Verdient werden muss er!

Friedensnobelpreis Die Europäische Union bekommt den Friedensnobelpreis. Diskussionen in den Medien haben eingesetzt. Politiker tönen “Wir sind Friedensnobelpreisträger!” Wir?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Nun ist es passiert. Ach und Weh! Alle möglichen politischen Lager, Parteien und Politiker legen es so oder so – meist aber wie es ihnen am besten in den Kram passt – aus. Unisono jedoch tönt es nach dem das Nobelpreiskomitee gestern in Oslo verkündete, die Europäische Union wird für ihr Friedenswerk in Europa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet: „Wir sind Friedensnobelpreisträger!“. Mächtig gewaltig, würde Egon von der Olsenbande womöglich sagen und mit stolz geschwellter Brust an seiner Zigarre nuckeln. Um die fünfhundert Millionen Europäer und ein paar (von Austeritätsmaßnahmen) Zerquetschte in Griechenland, Spanien und Portugal sind Preisträger! Was soll man dazu sagen? Zunächst fehlen einen die Worte. Aber was nützt es: nun haben wir den Salat

Preis und “Geschmäckle”

Der Friedensnobelpreis, davon kündet die Geschichte, war öfters ein Preis, mit demPolitik, respektive Geschichte gemacht wurde, beziehungsweise deren Verlauf versucht wurde zu beeinflussen. Im Sinne eines zu erstrebenden Friedens. Wir wissen: Manchmal blieb dabei ein „Geschmäckle“ zurück. Zuletzt erst nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an US-Präsident Barack Obama. Dieser – so kann man es sehen – erhielt diesen Preis gewissermaßen als Vorschusslorbeere hinsichtlich seiner hehren Versprechungen, Anstrengungen für eine künftighin friedlichere Welt zu unternehmen. Das Resümee betreffs Obamas Friedenstaten, an denen wir auch diesen US-Präsidenten gemäß der Bibelworte messen sollten, fällt heute wenig schmeichelhaft für ihn und erst recht für das Nobelpreiskomitee aus. Unumwunden: Obama hat diesen Preis nicht verdient!

Wieder nur Vorschusslorbeeren?

Hat die EU aber nun diesen Preis verdient? Die einen sagen so. Die anderen so. Und schon schlagen in den Medien und auf Forumseiten des weltweiten Internetnetzes die Wogen hoch. Zweifellos stecken auch hinter der diesjährigen Wahl des Friedensnobelpreisträgers politische Gedankenspiele. Schließlich befindet sich die EU momentan in einer der schwersten Krisen seit ihrer Gründung. Selbst die vor der Schaffung der EU und deren Vorläufer zunächst aufgeblitzte und dann fortentwickelte „Europäische Idee“, die an sich relativ guten Gewissens als friedensstiftendes und Europas Völker verbindendes Projekt bezeichnet werden kann, ist heute stark gefährdet. Also wieder nur Vorschusslorbeeren? Diesmal eben an die EU? Nicht ganz, denn immerhin haben wir in Europa nicht zuletzt durch die EU und deren Vorläufer einen stabilen Frieden. Was nicht Nichts ist. Nehmen wir einmal die Geschehnisse des jugoslawischen Bürgerkriegs heraus. Die EU war daran zwar nicht schuld. Aber auch nicht ganz unbeteiligt. Schließlich trugen die frühen Anerkennungen der Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien seitens europäischer Staaten gewiss nicht zu einer Deeskalation der dortigen Konflikte bei.

Europäischer Friede in Gefahr

Frieden, ja. Doch müssen wir gegenwärtig konstatieren: Dieser Frieden ist in Gefahr. Nicht zuletzt ausgelöst durch die gefährlichen Auswüchse des Waltens der Diktatur des Finanzkapitalismus (geduldet durch Regierungen, die schlimmste Ausuferungen erst möglich machte), durchlebt Europa eine schwere Krise. Und diese Krise ruft nämlich nun (wieder) hervor, was wir für überwunden hielten und worauf die EU eigentlich hingewirkt hatte: Nationalismus und rechte Heilsversprecher. Sogar Neofaschismus kriecht aus einem Schoss, der doch stets fruchbar noch in den Gesellschaften schlummerte. Die Partei der Goldenen Morgenröte in Griechenland lässt schlimme Erinnerungen an Weimarer Verhältnisse aufkommen. Aber auch anderswo in Europa treibt es rechte Parteien und Gruppierungen immer mehr aus diesem düsteren Schoss heraus ans Licht der Öffentlichkeit.

