Was ist dran an Pikettys "Kapital"?

Ökonomie Thomas Piketty hat mit "Das Kapital im 21. Jahrhundert" einen wahren Hype ausgelöst. Professor Heinz-J. Bontrup hat das Buch gelesen und darüber in Dortmund referiert

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Thomas Piketty
Thomas Piketty

Bild: Justin Sullivan/Getty Images

Inzwischen ist Thomas Pikettys Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ auch in deutscher Übersetzung erschienen und im Buchhandel zu erwerben. Pikettys Buch hat einen wahren Hype ausgelöst. Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman nannte es „eine Erleuchtung“. Er spricht gar von einer Piketty-Revolution. Krugman ist sich sicher, das Buch werde die Art, wie wir über unsere Gesellschaft denken sowie die Wirtschaftswissenschaften verändern. Der Papst („Diese Wirtschaft tötet“), wird gemunkelt, ist gerade dabei Pikettys „Capital“ zu lesen. Was ist dran an diesem Piketty?

Dieser Frage u.a. ging Professor Heinz-J. Bontrup von der Westfälischen Hochschule Recklinghausen gestern auf einer Veranstaltung von Attac Dortmund und dem Nachdenktreff in der Auslandsgesellschaft Dortmund nach. Der Saal platze beinahe aus den Nähten. Zusätzliche Stühle mussten gestellt werden.

Die Formel r > g

Thomas Piketty hat – wie es bis jetzt keiner der tonangebenden Ökonomen getan hat – mit seinem Buch die langfristige Entwicklung von Einkommen und Vermögen in den westlichen Ländern untersucht. Und zu diesem Behufe ist er tief in die Geschichte zurückgegangen und hat wohl gewiss viel Aktenstaub gefressen. Herausgekommen ist eine umfangreiche Datensammlung. Mit der weist er nach: wenn Profite und Einkommen größer sind als das Wachstum der Wirtschaft, verstärkt sich die gesellschaftliche Ungleichheit. Konkret wird das durch die Formel r > g abgebildet:

„Sobald die Kapitalrendite („r“) größer als das Wirtschaftswachstum („g“) seien, also „r > g“, trete diese Entwicklung ein. In der Geschichte sei r in der Regel größer gewesen als g, im 19. Jahrhundert sei dann erstmals g > r gewesen. Allerdings hätten Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Zeit des Ersten Weltkriegs die Kapitaleinkünfte gegenüber dem Wirtschaftswachstum stark zugenommen. Die starke Ungleichheit dieser (in Europa Belle Époque und in den USA Gilded Age genannten) Ära sei dann durch den Ersten Weltkrieg vorerst beendet worden. Dieser sowie die Great Depression und der Zweite Weltkrieg hätten zu einem Abbau der Vermögenskonzentration geführt und somit dazu, dass das Wirtschaftswachstum größer als die Kapitaleinkünfte gewesen sei (g > r). Diese Entwicklung habe Ende des 20. Jahrhunderts aufgehört.“ (Quelle: Wikipedia)“

Dem Kapitalismus sorgt immanent für Ungleichheit

Eingangs seines Referats wies Bontrup daraufhin, dass der Kapitalismus immanent für Ungleichheit sorgt. Piketty, So Professor Bontrup, warne davor, „dass der Kapitalismus sich womöglich selbst immanent zerstört“. Der französische Ökonom sei „ein Kapitalismusfreund“ - wie sich Piketty selbst in einem Interview bezeichnet habe. Ähnlich also wie der Brite John Maynard Keynes. Piketty mache deutlich, dass ein unregulierter Kapitalismus unweigerlich zu steigender Vermögenskonzentration führt. Starke Vermögenskonzentration führe nicht nur zu einer stagnierenden Wirtschaft, sondern sei eine Bedrohung für die Demokratie. Piketty kritisiert den ausufernden Kapitalismus heftig, will ihn aber wieder mittels Leitplanken unter Kontrolle bringen, damit die Demokratie nicht unter die Räder kommt. Vulgo: Piketty will den Kapitalismus vor sich selber retten, damit der nicht den Ast, auf dem er sitzt, absägt.

