Was ist denn bei der Linkspartei los?

DIE LINKE Kürzlich stellte ich an dieser Stelle Neuerscheinungen im pad-Verlag vor. Mit einem der Autoren, Ekkehard Lieberam, führte Peter Rath-Sangkhakorn ein Interview

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Gespräch (Originalüberschrift: "Was ist denn eigentlich bei der Linkspartei los?" mit Prof. Dr. Ekkehard Lieberam (Leipzig) über den Zustand der Linkspartei und über die Gefahren eines neuen Rot-Rosa-Grünen Illusionstheaters

Frage: Zunächst ganz aktuell: Wie bewertest Du das Abschneiden der Linkspartei bei den gestrigen Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern?

Lieberam: Auffällig ist erst einmal: trotz der auf 61,6 Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung, spricht die größte "Partei der Nichtwähler" mit 38,4 % für die abnehmende Repräsentationsfähigkeit des Parteiensytems. Für die Partei DIE LINKE ist das schlechteste Ergebnis in der neueren Geschichte des Landes (PDS 1990: 15,7 Prozent). Es ist für die Linken ist es ein schlimmes und ein alarmierendes Ergebnis. Die LINKE liegt mit 13,2 Prozent hinter AfD, CDU und SPD an vierter Stelle. Gegenüber 2011 hat sie 5,2 Prozentpunkte oder 19.269 Wählerinnen und Wähler verloren, bei einer um etwa 10 Prozentpunkte gestiegenen Wahlbeteiligung. Nach Infratest-dimap haben lediglich 6 Prozent der Erstwähler und 7,5 Prozent der an die Wahlurne zurück gekehrten Nichtwähler von 2011 für die Linkspartei gestimmt und 10 Prozent der Arbeiter sowie 15 Prozent der Arbeitslosen votierten für sie. 18.000 ihrer Wähler von 2011 sind zur AfD gegangen. Sie hat sich im Wahlkampf auf Plakaten als regierungswillig, als Heimatpartei und als Partei der sozialen Gerechtigkeit vorgestellt. Interessant war, dass am Wahlabend ihr Spitzenkandidat Helmut Holter äußerte, eine Regierungskoalition mit der SPD wäre „für uns eine Option“, wohingegen Dietmar Bartsch meinte: „Wir haben darüber nicht zu schwadronieren.“ Zur Kenntnis zu nehmen ist aus linker Sicht auch das bescheidene Abschneiden der DKP mit 1.318 Stimmen (0,2 Prozent). Die linke Spaßpartei „Die Partei“ erhielt 5.087 Stimmen. Von den Wählerinnen und Wählern wird die Linkspartei als etablierte Partei und kaum noch als Protestpartei wahrgenommen. Ihr Anteil bei den Prekarisierten entspricht ihrem durchschnittlichen Wähleranteil. Mit ihrer Orientierung aufs Mitregieren konnte sie in keiner Weise punkten. Nach dem Desaster der Linkspartei am 13. März in Sachsen-Anhalt, wo die Partei mit einem ähnlichen Wahlkonzept angetreten war und eine schwere Niederlage hinnehmen mußte, war das alles voraussehbar. Die Linkspartei hat in Mecklenburg Vorpommern auf „Weiter so“ statt auf linke Profilierung gesetzt. „Wen Gott vernichten will“, sagte man einst, „den schlägt er mit Blindheit.“

Frage: In den letzten Jahren hast Du Dich in zahlreichen Artikeln und weiteren Veröffentlichungen („Die PDS auf dem Weg nach Godesberg“, „Memorandum zur linken Programmdebatte, „Der Kniefall von Thüringen“) differenziert und kritisch mit der Entwicklung der PDS bzw. der Linkspartei, auseinandergesetzt. Du engagierst Dich in dieser Partei auch politisch, unter anderem als Sprecher einer Basisgruppe. Nun hast Du mit „Integrationsfalle (Mit-)Regieren – Wild nicht erlegt, dafür Flinte verloren“ eine lesenswerte Skizze mit einem interessanten historischen Rückblick vorgelegt.

Lieberam: Ärgerlich ist die Geschichtsvergessenheit bei der Linkspartei. Dies zeigt sich ja nicht nur in dem devoten Kniefall in Thüringen in Sachen „Unrechtsstaat, Willkürstaat und Alltagsdiktatur DDR“. Generell spielen in der aktuellen Debatte um die Regierungsfrage geschichtliche Erfahrungen und Lehren so gut wie keine Rolle. Es gab vor mehr als 100
Jahren eine hochinteressante Diskussion über den „Ministerialismus“ bzw. „Millerandismus“, nachdem der Sozialist Alexandre Millerand 1899 als Handelsminister in das Kabinett Waldeck Rousseau eingetreten war. Auf den Kongressen der Sozialistischen Internationale 1900 in Paris und 1904 in Amsterdam wurde darüber gestritten. August Bebel, Rosa Luxemburg, Wilhelm Liebknecht und Karl Liebknecht beteiligten sich an dieser Diskussion mit gescheiten Beiträgen zu Prinzipientreue, Macht und Regieren. Wilhelm Liebknecht schrieb1899 in seinem Brief an die Französische Arbeiterpartei, dass ein Sozialist, der in eine Bourgeoisieregierung eintritt, entweder zum Feind übergeht oder „sich in die Gewalt des Feindes begibt“. Dann gab es die praktisch-politischen Erfahrungen in Deutschland. Georg von Vollmar von der SPD war so regierungsgeil, dass er 1903 klammheimlich beim Reichskanzler Graf (später Fürst) Bernhard von Bülow vorstellig wurde, um in dessen Kabinett Staatssekretär (Minister), zu werden, was dann nur am Veto von Wilhelm II. scheiterte. In der Novemberrevolution entstand nach dem 9. November 1918 unter Friedrich Ebert die „rein sozialistische“ Regierung des Rates der Volksbeauftragten. Damals wurde auch das heute noch übliche Grundmuster der Regierungslinken zur Rechtfertigung des Mitregierens geboren: Es ist die Verheißung, dass von nun an die Wende zu einer sozialistischen bzw. sozialen Gesellschaft beginne. Tatsächlich aber rettet oder stützt man die bestehenden Eigentums- und Machtverhältnisse.

Frage: Du hast in diesem Sinne in Deiner Broschüre Einschätzungen zur Regierungspraxis von SPD und nunmehr auch PDS und Linkspartei getroffen, die alle die Kurt Tucholsky zugeschriebene Sentenz bestätigen: „Sie dachten, sie seien an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung.“ Wie erklärst Du Dir, dass viele Politiker der Linkspartei hier offenbar noch weniger lernfähig sind als die Versuchskaninchen aus der Biologie? Als Begleiterscheinung dazu verbreitet die Linkspartei dazu Langeweile. Lieberam: Das mit der mangelnden Lernfähigkeit hat strukturelle Gründe. Wer als Linker auf Regierungskurs oder gar Regierungspartei ist, verliert die Fähigkeit zu einer kritischen Gesellschaftsanalyse und wird unglaubwürdig. Der Eindruck der Langeweile drängt sich tatsächlich auf. Einspruch gegen Deine Einschätzung würde die Situation beschönigen. Langeweile sehe ich vor allem im Mangel an einem klaren politischen Profil der LINKEN als sozialistische Partei und Friedenspartei. Über eine gesellschaftliche Alternative zum Krisenkapitalismus wird in der Linkspartei kaum noch ernsthaft diskutiert. Ihre Flüchtlingspolitik ist geprägt von konträren Auffassungen, erreicht oft nicht die Menschen – und ignoriert zudem in leichtfertiger Weise Befunde kritischer Migrationspolitik und der Rolle der Migration im Rahmen gesellschaftlicher Destabilisierung. Die Linkspartei will Völkerrechtspartei sein, aber weigert sich, klar zu sagen, dass die derzeitige unmenschliche kapitalistische Weltordnung gestürzt werden muss. Sie drückt sich um einen klaren Bruch mit dem vom Finanzkapital beherrschten neoliberalen EU-System. Im Erfurter Programm war vom Imperialismus noch siebenmal die Rede. Auf dem letzten Magdeburger Parteitag kein einziges Mal. Stattdessen erleben wir vor allem in der der Linkspartei nahestehenden Publizistik eine unkritische Rezeption von Sharing-Economy-Konzeptionen a la Rifkin und Mason. Die Verwechselung von Internationalismus und Supra-Nationalität ist ein weiteres Erkenntnisproblem.

Frage: Beim Thema EU und Euro fällt mir seit Jahren bei Äußerungen von Politikern der LINKEN eine seltsame Angst auf, das Thema Währungspolitik und Eurokritik aufzugreifen. Man wolle sich nicht „auf das Feld des Populismus“ begeben. Wie das?

Lieberam: Von Henry Ford ist die Aussage überliefert: „Wenn die Menschen das Währungssystem durchschauen würden, hätten wir die Revolution – und das schon morgen früh.“ Fragen der Währungspolitik sind sozusagen immer Fragen des internationalen Klassenkampfes. Bei der Festlegung des Euro-Teilnehmerkreises hatte Gregor Gysi 1998 in seiner Bundestagsrede zum Euro-Beitritt treffend die inzwischen offen zu Tage tretenden Probleme beschrieben. Sie wurden später zu Gunsten einer Sakralisierung des Euro nicht mehr thematisiert. Wenn man Länder unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklung über den Leisten einer einheitlichen Währung ohne Ausgleichsunion schlägt, gibt es Verlierer und Gewinner. Der Euro hat sich inzwischen zu einer „Mausefallen“-Währung vor allem für die südeuropäischen Länder entwickelt. Die Opposition gegen diese Fehlentwicklung hat die Linkspartei leider einer schmuddeligen rechten politischen Gruppierung überlassen, die sie als mehr oder weniger unappetitliches Verwesungsprodukt des etablierten Politikversagens hinsichtlich der mit diesen Fehlentwicklungen einher gehenden Proteststimmungen beerbt hat.

Frage : Die Linkspartei hat offensichtlich Angst vor einem linken Populismus. Scheut sie nicht auch, wie Marx es einmal nannte, „Kritik im politischen Handgemenge“?

Lieberam: Die Zurückhaltung ist auffällig und beunruhigend. Als Regierungspartei im Wartestand und noch mehr als „regierende Partei“ ziemt es sich eben nicht, Klartext zu reden. Der Verlust von Kritikfähigkeit ist Ausdruck von Anpassung und Fügsamkeit. Viele Politiker der LINKEN haben regelrechte Beißhemmungen gegenüber den Herrschenden und deren Politik. Das mag zur Beruhigung des politischen Lebens beitragen …

Frage : Die Linke scheint mir dabei selbst in der Friedensfrage ihr eigenständiges politisches Profil zu verlieren, wenn ich an die Haltung in der immer wieder thematisierten Frage des Verhältnisses zu NATO und zur deutschen Beteiligung an Militäreinsätzen denke?
Lieberam: Es ist für mich erstaunlich, wie sich die Linkspartei, aber auch Teile der Friedensbewegung einer überfälligen Revision des Kriegs-/Friedensbildes verweigern. Wir leben in einer Epoche fortwährender regionaler imperialistischer Kriege. Jeder militärische Konflikt ist zuerst ein wirtschaftlicher, politischer, ideologischer und sozialer Konflikt, bevor er militärisch wird. Krieg und „militärisches Engagement“ sind also Ausdruck eines gesellschaftlichen Zivilversagens. Da im modernen Krieg nicht mehr zwischen einer zivilen und einer militärischen Front getrennt werden kann, bedeutet Krieg mehr denn je Massenmord an der Zivilbevölkerung. Angesagt ist zivile Stärke statt militärischer Scheinstärke.
Frage: Jean Ziegler hat in zahlreichen Studien die Ungerechtigkeit unserer Weltordnung angeprangert und zivile Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. In Fragen der Globalisierung übt die Linkspartei zwar da und dort Kritik, etwa, wenn es um die Freihandelsverträge geht,
aber eine Strategie der De-Globalisierung wird nicht diskutiert. Und die nationalen Befunde über die Bundesrepublik als Abstiegsgesellschaft werden auch nicht aufgegriffen.

Lieberam: Meines Erachtens muss die Debatte um Globalisierung vor allem, was Jean Ziegler durchaus ebenfalls so sieht, als Debatte um den Charakter der heutigen neoliberalen Globalisierung und als Diskussion um eine zeitgemäße Imperialismustheorie geführt werden. De-Globalisierung macht nach Meinung von Jean Ziegler dann Sinn, wenn darunter der Kampf um den Sturz der derzeitigen „kannibalischen Weltordnung“ verstanden wird. Günter Gaus hat vor vielen Jahren der Bundesrepublik bescheinigt, über alle Merkmale der Klassengesellschaft zu verfügen – nur das Klassenbewusstsein fehle. Die herrschende Klasse handelt sehr wohl entsprechend ihren Interessen. Es geht um die Überwindung des Klassenschlafes der Lohnarbeiterklasse. In ihrem zunehmenden Polit-Opportunismus fördern nicht wenige Politiker der Linkspartei aber diesen Klassenschlaf der großen Mehrheit der Lohnarbeiter. Sie tun das Gegenteil von dem, was notwendig wäre, nämlich, wie es Marx treffend in seiner Einleitung zur Hegelschen Rechtsphilosophie meinte, „den wirklichen Druck noch drückender (zu) machen, indem man ihm das Bewußtsein des Drucks hinzufügt“.

Frage: In der Linkspartei gibt es gerade in der letzten Zeit stattdessen viel inszenierte Aufregung. Veranstaltet wird ein regelrechter Zickenkrieg besonders in der Flüchtlings-/Integrationsfrage. Verschiedene Seiten inszenierten da viel Aufregung über Äußerungen von Sahra Wagenknecht. Das riecht schon nach übler Nachrede, weil hier mit böswilligen Unterstellungen gearbeitet wird.

Lieberam: Die Kritiker von Sahra beanspruchen geradezu die Definitionsmacht darüber, was sie denkt und meint. Überdies, und das erscheint mir ebenso wichtig, lässt die Forderung nach ihrem Rücktritt aus Kreisen der Regierungslinken vermuten, dass hier der „Parteizorn“ gegen eine profilierte und populäre linke Politikerin organisiert wird. Das klägliche Ende dieser Kampagne offenbart allerdings auch ihr hohes Ansehen. Es spricht für viel Zwietracht in den Führungsetagen der Partei, dass der Bundesvorstand sich nicht an die Seite von Sahra stellt und eine sachliche Debatte zu den anstehenden Themen in Gang bringt. Bedenklich ist die zunehmende Fremdbestimmung durch die bürgerlichen Medien.