Die Mängel der EU

Die EU als Idee und Projekt des Friedens und der Völkerverständigung hat von Geburt an schwere Mängel. Sie war nämlich stets vorrangig ein Projekt, das wirtschaftlichen Zwecken und den dahinter stehenden Interessen diente. Dennoch: In den besten Jahren der EU profitierten auch viele Menschen von diesem Projekt. Nie aber alle. Heute aber ist alles schlechter geworden. Das Projekt EU befindet sich in den Klauen des Finanzkapitalismus. Nach dessen kruder Logik müssen Banken, dieses ganze wahnsinnige Abzockersystem, mit gigantischen Rettungschirmen gerettet werden. Rettungschirme für Menschen werden indes nicht aufgelegt. Im Gegenteil: Angeblich alternativlose Austeritätsmaßnahmen drücken Löhne, kürzen Renten und treiben die Menschen hauptsächlich in Griechenland, Spanien und Portugal immer mehr in Armut. Nehmen ihnen da und dort sogar noch das Dach überm Kopf sowie das letzte Hemd. Was hat das mit Frieden zu tun? Europa ist in einer schweren Krise. Europa macht für Fremde und Bedürftige die Schotten dicht. Europäische Politik, exekutiert etwa durch die Grenzsicherungsagentur Frontex, fängt die Flüchtlinge aus aller Herren Länder auf den Mittelmeer ab. Tausende sind schon gestorben. Was hat das mit Frieden zu tun? Hat die EU – haben wir – dafür einen Friedensnobelpreis verdient?

Eine EU des Friedens und der Solidarität

Gestern hat das Nobelpreiskomitee in Oslo der EU den Friedensnobelpreis verliehen. Vielleicht sollten wir bei aller verständlichen Skepsis des Einzelnen ihm gegenüber diesen Preis als Bürgerinnen und Bürger dennoch annehmen. Denn Preis aber unbedingt mit Leben erfüllen, indem wir europäisch und über den Tellerrand blickend handeln. Und Europa, die EU, wirklich zu einem Projekt machen, von dem immerfort Frieden ausgeht und wo in Solidariät zusammengelebt werden kann. Wo jeglicher Nationalismus oder gar faschistische Auswüchse schon im Keim erstickt werden. Wir sollten den Mut haben und die enorme Kraft aufbringen, ein soziales Europa zu gestalten, dass freilich politisch wie wirtschaftlich stark sein muss. Ohne jedoch dabei zulasten anderer Völker zu handeln, mit denen wir solidarisch verbunden sein sollten. Zu gegenseitigem Nutzen. Ein solches Europa hätte wahrlich einen Friedensnobelpreis verdient. Wer soll dieses friedliche, solidarische Europa gestalten, wenn nicht wir, die Bürgerinnen und Bürger?! Die Regierungen können oder wollen dieses Europa, diese EU, nicht schaffen. Obgleich sie alle sich nun alle dicke als Friedensnobelpreisträger feiern. Und dabei tönen: Wir sind Friedensnobelpreisträger. Nicht alle Eurpäerinnen und Europäer werden dieses „Wir“ momentan so empfinden wollen oder können. Seien wir doch ehrlich: Europa, die EU, wir alle, stehen, um frei nach Friedrich Nietzsche zu sprechen, am gähnenden Abgrund. Längst blickt der in uns zurück. Der Friedensnobelpreis sei uns Aufforderung und Ansporn. Zurückgeben können „wir“ ihn wohl eh nicht. Verdienen wir uns diesen Preis, indem wir als Europäerinnen und Europäer im Sinne der Demokratie, des Friedens und der Solidarität agieren und leben. Setzen wir ein Signal, lassen wir Friedenstauben steigen! Haben wir eine andere Chance? Sollte es nicht vielstimmig tönen, Occupy Europe? Für ein demokratisches Europa in Frieden und Freiheit, sollte keine Anstrengung zu groß sein. Es ist passiert: Nun haben wir den Preis. Und damit den Salat? Machen wir etwas ‘draus!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden