang Nottmeier hinter seinem Tapeziertisch im weißen T-Shirt)

Passt zum Beitrag: stoersender.tv exklusiv: "Neuer HypoVereinsBank-Skandal - mit einem Interview mit dem Ex-Steuerfahnder Rudolf Schmenger (wurde psychiatrisiert, um sozusagen "unschädlich" gemacht zu werden)

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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