Frage : Werden die Luftballons der Willkommenskultur nicht auch noch von Politikern der Linkspartei kräftig aufgeblasen? Gibt es nicht überhaupt jede Menge Illusionen, die man befördert?

Lieberam: Das ist richtig. Die Partei hat sich kaum bemüht, die „Ursachen der Flüchtlingsbewegungen“, also neoliberale Globalisierung, immer neue Krieg, anhaltende Armut, sich verschärfende Unterentwicklung und fortschreitende Umweltzerstörung, zum zentralen Thema der Linken in der öffentlichen Diskussion zu machen. An Beispielen zum Thema Illusionen sehe ich keinen Mangel. Im Detail ist nicht selten sogar ein regelrechter politischer Karneval in der Partei zu beobachten, nicht nur in den letzten Wochen und Monaten. Das fand schon auf dem Bielefelder Parteitag 2015 einen Höhepunkt, als Gregor Gysi in seiner „Abschiedsrede“ ob der möglichen gewaltigen „Fortschritte“ mit „r2g“ („Rot-Rot-Grün“) im Bund hinsichtlich des Verbots von Waffenexporten in Spannungsgebiete oder von mehr „sozialer Gerechtigkeit und Demokratie“ in der Europäischen Union regelrecht ins Schwärmen kam. Schlimm war die darauf folgende Reaktion auf dem Parteitag: statt verblüfftes Schweigen oder vernehmbares Gelächter stehende Ovationen. Ein „schönes“ Beispiel gab es auch auf dem letzten Sächsischen Landesparteitag im Juni 2016. Ein Delegierter kritisierte den abstrusen Satz im Leitantrag „Ausbeutung werden wir nicht tolerieren“. Statt beschämt diesen Satz zu streichen, blieb er im Leitantrag stehen. In der vorderen Reihe des Parteitags saß auch die Parteivorsitzende Katja Kipping.

Frage : Katja Kipping war es, die in ihrem ARD-Sommerinterview am 31. Juli mit dem Blick auf 2017 sagte: „Wir wollen eine links-grüne Regierung, die einen Politikwechsel einleitet.“ Wie erklärst Du Dir dieses Revival der Bekenntnisse zu „Rot-Rot-Grün“ im Bund? Gregor Gysi sah am 29. Juni in einem Interview mit der Zeit für 2017 dafür sogar ein „historisches Fenster“. Er plädierte für die Einrichtung von Arbeitsgruppen „von SPD, Linken und Grünen“ in Vorbereitung darauf. Bodo Ramelow appellierte am 10. Juli gegenüber der „Zeit“ an seine Partei, „an der Nato-Frage diese Koalitionsmöglichkeit nicht unmöglich zu machen.“ Widerspruch dagegen war kaum vernehmbar.

Lieberam: Du sprichst zu Recht von einem Revival, also von einer Wiedererweckung, wobei m. E. dann mit dem Artikel von Michael Brie vom 22. August im Neuen Deutschland erneut zurück gerudert wurde. Michael Brie spricht sich in diesem Artikel für Opposition aus und meint, mit Regieren im Bund sei „gegenwärtig kein Richtungswechsel möglich“, was richtig ist. In der Zeitschrift „Sozialismus“ 1/2015 hat er allerdings genau das Gegenteil geschrieben. Das Thema „Mitregieren im Bund“ war ab März über Monate vom Tisch. Nach den Landtagswahlen am 13. März in den drei Bundesländern Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt und den Umfrageergebnissen zur „Sonntagsfrage“ danach war für jeden, der die vier Grundrechenarten beherrscht, nicht mehr zu übersehen, dass mit dem Thema „r2g“ bei Wahlen derzeit nichts zu gewinnen ist und die Möglichkeit einer Mehrheit dafür im Bund (nicht zuletzt wegen der AfD-Erfolge) gegen Null tendiert. Wulf Gallert, der sich in Sachsen-Anhalt Chancen als Ministerpräsident in einer „Rot-RotGrünen“ Koalition ausgerechnet hatte, musste zur Kenntnis nehmen, dass für eine solche Koalition nach den Landtagswahlen im März 2016 gerade noch rund 32 Prozent der Wähler votiert hatten, gegenüber mehr als 52 Prozent im Jahre 2011. Vielen in der Linkspartei war klar geworden, das von einer Wende gegen den Neoliberalismus in den Landesregierungen, an denen man sich beteiligt, keine Rede sein kann. Bernd Riexinger und Katja Kipping veröffentlichten ein lobenswertes Papier, in dem sie zu nichts Geringerem als einer „Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie“ aufriefen. Es dürfe „kein Weiter so geben“. Es gäbe „kein linkes Lager“. Notwendig sei, die „(Selbst-)Organisierung der Menschen zu fördern“ und „außerparlamentarische Mobilisierungen (zu) stärken“. Auf dem Magdeburger Parteitag am 28. und 29. Mai 2016, einen Monat später, war von Selbstkritik und Neuanfang dann nur noch wenig die Rede. Aber Mitregieren war auch kein Thema, wenn man von dem Diskussionsbeitrag von Susanne Hennig-Wellsow aus Thüringen absieht. Katja Kipping sagte: „Wir sind keine Mehrheitsbeschaffer für andere Parteien“. Sahra Wagenknecht plädierte für „eine klare Oppositionspolitik im Bundestag“.