Piketty mache einfach deutlich, dass der Kapitalismus, dem Krisen immanent sind, die Ungleichheit fördert. Empirische Studien belegten, „dass das kapitalistische System immer mehr aus den Fugen gerät“ und „dass das Einkommen und das Vermögen sich immer mehr (meint bei Wenigen; d. A.) konzentriert“. Die Schere zwischen Arm und Reich spreizt sich immer mehr. Wie es „ja immer mehr Menschen – auch in der Bundesrepublik Deutschland – in Summe eines der reichsten Länder der Erde (Bontrup)“ - spürten. „Der berühmte Mittelstand, der Mittelstandsbauch“, werde „immer mehr von den Rändern her angefressen und zerstört. Heinz-J.Bontrup: „Dann wird natürlich eine Gesellschaft nervös. Vor allen der deutsche Mittelstand wird nervös, fühlt sich immer mehr bedroht … von dieser Entwicklung der Ungleichheit“.

Der Mensch, der nicht nachgefragt wird, hat unter kapitalistischen Bedingungen keinen Wert

Dann referierte Bontrup an einer Tafel weiter. Notierte oben den BPW (Bruttoproduktionswert), minus „Vorleistungen“ ist gleich „Wertschöpfung“. Bontrup gab zu bedenken: „Ohne Menschen gibt es kein Neuwert, keinen Mehrwert, gibt es kein Überschussprodukt.“ Nun kam der Professor zur Verteilungsfrage. „Wer erhält von der Wirtschaft und wie viel? Alle wollten natürlich partizipieren.“ Bontrup zitierte den Moralphilosophen Adam Smith aus dem Jahre 1776 sinngemäß: Was der eine bekommt, könne der andere nicht mehr haben. „Der immanente Widerspruch einer kapitalistischen Ordnung“, so der Referent. „Steigt der Profit, gibt es weniger Lohn; das ist das Gesetz, aber gleichzeitig das Paradoxon.“ Der Mensch, der nicht nachgefragt werde, habe unter kapitalistischen Bedingungen keinen Wert. Deshalb könne eben auch „der Arbeitslose jederzeit diskreditiert und als faul bezeichnet werden“.

Heinz-J.Bontrup: Natürlich wolle aber der Lohnabhängige seinen Anteil an der Wertschöpfung. Werde dieser Anspruch bei Tarifverhandlungen angemeldet und halbwegs in einer Lohnerhöhung umgesetzt, dann sei die oft die Tinte unterm Tarifvertrag noch nicht trocken und der Zugewinn dahin. Weil das Paradoxon, der Widerspruch schon wieder da sei.

Shareholder-Value schlug wie eine Bombe ein

Nach der Wertschöpfungsart „Lohn“, kommen der „Zins“, „Miete“ und „Pacht“, sowie der „Gewinn“. Davon hätten Lohn, Zins und Pacht stets einen „Doppelcharakter“. Zum Beispiel der Lohn: Der Arbeiter sieht darin ein Einkommen, für den Unternehmer aber ist der Lohn ein Kostenfaktor. Beim Zins: Für den, der den Zins erhält, ist dieser Einkommen, für den Kreditnehmer sind es Kosten. Ebenso gelte das für Miete und Pacht: Doppelcharakter. Ausschließlich der Gewinn habe keinen Doppelcharakter. Er sollte eine Restgröße sein. Beim Unternehmer könne eben am Ende ein Gewinn oder ein Verlust stehen. Das „unternehmerische Risiko“ ist zu tragen. Nun aber am Bontrup zum Knackpunkt: „Diese normale kapitalistische Logik ist spätestens durchbrochen worden, Mitte, einige sagen, Anfang der Neunziger Jahre … beigetragen von Alfred Rappaport 1986 in den USA verlegt worden unter – völlig langweiliger Titel“: „Shareholder-Value“. Zunächst habe das Buch gar keine Verbreitung gefunden. Doch nachdem es ein Journalist der „New York Times“ mal richtig gelesen hatte, sei es weltweit „wie eine Bombe“ eingeschlagen.