Frage: Wie erklärst Du Dir den Kurswechsel nach dem Parteitag? Ist das schon wieder der Lockruf des gewerbsmäßigen Parlamentarismus?

Lieberam: Mein Eindruck ist, dass hier auch Momente des Irrationalen eine Rolle spielen. Es ist offenbar im Zuge des Niedergangs konzeptioneller Debatten üblich geworden, heute dies und morgen etwas Anderes zu sagen. Erklären kann ich mir den Kurswechsel von Juni bis August nur damit, dass die aufs Mitregieren gerichtete Wahlkampfführung in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin flankiert werden sollte. Auch wollten einige Politiker der Linkspartei im Interesse ihrer Karriereinteressen wohl in Vorbereitung der Bundestagswahl 2017 einen Richtungswechsel herbei führen. Die Gefahren für die Partei nahmen sie dabei in Kauf. Aber mit dem Artikel von Michael Brie im ND vom 22. August scheint mir das vom Tisch zu sein. Zwei Dinge sollten wir nicht vermengen. Zum einen geht es um die Rolle der Regierungsfrage in einer linken Wahlstrategie. Es kann offenbar eine Wählerstimmung geben, die von einer „LINKEN-Regierung“ Großes erhofft. Zum anderen geht es um Gesellschaftsstrategie. Die Orientierung aufs Mitregieren ist aus dieser Sicht keine Methode linker Gesellschaftsgestaltung, sondern ein Irrweg. Wahlstrategisch, d. h. um die eigenen Anhänger für den Wahltag zu mobilisieren, kann das Versprechen, als Regierungspartei eine politische und soziale Wende gegen den neoliberalen Mainstream durchzusetzen, hin und wieder Erfolg bringen. Das war in Thüringen so. Vor den Landtagswahlen am 14. September 2014 sprachen sich bei Umfragen 40 Prozent für den Spitzenkandidaten der Linkspartei Bodo Ramelow aus (für die amtierende Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht 44 Prozent) Die Linkspartei verkündete im Wahlkampf unter Hinweis auf eine greifbar nahe parlamentarische Mehrheit für „r2g“, Thüringen „sozial regieren“ zu wollen. Das kam offenbar zum Teil an. Die Linkspartei erhöhte ihren Stimmenanteil von 27,4 auf 28,2 Prozent und erlangte zusammen mit SPD und Grünen eine knappe Mehrheit von einer Stimme im Thüringer Landtag.

Frage : Warum sollte eine derartige Wahlstrategie nicht auch im Bundestagswahlkampf 2017 Erfolge bringen?

Lieberam: Die Wählerstimmung ist im Vorfeld der Bundestagswahlen eine ganz andere als seinerzeit in Thüringen. Im Wahlkampf für den Bundestag 2017 auf die gleiche Wahlstrategie zu setzen, würde deshalb unweigerlich Wählerverluste bringen. Erwiesenermaßen gibt es im Alltagsbewusstsein eine gesellschaftliche Mehrheit gegen neoliberale Politik auf Bundesebene, aber keineswegs die Erwartung einer Mehrheit bei den Sympathisanten der Linkspartei, dies könne mit „r2g“ erreicht werden. Es gibt nicht einmal eine Wechselstimmung. Politischer Wunderglaube ist offensichtlich bei einigen Politikern der Linkspartei viel verbreiteter als bei deren Anhängern, die in ihrer Mehrheit denen da Oben nicht trauen. Die Linke würde, und das ist das Hauptproblem, aus gesellschaftsstrategischer Sicht unweigerlich ihr eigenständiges politisches Profil als Links- und (immer noch) Protestpartei, weiter abschwächen, wenn sie denn offiziell erklärt, demnächst in Berlin beim Regieren mit dabei sein zu wollen.

Frage : Oskar Lafontaine hat nach den Landtagswahlen vom 13. März 2016 gesagt: „Was wir jetzt brauchen, ist das Gegenteil von ‚Weiter so.’ Wir brauchen nicht ein Bündnis mit den neoliberalen Parteienblock, sondern ein Bündnis gegen die neoliberale Politik.“ Teilst Du diese Position?