Wieso ist der Gewinn in der kapitalistischen Logik eine Restgröße?

„Da steht nämlich drin“, erklärte Heinz-J. Bontrup: „Wieso ist der Gewinn in der kapitalistischen Logik eine Restgröße? Wieso werden kontraktbestimmte Einkommen vorher vergütet? Wir drehen das Ganze um. Wir machen die drei (Lohn, Zins, Miete/Pacht; d. A.) zur Restgröße und der Gewinn wird vorab bestimmt.“ Erinnern wir uns an den „berühmten Satz von Ex-Deutsch-Bank-Sprecher Josef Ackermann: Ab sofort beträgt die Rendite der Deutschen Bank 25 Prozent.“? Bontrup: Das ist die Umkehrung der kapitalistischen Logik, die Restgröße Gewinn vorab zur determinierten Größe zu machen. Und alle andern drei zur Restgröße zu machen.“ Miete- Zins-, und Pachtempfänger aber hätten das nicht mit sich machen lassen. „Dann haben sich die drei verbündet und haben alle dahin geguckt“ - Professor Bontrup zeigt auf die Tafel. Und da steht Lohn. Die drei hätten gesagt: Die Position machen wir zur Restgröße.

Piketty zeige dies sehr gut an seinen empirischen Daten: „Das ist Mitte der Siebziger Jahre“, als in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern durchaus eine Umverteilung von oben nach unten stattgefunden habe. Das Kapital aber habe das ab Mitte der 1970er Jahre nicht mehr akzeptiert. Man drehte, so Bontrup, „an dieser Verteilungsschraube“. Das kapitalistische System wurde sozusagen umgeschwenkt auf die Straße des Neoliberalismus (ein Begriff, der eigentlich falsch sei, aber sich eingebürgert habe). Heinz-J. Bontrup nennt es „die Umkehr der kapitalistischen Logik“. Beobachten können man das auch an „der Prekarisierung der Arbeitsmärkte“. Was „nur unter der Bedingung von Massenarbeitslosigkeit“ habe ins Werk gesetzt werden können. Hinzu sei die Schwäche der Gewerkschaften gekommen.

All das führte „zu eine Aufspaltung der Gesellschaft“. Bontrup: „Die neoliberale – ich nenne sie jetzt auch mal so – Umkehr war voll erfolgreich.“ Im Sinne des Kapitals, versteht sich: „Sie wollten die Umverteilung von unten nach oben. Und das haben sie geschafft.“

Ist Verknappung eine Lösung?

Solange die Wertschöpfung halbwegs gerecht funktioniere, sei „alles gut“. Was knapp werde, werde teuer. „Wen der Faktor Arbeit knapp wäre“, so Bontrup, „dann würde natürlich aus der Wertschöpfung hier (und er zeigt auf „Lohn“ auch viel ankommen. „Faktor Arbeit ist aber nicht knapp.“ In den Siebziger Jahren habe es geheißen: „Arbeit wird so billig wie Dreck.“ Gerade erlebe man, griff Heinz-J. Bontrup die jüngsten Streiks der Lokführer und der Piloten auf, dass Arbeit, die man auch – hier über Streik – verknappen könne zu Lohnerhöhungen führen könne. Und an dieser Stelle – wer will es dem Professor aus Recklinghausen verübeln? - kam Bontrup geschickt auf seine gemeinsame Arbeit „mit dem Kollegen Mohssen Massarrat“, zu sprechen: „Arbeitszeitverkürzung jetzt! 30-Stundenwoche fordern!“, erschienen im pad-Verlag.

Nebenbei bemerkt: Wenn aber Professor Bontrup den Gewerkschaften und damit den Arbeitnehmern zuruft „Verknappt euch!“ und meint, damit sei alles gut, dann hält das ein anderer Professor, nämlich der Ex-Chefvolkswirt der UNCTAD, Heiner Flassbeck, schlichtweg für „Unsinn“ (siehe hier). Im Moment befinden sich beide Professoren im Disput über das Thema Arbeitszeitverkürzung.