Lieberam: Genau in dieser Aussage sehe ich einen ganz wichtigen Ansatz für eine tragfähige Gesellschaftsstrategie. Mitregieren in den Bundesländern wie derzeit in Brandenburg und Thüringen bedeutet unter den gegenwärtigen Klassenmachtverhältnissen, wie die Regierungspraxis in diesen Ländern offenbar, bestenfalls einen Neoliberalismus mit einem menschlicheren Antlitz. Die Landesregierung wird unter Umständen etwas besser. Die Partei wird schlechter. Sie verliert an Stimmen, nach Umfragen auch in Thüringen etwa drei Prozent bei einer nach wie vor gegebenen hohen Popularität von Bodo Ramelow. Die Orientierung aufs Mitregieren im Bund wäre aber eben nicht nur eine wahlstrategische Fehlentscheidung, sondern das wäre die offene Abkehr von einer linken Gesellschaftsstrategie mittels fortschreitender Einordnung in den neoliberalen Parteienblock. Dabei werden Mythen bedient, die die tatsächlichen Machtstrukturen außer Acht lassen, die geschichtlichen Erfahrungen übersehen und die Frage, wie eine Wende gegen die neoliberale Kapitaloffensive erkämpft werden kann, falsch beantworten. Es gibt drei gängige Mythen, die in den Aussagen der meisten Politikerinnen und Politiker der Linkspartei insgesamt oder teilweise auftauchen: Erstens linke Politik sei von ihrem Wesen her eine Willensfrage aufrechter und kluger linker Politiker. Zweitens im Parteiensystem gäbe es zwei Lager (oder könne man kurzfristig zwei Lager formieren), darunter ein linkes Lager in Gestalt von „SPD, Grünen und Linkspartei“. Und drittens ist das die Vorstellung, der Bundestag sei die Machtzentrale der Bundesrepublik Deutschland, der die Chance bietet, linke Politik zu machen.

Frage: Was setzt Du dem gesellschaftsstrategisch entgegen? Unter welchen Bedingungen siehst Du eine derartige Chance?

Lieberam: Die Alternative heißt Gegenmachtstrategie: Entwicklung von politischorganisatorischer, gewerkschaftlicher und geistig-kultureller Gegenmacht. Das Problem ist nicht dadurch zu lösen, dass man ein „linkes Lager“ herbei fabuliert. Es muss im politischen Kampf gegen den Neoliberalismus erst noch geschaffen werden. Niemals gab es in den letzten 100 Jahren in Deutschland so viel Ignoranz links von der SPD (ausgenommen im Umfeld der DKP und weiterer kleiner marxistischer Organisationen) gegenüber den Herrschafts- und Machtverhältnissen wie heute. Das Erfurter Programm sagt in Abschnitt V.: „Die strategische Kernaufgabe der LINKEN besteht darin, zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse beizutragen“. Das ist richtig. Oskar Lafontaine fordert genau in diesem Sinne ein gesellschaftliches und politisches Bündnis „gegen die neoliberale Politik“. Die Zurückweisung des Irrweges einer Einordnung der Linkspartei in den „neoliberalen Parteienblock“ ist aber lediglich ein erster notwendiger Schritt, ein wichtiger Aspekt zur Profilierung der Linkspartei. Der zweite, noch viel schwierigere Schritt muss sein, das gesamte politische Handeln der Partei darauf auszurichten, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse (bzw. die Klassenmachtverhältnisse) durch die Entwicklung von Gegenmacht grundlegend zu verändern.

Frage: Lenin hat 1916 im „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ davon gesprochen, dass die Finanzoligarchie „ein dichtes Netz von Abhängigkeitsverhältnissen über ausnahmslos alle ökonomischen und politischen Institutionen der modernen bürgerlichen Gesellschaft“ gesponnen habe. In Stellungnahmen der Linkspartei zu aktuellen wie auch strategischen Fragen ist davon keine Rede. Sie lesen sich oft wie Abhandlungen zu einer Willenslehre oder zum Sittengesetz, sind mehr moralisch als analytisch und erwecken den Eindruck, man wolle sich für den nächsten Kirchentag empfehlen …

Lieberam: Das Netz ökonomischer und politischer Verflechtung ist - wie zuletzt die Studie der ETH-Zürich „The Network of Global Corporate Control“ nachgewiesen hat - heute noch enger geworden als zu Lenins Zeiten. Politik ist immer offensichtlicher Fortsetzung der Privatgeschäfte mit anderen Mitteln. Das parlamentarische Regierungssystem gewährleistet derzeit eine „stabile Herrschaftskonstellation zu Gunsten des Kapitals“ (Frank Deppe) und die ohnehin beschränkte parlamentarische Demokratie verkommt zur „marktkonformen Demokratie“. Deren Institutionen werden von der herrschenden Klasse kontrolliert. Ein linkes Politikverständnis muss davon ausgehen, dass die Selbstetikettierung des Parlamentarismus als Demokratie und die Bezeichnung des Bundestages als Zentralstelle der Politik mit der Wirklichkeit nicht allzu viel zu tun haben. Ohne die Entwicklung einer einflussreichen Gegenmacht wird es nicht möglich sein, die bestehenden Machtstrukturen zu verändern, den Neoliberalismus zu überwinden und eine Exitstrategie aus dem Krisenkapitalismus in Angriff zu nehmen. Das wird voraussichtlich ein langer Weg sein und bedeutet: die marxistischen und antikapitalistischen Kräfte zu sammeln, beharrlich, eben im „Handgemenge“, über die gesellschaftlichen und politischen Zustände aufzuklären und im täglichen Kampf im Betrieb gegen das Kapital wie auch im politischen Kampf auf der Straße, in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten dafür die Voraussetzungen zu schaffen.