Recherchen bis zurück ins 18. Jahrhundert

Zurück zu Piketty: Der ist für sein Buch mit seinen Recherchen bis zurück ins 18. Jahrhundert gegangen. "Dafür" lobt Bontrup, „müssen wir ihm dankbar sein“. Schließlich hätte allen Ökonomen vor Thomas Piketty dieses Datenmaterial nicht zur Verfügung gestanden. Smith, Ricardo oder Karl Marx, „die hatten ja kein Datenmaterial.“ Sie hatten nur ihre Intuition, die reine Theorie „ohne jegliche Beweisführung“. Piketty aber fraß Akten, machte wie er selbst sagte, eine „Schweinearbeit“, um die Daten empirisch zusammenzustellen. Professor Bontrup zitierte Piketty betreffs des derzeitigen Agierens des real existierenden Kapitalismus: „Das kann so nicht fortgeschrieben werden.“ Heinz-J. Bontrup hat bereits eine Rezension („Pikettys Kapitalismus-Analyse. Warum die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden“); neben anderen Texten hier) zu Pikettys vielbeachtetem Werk veröffentlicht.

Die Staaten verstanden Botschaft des Kapitals

Und der Staat, die Staaten? Ja, sagte Bontrup, die hätten dem Kapital versichert: „Wir haben eure Botschaft verstanden.“ Hieß auf der Kapitalseite, „Ja, ihr habt die Botschaft verstanden. Dann handelt bitte auch danach.“ Und alle Parteien – die Sozialdemokratie mit einbezogen (Bontrup: „Ich hätte das ja nicht für möglich gehalten.“, Stichwort: Gerhard Schröder) – hätten gehorcht. In unserem Land liefe „eine Volksverdummung“. Mit sozialer Marktwirtschaft habe das ja alles nichts mehr zu tun. Benötigt werde „eine adäquate Steuer- und Abgabenpolitik“. Die heutige Politikergeneration habe den Begriff der sozialen Marktwirtschaft „auf den Kopf gestellt“. Sie hätten so die Gesellschaft unsozialer und ungleicher gemacht.

Piketty: Einst gab es eine Politikerklasse, die anders dachte

Piketty erinnere nun aber daran, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg einmal eine andere Politikerklasse gehabt. „Die haben anders gedacht. Das sind dann solche Begriffe entstanden, wie Rheinischer Kapitalismus (Leben und leben lassen). Davon hat man sich verabschiedet. Professor Bontrup: „Darum hat es ja auch noch einmal eine Abspaltung von der SPD gegeben!“ Eine Partei wie die SPD könne das auch gar nicht aushalten. Bontrup: „Man müsse kein großer Prophet sein. Nach dieser Periode der Großen Koalition kriegt sie noch 15 Prozent.“ Immer mehr Splitterparteien hätte das zur Folge. Auch die CDU sei davon betroffen (AfD!).

„Der deutsche Michel denkt so“, stellt Heinz-J. Bontrup resigniert fest. „Kleinkariert. Spießig. Die Mittelschichten hier in Deutschland denken so. Sie fühlen sich bedroht.“ Wir bekämen es nicht hin, die eigentliche Ursache für diese Umverteilung von unten nach oben zu beseitigen: „Die Massenarbeitslosigkeit.“ Keiner rede mehr darüber. Stattdessen höre man, dem deutschen Arbeitsmarkt sei es noch nie so gut gegangen wie heute. „Das ist eine blanke Lüge!“ Bontrup: „In Deutschland fehlen 10 Milliarden Arbeitsstunden. Bei einem Volumen von 56 Milliarden!“

Niemand will Steuern erhöhen

Gerade im öffentlichen Sektor sei Luft nach oben. Aber niemand wolle die Steuern erhöhen, was nötig wäre. Nach dem Desaster bei den letzten Wahl redeten nun auch die Grünen nicht mehr von Steuererhöhungen. Obwohl sie „ein vernünftiges Steuerkonzept“ vorgelegt hatten. Aber da sei eben der deutsche Michel vor.