Frage : Eine derartige Strategie findet sicherlich die Unterstützung von gut einem Dutzend der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei und von ihren linken Zusammenschlüssen. Aber mein Eindruck ist, dass die Linkspartei insgesamt zu einer Gegenmachtstrategie kaum noch in der Lage ist. Sprücheklopferei korreliert mit einer erstaunlichen kognitiven Immunität. Ist es nicht angebracht, endlich darüber zu diskutieren, wieso von maßgeblichen Politikern der Linkspartei (so von Katja Kipping auf dem Magdeburger Parteitag) Ferdinand Lassalle oder Rosa Luxemburg mit dem Ratschlag zitiert werden, immer erst einmal zu sagen, was ist, aber dann doch nur oberflächliche und in sich nicht stimmige Aussagen über die Methoden und Wege linker Politik kommen?

Lieberam: Auf die Frage nach den Ursachen einer derartigen Verhaltensweise haben kluge Marxisten wie Lenin und Rosa Luxemburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts, also seit dem Aufkommen des Opportunismus in der SPD, nachgedacht und tragfähige Antworten gegeben (wie Rolle der Arbeiteraristokratie und des parlamentarischen Kretinismus). Beachtenswert sind auch die Erkenntnisse von Robert Michels zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der im Ergebnis seiner soziologischen Studien über die Sozialdemokratie von dem „ehernen Gesetz“ der Herrschaft einer „Parteioligarchie“ sprach. Wolfgang Abendroth hat dann in seiner Monographie „Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie“ eine meines Erachtens stimmige Gesamterklärung für den Trend zur politischen und ideologischen Anpassung in sozialistischen Parteien vorgelegt: Eine sich in ihnen entwickelnde breite Sozialschicht von Berufspolitikern und Parteiarbeitern richtet die Partei auf ihre pekuniären und machtpolitischen Interessen aus und wird Träger einer „Integrationsideologie“. Diese Sozialschicht ist „an der verwaltungsmäßigen Fortführung der Partei in der gegebenen Existenzweise“ interessiert und sie denkt „konservativ im Rahmen dieser Aufgabe, ohne über eigene Situation in der Gegenwart hinaus denken zu wollen und zu können.“

Frage: Wie bewertest Du aus dieser Sicht die Geschichte der PDS?

Lieberam: Die Vertreter dieser Sozialschicht kontrollierten die PDS bereits seit Mitte der neunziger Jahre. Bei der Bundestagswahl 2002 führten sie einen lahmen Wahlkampf und signalisierten der SPD, dass eine erneute Kanzlerschaft von Gerhard Schröder an der PDS nicht scheitern werde. Mit vier Prozent verfehlte die PDS dann deutlich die FünfprozentSperre und kam nur mit zwei Direktmandaten in den Bundestag. Auf ihrem Geraer Parteitag im Oktober 2002 gab es ein Aufbegehren gegen diesen Anpassungskurs. Die alte und neue Parteivorsitzende Gabi Zimmer sprach davon, dass man mit der Partei mittlerweile alles machen könne, „außer Kriege führen“. Dietmar Bartsch verweigerte die Zusammenarbeit. Die Partei war ziemlich am Ende als Gabi Zimmer im Mai 2003 zurücktrat, Lothar Bisky wieder Parteivorsitzender wurde und dann im Oktober der Chemnitzer Parteitag ein Parteiprogramm verabschiedete, das ähnlich wie seinerzeit das Godesberger Programm der SPD im Januar 1959 den Marxismus programmatisch entsorgte.

Frage: Aber war dies nicht die Voraussetzung für spätere Wahlerfolge?