Der Arbeitsplatzabbau, prophezeite Bontrup, werde massiv voranschreiten, weil die Robotertechnik „bis in den tertiären Bereich vordringen werde“. Ingenieure redeten bereits von „der Fabrik 4.0“. Roboterfabrik. „Da ist nichts mehr zu erwarten.“ Oswald von Nell-Breuning habe, und Professor Bontrup wendet sich an den anwesenden Peter Rath-Sanghakorn (pad-Verlag), einst zu diesem gesagt: „Mein junger Freund“, als man damals über die 40-Stundenwoche diskutierte, „fünf Stunden reichten eigentlich heute schon.“

Heinz-J. Bontrup: „Die Verdummung läuft auf Hochtouren“

Je mehr sich die Kapitalisten nähmen (und den anderen dabei wegnehmen), desto mehr sägten sie an ihrem eigenen Ast. Den Verzicht übenden Leuten würde dann erzählt, dafür entstünden Arbeitsplätze. „Die Verdummung läuft auf Hochtouren“, meint Bontrup: „Und die Medien haben große Schuld auf sich geladen.“ Sie hätten das nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ in die Köpfe der Menschen gehämmert.

„Wir müssen endlich zur Besinnung kommen!“

Sonst befürchte er, Bontrup, wie Piketty oder andere Ökonomen abseits des Mainstreams, das uns „ansonsten das ganze Ding um die Ohren fliegen“ wird. „Und“, denkt der Professor, „das wird auch nicht mehr lange dauern.“ Nichts sei seit der Finanzkrise gelöst. Wieder hätte das Kapital die Politik geknebelt: „Ihr werdet die ganze Last der Finanzkrise aufs Konto Staatsverschuldung buchen!“ So machten man aus einer Bankenkrise eine Staatsschuldenkrise. Daraus folgte die Austeritätspolitik. „Ein Bastard-Keynesianismus.“ Nun fehle das Wachstum.

Bontrup erinnert sich noch gut an die Finanzkrise und das Auftreten der leichenblassen Kanzlerin Merkel und ihres Finanzministers Steinbrück: „Ihre Ersparnisse sind sicher.“ Das waren sie ohnehin. Jetzt merkten sie, dass „diese Rechnung des Bastards nicht aufgeht. Oder nur kurzfristig. „Nun sind sie wieder am Ende.“ Restgrößen (Lohn, Soziales) würden wieder mehr unterdrückt. Es werde gekürzt und noch Flexibilisierung gefordert. Aber welcher Unternehmer wolle denn investieren? – sein Gewinn ist ohnehin gestiegen. „Unternehmerische Freiheit - niemand kann den Unternehmer zwingen irgendeinen Arbeitsmarkt nachzufragen.“

Pikettys brutale Lösung

„Wo ist die Lösung? „Piketty hat 'ne brutale: drastische Besteuerung der Reichen und Vermögenden.“ Da aber sage die SPD nein und auch die Grünen würden mit einem Nein abwinken. Die CDU/CSU und auch die FDP sage nein. Einzig die Linkspartei sage ja. Doch die bleibe marginal. Nein, keiner wolle etwas ändern und lieber „sehenden Auges in den Abgrund laufen“. Weitere Segmentierung und auch Verelendung der Gesellschaft werden die Folge sein. Bontrup: Wo das endet? Ich weiß es nicht. Die Menschen werden ja weiter da sein.“ Abschließend meinte der Referent: „Eins ist mal klar. Natürlich ist in der Ökonomie immer nicht der absolute Begriff der entscheidende, sondern der relative. Freilich ginge es uns „relativ besser“ als den europäischen Krisenstaaten.

Über unsere Verhältnisse gelebt? Von wegen!

Eine Arbeitslosigkeit wie in Spanien oder Griechenland mag sich Bontrup hier nicht vorstellen. Wie würde da der deutsche Michel reagieren? Und stellte fest: „Wir leben auf Kosten der anderen Länder. Wir exportieren, obwohl wir Massenarbeitslosigkeit selbst im Land haben!“ Und exportierten damit die Arbeitslosigkeit. Eine Gesellschaft, die mehr exportiert als importiert, lebt unter ihren Verhältnissen. Bei den Griechen sei es umgekehrt gewesen: das Land lebte über seine Verhältnisse. Und Merkel betone, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt! Wir konnten mehr exportieren als importieren. Bontrup: „Der Saldo ist null.“

Wir würfen den Griechen ihre Fehler vor. Bontrup: „Was wäre denn gewesen, wenn die gesamten Volkswirtschaften nicht mehr importiert als exportiert hätten? Dann hätten wir auch nicht mehr exportieren als importieren können.“ Hier wäre massiv Nachfrage ausgefallen. „Dann hätten wir nicht fünf bis sechs Millionen Unterbeschäftigte im Land gehabt, sondern zehn Millionen. Dann bin ich mal auf die Antwort von den Dumpfbacken gespannt, was dann in diesen Land in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren passiert wäre!“

Das Ausland hat sich verschuldet. Was wäre, wenn es sich nicht verschuldet hätte?

In diesen Jahren seien riesige Vermögenszuwächse in der BRD zu verzeichnen gewesen. Uns geht’s gut, sagt Merkel. Soll doch einmal jeder von uns gucken, wo sein Anteil daran geblieben ist! Auf der einen Seite Verfall, Niedergang, Massenarbeitslosigkeit, Lohnkürzungen und die Reichen werden trotzdem eklatant reicher. Angesichts dessen könne man eine Aussage, wonach wir Deutschen über unsere Verhältnisse gelebt hätten, einfach nicht mehr fassen, schüttelt Bontrup den Kopf. „Aber diese Aussage verfängt in den Massen. Wir müssen alle ins Büßergewand. Weil: wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. Bei einem Zuwachs des Vermögens, des Reichtums von 2,2 Billionen Euro!“ Und: „Die Hälfte der Haushalte hat nichts. Wenn sie sterben, ist der Haushalt in zwei Stunden abgewickelt.“

Das Ausland hat sich verschuldet. Was wäre, wenn es sich nicht verschuldet hätte?

Bontrup beendete sein Referat mit Shakespeares Kaufmann von Venedig, der „von dem erbärmlichen Schuldner die Schulden einfordert. Der Richter sagt: 'Schuldner, begleiche deine Schuld'. Der Schulder sagt: 'Ich kann sie nicht begleichen'. Der Kaufmann sagt: 'Dann soll man ihm ein Kilo aus dem lebendigen Körper schneiden, damit er seine Schuld begleicht, dieser erbärmliche Schuldner'. Der Richter sagt: 'Ja, du hast Recht. Aber er schuldet dir nicht auch noch sein Blut:.' Und Professor Bontrup fragt in die Runde: „Was tun wir zur Zeit in Griechenland? Wir fordern mehr als Blut.“

Heinz-J . Bontrups Fazit

„... nach seinem Buch (Pikettys Buch, d. A.) und der
auf Fakten beruhenden langfristigen empirischen Beweisführung (kann) endgültig niemand mehr behaupten, der Kapitalismus sei ein auf Leistung basierendes gerechtes Wirtschaftssystem. Die Linken wussten schon
immer, dass dies falsch ist. Hoffentlich akzeptieren dies jetzt endlich auch die Rechten und die Liberalen, um wirklich eine bessere Welt für alle zu schaffen.“

Ob das augenblicklich einen wahren Hype auslösende Buch von Thomas Piketty diese Akzeptanz bewirkt, ist indes fraglich. Zu wünschen wäre es. Denn die Wand, auf die wir zu rasen kommt täglich näher.

Piketty, Thomas

Das Kapital im 21. Jahrhundert

2014. 816 S.: mit 97 Grafiken und 18 Tabellen. Gebunden

ISBN 978-3-406-67131-9

Auch als E-Book lieferbar.

Von Thomas Piketty. Aus dem Französischen von Ilse Utz und Stefan Lorenzer

Erschienen: 07.10.2014, sofort lieferbar!

29,95 € inkl. MwSt.

Dazu:

Heinz-J. Bontrup: Pikettys Kapitalismus-Analyse. Warum die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. pad-Verlag, Bergkamen, 61 Seiten, 5.-- Euro

Bezug: pad-verlag@gmx.net

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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