Lieberam: Die kamen aus einer ganz anderen Ecke. Die Wahlerfolge der Linkspartei waren das Ergebnis der Krise der SPD und des Zusammenschlusses der PDS mit der WASG, verbunden mit einer „Westausdehnung“ und einer linken Profilierung der neuen Partei, wie dies im Erfurter Programm der LINKEN vom Dezember 2011 zum Ausdruck kam. Für den Politiktheoretiker war und ist die Zeit der Entstehung der Linkspartei hochinteressant. Nicht die Einsicht kluger PDS-Politiker, nicht die Aktivierung der innerparteilichen Demokratie, nicht Widerstand aus deren Basis rettete das Projekt einer Partei links von der SPD vor völliger Anpassung bzw. vor dem Absturz in die parteipolitische Bedeutungslosigkeit. Die Rettung kam in Gestalt einer gesellschaftlichen Protestbewegung gegen die Agenda 2010. Die Politik des rigorosen Sozialabbaus unter Gerhard Schröder hatte in den Jahren 2003 bis 2005 die größte Volksbewegung von links nach dem Anschluss der DDR gegen die Regierenden ausgelöst. Hunderttausende beteiligten sich 2004 an den Montagsdemonstration. Bei den Bundestagswahlen 2009 verlor die SPD 8,5 Millionen Wählerinnen und Wähler. Im Frühjahr 2004 konstituierte sich die „Wahlalternative für Sozialen Fortschritt“ (WASG), der sich alsbald Oskar Lafontaine anschloss. Gut ein Jahr später bei den Landtagswahlen am 22. Mai 2005 erzielte die WASG mit 2,2 Prozent einen Achtungserfolg (die PDS kam auf 0.9 Prozent). Die Linkspartei, die insoweit aus einer tiefen Krise der SPD hervorging, bekannte sich mit dem Erfurter Programm von 2011 zu einem „Systemwechsel“, zu einem „Richtungswechsel der Politik, der den Weg zu einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft öffnet, die den Kapitalismus überwindet.“ Das aber ist offenbar Vergangenheit. Die Linkspartei ist heute deutlich auf Anpassungskurs. Eine gesellschaftliche Bewegung, die eine Revitalisierung des linken Profils der Partei erzwingen könnte, ist nicht in Sicht. Man wird sehen, ob sie nach dem gestrigen Desaster in Mecklenburg- Vorpommern zumindest als Oppositionspartei in den alsbald anstehenden Bundestagswahlkampf geht.

Frage : In Deiner Schrift „Integrationsfalle (Mit-)Regieren“ skizzierst Du die Folgen einer Regierungsbeteiligung der Linkspartei auf Bundesebene. Du verwendest dabei den Begriff der „politischen Großkatastrophe“ Was verstehst Du darunter? Am Schluss kommt dann der Satz „Sisyphos lässt grüssen.“ Ist das nicht allzu pessimistisch?

Lieberam: Pessimistisch ist für mich nichts Negatives. Pessimist ist nach dem französischen Theaterschriftsteller Edmond Rostand jemand, der vorzeitig die Wahrheit sagt. Die Wahrheit sagen, an die geschichtlichen Erfahrungen erinnern, ungeschminkt die Dinge beim Namen nennen, sollte ein unabdingbares Prinzip nicht nur eines marxistischen Wissenschaftlers, sondern auch eines sozialistischen Politikers sein. Die gegenwärtige Politik der Linkspartei ist nicht zuletzt deshalb so verworren, weil sich wieder einmal der Satz von Wolfgang Abendroth bewahrheitet: „Politische Intelligenz haben die integrationistischen Reformisten, die sich kapitalistischen Denkschemata unterwerfen, niemals besessen.“ (Ein Leben in der Arbeiterbewegung) Ohne die Beachtung der geschichtlichen Erfahrungen gleicht, wie ich in meinem neuen Büchlein schreibe, die aktuelle Debatte in der LINKEN um Mitregieren eben der Verteidigung einer schlechten Theorie, zu der die Fakten nicht passen, die geschichtslos, voller Illusionen und nicht in der Lage ist, Richtschur für eine tragfähige Praxis antikapitalistischer Politik zu sein. Regierungsteilnahme der Linkspartei auf Bundesebene, aber auch schon die Orientierung auf Mitregieren im Bundestagswahlkampf 2017 wäre eine politische Großkatastrophe für die Friedensbewegung, für alle Linken in und außerhalb der Linkspartei in einer Situation, in der eine neue zyklische Wirtschaftskrise bevorsteht und jähe finanzpolitische Katastrophen schon demnächst offen die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus in Frage stellen könnten. Mitregieren, entsprechende Ministersessel und weitere Regierungsämter sind nicht zu haben, ohne den Preis eines völligen Verzicht auf Gegenmachtstrategie, ohne weitere faule Zugeständnisse an die Agenda 2010, an die Schuldenbremse, an die Extremismusideologie, an Kriegseinsätze in aller Welt, an die Kriminalisierung der DDR. Die außerparlamentarischen Bewegungen gegen den Krisenkapitalismus hätten im Bundestag keine Stimme mehr, könnten keinen unbequemen Fragen mehr stellen, keine linke Aufklärungsarbeit von der Bundestagstribüne aus leisten. Die überfällige „Aufklärung 2.0“ würde es noch schwerer haben.

Interviewer: Peter Rath-Sangkhakorn

Dank an den pad-Verlag für das zur Verfügung gestellte Interview.

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asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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